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Inhaltsangabe Interview Herbst 2000 - Tischri 5761

Editorial - Herbst 2000
    • Editorial

Rosch Haschanah 5761
    • Die Demut

Politik
    • Barak – Alles oder Nichts

Interview
    • Mosche Katsav Präsident!
    • Mein Leben für Israel

Reportage
    • Vor den Toren Libanons

Lettland
    • Jerusalem und die Baltischen Republiken
    • «Notke» - «Riga un Latvijas Virsrabins»
    • Juden in Riga
    • Riga – Gestern – Heute – Morgen
    • «Post Tenebras… Lux»
    • Das Zentrum für jüdische Studien
    • Versuch einer Selbstbiographie
    • Das Jüdische Museum in Riga

Schweden
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Wissenschaftliche Forschung
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Mein Leben für Israel

Von Roland S. Süssmann
«Ich habe ein so reiches, erfülltes Leben gehabt, seit ich vor langer Zeit Rujenoy verlassen habe, und alle diese Erlebnisse waren etwas Besonderes. Ich habe an bedeutenden Ereignissen teilgenommen, wobei das wichtigste zweifellos die Geburt eines jüdischen Staates im Land Israel war. Ich habe die Waffen getragen und mit den tapfersten und besten Männern und Frauen zusammengearbeitet. Sie haben gefährliche Aufgaben und schwere Verantwortung mit mir geteilt… Was die Nachwelt angeht, so hoffe ich, wenn ich in die Geschichte eingehen sollte, dass man sich an den Mann erinnert, der das Land Israel liebte und es mit all seinen Kräften und Mitteln verteidigt und beschützt hat.» Mit diesen schlichten Worten beschliesst YITZCHAK SCHAMIR seine Memoiren; in diesem packenden, vor kurzem erschienenen 500-seitigen Buch lässt er uns ein wenig teilhaben an seiner Vergangenheit, an seinem Leben, seinen Taten und seinen Beziehungen zu den verschiedenen politischen Führungskräften seiner Zeit.
Der ehemalige Ministerpräsident Israels hat die jüngere Geschichte des jüdischen Staates geprägt, und dies schon lange vor dessen Gründung. Im Untergrund bereitete er die jüdische Unabhängigkeit im Palästina der 40-er Jahre vor, dann verbrachte er zehn Jahre im Mossad , bevor er auf nationaler und internationaler Ebene ganz vorne mit dabei war und dort seine bemerkenswerten Qualitäten als entschlossener und tatkräftiger jüdischer Spitzenpolitiker an den Tag legte.
Obwohl das Buch von Yitzchak Schamir voller Einzelheiten steckt, obwohl er darin an die Philosophie der politischen Rechten erinnert und die Komplexität der Verhandlungen mit den Arabern analysiert, bleiben zahlreiche Fragen offen. Wir wollten mehr erfahren und haben Yitzchak Schamir, der uns wie immer (siehe SHALOM Vol. 24 und 26) sehr herzlich empfangen hat, zu einem Gespräch getroffen.

In Ihren Memoiren sprechen Sie die jüdische, zionistische und hebräisch-orientierte Erziehung an, die Sie im kleinen Dorf Rujenoy in Polen erhalten haben. Glauben Sie, dass in dieser Erziehung die Quelle für die Entschlossenheit liegt, die Sie im Verlauf Ihrer gesamten Laufbahn bewiesen haben ?

Sie stellt die Grundlage für meine Erziehung, mein Gewissen und mein Wissen dar. Ich bin mit jeder Faser Israeli und bin es schon immer gewesen. Ich wurde zwar in Polen geboren, doch ich habe mich seit meiner Kindheit immer als Bürger Israels betrachtet. Im Alter von sechs Jahren wurde mir klar, dass ich der Nation der Juden angehörte, und diese solide und nie in Frage gestellte Identität hat mich ein Leben lang in meinen Handlungen geleitet und ermutigt. Vor der Schoah lebten in Polen ca. dreieinhalb Millionen Juden, die alle von denselben Gedanken angetrieben wurden. Meiner Ansicht nach ist es unbedingt notwendig, in der ganzen Welt jüdische Schulen zu gründen, die diese Einstellung vermitteln, denn nur wenn die jüdische Jugend unsere Geschichte und die hebräische Sprache kennenlernt, wird sie sich mit Israel identifizieren können, und nur das wird letztendlich unsere Nation weiterbestehen lassen. Es ist von grösster Bedeutung, alles daran zu setzen, damit sich möglichst viele Juden hier niederlassen. In diesem Zusammenhang gehe ich davon aus, dass ein progressiver Anstieg der Bevölkerung auf zehn Millionen Menschen durchaus realistisch ist.

