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Inhaltsangabe Lettland Herbst 2000 - Tischri 5761

Editorial - Herbst 2000
    • Editorial

Rosch Haschanah 5761
    • Die Demut

Politik
    • Barak – Alles oder Nichts

Interview
    • Mosche Katsav Präsident!
    • Mein Leben für Israel

Reportage
    • Vor den Toren Libanons

Lettland
    • Jerusalem und die Baltischen Republiken
    • «Notke» - «Riga un Latvijas Virsrabins»
    • Juden in Riga
    • Riga – Gestern – Heute – Morgen
    • «Post Tenebras… Lux»
    • Das Zentrum für jüdische Studien
    • Versuch einer Selbstbiographie
    • Das Jüdische Museum in Riga

Schweden
    • Jerusalem und Stockholm
    • «Judiska Museet i Stockholm»

Antisemitismus
    • Hass im Internet
    • Sachsenhausen

Erziehung
    • Yemin Orde

Forschung und Wissenschaft
    • Maulwurfsratten – Weizen - Pilze

Wissenschaftliche Forschung
    • Pilze fürs Leben

Kunst und Kultur
    • Das Zentrum Für Jüdische Geschichte in Manhattan

Ethik und Judentum
    • Wohltätigkeit und Selbständigkeit

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«Post Tenebras… Lux»

