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Inhaltsangabe Erziehung Herbst 1997 - Tischri 5758

Editorial - Herbst 1997
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Rosch Haschanah 5758
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Dynamischere Übertragung des Judentums

Von Roland S. Süssmann
"Sind Sie fromm ?" Diese Frage besitzt für einen Christen nicht dieselbe Bedeutung wie für einen Juden. Das Wort "fromm" bezieht sich für einen Christen nämlich auf das eigentliche Glaubensbekenntnis, während es für den Juden hauptsächlich um die Tat geht, d.h. um die Ausübung der Religion: Die Betonung liegt in erster Linie auf der Handlung und nicht auf dem Denken, wie dies David im ersten Buch der Psalmen beschreibt: "Alle meine Gebeine sollen sagen: Herr, wer ist Dir gleich ?" Dies drückt kurzgefasst die Gesinnung aus, in welcher Rabbiner BENJAMIN BLECH in der zehnten Generation einer Rabbinerdynastie seine erzieherische Tätigkeit des Judentums in der ganzen Welt betreibt. Dieser Rabbiner hat sein Leben dem praktischen Unterricht und nicht dem abstrakten Studium des Judaismus gewidmet.

Seine über dreissigjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Lehre hat Rabbiner Blech in mehrere Werke einfliessen lassen, wobei das bedeutendste den Titel "Understanding Judaism - The Basics of Deed and Creed" trägt und übrigens auch auf Russisch übersetzt wurde. Er hält gegenwärtig Vorträge in der ganzen Welt.

Benjamin Blech ist vor allem im Rahmen der "James Striar School" der Yeshiva University von New York für seine bedeutende Lehrtätigkeit bei den Baaley Tschuvoth (diejenigen, die zur praktischen Ausübung der Religion zurückkehren) und bei den Juden bekannt, die ihr Land verlassen mussten und sich in den USA niederlassen konnten, wie beispielsweise unsere Glaubensbrüder aus dem Irak, Iran oder der ehemaligen UdSSR. In den meisten Fällen war ihnen kein jüdisches Studium auf hohem Niveau zugeteilt worden, so dass bei ihrer Integration in die entsprechenden Klassen der Universität, wo der Wissensstand in bezug auf jüdische Fragen sehr weitreichend ist, Schwierigkeiten auftraten. Rabbiner Blech ergänzte ihre mangelnden Kenntnisse und ermöglichte so ihre raschere Eingliederung.


Könnte man zusammenfassend sagen, dass Sie durch Ihre Tätigkeit versuchen, alles anziehend und interessant zu gestalten, was das Judentum an Wunderbarem und Positivem zu bieten hat ?

Es handelt sich dabei wirklich um einen der wichtigsten Aspekte bei der Vermittlung unserer Werte an diejenigen, die keinen Zugang dazu besassen oder sich ganz einfach nie dafür interessiert haben.


Wie kam es, dass Sie in dieses Abenteuer "hineinrutschten" ?

Zu einem gewissen Zeitpunkt wurde die pädagogische Welt der amerikanischen Juden mit einer neuen Situation konfrontiert. Zahlreiche Akademiker mit bemerkenswertem Niveau, Absolventen der berühmtesten Universitäten wie Harvard oder Yale, begannen nach ihrer jüdischen Identität, nach ihren Wurzeln zu suchen. Damals gab es keine Kurse, keinerlei Form des flexiblen und lebendigen Unterrichts, die ihnen erlaubt hätten, Antworten auf ihre Fragen zu finden. Der starre Rahmen der Jeschiwot, die strenge Lehre der Texte und Exegeten allein lieferten ihnen keine zufriedenstellenden Antworten. Ich unterrichtete an der Yeshiva University in New York, und der damalige Direktor Rabbiner Morris Besdin s.A. beauftragte mich, einen interessanten und lehrreichen Kurs für diese neue Kategorie von Schülern zu schaffen, die sich an uns wandte. Natürlich habe ich meinen Unterricht infolge der Kontakte und Fragen meiner Studenten verfeinert und immer effizienter und zielgerichteter gestaltet.


Ihre Lehre kam allerdings nur den Studenten zugute, die in Ihren Kursen sassen. Wann haben Sie beschlossen, Ihren Unterricht auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen ?

