Während Jahrzehnten unterhielt
der Heilige Stuhl keine offiziellen diplomatischen
Beziehungen zum Staat
Israel, auch wenn einige Kontakte zwischen
dem Papst und ein paar israelischen
Premierministern oder Ministern
bestanden. Das Vorgehen bei der formellen
Anerkennung Israels seitens
des Vatikans folgte peinlich genau dem
Verlauf des Wegs, den die PLO beschritt,
obwohl der Heilige Stuhl im Januar
1991 nach dem Golfkrieg eine erste
Stellungnahme veröffentlicht hatte.
Nach der Madrider Konferenz im Oktober 1991, an
der eine Delegation der PLO (in eine jordanischpalästinensische
Gruppe integriert) genau gegenüber
der israelischen Delegation gesessen hatte, erklärte
sich der Heilige Stuhl wenige Monate später am 29.
Juli 1992 einverstanden, Verhandlungen mit Israel
bezüglich einer eventuellen Aufnahme von diplomatischen
Beziehungen aufzunehmen. Doch es mussten
zunächst die Osloer Verträge und vor allem das
Treffen in Washington zwischen dem israelischen
Premierminister Itzchak Rabin und dem PLO-Chef
Yasser Arafat am 13. September 1993 im Weissen Haus
erfolgen, damit sich der Weg zur Unterzeichnung des
Grundlegenden Abkommens zwischen dem Heiligen
Stuhl und Israel, das am 30. Dezember 1993 in Jerusalem
ratifiziert wurde, endlich ebnen konnte. Und
erst nach der Vereinbarung von Kairo mit der PLO
willigte der Vatikan im Juni 1994 in den Austausch
von Botschaftern ein, wobei derjenige des Vatikans
den Titel Apostolischer Nuntius trägt. Anschliessend
wurde das Abkommen über die juristische Person [der
Kirche] am 10. November 1997 unterzeichnet, während
der Vertrag über steuerliche und wirtschaftliche
Fragen noch nicht unterschrieben wurde. Meines
Erachtens müsste das Grundlegende Abkommen durch
einen Artikel ergänzt werden, in dem Israel das Recht
zugestanden wird, die Ernennung von Bischöfen gutzuheissen,
denn es gab schon einen Fall, in dem die Kirche
einen Bischof ungeachtet der Tatsache ernannte, dass
er in Israel persona non grata war.
Diese Einführung soll klar machen, dass die Pflege der
guten Beziehungen zu den arabischen Staaten für den
Heiligen Stuhl oberste Priorität besitzt.
Während der jüngsten Krise zwischen dem Vatikan und
den USA betreffend den amerikanischen Plan eines Angriffs
auf Irak, sprach man oft von der starken Ausrichtung
des Vatikans zugunsten der Araber, die von zwei
hoch stehenden Persönlichkeiten der vatikanischen Hierarchie
gestützt wurde. Es handelt sich dabei um Hochwürden
Jean-Louis Tauran, Sekretär für Beziehungen zu
anderen Staaten (entspricht einem Aussenminister), und
Hochwürden Renato Martino, den ständigen Beobachter
bei den Vereinten Nationen in New York und seither
Präsident des Pontifikalrates Justitia et Pax.
Das Problem Jerusalem und sein Status sind der wichtigste
Streitpunkt zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel.
Bereits 1984 sagte Papst Johannes Paul II. in seinem
apostolischen Brief «Redemptionis Anno», der Vatikan
wünsche, dass «Jerusalem ein international garantierter
Sonderstatus zugestanden wird. Man müsste eine supranationale
und internationale Instanz schaffen, die über
die erforderlichen Kompetenzen verfügt, um die Wahrung
der besonderen Eigenschaften der Stadt zu garantieren
». Der Papst hatte im Januar 1996 begehrt, dass die
Stadt «ihre Einzigartigkeit und ihren Charakter beibehält
»; die Heiligen Stätten «würden einen grossen Teil
ihrer Bedeutung verlieren, wenn sie nicht ständig von
aktiven Gemeinschaften umringt wären, die eine echte
Gewissens- und Glaubensfreiheit geniessen.» Am 25.
