Als der Staat Israel noch jung war,
beschrieb die Karikatur den typischen
Israeli als einen «Bauern mit Doktortitel»,
was irgendwie nicht ganz falsch war.
Doch seither hat sich einiges verändert,
die Bauern sind Experten für biologische
Landwirtschaft geworden und die Ärzte
gehören zu den besten Forschern weltweit.
Welches andere kleine Land, das
sich seit seiner Gründung im Kriegszustand
befindet, kann sich rühmen, eine
so intensive, moderne und erfindungsreiche
wissenschaftliche und technologische
Forschung zu betreiben wie Israel?
Heute möchten wir uns mit einem Problem
auseinandersetzen, das die gesamte
Welt heimsucht, mit einer Erkrankung,
die schwer auf den Gesundheitskosten
der öffentlichen Hand lastet, dem Diabetes
mellitus juvenile. Wir haben eine
weltweite Koryphäe auf diesem Gebiet,
Professor ZVI LARON, gebeten, uns darüber
zu informieren und uns den gegenwärtigen
Stand der Forschung in diesem
Bereich zu erläutern.
Der Diabetes mellitus ist eine Erkrankung, die von einer
ungenügenden Insulinproduktion oder -wirkung verursacht
wird. Es existieren mehrere Typen des Diabetes
mellitus (DM oder Zuckerkrankheit). Der Typ-IDiabetes
entsteht durch einen autoimmunen Prozess,
der mit der Zeit die B-Zellen zerstört, die das Insulin in
der Bauchspeicheldrüse produzieren. Der Typ-IIDiabetes,
eine Form der Resistenz gegenüber dem
Insulin, geht in den meisten Fällen mit Übergewicht
einher; der Schwangerschaftsdiabetes gehört ebenfalls
zum Typ II. Darüber hinaus gibt es noch eine Form von
etwas selteneren genetischen Krankheiten, die entweder
die Insulinproduktion oder die Wirkung des
Insulins beeinträchtigen. Die Diabeteserkrankungen
sowohl vom Typ I wie auch vom Typ II hängen von
Genen ab, die bestimmte Menschen im Laufe ihres Lebens
anfälliger machen für die Entwicklung der Erkrankung,
oder sie aber davor schützen.
Im Folgenden werden wir uns mit den verschiedenen
Formen des juvenilen oder primären Diabetes auseinandersetzen,
die in den meisten Ländern (ausser in
den USA) dem Typ angehören, der von einem autoimmunen
Prozess verursacht wird (d.h. DM des Typs I);
dabei befassen wir uns vor allem mit dem Beitrag Israels
zu den Forschungsarbeiten in diesem Bereich.
Bis zur ersten Hälfte des 20. Jh. wurden Kinder und
Jugendliche von allgemeinen Diabetologen und Endokrinologen
behandelt, so dass man heute keine genauen
Daten betreffend den juvenilen Diabetes
besitzt. Die ersten statistischen Berichte entstanden zu
Beginn der 60er Jahre und wurden vom Internationalen
Symposium des Krankenhauses Beilinson in Israel
angeregt, das von Professor Zvi Laron organisiert
wurde: an diesem Kongress kamen Pädiater aus aller
Welt zusammen, die Kinder mit Diabetes behandelten.
Die Diskussionen führten zum Schluss, dass die
Kenntnisse betreffend den juvenilen Diabetes vertieft
werden müssten, um dadurch die Behandlung der betroffenen
Kinder zu verbessern.
Von diesem Zeitpunkt an begann man nationale und
regionale Berichte zu erstellen, es wurde eine Internationale
Diabetes-Gesellschaft für Kinder und Jugendliche
gegründet, die von einem Vorstand bestehend aus
H. Lestradet (Paris), A. Loeb (Brüssel) und Zvi Laron
(Petach Tikwah/ Tel Aviv) geführt wird. Auf diese
Weise wurde das Endokrinologische Institut für Kinder
und Jugendliche des Krankenhauses Beilinson (seit
1991, an das Schneider Children’s Medical Center angegliedert)
zu einem der wichtigsten Forschungs- und
Behandlungszentren für juvenilen Diabetes. In Pittsburgh
und Helsinki entwickelten sich andere bedeutende
Zentren.
Das von der Gruppe von Prof. Laron geführte nationale
Register von Israel hat ein verstärktes Auftreten der
Erkrankung in den Jahren 1965-1993 nachgewiesen.
