Ein uralter Witz besagt, dass vier Juden,
die zusammenkommen, als erstes eine
Zeitung gründen wollen. Dies gilt eigentlich
auch für jüdische Museen. Unabhängig
von ihrer Geschichte, sei sie nun blutjung
oder tausendjährig, empfindet eine
Gemeinschaft das Bedürfnis, sich in einem
Museum darzustellen. Weshalb? Die
Antwort ist sicher in der Tatsache zu
suchen, dass ein jüdisches Museum weit
mehr ist als eine simple Ausstellung von
alten Gegenständen, es ist das stumme
Zeugnis einer auf meist tragische Weise
verschwundenen Welt. Dies trifft auf das
MUSEO EBRAICO DI ROMA, das jüdische
Museum von Rom, überhaupt nicht
zu. Es liegt in Räumlichkeiten gleich neben
der herrlichen Hauptsynagoge der
Stadt, die 2004 ihren hundertjährigen Geburtstag
feiert.
Die Besonderheit dieses Museums besteht nämlich darin,
dass die hier ausgestellten Kultgegenstände in den
verschiedenen Synagogen von Rom regelmässig für
Gottesdienste an Schabbat und anderen Feiertagen verwendet
werden. An Simchat Torah zum Beispiel, der
Feier, in deren Verlauf alle Torah-Rollen aus der Heiligen
Lade herausgenommen werden, befinden sich im
Museum keine einzige Torah-Krone und kein einziger
Lesezeiger mehr.
Das Museum wurde 1960 auf Anregung des Oberrabbiners
Prof. Emilio Toaff gegründet. Während des
Zweiten Weltkriegs hatte man die meisten silbernen
Kultgegenstände unter einem falschen Boden im rituellen
Bad versteckt, das zu diesem Zweck mit Wasser
gefüllt wurde. Die Gegenstände aus Stoff wurden in den
Wohnungen zuverlässiger Freunde der Juden verborgen.
Die Torah-Rollen wiederum lagen in Tresorräumen
in den Banken, wo sie bis zum Ende der deutschen
Besatzung verblieben. Drei riesige Lastwagen, gefüllt
mit alten, sehr wertvollen Büchern, wurden hingegen
von den Deutschen gestohlen und nie wieder zurückerstattet;
Deutschland zahlte der jüdischen Gemeinschaft
zwar eine gewisse Entschädigung dafür, doch angesichts
des unermesslichen Verlusts von historischem, religiösem
und kultischem Erbgut erscheint eine finanzielle
Wiedergutmachung immer lächerlich gering. Im vorliegenden
Fall ermöglichte sie immerhin die Schaffung
und Eröffnung des jüdischen Museums von Rom.
Das Museum widerspiegelt die Geschichte der jüdischen
Gemeinde von Rom im Verlauf der Jahrhunderte
recht gut. Eine Reihe von archäologischen Funden zeugt
von der jüdischen Präsenz im römischen Reich, und die
aus der damaligen Zeit stammenden Zeugnisse lassen
die Vermutung zu, dass die Juden dort letztendlich ein
recht angenehmes Leben führten. Sie waren als «Nation
unter vielen» in das komplexe und vielschichtige Völkergemisch
integriert, aus dem sich die Bevölkerung
Roms zusammensetzte und das harmonisch miteinander
auskam. Im Jahr 325 wurde der soziale und juristische
Status der Juden mit der Machtübernahme von
Constantino, der das Christentum zur Staatsreligion
erhob, sehr stark eingeschränkt. Diese Beschränkungen
waren mal mehr, mal weniger streng, je nach dem
Willen der politischen Machtträgerin, der Kirche. Der
Einflussbereich des Papstes erstreckte sich damals von
Bologna bis zur Umgebung von Neapel. Das Museum widerspiegelt die Tatsache sehr deutlich, dass es für die
Juden «gute» und «schlechte» Päpste gab, wie beispielsweise
Innozenz III., der 1213 verlangte, dass die Juden ein
Erkennungszeichen, einen gelben Kreis, tragen mussten...
Die wichtigsten Ausstellungsobjekte des Museums stammen
aus den berühmten fünf Synagogen und Schulen,
die ab 1555 im selben Gebäude innerhalb des Ghettos
untergebracht waren. Drei von ihnen gehörten dem
sephardischen Ritus an (Scuola castiliana, catalana und
siciliana), die beiden anderen (Scuola nova und di tempio)
vertraten den römischen Ritus. Das Museum weist
noch eine weitere Besonderheit auf. Zahlreiche Gegenstände,
vor allem diejenigen, die direkt mit den Gesetzesrollen
(Sifreï Torah) verbunden sind, waren nämlich
Geschenke von Familien, deren Nachkommen
noch heute in Rom leben. Daher kommt es nicht selten
vor, wenn diese Objekte in den verschiedenen Synagogen
verwendet werden, dass es einer der Nachfahren
der Spenderfamilie ist, der eine vor mehreren Jahrhunderten
von einem Vorfahr übergebene und mit
einer Krone verzierte Torah trägt. Was den Schmuck
der Toroth betrifft, kann dazu angemerkt werden, dass
der Beruf des Silber- und Goldschmieds den Juden seit
dem Tag verboten war, als sie ins Ghetto verbannt wurden.
