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Inhaltsangabe Russland Herbst 1997 - Tischri 5758

Editorial - Herbst 1997
    • Editorial

Rosch Haschanah 5758
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Politik
    • Fragen um den Libanon

Interview
    • Entschlossenheit und Realität
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Analyse
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Judäa - Samaria - Gaza
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Kunst und Kultur
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Russland
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    • Neue Energie...
    • Referenz - Chronik - Erinnerung
    • Zwölf Millionen Bücher und massenhaft Schulen
    • Schule nummer 1621

Erziehung
    • Dynamischere Übertragung des Judentums

Porträt
    • Kalligraphie und Informatik

Reportage
    • Leben und leben lassen

Ethik und Judentum
    • Gefährliche Wette

Das gute Gedechtnis
    • Die Ereignisse des Monats Oktober

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Neue Energie...

Von Roland S. Süssmann
Es gibt zwei Dinge, die man nicht erraten kann, wenn man dem Professor ALEXANDER SHEINDLIN zum ersten Mal begegnet: dass er achtzig Jahre alt und Jude ist. Dieser dynamische Mann bekleidet heute sieben wichtige Posten in der Stadt der Wissenschaften von Moskau, die immerhin 250'000 Angestellte beschäftigt. Der Mann, der von allen sehr respektvoll "der Akademiker" genannt wird, beeindruckt durch seine Bescheidenheit, seine flammende Begeisterung, seine treffende, wohlüberlegte Rede und die Tiefe seiner Gedanken. Dieser aussergewöhnliche Wissenschaftler gilt auf dem Gebiet der Wärmeenergietechnik als weltweite Koryphäe und es ist ihm gelungen, trotz dem staatlichen Antisemitismus und der Tatsache, dass er sein Judentum nie versteckt hat, eine brillante Karriere sowohl unter dem strengen Sowjetregime als auch im "neuen" Russland von Michail Gorbatschow und Boris Jelzin zu machen.
Professor Sheindlin ist nicht nur ein Held des Zweiten Weltkriegs, Träger der höchsten staatlichen Auszeichnungen, Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Akademien überall in der Welt, sondern besitzt auch mehrere Diplome als Doktor Honoris Causa einiger westlicher Fakultäten, darunter den Titel der Universität Ben Gurion von Beer Schewa. Mit 80 Jahren steht er immer noch an der Spitze seines Kampfes für die Wissenschaft und den Erfolg seines wissenschaftlichen Bereichs. Das Tätigkeitsfeld des Akademikers Alexander Sheindlin hat zu jeder Zeit die Grenzen der herkömmlichen wissenschaftlichen Forschung weit überschritten. Fragt man ihn nach seinem Erfolg, antwortet er mit blitzenden Augen und mit einem ebenso charmanten wie bescheidenen Lächeln: "Ich kenne niemanden, der ein einfaches Leben hatte, vor allem nicht die Menschen, deren Leistungen und Ziele nicht als "normal" galten. Das Abweichen von den üblichen Pfaden und Normen nahm in meinem ganzen Leben immer einen sehr wichtigen Platz ein. Dies bedeutet nie nachlassender Unternehmungs- und Kampfgeist. Ich muss heute zugeben, dass in den meisten Fällen meine Anstrengungen von Erfolg gekrönt waren." Zu Beginn der 60er Jahre entdeckte Professor Sheindlin das weite Feld der erneuerbaren Energiequellen, wie Geothermik, Wind, Sonne, Ton-Ölschiefer usw. Sein Name wird auf immer mit der experimentellen Forschung in bezug auf die thermophysischen Eigenschaften gewisser Substanzen bei sehr hohen Temperaturen und unter Druck verbunden sein. Professor A. Sheindlin gehörte zu den Pionieren, welche die Weiterleitung von Wärme und Elektrizität erfanden und die optischen und thermodynamischen Eigenschaften von Substanzen verbesserten, die den höchsten Temperaturen und Drücken ausgesetzt sind. Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten und Entdeckungen bilden heute die Grundlage der gesamten Definition thermophysischer Eigenschaften. Die energiespendende Ausrüstung, die in den Programmen der Weltraumforschung, im Weltraum selbst sowie bei bestimmten, unter besonderen Bedingungen auf der Erde durchgeführten Forschungsprojekten verwendet wird, beruht auf den Resultaten dieser Arbeiten. Im Verlaufe der Zeit hat Professor Sheindlin zahlreiche wissenschaftliche Vorhaben durchgeführt, die sich alle mit der Energiefrage befassten, er hat ausserdem viele Publikationen veröffentlicht, unzählige hochqualifizierte Wissenschaftler ausgebildet und ist zu einem der wichtigsten, angesehensten und meistrespektierten Wissenschaftler nicht nur der UdSSR, sondern auch der GUS und der westlichen Welt geworden. Mit der für ihn typischen Herzlichkeit wurden wir in der Datscha des Professors Sheindlin und seiner Frau empfangen.
Nach einem ausgezeichneten koscheren Mahl sassen wir um einen zu starken, zu heissen und zu süssen russischen Tee herum und diskutierten zahlreiche Themen; erst spät nachts führten wir mit dieser aussergewöhnlichen Persönlichkeit ein kurzes, aber intensives Interview durch.
Hinter seinen lakonischen, wenn nicht gar von der offiziellen Terminologie geprägten Worten versteckt sich eine reiche Lebenserfahrung, eine Existenz, in der eine gedrechselte Wendung oft die einzige Möglichkeit darstellte, einen tiefsinnigen und hellsichtigen Gedanken auszudrücken, in dem Scharfsinn, Realitätsbewusstsein und unerschütterliche Hoffnung zusammenflossen.


