News Neueste Ausgabe Befragung: Resultate Suchen Archiv Français English Русский עברית Español


Inhaltsangabe Ungarn Herbst 2004 - Tischri 5765

Editorial - September 2004
    • Editorial [pdf]

Rosch Haschanah 5765
    • Selbstdisziplin – Respekt – Hoffnung [pdf]

Politik
    • Zwei Einsamkeiten [pdf]

Interview
    • Antisemitismus in 3-D [pdf]
    • Die Stunde der Wahrheit [pdf]
    • Staat und Nation [pdf]

Strategie
    • Schutz und Verteidigung [pdf]

Judäa-Samaria-Gaza
    • Gaza zuerst? [pdf]

Junge Leader
    • Gideon Sa’ar [pdf]

Medizinische Forschung
    • Eliminieren Ja – Einschnitt Nein! [pdf]

Shalom Tsedaka
    • Alyn [pdf]

Medizin und Halachah
    • Sex - Moral – Recht [pdf]

Küchenrezept zu Rosch Haschanah
    • Guten Appetit [pdf]

Ungarn
    • Jerusalem – Budapest - Sarajevo [pdf]
    • Zeitzeuge [pdf]
    • Die Schoah-Gedenkstätte [pdf]
    • Pinchas Tibor Rosenbaum [pdf]
    • Ungarische Schuld [pdf]
    • Zwangsarbeit in Uniform [pdf]
    • Verantwortung [pdf]
    • Die Mazsihisz [pdf]
    • Das Jüdische Museum Von Budapest [pdf]
    • Vorbild sein [pdf]
    • Jüdische Erziehung [pdf]
    • Das Rabbinerseminar Von Budapest [pdf]

Ethik und Judentum
    • Ein kleiner Joint? [pdf]

Das gute Gedächtnis
    • Die Ereignisse des Monats September [pdf]

