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Inhaltsangabe Politik Herbst 2000 - Tischri 5761

Editorial - Herbst 2000
    • Editorial

Rosch Haschanah 5761
    • Die Demut

Politik
    • Barak – Alles oder Nichts

Interview
    • Mosche Katsav Präsident!
    • Mein Leben für Israel

Reportage
    • Vor den Toren Libanons

Lettland
    • Jerusalem und die Baltischen Republiken
    • «Notke» - «Riga un Latvijas Virsrabins»
    • Juden in Riga
    • Riga – Gestern – Heute – Morgen
    • «Post Tenebras… Lux»
    • Das Zentrum für jüdische Studien
    • Versuch einer Selbstbiographie
    • Das Jüdische Museum in Riga

Schweden
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    • «Judiska Museet i Stockholm»

Antisemitismus
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Wissenschaftliche Forschung
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Barak – Alles oder Nichts

Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem
Sieben Jahre nach den Osloer Abkommen muss Israel eine negative Bilanz ziehen. Das angestrebte Ziel wurde nicht erreicht, da ein «Ende des Konflikts», die Krönung der endgültigen Vereinbarung, nicht in Sicht ist; der Frieden sollte alle Opfer aufwiegen und letztendlich auch die skeptische Öffentlichkeit von der von Rabin und Peres ausgeheckten Strategie überzeugen. Doch die Zugeständnisse sowohl territorialer als auch symbolischer Art sind nun unwiderruflich. Auch die riesigen Konzessionen der israelischen Spitzenpolitiker, wenn sie auch vorerst nur sehr vorsichtig verbalisiert wurden, werden zu dem Zeitpunkt, da ein tatsächlicher Fortschritt möglich wird, nicht unter den Tisch gewischt oder verleugnet werden können. Für die arabische Welt hingegen, für die palästinensischen Nachbarn Israels, ist die Lage global als positiv zu bezeichnen.
Die Taktik, die Barak seit seiner Wahl verfolgt, ist sicher nicht über alle Zweifel erhaben – die Mehrheit der israelischen Abgeordneten ist dagegen und es ist eine deutliche Minderheitsregierung, welche die Staatsgeschäfte leitet und Entscheidungen trifft, die für die Nation entscheidend sein können. Diese Taktik erweist sich jedoch als gescheit und in mancher Hinsicht auch als effizient, denn sie deckt kurzfristig Schwachstellen auf. Israel, so erklärt Barak seinen ausländischen Gesprächspartnern, d.h. vor allem Präsident Clinton, ist bereit sehr weit zu gehen, viel weiter, als man es sich noch vor kurzer Zeit hätte träumen lassen: Abtretung zu über 90% der Gebiete, einschliesslich des Jordantals, Aufhebung eines grossen Teils der jüdischen Siedlungen in Judäa-Samaria und Gaza, Erhaltung der restlichen Ortschaften gegen den Austausch von Gebieten, Aufnahme auf israelischem Boden von ca. hunderttausend palästinensischen Flüchtlingen und vor allem Teilung der Souveränität über Jerusalem. Viele Tabus sind verletzt worden, viele Opfer tun weh. Niemand kann heute noch ernsthaft behaupten, Israel sei politisch unnachgiebig, oder gar erwarten noch mehr zu tun, weiter nachzugeben. (Nicht heute jedenfalls. Übermorgen sieht alles wieder ganz anders aus.)
Dank diesem Vorgehen war es dem Ministerpräsidenten möglich, weitere Zugeständnisse vor Ort zu umgehen: während Netanyahu widerstrebend, aber unter dem Druck von Oslo gezwungen war, weite Bereiche des Westjordanlands an die palästinensische Behörde abzutreten, insbesondere den Hauptteil der Stadt Hebron, hat Barak zahlreiche verbale Zugeständnisse gemacht, ohne tatsächlich Boden abzugeben. Indem er die Messlatte auf die richtige Höhe legte – nämlich zuoberst – hat er bewiesen, in welchem Ausmass der Verhandlungspartner einem erfolgreichen Abschluss auswich. Er war dazu nicht in der Lage, denn in Wirklichkeit wollte er keinesfalls, wie man dies zwischen den Zeilen der Osloer Abkommen lesen kann, und will er immer noch nicht die Daseinsberechtigung eines jüdischen Staates auf israelischem Boden anerkennen.