Woher werden diese Menschen kommen ?

Hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten, wo fünf bis sechs Millionen Juden leben, und die anderen von überallher auf der Welt, darunter selbstverständlich aus Russland. Die Alyiah, die Immigration, sollte die höchste Priorität der israelischen Regierung darstellen; es muss eine ausgedehnte internationale Anstrengung unter der Leitung des Büros des Ministerpräsidenten unternommen werden.

Wenn Ehud Barak seine Prioritäten aufzählt, wird das Wort «Alyiah» nicht einmal erwähnt. Was halten Sie davon ?

Er begeht damit einen schweren Fehler. Als ich Ministerpräsident war, stand dieser Punkt zuoberst auf meiner Tagesordnung, was folglich auch gewisse Erfolge bewirkte, indem ich eine Million Menschen nach Israel einwandern liess. Heute kann jedermann feststellen, dass diese massive Immigration dem Land sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf demographischer Ebene sehr viel Glück gebracht hat. Wenn der Ministerpräsident diese Verantwortung nicht ernst nimmt, wird Israel riesigen Schwierigkeiten gegenüber stehen. An dieser Stelle möchte ich auf das Epilog von meinem Buch verweisen, wo es heisst: «… Die Regierung, der es sowohl an intellektueller Inspiration als auch an Optimismus fehlt, wendet sich bewusst von der Kontinuität der Immigration ab, als ob die Zusammenführung nicht mehr notwendig wäre, als ob die Anzahl der jüdischen Einwohner Israels bedeutungslos erschiene, als ob man sich nicht mehr um die Demographie sorgen müsste. Welch schwerwiegender Mangel an Weitsicht, welch schlimmer Irrtum ! Man muss der Wahrheit ins Auge blicken, selbst wenn sie unangenehm ist: die Zukunft Israels steht auf dem Spiel, wenn die Einwanderung zu einem schmalen Rinnsal zusammenschrumpft oder gar ganz versiegt, was durchaus der Fall sein könnte. Begehen wir hier nur keinen Fehler. Ich spreche es offen aus: ohne neue, fortlaufende und massive Immigration ist die Existenz des jüdischen Staates letztendlich bedroht. Auf lange Sicht wird sich die Immigration wahrscheinlich als wichtiger für das Überleben Israels erweisen, als seine militärische Sicherheit… Der Sieg wird von der Qualität und der Hartnäckigkeit unserer Bemühungen abhängen. Wir werden ihn bestimmt nicht in einer Atmosphäre der offiziellen Untätigkeit und der mangelnden Überzeugungskraft erringen.»
Es ist demnach unerlässlich, dass das Büro des Ministerpräsidenten vor allem in den USA ein breitangelegtes Erziehungsprogramm startet, damit Hunderte von jüdischen Schulen entstehen, deren Priorität noch vor der Vermittlung aller anderen Fächer darin besteht, die hebräische Sprache und unsere Geschichte zu lehren.

Sind Sie der Ansicht, dass die Identifikation mit einem Land vor allem über die Beherrschung seiner Sprache erfolgt ?

Auf jeden Fall, denn Sprache und Kultur sind die Seele und das Herz der Juden.

Noch stärker als die Religion ?

Ich bin nicht gegen den Glauben, er stellt kein Hindernis dar und kann im Gegenteil etwas Zusätzliches geben.

Ihr gesamtes Handeln wurde vor allem auf politischer Ebene von der zionistischen Vision von Zeew Jabotinsky geleitet, die folgendermassen zusammengefasst werden könnte: «eine Mehrheit von Juden im gesamten biblischen Land Israel.» Darüber hinaus haben Sie sich nie für den leichtesten Weg entschieden oder sich mit der vordergründigen Ruhe zufriedengegeben, Sie suchten die Herausforderung und setzten auf Vertrauen und Geduld. Heute deutet jedoch alles darauf hin, dass die amtierende Regierung sich mit jenem begnügt und in erster Linie darum besorgt ist, das zu tun, «was man von ihr erwartet», anstatt durchzuhalten und ihre Überzeugungen zu verteidigen. Wie analysieren Sie die Situation ?