Beim Vergleich der Inzidenz in den verschiedenen ethnischen
Gruppen der Bevölkerung treten verblüffende
Resultate zutage: die höchste Inzidenz der Erkrankung
ist bei den jemenitischen Juden zu beobachten, während
sich die schwächste Inzidenz bei den israelischen
Arabern zeigt. Auch in anderen Ländern stellt man ein
vermehrtes Auftreten des juvenilen Diabetes fest.
Finnland und die skandinavischen Länder im Allgemeinen
sind besonders betroffen, desgleichen auch
Sardinien. Angesichts der Tatsache, dass die genetischen
Faktoren sich nicht stark verändert haben, schloss man
daraus, dass die Erhöhung der Inzidenz wahrscheinlich
auf Umweltfaktoren zurückzuführen ist.
Klinische Studien und Laborversuche haben gezeigt,
dass der Typ-I-Diabetes ausser bei Säuglingen einen
progressiven Krankheitsverlauf aufweist. Sobald die
autoimmune Erkrankung ausgebrochen ist, wird ein zerstörerischer Prozess in Gang gesetzt, der anhand der
Messung der Inselzellantikörper (ICA) beobachtet
werden kann. Von dem Zeitpunkt an, da 70-80 % der
Pankreas-Inselzellen zerstört worden sind, treten die
klinischen Symptome (Gewichtsverlust, Polyurie, Polydipsie)
während der Stoffwechseldekompensation auf
und führen zu Hyperglykämie. Bleibt eine Behandlung
aus, folgt nun die Ketoazidose (Störung des Säurehaushaltes
im Blut infolge des Fettabbaus) oder gar das
Koma (Bewusstlosigkeit und Tod).
Da die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
von einer wachsenden Verstädterung und einer radikalen
Veränderung der Lebensgewohnheiten geprägt war,
scheint die Hypothese, dass Umweltfaktoren für die
schnell wachsende Inzidenz von Diabetes verantwortlich
sind, eigentlich plausibel. Es stellt sich nun die
Frage, wie diese Faktoren genau aussehen. Handelt es
sich um chemische Giftstoffe der Umweltverschmutzung,
um bestimmte Nahrungsmittel (Kuhmilch),
Nahrungszusätze oder infektiöse Stoffe?
Aufgrund einiger Fakten kann der Typ-I-DM auf
einen viralen Ursprung zurückgeführt werden. Seit
1972 weiss man, dass die anfänglichen klinischen Symptome
der Erkrankung häufiger im Herbst und im
Winter auftreten, wenn virale Epidemien umgehen;
der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt,
scheint demnach eine Virusinfektion zu sein. Man
kann sich fragen, ob der ursprüngliche Auslöser des
autoimmunen Prozesses ebenfalls von einem Virus
ausgeht. Das Auftreten von Diabetes bei Kindern nach
einer Rötelnepidemie in den Vereinigten Staaten
schien diese Hypothese zu bestätigen. Andere Fakten
weisen ebenfalls in diese Richtung, wie z.B. das ungewöhnliche
Vorkommen von Viren (CMV, der Zytomegalievirus
oder Coxackie B4) in den pankreatischen
B-Zellen der an akutem Diabetes gestorbenen
Kinder. Die Frage nach dem Auslöser von Typ-I-DM
ist grundlegend für die Entwicklung präventiver Studien.
Bei der Analyse der Gruppe von 1865 Kindern,
die in Israel an Typ-I-Diabetes leiden, haben wir folgende
Tatsache festgestellt: während die ursprünglichen
klinischen Symptome der Erkrankung eher im
Herbst oder im Winter auftreten, werden Kinder, die
später an Diabetes erkranken, vor allem im Frühling
und im Sommer befallen. Diese Daten (die eine Art
Spiegeleffekt aufweisen) können wie folgt interpretiert
werden: die schwangeren Mütter übertragen im Herbst
und im Winter pathogene Viren auf den Fötus, wodurch
der autoimmune Prozess ausgelöst wird; die
betroffenen Kinder kommen in den meisten Fällen im
Frühjahr oder im Sommer zur Welt, und bei denjenigen,
die genetisch prädisponiert sind, bricht die
Krankheit früher oder später aus.
