Der heilige Stuhl und Israel | |
Von Dr. Sergio Itzchak Minerbi * | |
Während Jahrzehnten unterhielt
der Heilige Stuhl keine offiziellen diplomatischen
Beziehungen zum Staat
Israel, auch wenn einige Kontakte zwischen
dem Papst und ein paar israelischen
Premierministern oder Ministern
bestanden. Das Vorgehen bei der formellen
Anerkennung Israels seitens
des Vatikans folgte peinlich genau dem
Verlauf des Wegs, den die PLO beschritt,
obwohl der Heilige Stuhl im Januar
1991 nach dem Golfkrieg eine erste
Stellungnahme veröffentlicht hatte. Nach der Madrider Konferenz im Oktober 1991, an der eine Delegation der PLO (in eine jordanischpalästinensische Gruppe integriert) genau gegenüber der israelischen Delegation gesessen hatte, erklärte sich der Heilige Stuhl wenige Monate später am 29. Juli 1992 einverstanden, Verhandlungen mit Israel bezüglich einer eventuellen Aufnahme von diplomatischen Beziehungen aufzunehmen. Doch es mussten zunächst die Osloer Verträge und vor allem das Treffen in Washington zwischen dem israelischen Premierminister Itzchak Rabin und dem PLO-Chef Yasser Arafat am 13. September 1993 im Weissen Haus erfolgen, damit sich der Weg zur Unterzeichnung des Grundlegenden Abkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel, das am 30. Dezember 1993 in Jerusalem ratifiziert wurde, endlich ebnen konnte. Und erst nach der Vereinbarung von Kairo mit der PLO willigte der Vatikan im Juni 1994 in den Austausch von Botschaftern ein, wobei derjenige des Vatikans den Titel Apostolischer Nuntius trägt. Anschliessend wurde das Abkommen über die juristische Person [der Kirche] am 10. November 1997 unterzeichnet, während der Vertrag über steuerliche und wirtschaftliche Fragen noch nicht unterschrieben wurde. Meines Erachtens müsste das Grundlegende Abkommen durch einen Artikel ergänzt werden, in dem Israel das Recht zugestanden wird, die Ernennung von Bischöfen gutzuheissen, denn es gab schon einen Fall, in dem die Kirche einen Bischof ungeachtet der Tatsache ernannte, dass er in Israel persona non grata war. Diese Einführung soll klar machen, dass die Pflege der guten Beziehungen zu den arabischen Staaten für den Heiligen Stuhl oberste Priorität besitzt. Während der jüngsten Krise zwischen dem Vatikan und den USA betreffend den amerikanischen Plan eines Angriffs auf Irak, sprach man oft von der starken Ausrichtung des Vatikans zugunsten der Araber, die von zwei hoch stehenden Persönlichkeiten der vatikanischen Hierarchie gestützt wurde. Es handelt sich dabei um Hochwürden Jean-Louis Tauran, Sekretär für Beziehungen zu anderen Staaten (entspricht einem Aussenminister), und Hochwürden Renato Martino, den ständigen Beobachter bei den Vereinten Nationen in New York und seither Präsident des Pontifikalrates Justitia et Pax. Das Problem Jerusalem und sein Status sind der wichtigste Streitpunkt zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel. Bereits 1984 sagte Papst Johannes Paul II. in seinem apostolischen Brief «Redemptionis Anno», der Vatikan wünsche, dass «Jerusalem ein international garantierter Sonderstatus zugestanden wird. Man müsste eine supranationale und internationale Instanz schaffen, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügt, um die Wahrung der besonderen Eigenschaften der Stadt zu garantieren ». Der Papst hatte im Januar 1996 begehrt, dass die Stadt «ihre Einzigartigkeit und ihren Charakter beibehält »; die Heiligen Stätten «würden einen grossen Teil ihrer Bedeutung verlieren, wenn sie nicht ständig von aktiven Gemeinschaften umringt wären, die eine echte Gewissens- und Glaubensfreiheit geniessen.» Am 25. Oktober 1998 reiste Hochwürden Jean-Louis Tauran eigens nach Jerusalem, um die Wünsche des Heiligen Stuhls