Diese Zierelemente mussten folglich von den jüdischen
Familien bei christlichen Gold- und Silberschmieden
bestellt werden, die Kronen, Torah-Schilder,
Glöckchen oder Zeiger gemäss den Angaben der
Familien herstellten. Aus diesem Grund sind viele dieser
Gegenstände mit dem Wappen oder dem Symbol
der Spenderfamilien geschmückt.
«Il Museo Ebraico di Roma» ist zwar räumlich klein,
erweist sich jedoch als gross in Bezug auf das historische
Zeugnis, das es ablegt. Zurzeit beansprucht es nur zwei
Säle im imposanten Gebäude der grossen Synagoge von
Rom. Der Besucher wird von Anfang an betreut und
erhält Auskunft über die Geschichte der Juden in Rom
seit ihren Anfängen. Der grosse Saal, in dem sich silberne
Kultgegenstände sowie eine Anzahl Vorhänge für
die Bundeslade und Decken für die Ständer befinden,
auf welche die Sifreï Torah für die Lektüre gelegt werden, verblüfft durch die Vielfalt und die Kostbarkeit der
Objekte. Noch heute kommt es des Öfteren vor, dass
eine Familie, die eine Torah-Krone oder Glöckchen
(Rimonim) mit dem Familienwappen besitzt, diese dem
Museum schenkt, damit sie weiterleben, d.h. ausgestellt
und in den Synagogen verwendet werden. Dies war vor
kurzem auch bei der Familie Corcos der Fall, die eine
sehr schöne Torah-Krone aus vergoldetem Silber mit
den dazu gehörenden Rimonim verschenkt hat.
Eine phantastische Sammlung von Torah-Mänteln aus
herrlich besticktem Brokat oder Samt verleiht dem
Museum einen sehr lebendigen Anstrich. Durch die originelle
Art und Weise, wie sie ausgestellt sind, nämlich
an Bügeln aufgehängt wie die Kleidungsstücke in einer
Boutique, ensteht dank ihrer unglaublichen Farbpalette
und ihrer Schattierungen ein extrem frisches und fröhliches
Bild in einem Museumsraum, der ansonsten recht
nüchtern wirken würde. Ein weiterer Aspekt dieser
Ausstellung fällt ebenfalls auf, denn einige Schaukästen
enthalten Sifreï Torah, die mit allem Prunk «ausgestattet
und verziert» wurden. Die italienischen Kronen, die
Zeiger und Torah-Schilder sind bekannt für ihre
Schönheit, ihre Bedeutung... aber auch für ihr Gewicht.
Sieht man die derart ausgestellten Toroth, kann man
sich unschwer vorstellen, wie überwältigend schön eine
Prozession von Sifreï Torah am Abend von Simchat
Torah in der grossen Synagoge von Rom auf den Betrachter
wirkt. Im selben Raum ist auch eine Sammlung
von Zeigern für die Torah-Lektüre (Yad) zu sehen,
wobei ein Exemplar aus Silber aus dem Jahr 1612 das
älteste Stück des Museums darstellt. Es sind ebenfalls
mehrere Reproduktionen von hebräischen Texten ausgestellt, darunter zwei Gedichte des berühmten jüdischen
Schriftstellers Immanuel Romano, besser bekannt
unter dem Pseudonym «Manoello», der zwischen dem
13. und 14. Jahrhundert in Rom lebte.
Ausgesprochen seltene Manuskripte, einige davon illuminiert,
bereichern den Museumsbesuch. So sind wertvolle
Handschriften zu sehen, insbesondere ein Pentateuch
aus dem 13. Jahrhundert, das aus der Scuola
Catalana stammt: jeder Beginn einer Parascha (am
Schabbat in der Synagoge gelesener wöchentlicher
Abschnitt) wurde vom Illustrator Isacco di Abramo aus
Barcelona verziert. Ausserdem gibt es hier eine wunderbare
Megilath Esther aus dem 17. Jahrhundert mit
illuminierten Segenssprüchen von Giaccobbe da Castelnuovo.
Jedes Buch und jeder Gegenstand wären eine
ausführliche Beschreibung wert, doch wir möchten uns
einem besonderen Stuhl zuwenden, dessen natürliche
Schönheit jedem Besucher ins Auge sticht. Es ist ein
Stuhl, der nach «dem Propheten Eliahu» benannt ist
und für die Beschneidungszeremonie verwendet wurde.
Er ist nicht sehr alt, da er erst im Jahr 1860 hergestellt
wurde. Der Stuhl besteht aus vergoldetem, mit Schnitzereien
verziertem Holz und aus Samt im barocken Stil
und wurde mit Musikinstrumenten, Blättern des Lebensbaums,
einer Menorah und den Symbolen der
zwölf Stämme Israels geschmückt.
