Unsere Berichte über die jüdischen
Gemeinschaften in aller Welt beschränken
sich im Allgemeinen auf eine Momentaufnahme
des jüdischen Lebens
und der Beziehungen zwischen Israel
und dem Land, das wir gerade besuchen.
Eine Reportage über das jüdische
Leben in Italien wäre aber nicht
vollständig, wenn wir nicht auch von
demjenigen der italienischen Juden in
Israel sprächen und ihre herrliche Synagoge
Conegliano Veneto sowie das
angrenzende zauberhafte kleine Museum
Umberto Nahon besuchen würden.
Heute leben ca. 9’000 Juden italienischer Abstammung
in Israel; 4’000 von ihnen sind direkt aus Italien
eingereist, ungefähr 1’500 wiederum wohnen in Jerusalem.
Ebenfalls interessant ist die Tatsache, dass rund
10’000 junge Israelis in Italien studiert haben, ausserdem
sprechen ca. 30’000 libysche Juden italienisch.
Aus diesem Grund erreicht die Zahl der italienisch
sprechenden Einwohner in Israel knapp 60’000 Menschen,
was die Zahl der eigentlichen italienischen
Juden bei weitem übersteigt. Die Gemeinde in Jerusalem
umfasst jedoch nur rund 400 Mitglieder, die Synagoge kann 250 Personen aufnehmen. Neben der Verwaltung
des Gemeindelebens und der Organisation
der Gottesdienste spielt die Gemeinde von Jerusalem
eine Rolle als Hüterin des gesamten Kulturguts der
italienischen Juden, das sich heute in Israel befindet
und zu dem Kultusobjekte gehören, wie z.B. die antiken
Bundesladen aus vierzig italienischen Synagogen,
die vollständig nach Israel geschafft wurden. Diese
Synagogen im italienischen Stil gehorchen jedoch
nicht dem «Nussach Beneï Romi», der Liturgie gemäss
jüdisch-italienischer Tradition.
Im Verlauf eines Gesprächs mit uns machte der Präsident
der Gemeinde, DAVID CASUTTO, Architekt
und ehemaliger stellvertretender Bürgermeister von
Jerusalem, folgende Aussage: «Wir sind keine überalterte
Gemeinschaft, ganz im Gegenteil, das Durchschnittsalter
unserer Mitglieder ist eher tief. Was die
Zukunft betrifft, sind wir dabei, für die Schüler der
Rabbinerschule von Rom ein Ergänzungsprogramm
einzuführen. Wir planen die Eröffnung eines Studienzentrums,
das auch eine Abteilung aufweisen wird,
dank dem junge, aus Italien stammende und in Israel
lebende Juden über mehrere Monate Kurse über die
Traditionen, die Sitten und Gebräuche des italienischen
Judentums besuchen können. Diese Einrichtung
wird zwei Ziele gleichzeitig verfolgen: die formelle
Überlieferung des religiösen und traditionellen Kulturgutes
an die junge Generation, die unsere Traditionen
nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennen, und
die Einführung der italienischen Rabbinerschüler in
die verschiedenen Strömungen des modernen jüdischen
Denkens in Israel. Unser Hauptanliegen besteht
darin, den hier lebenden italienischen Juden die vollständige
Integration in die israelische Gesellschaft zu
ermöglichen, ohne dass sie dabei die Besonderheit
ihrer eigenen Gemeinde aufgeben müssen, was gar
nicht so paradox ist, wie es klingt. Wir leben in einer
Zeit, wo Extremismus und Intoleranz gang und gäbe
sind. Die Botschaft des italienischen Judentums, sein
Geist und sein eigentliches Wesen beruhen nun aber
auf einer Ausübung der Religion gemäss einer strengen
Observanz, die einhergeht mit einer Öffnung
gegenüber der modernen Welt und den Realitäten
unserer Epoche. Auf dem Hintergrund dieser Denkschule
ist die Integration der aus Italien stammenden
jüdischen Gemeinschaft in die israelische Gesellschaft
zu verstehen. Dies ist auch die Botschaft, die wir unseren
noch in Italien lebenden Glaubensbrüdern vermitteln.»
DIE SYNAGOGE
CONEGLIANO VENETO
Diese kleine Synagoge liegt in einem Gebäude, das
früher einmal eine katholische Institution der Deutschen
beherbergte, die unter dem Namen «Schmidt
Komplex» bekannt war: Wilhelm Schmidt war der Direktor
der katholischen Gesellschaft der Deutschen in
Palästina. Das 1875 erbaute Haus diente als Kloster
für junge katholische Mädchen der syrisch-christlichen
Glaubensrichtung, umfasste auch ein Hospiz und bot
Pilgern Unterkunft. In den 1940er Jahren zog das Kloster
um und das Haus stand danach leer. Später liessen
sich offizielle Büros sowie eine kleine Schule hier nieder.
Ende 1940 erhielt die italienische jüdische Gemeinde
das Recht wöchentlich einen Gottesdienst
abzuhalten, und als zu Beginn der 50er Jahre die Synagoge
von Conegliano in Einzelteilen in Israel eintraf,
lag der Ort für ihren Aufbau geradezu auf der Hand!