Oktober 1998 reiste Hochwürden Jean-Louis Tauran
eigens nach Jerusalem, um die Wünsche des Heiligen
Stuhls betreffend den Status der Stadt festzulegen. Die
gegenwärtige Situation schien ihm «ein offensichtlicher
Fall internationaler Ungerechtigkeit» zu sein, die durch
die Kraft [Israels] zustande gekommen und beibehalten
wird. Er wiederholte die Bitte des Heiligen Stuhls, dass
Jerusalem durch einen «international garantierten
Sonderstatus» geschützt würde, dass die historischen und
materiellen Merkmale der Stadt bewahrt würden und
dass die Rechtsgleichheit für die Gemeinschaften aller
drei Religionen gewährleistet sei, denn der heilige Charakter
der gesamten Stadt Jerusalem bewirke, dass die
Extraterritorialität der Heiligen Stätten unzureichend
sei. Tauran fügte hinzu: «Ostjerusalem ist unter illegaler
Besetzung. Die Behauptung, der Vatikan sei nur an den
religiösen Aspekten der Stadt interessiert und lasse die
politischen und territorialen Probleme beiseite, trifft
nicht zu. Beides ist eng miteinander verbunden.» Gemäss
Tauran sollten diese aktiven Gemeinschaften von Juden,
Christen und Muslims Gewissens- und Glaubensfreiheit,
den Zugang zu den Heiligen Stätten geniessen und dabei
den heiligen Charakter und das universelle Kulturerbe
der Stadt beibehalten. Der ungehinderte Zugang müsste
allen gewährt werden, der gesamten einheimischen
Bevölkerung und auch den Pilgern.
Im Oktober 1999 gestattete die israelische Regierung
die Errichtung einer Moschee in Nazareth auf dem
Platz vor der Verkündigungsbasilika, im November
wurde der Grundstein gelegt. Sofort liess seine Seligkeit
Michel Sabagh, der Lateinische Patriarch von Jerusalem,
die Basilika des Heiligen Grabes in Jerusalem
für zwei Tage schliessen und erklärte, Israel wolle «die
Spannung zwischen Christen und Muslims schüren».
Dieselbe Erklärung wurde am nächsten Tag vom
Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Valls, wiederholt.
Er lobte die Anstrengungen der Islamischen
Bewegung und tadelte Israel wegen des Anstiegs der
Spannungen. Einige Jahre später wurde die Entscheidung
vom Gericht aufgehoben und im Jahr 2003 liess
die israelische Regierung einige bereits errichtete
Mauern der Moschee zerstören. Der Vatikan errang
somit einen Sieg, nachdem er die schärfsten und kritischsten
Worte in einer Polemik gebraucht hatte, die
er hätte umgehen können.
Anlässlich der Jubiläumsfeiern beschloss Papst Johannes
Paul II. das Heilige Land zu besuchen. Am Vortag
seiner Abreise am 15. Februar 2000 unterzeichnete der
Heilige Stuhl ein Abkommen mit der PLO und der
Papst empfing Yasser Arafat. Nach Ansicht des Papstes
waren die Hirten, die vor zweitausend Jahren
nach Bethlehem gekommen waren, Palästinenser. Im
Wortlaut des Abkommens spricht man von Jerusalem
und bestätigt, dass «die einseitigen Entscheidungen
und die Handlungen, die den speziellen Charakter und
den Status von Jerusalem verändern, moralisch und
gesetzlich inakzeptabel sind». Natürlich meint man
hier implizit die Annektierung von Ostjerusalem
durch Israel und die «Judifizierung» der Stadt, die wiederholt
von den Arabern und dem Vatikan verurteilt
wurde. Der Vatikan verlangt einen «international garantierten Sonderstatus, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit
für alle bewahrt». So ist die Jerusalemfrage,
über die der Heilige Stuhl mit Israel nicht verhandeln
wollte, da er sie als multilaterales Problem definierte, zu
einer bilateralen Angelegenheit mit der PLO geworden.
Die israelische Regierung reagierte umgehend: «Jerusalem
ist und bleibt die Hauptstadt Israels und keine
Erklärung wird daran etwas ändern können». Israel gab
auch seinem Bedauern angesichts einer schwerwiegenden
Einmischung in die Verhandlungen zwischen Israel
und den Palästinensern Ausdruck, weil der Vatikan nur
eine der beiden Parteien unterstützt.