Von Roland S. Süssmann
Die Bilder von Abertausenden von Juden aus den sowjetischen Republiken, die mit Flugzeugen der EL AL am Flughafen von Tel Aviv in Israel eintrafen, sind unvergessen geblieben. Wo und wie hat aber diese aussergewöhnliche Episode der jüngsten Geschichte unseres Volkes begonnen?
Obwohl verschiedene Meinungen bestehen, ist man sich je länger je mehr darüber einig, dass die jüdische Widerstandsbewegung innerhalb der Sowjetunion, deren Ziel die Befreiung der Juden und ihr Recht auf Auswanderung nach Israel war, ihren Ursprung in… Riga in Lettland besitzt.
In dieser unbedeutenden Stadt an der Ostsee hat sich in der Tat eine kleine Gruppe von mutigen Juden mit Leib und Seele dem Kampf verschrieben, der von Anfang an verloren schien, dem Kampf von David gegen Goliath.
Vom Beginn der 60er Jahre an zeigten mehrere Dutzend Juden von Riga offen ihr Interesse an Israel und ihren Wunsch auszuwandern. Sie tauschten heimlich Bücher, Broschüren, Kalender und die Werke von Nachman Bialik und Zeew Jabotinsky aus, der seine politische Gruppierung, den Betar, 1923 in Riga gegründet hatte.
Der Prozess Eichmann übte einen grossen Einfluss auf die lettischen Juden aus und weckte ihr Bewusstsein, ausserdem war die Erinnerung an die Tragödie der Schoah noch sehr frisch. In dieser Zeit kam die «Affäre» des Waldes von Rumbula ans Licht. Rumbula ist der Name eines kleinen Bahnhofs, der 12 km östlich von Riga liegt. Im Herbst 1941 hatten die Deutschen in einem Kiefernwäldchen gegenüber des Bahnhofs mit der begeisterten Unterstützung einiger Letten die gesamte Bevölkerung des Ghettos erschossen. Angesichts des Eifers der Letten schafften die Deutschen später Juden aus anderen Regionen Europas nach Rumbula, um sie hier umzubringen: 50’000 Menschen sind hier in neun verschiedenen Massengräbern verscharrt worden. Nur einige wenige kannten diesen Ort, der völlig geheim geblieben war. Der Aussage von Bella Michelson, die aus einem dieser Massengräber fliehen konnte, ist es allein zu verdanken, dass die Untat entdeckt wurde. Mehrere Juden begannen dann den Wald nach Spuren abzusuchen und stellten erstaunt fest, dass an neun verschiedenen Stellen sehr fettes Gras und zahlreiche Fliederbüsche gewachsen waren. Auf diese Weise konnten die Gräber gefunden werden.
Eine aus Anwälten, Ingenieuren, Wissenschaftlern wie Professor Branover und seiner Frau Faïna, dem Schriftsteller Marek Bloom (der sich später Mordechai Lapid nennen sollte und 1993 in Hebron von Arabern ermordet wurde) sowie dem Architekten Rachlin (der von der sowjetischen Geheimpolizei umgebracht wurde) zusammengesetzte Gruppe von Aktivisten beschloss dieses Stück Land zu untersuchen und den gequälten Toten ein anständiges Grab zu schaffen.
Ein Mann nahm sich diesen Plan ganz besonders zu Herzen und machte ihn zu seiner Lebensaufgabe: es handelt sich um SAMUEL ZEITLIN szl, genannt «Bubi», der seine ganze Familie im Wald von Rumbula durch die Häscher verlor und selbst zehn Jahre seines Lebens wegen «antisowjetischer und zionistischer Aktivität» im Gulag verbrachte, nachdem er während des Zweiten Weltkriegs in den Reihen der Roten Armee schwer verletzt worden war. Mit einigen seiner engsten Freunde brachen sie eines schönen Sonntags mit Schaufeln und Hacken auf, um Ort und Ausmass der Massengräber zu ermitteln und sie besser anzuordnen; ihr Ziel war es ausserdem, eine Gedenkstätte zu errichten.
Dies sollte ihnen zum Verhängnis werden, denn die Behörden hatten von ihrem Vorhaben schnell erfahren, wahrscheinlich durch Denunzierung und entsandten Sicherheitskräfte, um ihnen Einhalt zu gebieten. Da kannten sie Bubi Zeitlin aber schlecht, der nach seiner Verletzung im Krieg 24 Stunden lang in einem Sumpf feststeckte, bevor er gerettet werden konnte. Infolge seiner lebenslänglichen Behinderung ist er es gewohnt, sich in widrigen Situation durchzusetzen und lässt sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Seine Reaktion liess nicht lange auf sich warten. Er trommelte mehrere Dutzend junge Juden zusammen, die sich schon am darauffolgenden Sonntag mit Schaufeln und Spaten im Wald von Rumbula einfanden, um die Erde umzugraben.
Gleichzeitig unternahm Samuel Zeitlin zahlreiche Schritte in Moskau, um die Genehmigung zu erlangen, sich um die Massengräber kümmern zu dürfen; er verlangte von den Behörden ebenfalls die Finanzierung einer Gedenkstätte. Und schliesslich waren seine Bemühungen erfolgreich.
In dieser Zeit war es den Zionisten, den ehemaligen Betaristen und einigen betroffenen Juden zur Gewohnheit geworden, jeden Sonntag auf den Massengräbern im Wald zu arbeiten. Sie kamen mit ihren Frauen, ihren älteren Kindern und den Freunden ihrer Kinder. Man muss sich vor Augen führen, welche Tragweite diese grausige Aufgabe angenommen hatte, denn bei jedem Spatenstich fanden sie Knochen, Kinderschuhe, Kleider, eingedrückte Schädel usw. Sie liessen sich jedoch nicht entmutigen und sangen beim Arbeiten, am Ende des Tages hielten sie oft eine improvisierte Erinnerungszeremonie ab, an der sie den Kadisch rezitierten oder jemanden ein selbstgeschriebenes Gedicht vorlesen liessen, das von dem schrecklichen Massaker in Rumbula handelte. Es gab auch… zionistische Reden, so dass der Geist von Rumbula sich allmählich auch Moskau und Leningrad erfasste. «Die Sonntage von Rumbula» und die dort diskret und doch nachhaltig verabreichte zionistische Erziehung wirkte zweifellos als Auslöser, der die «schweigenden Juden» aufrüttelte. Parallel zu dieser sonntäglichen Tätigkeit begann sich mit der Zeit auch eine andere durchzusetzen. Samuel Zeitlin und seine Freunde übersetzten das berühmte Buch «Exodus» von Leon Uris ins Russische; von Freiwilligen wurde es in zahlreichen Exemplaren mit der Maschine abgetippt und als Samizdat in der gesamten UdSSR verteilt. Die Lektüre dieses Werks trug in allen sowjetischen Republiken stark zum Aufleben des zionistischen Empfindens bei.
Doch die sowjetischen Behörden betrachteten die sonntägliche Tätigkeit in Rumbula mit Misstrauen. Die Freiwilligen konnten nur unter engster Bewachung des Geheimdienstes, der Polizei und gar der Armee hier arbeiten. Schliesslich beschlossen Bubi und seine Freunde, ein Denkmal an diesem Ort zu errichten. Es erwies sich als viel schwieriger, diese lobenswerte Absicht umzusetzen, als sie zu planen. Die sowjetischen Behörden verboten nämlich jede Inschrift in hebräischer Sprache, jede Bezeichnung der Opfer als etwas anderes als «sowjetische Bürger» und jeden religiösen Hinweis. Die ersten, von Hand erstellten Gedenkstätten wurden sofort zerstört. Doch Samuel Zeitlin war fest entschlossen. Nachdem er zahlreiche Briefe nach Moskau geschrieben und alle seine Beziehungen eingesetzt hatte, konnte er erwirken, dass ein Stein mit einer Inschrift auf Jiddisch und in hebräischer Schrift auf die Gräber gestellt wurde. Die Inschrift lautet ganz einfach: «Yidden Korbones fun Faschism» - «Juden Opfer des Faschismus». Trotz des Verbots liess Bubi einen riesigen Davidsstern eingravieren. Die Behörden liessen den Stein entfernen und gaben ihn einem Steinmetz, damit er den Stern lösche. In der Nacht stahlen Bubi und seine Freunde den Stein, brachten ihn an seinen Standort zurück und fotografierten ihn. Am nächsten Tag erschien das Foto in der weltweiten Presse und die sowjetischen Behörden beschlossen nachzugeben.
Die Schikanen wurden aber fortgesetzt. Im Herbst versammelten sich am Gedenktag für die Vernichtung des Ghettos von Riga jeweils Tausende von Juden in Rumbula, um an die Tragödie zu erinnern. Jedes Mal führten die Behörden in der Nähe militärische Übungen durch, um durch das Donnern der Geschütze und Panzer die Redner zu übertönen. Jedoch ohne Erfolg, denn diese Art von Belästigung wurde sogar von den apathischsten Juden als Aggression empfunden.
Von den Grauen im Wald von Rumbula bahnte sich für Hunderttausende von Juden ein Weg in die Freiheit, und die Namen von Männern wie Samuel Zeitlin und Mordechai Lapid werden bis in alle Ewigkeit am Firmament der jüdischen Persönlichkeiten strahlen… auch ohne allgemeine Anerkennung.


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