betreffend den Status der Stadt festzulegen. Die gegenwärtige Situation schien ihm «ein offensichtlicher Fall internationaler Ungerechtigkeit» zu sein, die durch die Kraft [Israels] zustande gekommen und beibehalten wird. Er wiederholte die Bitte des Heiligen Stuhls, dass Jerusalem durch einen «international garantierten Sonderstatus» geschützt würde, dass die historischen und materiellen Merkmale der Stadt bewahrt würden und dass die Rechtsgleichheit für die Gemeinschaften aller drei Religionen gewährleistet sei, denn der heilige Charakter der gesamten Stadt Jerusalem bewirke, dass die Extraterritorialität der Heiligen Stätten unzureichend sei. Tauran fügte hinzu: «Ostjerusalem ist unter illegaler Besetzung. Die Behauptung, der Vatikan sei nur an den religiösen Aspekten der Stadt interessiert und lasse die politischen und territorialen Probleme beiseite, trifft nicht zu. Beides ist eng miteinander verbunden.» Gemäss Tauran sollten diese aktiven Gemeinschaften von Juden, Christen und Muslims Gewissens- und Glaubensfreiheit, den Zugang zu den Heiligen Stätten geniessen und dabei den heiligen Charakter und das universelle Kulturerbe der Stadt beibehalten. Der ungehinderte Zugang müsste allen gewährt werden, der gesamten einheimischen Bevölkerung und auch den Pilgern. Im Oktober 1999 gestattete die israelische Regierung die Errichtung einer Moschee in Nazareth auf dem Platz vor der Verkündigungsbasilika, im November wurde der Grundstein gelegt. Sofort liess seine Seligkeit Michel Sabagh, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, die Basilika des Heiligen Grabes in Jerusalem für zwei Tage schliessen und erklärte, Israel wolle «die Spannung zwischen Christen und Muslims schüren». Dieselbe Erklärung wurde am nächsten Tag vom Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Valls, wiederholt. Er lobte die Anstrengungen der Islamischen Bewegung und tadelte Israel wegen des Anstiegs der Spannungen. Einige Jahre später wurde die Entscheidung vom Gericht aufgehoben und im Jahr 2003 liess die israelische Regierung einige bereits errichtete Mauern der Moschee zerstören. Der Vatikan errang somit einen Sieg, nachdem er die schärfsten und kritischsten Worte in einer Polemik gebraucht hatte, die er hätte umgehen können. Anlässlich der Jubiläumsfeiern beschloss Papst Johannes Paul II. das Heilige Land zu besuchen. Am Vortag seiner Abreise am 15. Februar 2000 unterzeichnete der Heilige Stuhl ein Abkommen mit der PLO und der Papst empfing Yasser Arafat. Nach Ansicht des Papstes waren die Hirten, die vor zweitausend Jahren nach Bethlehem gekommen waren, Palästinenser. Im Wortlaut des Abkommens spricht man von Jerusalem und bestätigt, dass «die einseitigen Entscheidungen und die Handlungen, die den speziellen Charakter und den Status von Jerusalem verändern, moralisch und gesetzlich inakzeptabel sind». Natürlich meint man hier implizit die Annektierung von Ostjerusalem durch Israel und die «Judifizierung» der Stadt, die wiederholt von den Arabern und dem Vatikan verurteilt wurde. Der Vatikan verlangt einen «international garantierten Sonderstatus, der die Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle bewahrt». So ist die Jerusalemfrage, über die der Heilige Stuhl mit Israel nicht verhandeln wollte, da er sie als multilaterales Problem definierte, zu einer bilateralen Angelegenheit mit der PLO geworden. Die israelische Regierung reagierte umgehend: «Jerusalem ist und bleibt die Hauptstadt Israels und keine Erklärung wird daran etwas ändern können». Israel gab auch seinem Bedauern angesichts einer schwerwiegenden Einmischung in die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern Ausdruck, weil der Vatikan nur eine der beiden Parteien