Allmählich wird vieles klarer. Nicht
dass das Ende des Tunnels in Sichtweite
gerückt wäre, eher im Gegenteil,
doch mit dem Verlust ihrer Illusionen
sehen immer mehr Israelis die grundsätzlichen
Probleme in einem anderen
Licht. Endlich werden die richtigen
Fragen gestellt.
Frage eins: Gibt es heute, gab es überhaupt jemals im
palästinensischen Lager einen echten Ansprechpartner?
Mögen wir auch als Nation - entgegen dem hartnäckigen
Mythos, das jüdische Volk vergesse nie - ein kurzes Gedächtnis
haben: Es ist nicht von der Hand zu weisen,
dass seit zehn Jahren weder ein Abkommen respektiert
noch ein Versprechen eingehalten wurde. Auf keine positive
öffentliche Verkündigung sind konkrete Taten gefolgt.
Wie lange kann man naiv bleiben? Fast hätten die
Israelis Lincolns Aussage, es sei nicht möglich, das ganze
Volk dauernd zu betrügen, als Lügen gestraft, doch nun
besinnen sie sich. Nein, den Proklamationen der Alten
von Tunis und der Modernen von Ramallah kann kein
Vertrauen geschenkt werden; übrigens geht es bei ihrer
Debatte allein um die geeignete Taktik, um den Israelis
das Scheitern der Roadmap in die Schuhe zu schieben
und bei gleichzeitiger Verurteilung von Attentaten weiterhin
Juden töten zu können. Heute steht fest (dies ist
keine Meinung, sondern eine Tatsache), dass beim gegenwärtigen
Stand der Dinge, und zweifellos noch für
längere Zeit, kein Verhandlungspartner vorhanden ist.
Was natürlich nicht bedeutet, dass die Gespräche eingestellt
werden oder dass auf den Scheindialog verzichtet
wird. Schliesslich will man es sich ja weder mit dem
Weissen Haus verderben, noch den - unfassbar beschämenden
- Anklagen eines willentlich blinden Europas
Vorschub leisten.
Frage zwei: Können die Terrororganisationen überhaupt
auf der ganzen Linie geschlagen werden?
Bisher gab es diesbezüglich zwei Lager: auf der einen Seite
jene, die, gestützt auf historische Beweise, drängten, «es
müsse verhandelt werden, als ob es keinen Terrorismus
gäbe», wobei dieser aber ohne viel Hoffnung auf eine
Kapitulation gleichzeitig zu bekämpfen sei. Im anderen
Lager jene, für die die einzige Lösung in der totalen
Auslöschung des Terrors bestand, ein Unterfangen, das
sie, ebenfalls gestützt auf historische Beweise, als
schwierig, aber durchaus möglich und insbesondere als
lebensnotwendig einstuften. Auch hier haben die Fakten
für eine klarere Vision der Realität gesorgt. Seit seiner
Entstehung, ja seit den Anfängen des politischen
Zionismus lebt und kämpft Israel mit der Gewalt, eine
Gewalt, die von Hass und der - objektiv gesehen gar nicht
so absurden - Hoffnung genährt wird, den Staat Israel
aus der Welt zu schaffen. Bei jeder neuen Heimsuchung
hat Israel jeweils eine Lösung gefunden. Ein Allerweltsmittel
gibt es jedoch nicht. Auf lange Frist kann
keine Gefährdung ausgeschlossen werden, nicht einmal
vonseiten eines Landes wie Ägypten, mit dem eine Art
Frieden herrscht (was die ägyptische Armee im Sinai
nicht daran hindert zuzusehen, wie die Palästinenser
durch Tunnels Waffen in den Gazastreifen schmuggeln).
So sieht sich Israel heute wie gestern gezwungen, nach
Ad-hoc-Lösungen zu seinem Schutz zu suchen, und
muss, will es die Gefahren und das Leid so gering wie
möglich halten, auf ein breites Spektrum an Mitteln
zurückgreifen. Gänzlich unterbunden werden könnte
die Gewalttätigkeit nur mit Methoden, die einer
Demokratie unwürdig sind. Sich mit einer endemischen
Gewalt abzufinden, hätte dagegen katastrophale Auswirkungen
auf das moralische, wirtschaftliche und politische
Gleichgewicht der Israelis. So fiel denn der Entscheid
zum Bau des viel diskutierten Schutzwalls - mit
überzeugenden Ergebnissen, wie sich im Norden von
Samarien, wo der Wall bereits funktioniert, gezeigt hat.
Wo vorher tagtäglich Tausende von Palästinensern eindrangen,
sind es heute nur noch einige Dutzend, die
dazu meist entdeckt werden. Natürlich ist auch diese
Lösung nicht ideal, denn die Bedrohung durch Raketengeschosse,
wie in Gaza, bleibt bestehen. Aber zusammen
mit punktuellen Aktionen der Armee wird der
Schutzwall - der an einigen Orten tatsächlich in Form
einer Mauer geführt wird - nach seiner Fertigstellung für
relative Sicherheit sorgen.
Frage drei: Kann man sich damit begnügen, dass die
Araber die israelische Realität anerkennen?