Doch das Museum befasst sich nicht allein mit der alten
Geschichte der römischen Juden. Ein Schaukasten ist
auch der Schoah, den Rassengesetzen und den Deportationen
gewidmet.
Wir haben, wie immer, versucht, die Botschaft des Museums
zu entschlüsseln. Als wir die Kuratorin des
Museums danach fragten, Anna Ascarelli Blayer
Corcos, lautete ihre Antwort: «Unsere Sammlung soll
das Auge der Juden erfreuen und dies nicht nur im
Rahmen des Museums, sondern auch während den
Feiertagen in unseren Synagogen. Jeder dieser Gegenstände
erinnert uns an das Leben der Familien, die im
Ghetto eingesperrt waren; wir haben nun das Privileg, ihr
Andenken auf lebendige Weise weiterzugeben».
Das Museum möchte nicht nur die Schönheit der
Objekte zeigen, sondern auch eine erzieherische Rolle
in der nichtjüdischen Gesellschaft spielen. Es wird regelmässig
von Schulklassen besucht, wobei deren
Lehrer vor der Besichtigung von den Verantwortlichen
des Museums eingewiesen werden und einige grundlegende
Kenntnisse über die Traditionen und Riten der
Juden erfahren. Mit demselben Ziel organisiert das Museo
regelmässig Informationsseminare, die rege besucht
werden, und bietet auch ein recht vielfältiges jüdisches
Kulturprogramm an, das sich an Schulen, die italienische Öffentlichkeit und sogar an die Studenten der
vatikanischen Universität wendet und so den Antisemitismus
bekämpfen und die Ignoranz nach Möglichkeit
verringern möchte. Dieses Vorgehen ist in einem
Land wie Italien besonders wichtig, wo sich das Wissen
in der Religion oft auf den Katholizismus beschränkt.
Es ist geplant, dass in ungefähr einem Jahr im Untergeschoss
der grossen Synagoge von Rom ein neues
Museum eröffnet wird, das viel bedeutender werden
soll als das gegenwärtige.
Abschliessend können wir ohne Zögern behaupten,
dass ein Besuch in Rom nicht vollständig ist, wenn er
nicht durch eine Besichtigung des Museo Ebraico di
Roma bereichert wird.
CULTURA EBRAICA
Das 1973 gegründete Centro di Cultura Ebraica verfolgt
mehrere Ziele, deren wichtigste folgende sind: Verbreitung
der jüdischen Kultur und Traditionen, Förderung
der freundschaftlichen Beziehungen zu Israel durch
entsprechende Information, Bekämpfung des Antisemitismus
und Überlieferung der historischen Ereignisse
mit besonderem Schwerpunkt auf der Schoah. Die
Organisation bietet daher eine Reihe von Kursen an,
einschliesslich für Hebräisch, aber auch Vorträge,
Diskussionsabende (Thema der letzten Veranstaltung,
Der europäische Antisemitismus und der arabische
Antisemitismus), Ausstellungen, Aufführungen, Programme
für die Jugend usw. Ausserdem besitzt das
Zentrum ein ausführliches Informationsangebot für
Schulen, in deren Verlauf die jüdischen Symbole und
Traditionen sowie einige objektive Fakten zu Israel
erklärt werden. Das Zentrum ist sehr gut ausgestattet
und bietet neben einem Ulpan, in dem modernes und
biblisches Hebräisch unterrichtet werden, auch eine
sechstausend Bände umfassende Bibliothek, eine
Diathek, eine Videothek und eine Diskothek, wo die
verschiedenen Platten und Videos vor Ort gehört oder
gesichtet oder aber ausgeliehen werden können. Über-
fliegt man die Liste der Vorträge, ist man beeindruckt
vom breit gefächerten Angebot, das z.B. vom jüdischen
Humor von Schalom Alejchem und Woody Allen über
die musikalischen Traditionen der italienischen Juden
bis zu Fanatismus und Psychopathologie des Selbstmordattentats
reicht. Jedes Thema wird von einem
Fachmann vorgestellt.
Während eines Gesprächs vertraute uns die Direktorin
des Zentrums, Bice Migliau, insbesondere Folgendes an:
«Alle unsere Tätigkeiten sind natürlich wichtig und vor
allem auf die Juden von Rom ausgerichtet. Ich glaube
jedoch, dass eine von ihnen, mit der wir uns an die Schulen
und Lehrer der öffentlichen Schulen wenden, eine besondere
Bedeutung besitzt. Zu diesem Zweck organisieren
wir Seminare für Unterrichtende und es ist geplant, dass
wir 35 römische Schulen und dort jeweils einige Klassen
besuchen. Wir gehen davon aus, dass die einzige
Möglichkeit zur Bekämpfung des Antisemitismus aus
dem Ausmerzen von Vorurteilen besteht, die ausschliesslich
auf dem Nährboden der Ignoranz entstehen.» Daher
gehört das Zentrum auch einer Institution der Stadt Rom
mit dem Namen «Der interreligiöse Tisch» an, die den
Vertretern anderer Religionen als der römisch-katholischen
Kirche die Türen der Schulen öffnet.
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