Artikel per E-mail senden...
Die Mazsihisz

Gustav Zoltai. Foto: Bethsabée Süssmann

Von Roland S. Süssmann
Der Zusammenbruch der UdSSR und der Diktaturen des Warschauer Paktes führten zu einer Reihe von strukturellen Problemen für die jüdischen Gemeinschaften, wobei sich ihre Wiedervereinigung unter den Fittichen einer einzigen Dachorganisation als das grösste herausstellte. Auch die jüdische Gemeinde Ungarns musste mit dieser Schwierigkeit fertig werden, doch sofort nach dem Regimewechsel wurde ein vereinheitlichtes Netzwerk der Gemeinden und der meisten jüdischen Institutionen aus unterschiedlichsten Bereichen unter dem Namen MAZSIHISZ (Akronym der verschiedenen ungarischen Wörter für den Verband) in den Verband der jüdischen Kultusgemeinden Ungarns aufgenommen.
Im Gegensatz zur Schweiz gehört das Judentum in Ungarn zu den offiziell anerkannten Staatsreligionen. Alle vier Jahre veranstaltet der Verband eine Generalversammlung, an der ein Gremium von 121 Mitgliedern (Rabbiner, Abgeordnete der Gemeinden aus der Provinz und aus Budapest) seine Verantwortlichen wählt. Zur Leitung gehören ein Präsident (seit 2003 ist es Andras Heisler), ein Generalsekretär (Gustav Zoltai, von dem es heisst, er sei der mächtigste Mann der jüdischen Gemeinschaft in Ungarn, da er die Subventionen kontrolliert, zuteilt und vor allem verweigert…), vier Vizepräsidenten, acht Vorstandsmitglieder und zwei Vertreter des Rabbinats. Der Verband repräsentiert die Mitglieder der beiden wichtigsten Gemeinden Ungarns: Neologen und Orthodoxe. Die Verwaltungen, Gemeindeverantwortlichen und Rabbiner werden jedoch von jeder der beiden Glaubensrichtungen unabhängig voneinander bestimmt. Wie überall vertritt der Verband das ungarische Judentum offiziell sowohl bei den nationalen und lokalen Behörden als auch bei den diversen jüdischen Organisationen weltweit. Gemäss jüngsten Schätzungen zählt Ungarn zwischen 80'000 und 120'000 Juden, von denen die meisten in Budapest leben. Ausserdem geht man davon aus, dass ca. 80% von ihnen Juden nach jüdischem Recht sind, während die anderen den Regeln der Rassengesetze von Nürnberg entsprechen. Da man sich einer Synagoge anschliessen muss um Mitglied des Verbandes zu sein und von seinen Vorteilen profitieren zu können, sind bis heute nur ungefähr 15'000 Juden eingeschrieben. Dazu gibt es hauptsächlich zwei Gründe: die Abwesenheit religiöser Gefühle und die Weigerung auch nur die kleinste Beitragsbezahlung an die Gemeinde zu leisten. In der Hauptstadt gibt es 16 Synagogen, in denen regelmässig G’ttesdienste stattfinden. In der Provinz, d.h. in rund 25 Städten, werden immer mehr G’ttesdienste am Freitagabend abgehalten. In Ungarn zählt man ungefähr 30 Rabbiner. Neben der offiziellen Repräsentationsaufgabe befasst sich der Verband mit zwei weiteren Haupttätigkeiten: der Verwaltung der Sozialdienste und der Förderung der jüdischen Erziehung im ganzen Land. Was die pädagogische Tätigkeit betrifft, so wird diese vom Kindergarten bis zur jüdischen Universität durch den Verband finanziert. Im sozialen Bereich unterstützt der Verband ältere Menschen, die meisten von ihnen Überlebende der Schoah. Täglich werden 1'500 Gratismahlzeiten ausgegeben, rund 100 werden nach Hause geliefert und ca. 200 warme Mahlzeiten werden zu einem symbolischen Preis verkauft. Alle zwei Monate erhalten knapp tausend Menschen ein 30 kg schweres Nahrungsmittelpaket mit getrockneten und haltbaren Esswaren. Auf medizinischer Ebene bietet der Verband in direkter Zusammenarbeit mit dem Joint eine ambulante Versorgung für ca. 700 Personen an, einige von ihnen werden bei der Bezahlung der Pflege finanziell unterstützt. Es existiert auch ein jüdisches Spital mit 320 Betten, an dessen Finanzierung sich der Verband beteiligt. Eine neue Abteilung mit weiteren hundert Betten wird gegenwärtig erstellt. Die Mehrheit der Patienten ist jüdisch, doch es werden auch Nichtjuden betreut, sofern sie über ein Zertifikat als «Gerechte der Nationen» von Yad Vaschem verfügen, d.h. wenn sie unter Lebensgefahr Juden gerettet haben. In Budapest gibt es ein Altersheim, das sich in einem renovierten Gebäude vom Ende 18. Jahrhunderts befindet und wo gegenwärtig 36 Menschen betreut werden. Die medizinische Betreuung findet rund um die Uhr statt.
Und nun noch ein interessantes Detail: der Sitz von Mazsihisz befindet sich in einem hundertjährigen Haus, in dem Eichmann eines seiner Büros in Budapest untergebracht hatte. Hier war auch der von den Nazis eingeführte «Judenrat» angesiedelt.
1989, nach dem Sturz des kommunistischen Regimes, brach eine neue Ära für das ungarische Judentum an. Die Aufhebung der Verbote und die Glaubensfreiheit haben eine eigentliche Auferstehung des jüdischen Lebens bewirkt. Im Laufe einer lebhaften Diskussion mit GUSTAV ZOLTAI machte er insbesondere folgende Aussage: «Wir bemühen uns sehr, dass jeder Jude hier leben und dabei alle religiösen Angebote nutzen kann, die er benötigt. So sind alle Institutionen und offiziellen Veranstaltungen streng koscher. In den vergangenen zehn Jahren stieg die Zahl der Beschneidungen, von Bar- und Bat-Mitzwoth und von Eheschliessungen kontinuierlich an. Im Jahr 2003 haben wir mehr Familieng’ttesdienste gefeiert als während den neun Jahren zuvor. Wir bekämpfen den Antisemitismus, doch er stellt nicht unsere Hauptsorge dar. Wir haben nämlich für all unsere sozialen und pädagogischen Aktivitäten eine sehr schwerfällige Administration zu führen, zu der die Betreuung von 1’600 jüdischen Friedhöfen im ganzen Land kommt. Wir befassen uns auch aktiv mit der Rückforderung der während der Schoah beschlagnahmten Besitztümer. Der Kampf gegen die Judenfeindlichkeit ist sehr kompliziert, weil es in Ungarn keine Gesetze gegen Rassismus gibt. Es finden in ganz Ungarn jedoch zahlreiche Feiern zum Gedenken an die Schoah statt, die nicht von jüdischen Institutionen, sondern von den lokalen Behörden organisiert werden, was als ein Zeichen der Ermutigung interpretiert werden kann.»
Zoltai hat die Schoah überlebt. Seine Eltern sowie 70 Familienangehörige wurden von den Deutschen umgebracht. Der junge Gustav Zoltai wuchs bei einer Tante auf. Nach dem Krieg engagierte er sich in den jüdischen Jugendbewegungen. Er machte in der Direktion verschiedener Theater Karriere und fungiert seit 1988 als Generalsekretär der Mazsihisz. Im Laufe seines Daseins stand Zoltai immer in Kontakt zum Gemeindeleben und übernahm als jahrelanges aktives Mitglied auch Verantwortung in der Synagoge.


Contacts
Redaction: edition@shalom-magazine.com   |  Advertising: advert@shalom-magazine.com
Webmaster: webmaster@shalom-magazine.com

© S.A. 2004