Wie sind Ihre Beziehungen zum Judentum ?

Ich wurde als Atheist erzogen, wie es in der UdSSR gar nicht anders möglich war. Ich empfinde jedoch sehr viel Achtung für das Judentum, das ich auch sehr bewundere. Die jüdische Religion verkörpert die Grundlage des Christentums und des Islams und hat zu Moral und Kultur auf dieser Welt sehr viel beigetragen. Es ist meiner Ansicht nach unnötig, den Wert und die Bedeutung der zehn Gebote für die Menschheit zu betonen. Wie stehen Sie zum Kommunismus ?

Es hätte ein schöner Traum sein können, doch die zu seiner Verwirklichung führenden Wege sind entsetzlich. Ich denke, dies ist heute den meisten Leuten bewusst geworden.


Wie war es einem Juden möglich, unter einem kommunistischen Regime, in dem der Antisemitismus des Staates allgegenwärtig war, Karriere zu machen und so viel zu erreichen ?

Die kommunistische Macht hat zwei Phasen gekannt. Die erste dauerte bis 1942-43 und wurde davon geprägt, dass es keine sogenannte "antinationale" Einschränkungen gab. Es existierte natürlich eine bestimmte Form des Antisemitismus, doch er entsprach demjenigen in anderen Ländern und war nicht institutionalisiert. Der staatliche Antisemitismus begann sich einige Jahre nach dem Anfang des Zweiten Weltkrieges zu entwickeln, und Stalin hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Während diesen Jahren "tolerierte" das Regime die fähigen und kreativen Fachleute, sogar wenn es Juden waren, insbesondere im Bereich der Wissenschaften und der Industrie. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Ich will gerne glauben, dass meine Tätigkeit auf meinem wissenschaftlichen Gebiet mit einem wohlwollenden Auge betrachtet und folgendermassen definiert wurde: "Obwohl er Jude ist, kann er uns nützen und verdient es daher, unterstützt zu werden." Den Rest habe ich durch sehr intensive und nie nachlassende persönliche Bemühungen erreicht. Es stimmt, dass es unzählige Schwierigkeiten gab, ich musste oft mit grosser Entschlossenheit verhandeln und viele Hindernisse bewältigen. Viele Probleme konnte ich dank ein wenig elementarer Diplomatie überwinden...


Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Position der Juden in Russland entwickeln ?

Wird in Russland eine echte Demokratie eingeführt, sieht die Zukunft der jüdischen Gemeinschaften und der anderen nationalen Minderheiten recht vielversprechend und sicher aus. Kommen jedoch die Kommunisten oder die Nationalisten an die Macht, sind die Zukunftsaussichten für diese Gemeinden eher düster.


Sie brauchen sehr oft das Wort "wenn". Wie, denken Sie, wird sich Russland weiterentwickeln ?

Ich hoffe wirklich, dass Russland den Weg der Demokratie einschlagen kann. In diesem Fall können die Schwierigkeiten der Übergangsphase, die wir gegenwärtig durchleben, in 5 bis 10 Jahren überwunden werden, falls die Machthaber dieses Landes ein klein wenig Talent an den Tag legen. Sollte sich dies verwirklichen, wird Russland zu einem wohlhabenden Staat, der mit der ganzen Welt bedeutende Beziehungen wird aufnehmen und pflegen können, was allen zugute kommen wird. Wenn diese positive Entwicklung jedoch nicht eintritt, müssen wir uns wohl auf innenpolitischer Ebene als auch in bezug auf unsere Beziehungen mit dem Rest der Welt auf einen Zusammenbruch vorbereiten. Meiner Ansicht nach wird Russland, dieses grosse und sehr reiche Land, auf lange Sicht diese Situation letztendlich erfolgreich meistern.



Offizielle, von Professor Alexander Sheindlin bekleidete Ämter:
Ehrendirektor (und Mitbegründer) des Instituts für hohe Temperaturen der Russischen Akademie der Wissenschaften; Berater des Ministers für Wissenschaft und Technologie der Russischen Föderation; Mitglied der Abteilung für Energie der Russischen Akademie der Wissenschaften; Präsident der Stiftung für wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen Russland-Israel; stellvertretender Präsident des Internationalen Energie-Clubs von Moskau; Generaldirektor der Gesellschaften "Independent Power Plants", "Heat and Power" und "Energy-saving-M"; Inhaber des Lehrstuhls für Physik der Hochtemperaturverfahren am Moskauer Institut für Physik und Technologie.

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