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Inhaltsangabe Antisemitismus Herbst 2000 - Tischri 5761

Editorial - Herbst 2000
    • Editorial

Rosch Haschanah 5761
    • Die Demut

Politik
    • Barak – Alles oder Nichts

Interview
    • Mosche Katsav Präsident!
    • Mein Leben für Israel

Reportage
    • Vor den Toren Libanons

Lettland
    • Jerusalem und die Baltischen Republiken
    • «Notke» - «Riga un Latvijas Virsrabins»
    • Juden in Riga
    • Riga – Gestern – Heute – Morgen
    • «Post Tenebras… Lux»
    • Das Zentrum für jüdische Studien
    • Versuch einer Selbstbiographie
    • Das Jüdische Museum in Riga

Schweden
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    • «Judiska Museet i Stockholm»

Antisemitismus
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Wissenschaftliche Forschung
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Ethik und Judentum
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Hass im Internet

Von Mark Weitzman
Von Simon Wiesenthal stammen die Worte: «Die Kombination von Hass und Technologie ist die grösste Gefahr für die Menschheit». In den 90er Jahren erlebte die Technologie einen Aufschwung, der sich bis ins neue Jahrtausend fortsetzt, ganz besonders im Bereich Internet; doch leider ist auch der Hass auf diesen Zug aufgesprungen. Während die Fans von Internet nur die positiven Seiten der Online-Angebote wahrnehmen wollen, sieht die Wirklichkeit doch anders aus. Die Verbindung von preisgünstiger, sofortiger weltweiter Kommunikation, die in der Regel nicht eingeschränkt werden kann und eine Form des Austauschs ohne persönliches Auftreten ermöglicht, verlieh vielen Anhängern der extremistischen Kreise ein Gefühl der Macht. Ohne ihr Haus zu verlassen konnten diese Menschen auf elektronischem Weg weltweit in Verbindung treten und auf diese Weise die Illusion einer internationalen Bewegung entstehen lassen. Dadurch ist ihre Zahl in bedeutendem Ausmass angestiegen.
Als das Simon Wiesenthal Center vor fünf Jahren begann, die extremistischen Online-Sites zu überwachen, waren weniger als 10 Einrichtungen davon betroffen. Heute verfolgen wir das Geschehen auf über 2'000 Sites, die wir aufgrund ihrer Botschaft des radikalen Hasses und der Bigotterie als extremistisch einstufen.
Zu den jüngsten und gleichzeitig ehrgeizigsten Sites gehört Don Black’s Stormfront. Black pflegt seit Jahren Kontakte zu Neonazi-Gruppen (er war der Nachfolger von David Duke im Alabama Klan), und die Zahl der Links der Stormfront-Site zu anderen Internet-Adressen stieg von drei im Jahr 1995 auf fast hundert, wobei die Verbindung zu Kategorien wie weisser Nationalismus/ weisser Patriotismus, Eugenik, politische Kampagnen, Revisionismus (Verleugnung des Holocaust), Christian Identity, Ku Klux Klan, Skinheads, White Power Music usw. hergestellt wird. Die Sites Weisser Nationalismus oder weisser Patriotismus streben nach Aussage von Don Black als oberstes Ziel an, «eine getrennte Nation oder Gemeinschaft von Weissen zu gründen».In diese Kategorie fallen einige der wichtigsten und aktivsten extremistischen Gruppen, wie beispielsweise die World Church of the Creator oder die National Alliance.
Die World Church of the Creator wird von ihrem Pontifex Maximus (eine lateinische Bezeichnung für den Hauptvertreter oder Hohepriester der römischen Könige) Matt Hale geleitet. Hale ist ein Student aus East Peoria, Illinois, etwas über zwanzig Jahre alt, der eine fast eingegangene Gruppe übernahm und sie zu einer der am rasantesten wachsenden Sites auf dem Internet machte. Die Pseudo-Religion Creativity behauptet, sich «ausschliesslich für das Überleben, die Expansion und den Fortschritt unserer weissen Rasse einzusetzen», und führt einen erbitterten Kampf gegen die «von den Juden dominierte Regierung der Vereinigten Staaten». Noch mehr Propaganda ist in den Links zu Online-Versionen von Adolf Hitlers «Mein Kampf» und den berüchtigten «Protokollen der Weisen Zions» zu finden.