Die Antwort auf das gesamte Problem der Entschlossenheit und Kraft liegt eigentlich im Umfang unserer Bevölkerung. Heute leben fünf Millionen Juden in Israel, doch wir können uns erst dann wirklich durchsetzen, wenn wir noch viel zahlreicher sind. Wie Sie wissen, besitzen wir unzählige Rivalen und Feinde, und der einzige Weg sicher zu sein, dass niemand je in der Lage sein wird Israel zu schlagen und dass die Politik der einseitigen Zugeständnisse eingestellt wird, besteht darin, immer zahlreicher zu sein und über eine starke Identität aufgrund unserer Sprache und unserer Geschichte zu verfügen. Ich kann es gar nicht oft genug wiederholen !
Die natürliche Mehrheit der israelischen Bevölkerung ist im Innersten rechtsgerichtet, denn die Rechte steht für Nationalismus, d.h. für das echte jüdische Gefühl, zu dem auch die Religion gehört. Das ist allgemein bekannt, auch die Presse weiss es, doch nun ist die Linke an der Macht, weil sie sich als anpassungsfähiger erwiesen hat.

Als Sie an der Spitze des Lechi standen, haben Sie die Ermordung des Grafen Folke Bernadotte nicht verurteilt, dessen Friedensplan zweifellos den Weg zur Vernichtung des jüdischen Staates kurz nach dessen Entstehung geebnet hätte. Warum hat keine einzige israelische Regierung, auch die Ihre während Ihrer Amtszeit als Ministerpräsident nicht, je die Ermordung von Arafat gefordert, der im Grunde dieselben Ziele verfolgt ?

Die Affäre Bernadotte war nur eine unbedeutende Episode. Was Arafat betrifft, so darf eine Regierung natürlich nicht morden. Ich habe nie geglaubt, dass es sinnvoll wäre Arafat zu töten. Wir haben gekämpft und Kriege geführt, doch in meinen Augen findet die wichtigste Schlacht auf einer anderen Ebene statt. Ich denke, dass die Immigration und der wirtschaftliche Wettbewerb viel wichtiger sind, was natürlich nicht heisst, dass man nicht kämpfen soll. Man muss sich überdies im klaren sein, dass das Hauptziel des Kampfes, den die Araber gegen uns führen, die Verhinderung der jüdischen Einwanderung ist. Die Aufstände, um nicht zu sagen Pogrome in den Jahren 1929 und 1936, der Terrorismus und die Intifada entsprechen genau dieser Linie: die jüdische Immigration soll eingeschränkt und verhindert werden. Dies bildet die Grundlage aller Kriege, die unsere Nachbarn gegen uns führen und bei denen sie von allen anderen arabischen Staaten aktiv unterstützt werden.

Im Rahmen der jüdischen Einwanderung aus der ehemaligen UdSSR trafen auch zahlreiche Nichtjuden ein. Wie soll man Ihrer Ansicht nach mit diesem Problem umgehen ?

Es ist eigentlich ganz einfach. Es reicht aus, die Bewegung des Glaubenswechsels zu beschleunigen, denn alle, die sich hier niedergelassen haben und geblieben sind, wollen Juden sein. In Wirklichkeit bleibt ihnen keine andere Wahl. Auch in Russland selbst gibt es israelische Konvertierungsprogramme, hebräische Schulen, Lesesäle für die israelische Presse usw. Es werden dort gewisse, wenn auch unzureichende Anstrengungen unternommen, um die Einwanderer auf ihr Leben als Juden in Israel vorzubereiten.

Als Ministerpräsident haben Sie keine massive Besiedlungsbewegung im Golan veranlasst. Weshalb ?

Wir hätten es uns nie träumen lassen, dass ein israelischer Ministerpräsident eines Tages auf den Gedanken kommen könnte, den Golan abzutreten. Derartige Pläne würden ausserdem von der Bevölkerung niemals akzeptiert werden und würden zum Sturz des Ministerpräsidenten mit derartigen Absichten führen. Was würde in der Schweiz passieren, wenn ein Politiker vorschlüge Zürich abzutreten ? Was die Entwicklung des Golans angeht, so konnten wir nicht alles gleichzeitig in Angriff nehmen, wir hatten dem Wohnungsbau und der Besiedlung von Judäa-Samaria den Vorrang gegeben.

Sie schneiden das umstrittene Thema der Gebiete an. Welche Beziehung pflegten Sie zu der dortigen Bevölkerung und zu den Anführern der Besiedlungsbewegung ?

