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Inhaltsangabe Schweden Herbst 2000 - Tischri 5761

Editorial - Herbst 2000
    • Editorial

Rosch Haschanah 5761
    • Die Demut

Politik
    • Barak – Alles oder Nichts

Interview
    • Mosche Katsav Präsident!
    • Mein Leben für Israel

Reportage
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    • Riga – Gestern – Heute – Morgen
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Schweden
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Jerusalem und Stockholm

Von Roland S. Süssmann
Seit einiger Zeit entwickeln sich die Beziehungen zwischen Schweden und Israel in eine positive Richtung. Einerseits finden regelmässigere und intensivere Kontakte statt, und andererseits spielt die schwedische Regierung eine Rolle im sogenannten Friedensprozess sowie auch in der Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und von revisionistischen Bewegungen, die das Massaker an sechs Millionen Juden in Europa leugnen. In Stockholm haben wir ein Gespräch mit S.E. ELIYAHU AVIDAN geführt, dem israelischen Botschafter in Schweden, der uns sehr herzlich empfing.

Können Sie uns die Beziehungen zwischen Schweden und Israel und ihre jüngste Entwicklung kurz beschreiben?

Zur Veranschaulichung meiner Ausführungen ist es sicher sinnvoll daran zu erinnern, dass der Premierminister Göran Perssons zweimal inerhalb sehr kurzer Zeit nach Israel reiste. Der historisch bedeutende Besuch im August 1999 verlief sehr gut. Ich war beim Treffen im Büro des Premierministers dabei und muss sagen, dass sich beide Männer sofort sehr gut verstanden haben; es entstand ein persönliches und freundschaftliches Verhältnis und sie rufen einander auch oft an. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern verbessern sich sowohl auf politischer als auch auf kommerzieller Ebene, insbesondere im Bereich der Telefonie. Der israelische Minister für Handel und Industrie, Ran Cohen, kam im Februar 2000 an der Spitze einer Delegation von Vertretern der bedeutendsten israelischen Gesellschaften in diesem Bereich nach Schweden, und es wurden sofort Beziehungen in bezug auf Arbeit und Handel geknüpft. Im Jahr 1999 erreichte das Handelsvolumen 450 Millionen Dollar, wobei wir diese Zahl bereits in den ersten fünf Monaten des Jahres 2000 erzielten. Darüber hinaus werden eine Reihe von wissenschaftlichen Projekten durch die Vermittlung privater Unternehmen gemeinsam von wissenschaftlichen Institutionen und einigen israelischen Universitäten von beiden Ländern betreut. Was jedoch die Qualität dieser Beziehungen besonders hervorhebt, ist die Tatsache, dass der schwedische Premierminister im Verlauf eines Telefongesprächs mit Ehud Barak beschloss, sich am darauffolgenden Tag für einige Stunden zu einem «nachbarlichen» Besuch nach Jerusalem zu begeben!

Wie erklären Sie sich die plötzliche Verbesserung der Beziehungen nach einer so langjährigen frostigen Periode?

