Einige richtige Fragen | |
Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem | |
Allmählich wird vieles klarer. Nicht
dass das Ende des Tunnels in Sichtweite
gerückt wäre, eher im Gegenteil,
doch mit dem Verlust ihrer Illusionen
sehen immer mehr Israelis die grundsätzlichen
Probleme in einem anderen
Licht. Endlich werden die richtigen
Fragen gestellt. Frage eins: Gibt es heute, gab es überhaupt jemals im palästinensischen Lager einen echten Ansprechpartner? Mögen wir auch als Nation - entgegen dem hartnäckigen Mythos, das jüdische Volk vergesse nie - ein kurzes Gedächtnis haben: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass seit zehn Jahren weder ein Abkommen respektiert noch ein Versprechen eingehalten wurde. Auf keine positive öffentliche Verkündigung sind konkrete Taten gefolgt. Wie lange kann man naiv bleiben? Fast hätten die Israelis Lincolns Aussage, es sei nicht möglich, das ganze Volk dauernd zu betrügen, als Lügen gestraft, doch nun besinnen sie sich. Nein, den Proklamationen der Alten von Tunis und der Modernen von Ramallah kann kein Vertrauen geschenkt werden; übrigens geht es bei ihrer Debatte allein um die geeignete Taktik, um den Israelis das Scheitern der Roadmap in die Schuhe zu schieben und bei gleichzeitiger Verurteilung von Attentaten weiterhin Juden töten zu können. Heute steht fest (dies ist keine Meinung, sondern eine Tatsache), dass beim gegenwärtigen Stand der Dinge, und zweifellos noch für längere Zeit, kein Verhandlungspartner vorhanden ist. Was natürlich nicht bedeutet, dass die Gespräche eingestellt werden oder dass auf den Scheindialog verzichtet wird. Schliesslich will man es sich ja weder mit dem Weissen Haus verderben, noch den - unfassbar beschämenden - Anklagen eines willentlich blinden Europas Vorschub leisten. Frage zwei: Können die Terrororganisationen überhaupt auf der ganzen Linie geschlagen werden? Bisher gab es diesbezüglich zwei Lager: auf der einen Seite jene, die, gestützt auf historische Beweise, drängten, «es müsse verhandelt werden, als ob es keinen Terrorismus gäbe», wobei dieser aber ohne viel Hoffnung auf eine Kapitulation gleichzeitig zu bekämpfen sei. Im anderen Lager jene, für die die einzige Lösung in der totalen Auslöschung des Terrors bestand, ein Unterfangen, das sie, ebenfalls gestützt auf historische Beweise, als schwierig, aber durchaus möglich und insbesondere als lebensnotwendig einstuften. Auch hier haben die Fakten für eine klarere Vision der Realität gesorgt. Seit seiner Entstehung, ja seit den Anfängen des politischen Zionismus lebt und kämpft Israel mit der Gewalt, eine Gewalt, die von Hass und der - objektiv gesehen gar nicht so absurden - Hoffnung genährt wird, den Staat Israel aus der Welt zu schaffen. Bei jeder neuen Heimsuchung hat Israel jeweils eine Lösung gefunden. Ein Allerweltsmittel gibt es jedoch nicht. Auf lange Frist kann keine Gefährdung ausgeschlossen werden, nicht einmal vonseiten eines Landes wie Ägypten, mit dem eine Art Frieden herrscht (was die ägyptische Armee im Sinai nicht daran hindert zuzusehen, wie die Palästinenser durch Tunnels Waffen in den Gazastreifen schmuggeln). So sieht sich Israel heute wie gestern gezwungen, nach Ad-hoc-Lösungen zu seinem Schutz zu suchen, und muss, will es die Gefahren und das Leid so gering wie möglich halten, auf ein breites Spektrum an Mitteln zurückgreifen. Gänzlich unterbunden werden könnte die Gewalttätigkeit nur mit Methoden, die einer Demokratie unwürdig sind. Sich mit einer endemischen Gewalt abzufinden, hätte dagegen katastrophale Auswirkungen auf das moralische, wirtschaftliche und politische Gleichgewicht der Israelis. So fiel denn der Entscheid zum Bau des viel diskutierten Schutzwalls - mit überzeugenden Ergebnissen, wie sich im Norden von Samarien, wo der Wall bereits funktioniert, gezeigt hat. Wo vorher tagtäglich Tausende von Palästinensern eindrangen, sind es heute nur noch einige Dutzend, die dazu meist entdeckt werden. Natürlich ist auch diese Lösung nicht ideal, denn die Bedrohung durch Raketengeschosse, wie in Gaza, bleibt bestehen. Aber zusammen mit punktuellen Aktionen der Armee wird der Schutzwall - der an einigen Orten tatsächlich in Form einer Mauer geführt wird - nach seiner Fertigstellung für relative Sicherheit sorgen. Frage drei: Kann man sich damit begnügen, dass die Araber die israelische Realität anerkennen? Bis vor kurzem war man mehrheitlich der Meinung, man könne von der arabischen Welt nicht verlangen, das Recht des jüdischen Volkes