Bis vor kurzem war man mehrheitlich der Meinung, man könne
von der arabischen Welt nicht verlangen, das Recht des
jüdischen Volkes auf sein Land anzuerkennen. So hatte
man sich etwa dem Frieden mit Ägypten und Jordanien
zuliebe mit einer Anerkennung der effektiven Tatsachen,
also der Existenz Israels, begnügt. Für die islamische
Welt gehört das Land des Staates Israel dem
Islam und kann somit nicht vollständig unter der uneingeschränkten,
legitimen Staatshoheit einer anderen Nation
stehen. «Dann machen wir eben kleine Schritte»,
sagten die Partisanen einer «realistischen» Politik in
Jerusalem. Schliesslich ist es schon eine grosse Sache,
überhaupt zu existieren. Eine ebenso grosse Sache ist es,
von seinen Nachbarn toleriert zu werden. Und eines -
in weiter Ferne liegenden - Tages werden wir bestimmt
gänzlich akzeptiert sein. Diese Überlegungen waren es
auch, die dem Entscheid der Rabin-Regierung und einer
sehr knappen Mehrheit der Knesset zugrunde lagen, die
verheerenden Oslo-Verträge zu unterzeichnen. Unter
der Federführung von Yassir Arafat war die PLO so
weit gegangen, «das Recht Israels auf seine Existenz»
anzuerkennen. Was hätte man sich Besseres erträumen
können? Kam es da nicht dem Wunsch nach einem endlosen
Krieg gleich, von unseren Nachbarn zu fordern,
dass sie diesen Staat in seiner Essenz, nämlich als Staat
des jüdischen Volkes anerkennen? Unterdessen hat es
sich gezeigt, dass diese Forderung nicht nur vernünftig,
sondern unverzichtbar ist. Tatsächlich verbirgt sich hinter
der «grosszügigen» Anerkennung eines israelischen
Staates ohne eigene Identität -Zeuge einer kontinuierlichen
Weigerung - die Idee eines Zweivölkerstaates mit
arabischer Mehrheit, dessen Bezeichnung geändert werden
könnte, während man sich auf Zeit mit der Präsenz
einer auf Auswanderung bedachten (je eher, desto besser)
jüdischen Minderheit abfände.
Deshalb drängte die Scharon-Regierung so entschieden
darauf, dass Präsident Bush in seiner Rede am Akaba-
Gipfel das eigentlich Selbstverständliche, nämlich dass
der Staat Israel ein jüdischer Staat ist, in Worte fasste,
Worte, die dem amerikanischen Präsidenten leicht über
die Lippen gingen, definierte doch bereits der Teilungsplan
der UNO von 1947 den zu errichtenden Staat als
«the Jewish State in Palestine». Umso bezeichnender ist
es, dass der Chef der französischen Diplomatie, D. de
Villepin, anlässlich eines kürzlich erfolgten Besuchs in
Jerusalem, der dem erklärten Ziel diente, sich den
Israelis gegenüber «aimable» zu zeigen, davon
Abstand nahm, den Staat Israel so zu nennen. Dabei
hatte sich Frankreich doch bereits 1917 für die Errichtung
einer Heimatstätte für die «jüdische Nation» ausgesprochen
(Brief von Jules Cambon an den Zionisten-
Führer Sokolov). Nur ja die arabische Welt, insbesondere
die empfindsamen Palästinenser nicht vor den Kopf
stossen: Für diese gibt es kein jüdisches Volk und somit
auch keine Legitimation für diesen zionistischen (und
folglich rassistischen, kolonialistischen, imperialistischen,
theokratischen und künstlichen) Staat. Die meisten
Israelis haben heute begriffen, dass die Gefahr nicht
allein vom Terrorismus oder von der Forderung nach
einem «Rückkehrrecht» für Millionen von Flüchtlingen
kommt. Das eigentliche Problem ist und bleibt tragischerweise
die konstante Weigerung, das in der Unabhängigkeitserklärung
festgehaltene «natürliche und historische
Recht des jüdischen Volkes» anzuerkennen.
Schon allein deshalb sind die diesbezüglichen Forderungen
unverzichtbar und ihre Erfüllung eine Vorbedingung
für jegliche Zugeständnisse.
Es hat seine Zeit gebraucht, doch allmählich klären sich
die Geister. Als Folge davon, müssen die Friedenshoffnungen
nach unten revidiert werden. Die israelische Gesellschaft
geht mitgenommen, aber schlussendlich gestärkt
aus der Prüfung der letzten drei Jahre hervor, zu
denen noch die sieben Jahre der Illusion von Oslo hinzuzuzählen
sind, als man auf einen neuen, gleichsam paradiesischen
Nahen Osten hoffte. Die Tage nach der Intifada
werden nicht eitel Sonnenschein sein, doch die
Nähte haben wieder einmal gehalten. Man verständigt
sich wieder mit Ländern wie Marokko und verstärkt
die strategische und wirtschaftliche Zusammenarbeit
sowie den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus
mit Staaten, die uns eben noch feindlich oder gleichgültig
gegenüber standen, wie die Türkei und insbesondere
auch Indien und China. Amerika ist ein Verbündeter,
dem man bis auf weiteres trauen kann. Die
israelische Armee weist keinerlei Zeichen der Schwäche
auf. Die Wirtschaft erlebt einen leichten Aufschwung,
und in den Monaten Juli und August waren
zahlreiche Hotels in Jerusalem ausgebucht.
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