Dafür gibt es so zahlreiche Gründe als es Ursachen für die während Jahren etwas kühlen Kontakte gibt. Ich glaube jedoch, dass der Ausschlag durch die Art und Weise gegeben wurde, in welcher der gegenwärtige Premierminister das Verhalten von Schweden während der Schoah analysiert und prüft. Ich denke, dass diese Frage sich positiv auf die Beziehungen zwischen beiden Ländern ausgewirkt hat. Göran Perssons hat bestimmt zahlreiche Gründe dafür, doch er bemüht sich ganz offensichtlich darum, über die Ereignisse der Vergangenheit Bilanz zu ziehen, um in bezug auf die Kontakte zwischen dem schwedischen und dem jüdischen Volk ein neues Kapitel in Angriff zu nehmen. Während der Holocaust-Konferenz hörte ich ihm in der Synagoge zu und gelangte im Verlauf seinen Reden immer mehr zur Überzeugung, dass seine Worte nicht aus der Feder eines Ghostwriters stammten, sondern seinem Herzen entsprangen. Vergessen wir nicht, dass es sich um einen Mann mit Grundsätzen handelt. Schweden hat vor kurzem der Trennung von Kirche und Staat zugestimmt, was bei einem weltlichen Staat eigentlich nicht überraschen sollte; im Verlauf einer privaten Unterredung vertraute mir der Premierminister jedoch an, er sei gegen diese Entwicklung, was mich seitens des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei, einer sehr links ausgerichteten Bewegung, erstaunte. Als ich ihn nach den Gründen für seinen Widerstand fragte, antwortete er mir: «Wenn wir in Schweden als starke Gemeinschaft weiterleben und nicht Gefahr laufen möchten, aufgrund der ethnischen Gruppen in unserem Land zu zerfallen, müssen wir unsere Nation auf den drei Stützpfeilern aufbauen und verstärken, die uns miteinander verbinden: der Kultur, der Sprache und dem Glauben. Wenn diese drei Elemente aufrechterhalten werden, können wir weiterhin auf nationaler Ebene mit einem harmonischen Zusammenleben in der Gemeinschaft rechnen.»
Ich bin fest davon überzeugt, dass die immer herzlicher werdenden Beziehungen einem Ausgleich entsprechen: früher waren sie sozusagen eingefroren, und heute werden sie ganz einfach wieder normalisiert, wie es demokratischen Staaten entspricht. Viele gehen davon aus, dass der schwedische Premierminister ganz besonders israelfreundlich eingestellt sei, was ich nicht denke; meiner Ansicht nach handelt es sich für ihn vielmehr um eine Frage der Gerechtigkeit und Besonnenheit.

Erklärt dies, weshalb die als geheim bezeichneten Verhandlungen zwischen Israel und der PLO in Stockholm geführt werden?

Schweden geniesst heute zunächst das Vertrauen beider Parteien, was noch vor fünf Jahren nicht der Fall war. Das Land spielt nicht die Rolle des Vermittlers, jedenfalls nicht offiziell, es stellt nur seine guten Dienste zur Verfügung, indem es die Logistik solcher Verhandlungen anbietet. Schweden kann demnach als logische Wahl bezeichnet werden.

Gegen Ende 1999 fand die erste Konferenz über die Schoah in Stockholm statt, die von Premierminister Göran Perssons angeregt und dann auch geleitet wurde. Welches waren die konkreten Folgen?

Zum ersten Mal nahmen zweiundvierzig Staatschefs an einer Konferenz teil, die diesem Thema gewidmet war und die in Zukunft regelmässig im Januar in Stockholm stattfinden wird. Auf internationaler Ebene wurden eine Reihe von pädagogischen Programmen lanciert, wahrscheinlich wird auch ein weltweiter Tag zur Erinnerung an die Schoah eingeführt werden, als Datum kommen der 27. oder 28. Januar in Frage. Als wichtigstes Ergebnis kann aber die Tatsache bezeichnet werden, dass mehrere Länder, die bis heute nichts unternommen hatten, um gründliche historische Untersuchungen im Hinblick auf die Ereignisse in ihrem Land während der Schoah durchzuführen, sich bereit erklärten, mit diesen Nachforschungen beauftragte nationale Kommissionen zu schaffen. Einmal mehr zitiere ich den schwedischen Premierminister, der die Situation während des Zweiten Weltkriegs folgendermassen zusammenfasste: «Es gab drei Kategorien von Staaten: die bewusst nazifreundlichen Länder, wie Italien, Japan und diejenigen Länder Mitteleuropas, die aktiv mit Deutschland zusammenarbeiteten; dann gab es die Länder, welche den Nationalsozialismus bekämpften, d.h. die Alliierten; und schliesslich die gefährlichsten Staaten, die berühmten «neutralen» Länder. Wenn die Kräfte des Lichts und der Dunkelheit sich bekämpfen, darf niemand «neutral» bleiben. Wenn vor unserer Tür Grausamkeiten begangen werden, wird derjenige, der sich auf die Neutralität beruft, zu einem Komplizen des Verbrechens. Es ist demnach von höchster Wichtigkeit, dieser Art Neutralität ein Ende zu setzen.»