auf sein Land anzuerkennen. So hatte man sich etwa dem Frieden mit Ägypten und Jordanien zuliebe mit einer Anerkennung der effektiven Tatsachen, also der Existenz Israels, begnügt. Für die islamische Welt gehört das Land des Staates Israel dem Islam und kann somit nicht vollständig unter der uneingeschränkten, legitimen Staatshoheit einer anderen Nation stehen. «Dann machen wir eben kleine Schritte», sagten die Partisanen einer «realistischen» Politik in Jerusalem. Schliesslich ist es schon eine grosse Sache, überhaupt zu existieren. Eine ebenso grosse Sache ist es, von seinen Nachbarn toleriert zu werden. Und eines - in weiter Ferne liegenden - Tages werden wir bestimmt gänzlich akzeptiert sein. Diese Überlegungen waren es auch, die dem Entscheid der Rabin-Regierung und einer sehr knappen Mehrheit der Knesset zugrunde lagen, die verheerenden Oslo-Verträge zu unterzeichnen. Unter der Federführung von Yassir Arafat war die PLO so weit gegangen, «das Recht Israels auf seine Existenz» anzuerkennen. Was hätte man sich Besseres erträumen können? Kam es da nicht dem Wunsch nach einem endlosen Krieg gleich, von unseren Nachbarn zu fordern, dass sie diesen Staat in seiner Essenz, nämlich als Staat des jüdischen Volkes anerkennen? Unterdessen hat es sich gezeigt, dass diese Forderung nicht nur vernünftig, sondern unverzichtbar ist. Tatsächlich verbirgt sich hinter der «grosszügigen» Anerkennung eines israelischen Staates ohne eigene Identität -Zeuge einer kontinuierlichen Weigerung - die Idee eines Zweivölkerstaates mit arabischer Mehrheit, dessen Bezeichnung geändert werden könnte, während man sich auf Zeit mit der Präsenz einer auf Auswanderung bedachten (je eher, desto besser) jüdischen Minderheit abfände. Deshalb drängte die Scharon-Regierung so entschieden darauf, dass Präsident Bush in seiner Rede am Akaba- Gipfel das eigentlich Selbstverständliche, nämlich dass der Staat Israel ein jüdischer Staat ist, in Worte fasste, Worte, die dem amerikanischen Präsidenten leicht über die Lippen gingen, definierte doch bereits der Teilungsplan der UNO von 1947 den zu errichtenden Staat als «the Jewish State in Palestine». Umso bezeichnender ist es, dass der Chef der französischen Diplomatie, D. de Villepin, anlässlich eines kürzlich erfolgten Besuchs in Jerusalem, der dem erklärten Ziel diente, sich den Israelis gegenüber «aimable» zu zeigen, davon Abstand nahm, den Staat Israel so zu nennen. Dabei hatte sich Frankreich doch bereits 1917 für die Errichtung einer Heimatstätte für die «jüdische Nation» ausgesprochen (Brief von Jules Cambon an den Zionisten- Führer Sokolov). Nur ja die arabische Welt, insbesondere die empfindsamen Palästinenser nicht vor den Kopf stossen: Für diese gibt es kein jüdisches Volk und somit auch keine Legitimation für diesen zionistischen (und folglich rassistischen, kolonialistischen, imperialistischen, theokratischen und künstlichen) Staat. Die meisten Israelis haben heute begriffen, dass die Gefahr nicht allein vom Terrorismus oder von der Forderung nach einem «Rückkehrrecht» für Millionen von Flüchtlingen kommt. Das eigentliche Problem ist und bleibt tragischerweise die konstante Weigerung, das in der Unabhängigkeitserklärung festgehaltene «natürliche und historische Recht des jüdischen Volkes» anzuerkennen. Schon allein deshalb sind die diesbezüglichen Forderungen unverzichtbar und ihre Erfüllung eine Vorbedingung für jegliche Zugeständnisse. Es hat seine Zeit gebraucht, doch allmählich klären sich die Geister. Als Folge davon, müssen die Friedenshoffnungen nach unten revidiert werden. Die israelische Gesellschaft geht mitgenommen, aber schlussendlich gestärkt aus der Prüfung der letzten drei Jahre hervor, zu denen noch die sieben Jahre der Illusion von Oslo hinzuzuzählen sind, als man auf einen neuen, gleichsam paradiesischen Nahen Osten hoffte. Die Tage nach der Intifada werden nicht eitel Sonnenschein sein, doch die Nähte haben wieder einmal gehalten. Man verständigt sich wieder mit Ländern wie Marokko und verstärkt die strategische und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus mit Staaten, die uns eben noch feindlich oder gleichgültig gegenüber standen, wie die Türkei und insbesondere auch Indien und China. Amerika ist ein Verbündeter, dem man bis auf weiteres trauen kann. Die israelische Armee weist keinerlei Zeichen der Schwäche auf. Die Wirtschaft erlebt einen leichten Aufschwung, und in den Monaten Juli und August waren zahlreiche Hotels in Jerusalem ausgebucht. |