Die National Alliance gilt als eine der gefährlichsten und hinterhältigsten Gruppen von Neonazis in Amerika. An ihrer Spitze steht Dr. William Pierce, der in Physik promovierte und die Universität verliess, um sich nur noch dem Nationalsozialismus zu widmen. Unter dem Pseudonym Andrew MacDonald verfasste er die bekannten «Turner Diaries». Angepriesen wird ein Essay mit dem Titel «Who Rules America?» (Wer besitzt die Macht in Amerika?), in dem es heisst: «Sobald wir die Tatsache wahrgenommen und begriffen haben, dass die Juden die Medien kontrollieren, sind wir unwiederbringlich dafür verantwortlich, alles Erforderliche zu unternehmen, um diese Macht des Bösen zu bekämpfen, welche ihre tödliche Schlinge um unser Volk immer enger anzieht und ihm ihr todbringendes Gift in Verstand und Herz injiziert. Wenn es uns nicht gelingt, sie zu vernichten, werden sie zweifellos unsere Rasse zerstören.» Dieser Auszug, der in der Sprache an Hitlers «Mein Kampf» erinnert, verwertet erfolgreich die perverse Philosophie von William Pierce und der National Alliance.
Eine weitere erwähnenswerte Site in dieser Kategorie enthält Essays von Louis Beam, einem anderen langjährigen Extremisten und einem der Gründer der Milizbewegung. Beam besitzt Verbindungen zum Ku Klux Klan und zur arischen Bewegung (Aryan Nations), er trägt unter anderem auch den Titel eines externen Botschafters der Aryan Nations. Beam schrieb den bedeutungsvollen Aufsatz «Leaderless Resistance» (Führerloser Widerstand), der ursprünglich 1992 herausgegeben wurde und nun auf Internet zugänglich ist; es wird beschrieben, wie das System erfolgreich bekämpft werden soll, indem «sehr kleine oder gar nur aus einem Mann bestehende Zellen des Widerstands» geschaffen werden, wie er sich ausdrückt. Diesem Vorbild folgte auch Timothy McVeigh, als er im April 1995 das Bombenattentat in Oklahoma City plante und ausführte, wobei Beam die Schuld für diesen Anschlag der US-Regierung in die Schuhe schiebt. Die Schriften von Beam und Pierce sind für diejenigen Extremisten besonders wichtig, die sich in ihren Augen, und in denen vieler anderer, im Kriegszustand gegen die Regierung der USA befinden (die sie als ZOG bezeichnen – Zionist Occupational Government, zionistische Besetzungsregierung).
Für diejenigen, die sich mit der Welt der Extremisten auseinandersetzen, gewann die als Christian Identity bezeichnete Religion immer mehr an Bedeutung als treibende Kraft für die Gruppen am Rande der Gesellschaft. Auf der Homepage der Aryan Nations finden wir folgende Beschreibung der Identity: «Wir glauben, dass die wahren zwölf Kinder der Bibel die zwölf Stämme Israels sind, die nun in aller Welt zerstreut leben und heute als die angelsächsischen, germanischen, teutonischen, skandinavischen, keltischen Völker der Erde bekannt sind...». «Wir glauben, dass es heute wahre Kinder des Teufels auf der Welt gibt. Diese Kinder sind die Nachkommen von Kain, der durch die Erbsünde Evas entstand, ihre physische Verführung durch Satan.» Das Glaubensbekenntnis der Aryan Nations fährt fort: «Wir wissen dies, denn wegen dieser Sünde existiert ein kampf und eine natürliche Feindschaft zwischen den Kindern Satans und den Kindern des höchsten G´´ttes (Jahwe)». Daher «wird dieser Tage ein Kampf ausgetragen zwischen den Kindern der Düsternis (heute als Juden bekannt) und den Kindern des Lichts (Jahwe, der ewige G´´tt), der arischen rasse, dem wahren Israel der Bibel.»
Aus dieser rassistischen Bibelauslegung wird der Schluss gezogen, dass der heilige rassistische Krieg (racial holy war – RAHOWA. Diese Abkürzung erscheint häufig in verschiedenen extremistischen Schriften.) dadurch rechtfertigt wird. «Wir glauben, dass der kanaanitische Jude der natürliche Feind unserer arischen (weissen) Rasse ist. Dies wird durch die Schrift und die gesamte weltliche Geschichte belegt. Die Juden sind wie ein zerstörerischer Virus, der unsere Rasse angreift, um unsere arische Kultur und die Reinheit unserer Rasse zu vernichten» (welche verblüffende Ähnlichkeit zur Terminologie Adolf Hitlers!).
Für die Anhänger von Identity hat der Kampf bereits begonnen. Die oben zitierte Homepage der Aryan Nations führt unter ihren Dokumenten auch eine Unabhängigkeitserklärung vom 12. März 1996 an, in der es heisst, dass «das arische Volk in Amerika eine freie und unabhängige Nation ist und von Rechts wegen sein sollte, und dass es von jeglichem Treueeid gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika entbunden ist.»