Die unwiderrufliche Beendigung des Konflikts dank der Lösung des palästinensischen Problems, die Ausdehnung dieser Normalisierung auf die gesamte arabische Welt, dies wollten die ehrgeizigen – oder gar verrückten? – Vertragsschmiede von Oslo erreichen. Als Arafat einen grosszügigen Kompromiss – oder gar zu grosszügigen? – in Jerusalem, insbesondere im Bereich des Tempelbergs ablehnte, führte dies zum Scheitern der Verhandlungen. Barak denkt heute immer öfter daran, sich anderen Themen zuzuwenden: er hat den Israelis und den Ländern guten Willens bewiesen, dass er sein Bestes getan hat und dass sich Israel unter diesen Umständen, da niemand auf sein Angebot reagiert, wieder auf seine innenpolitischen Probleme konzentrieren muss. In seinen Augen würde dies den Weg bereiten für eine Koalition mit dem Likud und somit seine Regierung retten.
Noch ist es aber nicht soweit, denn die überzeugten Anhänger der Osloer Ideologie haben ihr letztes Wort noch nicht gesagt. Arafat drückt sich jedoch sehr deutlich aus. Er vergleicht sich immer häufiger mit Saladin und wendet sich auf diese Weise erneut der klassischen Analogie des arabischen Nationalismus zu: Israel wird wieder zum Kreuzfahrerland und erwartet dasselbe Schicksal. Es genügt, das – noch kaum angeschnittene - Thema der drei bis vier Millionen palästinensischer Flüchtlinge aufzuwerfen, die auf ihr Recht auf Rückkehr pochen, und schon wird einem klar, wie illusorisch die Hoffnung auf eine endgültige Lösung des Konflikts ist.
Die Idee Baraks, das komplexe Dossier von Jerusalem zu benutzen, um Arafat dazu zu zwingen die Wahrheit zu sagen, war demnach gar nicht so übel, doch langfristig droht sie teuer zu stehen zu kommen. Denn im Leben einer Nation lässt sich nicht alles auf politische Strategie beschränken, und es ist gefährlich, Meinungen, Einstellungen und Vereinbarungen zu zerstören, und sei es nur durch Worte. Hinterher ist es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, alles zurückzunehmen. Auch hier kann der Aufschub der palästinensischen Unabhängigkeitserklärung kurzfristig Barak angerechnet werden. Die offensichtliche Schwäche der palästinensischen Behörde, ihre Einsicht, dass die Möglichkeit einer gewaltsamen Konfrontation mit Israel nicht existiert, weil die Bevölkerung nicht zu einer erneuten Intifada bereit ist, und dass eine Aggression der Armee von Arafat zum raschen Scheitern verurteilt ist, führen unweigerlich zu einer Verzögerung der Verhandlungen. Doch solange Arafat sich selbst treu bleibt, bestehen nur geringe Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss, wohingegen einmal mehr die Gefahr einer neuen Welle von Terrorakten zunimmt. Immer deutlicher tritt letztendlich zutage, dass die nebulösen Osloer Abkommen zu guter Letzt nur Schall und Rauch sind.
Barak spielt also «alles oder nichts». Wird ein Abkommen abgeschlossen, ist ihm zweifellos die Zustimmung der meisten Israelis sicher, nicht weil sie sich mit den drakonischen Bedingungen einer derartigen Regelung einverstanden erklären, sondern vor allem weil sie erschöpft sind und weil ein nach Frieden strebendes Volk immer bereit ist, sich an einen Strohhalm zu klammern. Sollte die Konstruktion von Oslo zusammenbrechen, ist es dem israelischen Ministerpräsidenten ein Leichtes zu verkünden, er verzichte auf die Fortführung des Spiels. Oder er verlange neue Karten. Es ist ein notwendiges, aber auch ein riskantes Spiel, denn es führt früher oder später zu einem erneuten Kräftemessen mit der arabischen Welt.

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