Um die Gültigkeit unserer Beobachtungen zu bestätigen,
haben wir in anderen Ländern epidemiologische
Studien durchgeführt, zunächst in Europa (in Sardinien,
wo eine grosse Inzidenz von Typ-I-DM zu beobachten
ist, in Süddeutschland, in Berlin, in Belgien
und Irland), wo ähnliche Ergebnisse auftraten. Anschliessend
untersuchten wir Neuseeland in der südlichen
Hemisphäre und erhielten dieselben Resultate. In
den Ländern, in denen Typ-I-DM weniger häufig auftritt,
gab es in der Gesamtbevölkerung keine saisonale
Häufung in Bezug auf den Geburtsmonat (in Kuba,
China und Japan). In den Regionen mit gemischter
Population, mit gleichzeitiger starker und schwacher
Inzidenz (USA, Sidney) waren die Ergebnisse statistisch
nicht aussagekräftig.
In Schweden und Finnland durchgeführte Studien beweisen,
dass die Viren in der Lage sind, die Schutzhülle
der Plazenta zu durchdringen und den Fötus zu erreichen.
Durch Blutproben, die den Müttern nach der
Niederkunft und ihren Neugeborenen entnommen und
dann aufbewahrt wurden, konnte gezeigt werden, dass
die Mütter der Kinder, die später Typ-I-Diabetes entwickelt
haben, mehr antivirale Antikörper aufwiesen
als die Mütter von Kindern, bei welchen die Erkrankung
nicht ausbrach.
Bei einer vor kurzem durchgeführten Studie, an der
mehrere Zentren, darunter auch unsere Gruppe, mitwirkten,
analysierte man in den Wintermonaten das
Blut von Frauen in ihrer 20. Schwangerschaftswoche.
Finnischen Virologen gelang es, eine umgekehrte Relation
zwischen der Inzidenz des Typ-I-DM und den
Enterovirusinfektionen innerhalb der Gesamtbevölkerung
nachzuweisen. Diese Ergebnisse bedeuten, dass
die infizierten Mütter ihrem Fötus auch antivirale Antikörper
übertragen können, die ihn somit gegen den
infektiösen Agens schützen.
Israel ist ein kleines Land mit einer Reihe von ethnischen
Gruppen; hier ist sowohl eine grosse Inzidenz
von Typ-I-DM (jemenitische Juden), als auch eine
mittlere (aschkenasische Juden) und eine schwache
Inzidenz (israelische Araber) zu beobachten. Es ist folglich
ein ideales Land, um die Erforschung des wichtigsten
Auslösers von Typ-I-DM fortzuführen und zu entdecken,
welche Bedingungen eine Prädisposition zum
Schutz gegen die Erkrankung schaffen und welche
Umweltfaktoren (wiederholte Infekte, Ernährungsfaktoren,
Toxine wie Dünger, Nitrat im Wasser usw.) letztendlich
den Auslöser darstellen, sobald der autoimmune
Prozess eingesetzt hat.
Wenn wir diese Fragen alle beantworten können, wird
dies vielleicht zu den primären Präventionsmitteln gegen
diese Erkrankung führen, die den Patienten ein Leben
lang begleitet und deren chronische, schwächende Komplikationen
trotz der therapeutischen Fortschritte der
letzten Jahre bis heute nicht eingeschränkt werden können,
ganz zu schweigen vom vorzeitigen Tod.
Die Versuche der sekundären Prävention in Europa
(Nicotinamid) und in den USA (Insulin) sind gescheitert.
In der Zwischenzeit steigt die Inzidenz und die
Erkrankung erfasst immer jüngere Kinder. Die Forschung
im Hinblick auf eine primäre Prävention (Impfung
oder frühzeitige Intervention im Immunsystem)
und auf eine Identifizierung der wichtigsten Umweltfaktoren
hat im Gesundheitswesen oberste Priorität
erlangt. Unter denjenigen, die nach Lösungen suchen,
steht die Forschungsabteilung für Endokrinologie und
Diabetes unter der Leitung von Professor Zvi Laron
des Schneider Children’s Medical Center an der Spitze
der Wissenschaft. Einziges Hindernis für die Fortschritte
des Teams ist das Fehlen finanzieller Mittel für
die Forschung. Der juvenile Diabetes ist eine Erkrankung,
die jedes unserer Kinder betreffen kann. Diese
überaus wichtige Forschung verdient demnach unsere
moralische und finanzielle Unterstützung. Wenn Sie
sich daran beteiligen möchten, können Sie mit
Professor Zvi Laron im Schneider Children’s Medical
Center in Petach Tikwah Kontakt aufnehmen, E-mail:
laronz@clalit.org.il.
* Professor Zvi Laron leitet die Forschungsabteilung für Endokrinologie
und Diabetes im Schneider Children’s Medical
Center in Petach-Tikwah.
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