Der Antisemitismus erscheint auch unter dem Deckmäntelchen der Gelehrsamkeit auf dem Internet. Problemlos erhält man Zugang zu Sites, auch revisionistische Sites genannt, auf denen der Holocaust verleugnet wird. David Irving betreibt seine eigene Website, auf der er neueste Nachrichten und seine Publikationen veröffentlicht, daneben aber auch täglich von seinem Verleumdungsprozess in London berichtete. Irving fasste das Urteil in einem einzigen Wort zusammen: «Autsch!» Das Institute for Historical Review, das weltweite Zentrum für die Verleugnung des Holocausts, besitzt eine ausgeklügelte Site, zu der auch Online-Artikel aus der gedruckten Ausgabe des Journal of Historical Review (die angeblich wissenschaftliche Publikation des Instituts) zu lesen sind. Obwohl die Anschuldigungen des Antisemitismus immer wieder abgewiesen werden, veranschaulichen diese Berichte deutlich die Einstellung dieser selbsternannten Gelehrten.
Die Stormfront-Links sind nur ein Beispiel für extremistische Websites und decken nicht einmal alle Kategorien ab. Die Sites der Militia (auch als Patriots bezeichnet) sind ein Beispiel dafür. Die meisten dieser Gruppen behaupten, nicht rassistisch oder antisemitisch zu sein, da die meisten Mitglieder nicht wegen Vorurteilen beigetreten sind, sondern weil sie sich der Regierung und der Gesellschaft entfremdet haben. Es besteht jedoch weiterhin eine Kerngruppe, die sich aus einigen Gründern der Bewegung zusammensetzt; es handelt sich um Extremisten, welche die Leute zu manipulieren und die Gesellschaft zu destabilisieren versuchen.
Auch andere Formen des Extremismus auf dem Web müssen erwähnt werden. In einer kürzlich erschienenen Studie fand ich beispielsweise knapp 50 Sites, die meisten aus dem Lager der extremen fundamentalistischen Protestanten stammend, von denen aus Material gegen den Katholizismus verbreitet wurde; darauf wird die katholische Kirche beschuldigt, die Quelle für sexuelle Perversionen, für Satanismus und eine Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten zu sein.
Einige gehen davon aus, dass das Internet völlige, grenzenlose Redefreiheit gewähren sollte, darunter auch das Recht auf eine eigene Unabhängigkeitserklärung. Ihrer Ansicht nach sind die weiter oben angeführten Verlautbarungen der Preis, den wir für diese Freiheit zahlen müssen. Andere haben, wie auch die deutsche Regierung, versucht, die Zensur auch auf dem Netz durchzusetzen und diejenigen aufzuhalten und zu verklagen, welche diese Reden nach Deutschland brachten. Beide Lösungen sind umstritten und problematisch. Das Simon Wiesenthal Center hat den Versuch unternommen, einen goldenen Mittelweg einzuschlagen und die Extreme des Hasses und der Zensur zu vermeiden. Dieser Mittelweg kann wohl am besten als Verantwortung bezeichnet werden. Wir glauben, dass die Internetprovider (ISP), die den Extremisten die Möglichkeit einer Webpage geben, durch einen Brief von Eltern, Erziehern und Konsumenten auf legalem Weg beeinflusst werden können, diese Stimmen des Hasses auf ein Minimum zu beschränken und unbedeutend werden zu lassen.
Als neue Form der Kommunikation besitzt das Internet auch das Potential, eine extrem positive Rolle zu übernehmen. Es bietet beispielsweise die nie dagewesene Möglichkeit, Millionen von Menschen rund um den Erdball zu informieren. Wir am Simon Wiesenthal Center haben versucht, die Vorteile dieser Möglichkeit zu nutzen, indem wir ein Online-Lerncenter (motlc.wiesenthal.com) gegründet haben, in dem die umfangreichste Zusammenstellung von Texten und Bildern zum Holocaust auf Internet zugänglich ist. Zur Site gehören auch ein Resource Center, virtuelle Ausstellungen und die Möglichkeit, Online-Zugang zu den wissenschaftlichen und pädagogischen Mitarbeitern des Centers zu erhalten. Die Gefahr und das Potential des Internet sollte uns alle bewegen, den Dialog mit technischen Providern, Eltern, Erziehern, Gesetzgebern und Diplomaten aufzunehmen, im Bestreben das positive Online-Verhalten zu fördern und die gefährdete Jugend davor zu schützen, von Hightech-Verführern manipuliert zu werden.



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