Die Geschichte dieser Gemeinde, die sich in einem
Dorf zwischen Venedig und Padua befand, geht bis ins
17. Jh. zurück. Es gab dort eine Jeschiwah, die vom
Rabbiner Nathan Ottolongo geleitet wurde. Gemäss
einigen Historikern lebten bereits im 14. Jh. jüdische
Familien in Conegliano. 1637 wurde die jüdische Gemeinde
in ein Ghetto gesperrt, wo man 1701 die berühmte
Synagoge errichtete, die jedoch erst 1719 eingeweiht
wurde. Sie erfüllte ihren Zweck bis zum
Verschwinden der Gemeinde als solche im Jahr 1917.
Der letzte Gottesdienst wurde 1918 an Jom Kippur
abgehalten, als die Region bereits von der österreichisch-
ungarischen Armee erobert worden war. Der
Geistliche, Rabbi Mosche Deutsch, hatte die Existenz
dieser Synagoge entdeckt und von der Stadt die
Schlüssel erhalten. Er war überwältigt von ihrer
Schönheit, und als die österreichisch-ungarischen Soldaten
erfuhren, es gebe einen Gottesdienst an Jom
Kippur, drängelten sie sich zu Hunderten am Eingang
der Synagoge, die einen Moment lang im Glanz ihrer
besten Tage erstrahlte. 1951 wurde die Synagoge in
ihre Einzelteile zerlegt und in Jerusalem vollständig
wieder aufgebaut, wo sie wieder ihre alte Pracht entfaltet.
Die Bundeslade ist gemäss der italienischen
Tradition mit Goldblättern verziert und die Mauern
weisen Stuckreliefs auf, die mit Kopien der ursprünglichen
Inschriften versehen sind. Die Texte sind die
Gedichte eines unbekannten Dichters, religiöse Sinnsprüche,
zwei Inschriften erinnern an den Transport
und die Wiedereröffnung der Synagoge in Jerusalem
und betonen, dass es sich um ein Geschenk der Gemeinde
von Venedig handelt. Es bleibt festzuhalten,
dass einige Elemente der Synagoge nicht aus Conegliano
stammen. Mehrere Lampen kommen aus Ferrara,
Pisa oder Mantua, einige Verzierungen aus der
Synagoge von Padua und ein Teil der Sitze aus Reggio
Emilia. Das Ganze ist aber zu einer wunderbaren
Einheit zusammengewachsen, in der wieder dieselbe
Atmosphäre herrscht, wie sie in den italienischen Synagogen
des 18. Jhs. zu spüren war. Diese einzigartige
Kultusstätte empfängt während eines Schabbatgottesdienstes
im Schnitt hundert Personen, und an Feiertagen
oder bei Familienfesten sind oft alle 250 Sitze
besetzt. Die Synagoge kann für Familienanlässe,
Hochzeiten, Bar-Mitzwas oder Brit-Milas von Personen
gemietet werden, die nicht der Gemeinde angehören.
Den hoch stehenden italienischen Politikern,
die Israel einen offiziellen Besuch abstatten, ist es eine
Ehre, die Synagoge Conegliano Veneto aufzusuchen.
Premierminister Silvio Berlusconi ist dieser Tradition
treu geblieben und hielt im vergangenen Juni eine sehr bewegende Rede, in der er auf die Schoah sowie auf die
Beziehungen zwischen dieser Gemeinde und Italien
und auf die bedeutende Rolle anspielte, welche die italienische
jüdische Gemeinde im Land übernommen hat.
Die italienische Synagoge von Jerusalem ist ein lebendiges
Beispiel für die Kontinuität und die Bewahrung
der Traditionen im Rahmen einer perfekt in das grosse
Mosaik des modernen Israels integrierten Gemeinde.
DAS MUSEUM UMBERTO NAHON
Oft sind echte kleine Juwelen einen Besuch wert, der
zwar kurz, aber umso bereichernder ausfallen kann.
Dies trifft auf das Museum des italienischen Judentums
in Jerusalem zu. Es liegt neben der Synagoge
Conegliano di Veneto, die ein Teil des Museums ist,
und ist in vier kleine Ausstellungsräume unterteilt, die
vor Schätzen aus dem legendären Kulturgut des italienischen
Judentums nur so überquellen. Eine Sammlung
von Türen für Bundesladen, wunderbare Textilien,
Chanukkioth (achtarmige Chanukkah-Leuchter)
aus Messing, Kupfer und Silber, Stühle, die für die
Beschneidungszeremonie verwendet wurden, illuminierte
Eheverträge, typisch italienische Torah-Kronen
und Torah-Glöckchen und Gewürzdosen stellen den
Grundstock einer ständigen Ausstellung dar, die den
Besucher entzückt. Ungefähr 50’000 Menschen besuchen
das Museum jedes Jahr, darunter auch christliche
und arabische Schulen. Es kommt nicht selten vor,
dass Kinder aus nichtreligiösen israelischen Schulen,
die das Museum und die Synagoge im sehr allgemeinen
Rahmen des Unterrichts über jüdische Kunst
besuchen, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Synagoge
und eine Torah sehen.