Im März 2000 stattete der Papst Israel einen viertägigen
offiziellen Besuch ab, bei dem er am Flughafen von
Staatspräsident Ezer Weizmann und Premierminister
Ehud Barak empfangen wurde, bevor er später den
Präsidenten, die Grossrabbiner und Yad Vaschem aufsuchte.
Es handelte sich bestimmt um einen historischen
Besuch, doch er wurde auch überschattet: der Papst zog
Parallelen zwischen der Passion Christi und derjenigen
der Palästinenser, er sprach von den antichristlichen Vorurteilen
der Juden und definierte die Vernichtung eines
gesamten Volkes [der Juden] als das Ergebnis einer «g’ttlosen
» Ideologie. Zum Schluss legte er ein Schreiben in
die Klagemauer, das zwar identisch war mit demjenigen
vom 12. März 2000, jedoch der Präambel entbehrte, die
diesen Text mit den Juden verband. Diese eindeutige
Stellungnahme erreichte ihren Höhepunkt im April 2002
während der Besetzung der Geburtskirche in Bethlehem
durch bewaffnete Palästinenser, die gewaltsam dort eingedrungen
waren. 39 Tage lang belagerte die israelische
Armee die Basilika und während dieser ganzen Zeit
veranstaltete der Heilige Stuhl eine internationale
Kampagne des Hasses, der Propaganda und der Kritik
gegen Israel. Aus dem Inneren der Basilika betrieb Pater
Ibrahim Faltas pro-palästinensische Propaganda, während
in Rom Pater David-Marie Jaeger angebliche Überschreitungen
«aller Gesetze der Menschheit und der Zivilisation
» durch Israel beschwor. Im Falle der Moschee
in Nazareth und in demjenigen der Geburtskirche belastete
eine Persönlichkeit die Beziehungen zwischen Israel
und dem Heiligen Stuhl in höchstem Masse: es war seine
Seligkeit Michel Sabagh, der Lateinische Patriarch von
Jerusalem, der erste Palästinenser, der 1987 zum
Patriarchen von Jerusalem ernannt wurde. Ein Beispiel
seines Stils und seiner Ideen ist in seiner Osterbotschaft
von April 2003 zu finden, in der er sagt: «Die bis heute
eingeschlagenen Wege - die allen palästinensischen Städten
und Dörfern auferlegten militärischen Aktionen, die
sie zu grossen Gefängnissen machen, in denen die Menschenwürde
mit Füssen getreten wird, immer mehr
Attentate verübt werden und weiterhin Eigentum und
Häuser zerstört werden - sind nicht diejenigen des
Friedens. (...) Seit der Belagerung der Geburtskirche vor
einem Jahr hat sich für uns nichts verändert. Die Basilika
wurde befreit, nicht aber der Mensch: die Palästinenser
befinden sich immer noch unter Besatzung, sind Erniedrigungen,
dem Hunger und der Anarchie ausgeliefert,
und die Israelis leben weiterhin in Angst und Unsicherheit.
(...) Das Verhandeln mit den Völkern gemäss den
Forderungen des Friedens und der Gerechtigkeit bleibt
das einzige Mittel zur Bekämpfung jeder Form von
Terrorismus.»
Im Allgemeinen hat der Papst die härtesten Worte
immer vermieden und versuchte im arabisch-israelischen
Konflikt eine ausgleichende Position einzunehmen, doch
sehr oft hat er sich eindeutig auf die Seite der Palästinenser
und gegen Israel gestellt. Abschliessend möchten
wir daran erinnern, dass der Papst am 2. Juni 2003
beim Empfang des neuen israelischen Botschafters am
Heiligen Stuhl wiederholte: «In Bezug auf die Definition
des Status der Heiligen Stätten in Jerusalem kann keine
einseitige Entscheidung gefällt werden». Der Papst
sprach auch die territorialen Schwierigkeiten sowie die
Probleme der palästinensischen Flüchtlinge und der
israelischen Siedlungen an, alles grundlegende Fragen,
über die sich der Vatikan und Israel nicht einig sind.
* Sergio Itzchak Minerbi, Dr. Phil. der Sorbonne, hat mehrere
Geschichtsbücher veröffentlicht, darunter: «L’Italie et
la Palestine», PUF, Paris, 1970; «The Vatican and
Zionism», Oxford University Press, New York, 1990.
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