Sie waren wie ich davon überzeugt, dass Judäa und Samaria Bestandteile Israels sind und weder besetztes Gebiet sind, noch zurückerstattet werden müssen. Es sind mutige, aufrechte und entschlossene Leute, die ihren Worten auch Taten folgen lassen. Trotz enormer Schwierigkeiten haben sie ihre Heime in Judäa-Samaria gebaut, weil sie davon ausgehen, dass Juden und Araber gemeinsam unter israelischer Herrschaft dort leben können. Es sind überzeugte Gläubige. Ich habe sie immer bewundert und ich bin sicher, dass das Land sie eines Tage verehren wird, wie es schon die Gründerväter verehrt. Ich habe sie oft besucht, ich habe an ihren bescheidenen Feiern anlässlich der Urbarmachung teilgenommen und habe ihnen immer meine ungeteilte Unterstützung zugesichert.

Im Laufe Ihrer Karriere sind Sie mit den Mächtigsten dieser Welt zusammengetroffen und Sie erzählen in Ihrem Buch zahlreiche Anekdoten über diese Begegnungen. Welche Persönlichkeit aus der Politik hat Sie am meisten beeindruckt ?

Für mich gibt es zwei Sorten von ausländischen Politikern, diejenigen, die uns positiv gegenüberstehen, und die anderen. Ich denke, dass Präsident Ronald Reagan und Georges P. Schultz unsere zwingenden Gründe und Bedürfnisse am besten verstanden haben und deshalb Israel aus echter Überzeugung unterstützten.

In Ihren Memoiren sprechen Sie ein wenig davon, wie Sie die Zukunft sehen. Ihre Prognosen sind im grossen und ganzen nicht sehr erfreulich, denn Sie sagen: «Während einer gewissen Zeit wird es vielleicht eine trügerische Form des Friedens geben - Israel in die Enge getrieben, eingeschlossen in den Grenzlinien von 1967, die Entwicklung der Besiedlung eingestellt, einige Ortschaften leerstehend, während die anderen wie im Belagerungszustand überleben, die Golanhöhen oder ein grosser Teil davon wieder in der Hand unseres unerbittlichsten Feindes, ungeachtet ihrer lebenswichtigen Funktion für unser Land, gewisse inakzeptable vorübergehende Regelungen für Ostjerusalem, die niemals eingehalten werden, eine Nation unter der Führung von Menschen, deren oberstes Ziel der Frieden ist, den sie wie ein Goldenes Kalb anbeten und für den sie alle Werte und Ziele geopfert haben, durch die Israel einzigartig wurde und das Herz der weltweiten jüdischen Gemeinschaft verkörperte.» Gibt es unter diesen Bedingungen noch eine Zukunft für Israel ?

Natürlich gibt es eine Zukunft für Israel, denn «Netzach Israël lo Yischaker», das Fortbestehen von Israel ist ohne Ende. Dennoch denke ich, dass die von Ihnen zitierte Analyse zutrifft, wenn auch nur kurzfristig. Langfristig bin ich optimistisch, denn ich bin überzeugt, dass von den 13 Millionen Juden, die heute auf der ganzen Welt leben, mindestens die Hälfte hierher ziehen wird, damit unsere Bevölkerung die entscheidende Zahl von zehn Millionen Einwohnern erreicht, welche die von Israel so dringend benötigte Lebensfähigkeit garantieren. Ich werde dies nicht mehr miterleben, doch ich weiss, dass irgendwann Abertausende von jungen Juden aus der freien Welt sich entschliessen werden, hierher zu ziehen, um dem Staat neue Energie zu verleihen und seinen Fortschritt zu ermöglichen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die gegenwärtigen Zugeständnisse sind natürlich gefährlich und widersprechen unseren Interessen, daher muss auch eine neue Regierung eingesetzt werden. Dazu gilt es, da wir in einer Demokratie leben, zunächst das Volk zu überzeugen.

Das Gespräch mit Yitzchak Schamir war noch lange nicht zu Ende. Zusammen mit dieser aussergewöhnlichen Persönlichkeit der zeitgenössischen Geschichte haben wir seine Gedanken zur Schoah, seine Begegnungen mit den Mächtigen dieser Erde, seine Beziehungen zu seiner Familie, den Golfkrieg, seine manchmal kritische Meinung zu gewissen israelischen Politikern, sein Verhältnis zur geistlichen Welt und zur Diaspora, seine wohlgehüteten Geheimnisse, denn er fühlt sich immer noch durch die Geheimhaltungspflicht gebunden, und vieles mehr diskutiert. Aus diesem Grund können wir unseren Lesern sein Buch mit dem vielsagenden Untertitel «Kampferinnerungen» nur wärmstens ans Herz legen.


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