Das Museum veranstaltet regelmässig wechselnde
Ausstellungen und besitzt auch eine Sammlung von
Fotos über das jüdische Leben in Italien. Letztere wird
vor allem von Historikern verwendet, doch ab und zu
werden einige von ihnen Teil einer Ausstellung und
lassen während kurzer Zeit für immer versunkene Orte,
Synagogen und Gemeinden wieder aufleben.
Das Museum besitzt ein Restaurationszentrum für
Holz und Textilien, das sich auf die präzise Restaurierung
von Gegenständen aus der Epoche des Barocks
und der Renaissance spezialisiert hat. In Italien ausgebildete
Fachleute benutzen die Techniken, die zur Zeit
der kulturellen Erneuerung im Laufe des 15. und 16.
Jhs. in Europa bekannt waren. Darüber hinaus lädt
das Institut regelmässig Spezialisten aus ganz Italien
ein, damit diese seinen Restaurateuren Kurse geben
können.
Dieses kleine Museum begnügt sich, wie wir sehen,
nicht damit, einfach wunderschöne Gegenstände auszustellen,
es spielt eine aktive Rolle bei der Förderung
und Verbreitung der jüdischen Kultur Italiens, indem
es Studientage, Konzerte und Vorträge aller Art über
alle Themen veranstaltet, die mit dem Kulturgut der
Juden in Italien zu tun haben.
DER MINHAG ITALKI
Der «Minhag Bneï Romi», besser bekannt unter dem
Namen «Minhag Italki», bezeichnet ganz einfach die
liturgische Tradition der italienischen Juden, vor allem
aus Rom, die deutlich von den Riten der Aschkenasim
und Sepharden abweicht, sowohl was den Text, als
auch was die Musik betrifft. Die Quellen dieser Überlieferungen
haben ihre Wurzeln in Israel selbst und im
Talmud von Jerusalem, man findet eine Reihe von
Elementen aus dieser Liturgie auch in den sephardischen
und aschkensischen Gottesdiensten. Die Liste
der Unterschiede ist lang, doch einer von ihnen, der
recht offensichtlich ist, veranschaulicht vielleicht besser
als alle anderen, welche Überlegungen hinter dem
Minhag Italki stehen. Die Gesetzesrollen sind z.B.
identisch mit denjenigen der aschkenasischen Gemeinden,
d.h. sie bestehen aus einem Pergament, das
auf zwei Holzstäbe aufgezogen ist und mit einem textilen
Überzug versehen ist. In den sephardischen Synagogen
ist das Pergament in einen Behälter aus Holz,
Metall oder Silber integriert und die Torah wird vertikal
gelesen. Die «Hagbaa» (den Gläubigen wird die
offene Rolle präsentiert) erfolgt in den aschkenasischen
Synagogen nach dem Vorlesen aus der Torah,
während sie in den sephardischen Gottesdiensten vorher
stattfindet. Im Minhag Italki wird die «Hagbaa» -
wie in den sephardischen Gottesdiensten - vor der Torah-
Lesung durchgeführt, obwohl die Torah-Rollen
mit denjenigen in den aschkenasischen Synagogen
identisch sind. Ein weiteres einfaches Beispiel wird an
der Festtafel von Rosch Haschanah ersichtlich. In den
aschkenasischen Familien existiert die Tradition, sich
ein gutes neues Jahr auf einem Apfel und auf Honig zu
wünschen. Gemäss dem Minhag Italki wird der Apfel
durch die Feige ersetzt.
Es ist interessant zu wissen, dass der Minhag Italki in
Italien nicht überall eingehalten wurde. In Bezug auf
die Traditionen war das Land in drei Zonen unterteilt:
eine italienische, eine sephardische und eine nördliche,
bei welcher der starke deutsche Einfluss sich in den
liturgischen Traditionen widerspiegelte. Im Piemont
gab es jedoch drei Gemeinden, die den alten Traditionen
der jüdischen französischen Gemeinschaften
Frankreichs verpflichtet waren da sich dort Juden aus
Frankreich im XIV. Jh und im XV. Jh dort niedergelassen
hatten. Ihr Ritus ist unter dem Namen «Minhag
APAM» bekannt, gemäss den hebräischen Anfangsbuchstaben
der Namen dieser drei Gemeinden: Asti,
Fossano und Monsalvo.
In einem äusserst aufschlussreichen Gespräch mit
Rabbi HILLEL SERMONETTA, der das geistliche
Oberhaupt der italienischen Gemeinde in Jerusalem
ist, erklärt er uns: «Wir unternehmen alles, um unsere
Traditionen zu bewahren und unsere Liturgie an die
jüngere Generation weiterzugeben. Obwohl wir letztendlich
nicht so stark von den anderen Riten abweichen,
glaube ich, dass wir die einzigen sind, die einen
besonderen Segen für die Frau aussprechen, der wir
unsere ganze Dankbarkeit für ihre Teilnahme am
Gemeindeleben ausdrücken. Es handelt sich um einen
«Mischeberach», den wir an jedem Schabbat anlässlich
der Torah-Lesung aufsagen.»
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