Die Beziehungen zwischen Schweden und dem jüdischen Volk können nicht diskutiert werden, ohne Raoul Wallenberg zu erwähnen. Wie steht es heute, zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, um diesen mysteriösen Fall?

Es handelt sich wirklich um eine Wunde, die nie verheilt ist, denn seit diesen schrecklichen Ereignissen sind viele Jahre vergangen. Ich weiss nicht, ob wir die Wahrheit über diese Angelegenheit je erfahren werden. Israel hat einen speziell mit dieser Frage betrauten Botschafter entsandt, der bereits mehrmals in Russland war, um die Behörden davon zu überzeugen ihre entsprechenden Archive zugänglich zu machen, bisher jedoch ohne Erfolg. Wir von der Botschaft hier stehen in sehr engem Kontakt zu Nina Lagergren, der Schwester von Raoul Wallenberg, die den schwedischen Ausschuss leitet, damit diese menschliche Tragödie endlich beendet werden kann.

Ein israelischer Botschafter vertritt nicht nur sein Land in dem Staat, in dem er tätig ist, sondern wirkt immer auch als Gesandter Israels bei der jüdischen Gemeinschaft seines Gastlandes. Wie sieht Ihr Verhältnis zur jüdischen Gemeinde Schwedens aus?

Ich unterhalte in der Tat sehr enge und intensive Beziehungen zur hiesigen jüdischen Gemeinschaft, die sehr aktiv und dynamisch ist. Ich besuche die Synagoge täglich und verfolge demnach die Ereignisse des jüdischen Lebens in Stockholm aus nächster Nähe. Ich habe selbstverständlich alle anderen Städte Schwedens besucht, in denen eine jüdische Gemeinde besteht, und in Göteborg bin ich einem Gesandten von Chabad-Lubawitsch begegnet, der unter sehr schwierigen Umständen ein jüdisches Leben streng nach der Halacha führt; er hat sogar eine jüdische Schule mit zwanzig Schülern gegründet… von denen neun oder zehn seine eigenen Kinder sind. Ich profitiere von meinen Besuchen in den jüdischen Gemeinden, um für Israel zu werben, und überall treffe ich mit den Gouverneuren, den Bürgermeistern, den Geistlichen und den Redakteuren der Lokalzeitungen zusammen.
Im Rahmen meiner Aktivitäten betone ich neben den alltäglichen Fragen zu bilateralen Angelegenheiten auch die Förderung des kulturellen Austauschs zwischen unseren beiden Ländern.

Wie beurteilen Sie den Antisemitismus in Schweden, wo doch eine recht bedeutende Bewegung von Neo-Nazis existiert?

Natürlich kooperieren wir mit den Behörden, um sie zu bekämpfen, und ich weiss aus sicherer Quelle, dass sie von der Polizei streng überwacht werden. Ich persönlich versuche möglichst viele Kontakte mit den Kirchen und dem Erziehungsministerien zu knüpfen, damit in den Schulen und in der Presse ein umfassendes Informationsprogramm über die Schoah, den Rassismus und den Antisemitismus verbreitet wird.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel und Schweden?

Dieses Land steckt gegenwärtig mitten in einer Übergangsphase, die auf den Eintritt in die Europäische Union und die Tatsache zurückzuführen ist, dass es eine gewisse nationale Unabhängigkeit bewahren möchte. Ausserdem geht Schweden davon aus, dass es eine ganz besondere Verantwortung im Hinblick auf die baltischen Staaten trägt, die für Schweden eine Art Schutzzone gegenüber Russland darstellen. All diese Elemente führen dazu, dass Schweden sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene sowie in anderen, ganz spezifischen Bereichen, an einer Verstärkung der Beziehungen mit uns interessiert ist.


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