unterstützt. Im März 2000 stattete der Papst Israel einen viertägigen offiziellen Besuch ab, bei dem er am Flughafen von Staatspräsident Ezer Weizmann und Premierminister Ehud Barak empfangen wurde, bevor er später den Präsidenten, die Grossrabbiner und Yad Vaschem aufsuchte. Es handelte sich bestimmt um einen historischen Besuch, doch er wurde auch überschattet: der Papst zog Parallelen zwischen der Passion Christi und derjenigen der Palästinenser, er sprach von den antichristlichen Vorurteilen der Juden und definierte die Vernichtung eines gesamten Volkes [der Juden] als das Ergebnis einer «g’ttlosen » Ideologie. Zum Schluss legte er ein Schreiben in die Klagemauer, das zwar identisch war mit demjenigen vom 12. März 2000, jedoch der Präambel entbehrte, die diesen Text mit den Juden verband. Diese eindeutige Stellungnahme erreichte ihren Höhepunkt im April 2002 während der Besetzung der Geburtskirche in Bethlehem durch bewaffnete Palästinenser, die gewaltsam dort eingedrungen waren. 39 Tage lang belagerte die israelische Armee die Basilika und während dieser ganzen Zeit veranstaltete der Heilige Stuhl eine internationale Kampagne des Hasses, der Propaganda und der Kritik gegen Israel. Aus dem Inneren der Basilika betrieb Pater Ibrahim Faltas pro-palästinensische Propaganda, während in Rom Pater David-Marie Jaeger angebliche Überschreitungen «aller Gesetze der Menschheit und der Zivilisation » durch Israel beschwor. Im Falle der Moschee in Nazareth und in demjenigen der Geburtskirche belastete eine Persönlichkeit die Beziehungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl in höchstem Masse: es war seine Seligkeit Michel Sabagh, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, der erste Palästinenser, der 1987 zum Patriarchen von Jerusalem ernannt wurde. Ein Beispiel seines Stils und seiner Ideen ist in seiner Osterbotschaft von April 2003 zu finden, in der er sagt: «Die bis heute eingeschlagenen Wege - die allen palästinensischen Städten und Dörfern auferlegten militärischen Aktionen, die sie zu grossen Gefängnissen machen, in denen die Menschenwürde mit Füssen getreten wird, immer mehr Attentate verübt werden und weiterhin Eigentum und Häuser zerstört werden - sind nicht diejenigen des Friedens. (...) Seit der Belagerung der Geburtskirche vor einem Jahr hat sich für uns nichts verändert. Die Basilika wurde befreit, nicht aber der Mensch: die Palästinenser befinden sich immer noch unter Besatzung, sind Erniedrigungen, dem Hunger und der Anarchie ausgeliefert, und die Israelis leben weiterhin in Angst und Unsicherheit. (...) Das Verhandeln mit den Völkern gemäss den Forderungen des Friedens und der Gerechtigkeit bleibt das einzige Mittel zur Bekämpfung jeder Form von Terrorismus.» Im Allgemeinen hat der Papst die härtesten Worte immer vermieden und versuchte im arabisch-israelischen Konflikt eine ausgleichende Position einzunehmen, doch sehr oft hat er sich eindeutig auf die Seite der Palästinenser und gegen Israel gestellt. Abschliessend möchten wir daran erinnern, dass der Papst am 2. Juni 2003 beim Empfang des neuen israelischen Botschafters am Heiligen Stuhl wiederholte: «In Bezug auf die Definition des Status der Heiligen Stätten in Jerusalem kann keine einseitige Entscheidung gefällt werden». Der Papst sprach auch die territorialen Schwierigkeiten sowie die Probleme der palästinensischen Flüchtlinge und der israelischen Siedlungen an, alles grundlegende Fragen, über die sich der Vatikan und Israel nicht einig sind. * Sergio Itzchak Minerbi, Dr. Phil. der Sorbonne, hat mehrere Geschichtsbücher veröffentlicht, darunter: «L’Italie et la Palestine», PUF, Paris, 1970; «The Vatican and Zionism», Oxford University Press, New York, 1990. |