Neben den Studenten, die sich zur Erlangung einer akademischen Ausbildung an der Universität eingeschrieben hatten, wurden meine Kurse auch von einigen Gasthörern besucht, die in der Regel älter waren als die meisten Studenten. Eines Tages fiel mir ein ungefähr vierzigjähriger Mann auf. Am Ende des Kurses fragte ich ihn privat, aus welchen Gründen er an meinem Unterricht teilnehme. Es stellte sich heraus, dass er einer der bekanntesten Chirurgen von New York war. Er sagte mir: "In meiner Arbeit lerne ich täglich mehr über den menschlichen Körper, doch ich bin mir bewusst geworden, dass ich nur sehr wenig von der Seele weiss. Ich möchte erfahren, was meine Religion dazu lehrt." Trotz seines befrachteten Zeitplans machte er es möglich, während eines Jahres regelmässig meinem Unterricht beizuwohnen. Nach dem letzten Kurs kam er mit folgenden Worten zu mir: "Ich danke Ihnen für dieses Jahr und muss Ihnen sagen, dass ich Ihnen sehr böse bin !" Diese Anschuldigung verwirrte mich zutiefst. Ich fragte ihn, was er damit gemeint habe. Er antwortete: "Ihr Unterricht richtet sich nur an eine beschränkte Zuhörerschaft. Sie müssten ihn mehr Menschen zugänglich machen und ein Buch schreiben." Ich bin seinem Rat gefolgt und habe bei meiner Universität und in der Gemeinde Young Israel in Oceanside, New York, wo ich Rabbiner war, um ein Freijahr gebeten. So entstand mein erstes Buch "Understanding Judaism" nach ungefähr achtjähriger Lehrtätigkeit.


Wie wurde Ihr Buch aufgenommen ?

Die Vereinigung des orthodoxen Judentums in den Vereinigten Staaten verfügt seit zahlreichen Jahren über ein Einführungsprogramm in die hebräische Sprache, das die Kenntnisse für das Verständnis eines hebräischen Gottesdienstes in der Synagoge vermittelt. Diese Organisation hat mit mir Kontakt aufgenommen, denn sie wollte dieses Programm erweitern und den interessierten Schülern eine Einführung ins Judentum anbieten. Die Tatsache allein Hebräisch lesen zu können, reicht als Ansporn meist nicht aus, sein Wissen auch in bezug auf das Judentum auszudehnen. So haben wir sechs Videofilme und eine Arbeitsanleitung erarbeitet, damit jeder einem jüdischen Unterricht in seinem persönlichen Rhythmus und ganz zwanglos folgen konnte. Nach und nach haben sich Studiengruppen gebildet, um die Filme anzusehen und danach über das behandelte Thema zu diskutieren. Diese Klassen haben sich immer mehr entwickelt, und heute werde ich regelmässig in alle Welt, sogar nach Brasilien und in den Fernen Osten eingeladen, um Vorträge zu halten, einen Studienzyklus abzuschliessen oder auf Fragen zu antworten, die im Verlauf des Kurses aufgetreten sind.


In Ihrer Tätigkeit werden Sie täglich mit einem der grössten Probleme unserer Zeit konfrontiert, mit der Assimilierung. Ihr Buch und Ihre Vorträge wenden sich nicht nur an diejenigen, die sich mit ihren Wurzeln zu identifizieren suchen, sondern auch an jene, die von der Assimilierung angezogen werden. Die grossen jüdischen Vereinigungen der USA haben vor einigen Jahren ein Programm zugunsten der "Kontinuität des Judentums" gestartet. Welchen Platz haben Sie in dieser Aktion inne und wie reagiert die Gemeinschaft der amerikanischen Juden auf diesen Problemkreis ?

Wir stehen gegenwärtig vor einer sehr bedeutenden Entscheidung für die jüdische Geschichte. Zahlreiche Juden und darunter viele wohlhabende und einflussreiche Menschen sind auf der Suche nach einer Form der Spiritualität und wissen nicht, wo sie diese finden können. Leider ist die jüdische Welt polarisiert; eine weitverbreitete falsche Vorstellung lautet, alles Religiöse sei automatisch mit einer Form der strengen und obskuren Orthodoxie verbunden. Dies ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Doch der Gedanke, man könne gleichzeitig frommer Jude sein und dennoch über eine solide Ausbildung und über Weltoffenheit verfügen, hat sich noch nicht durchgesetzt. Vergessen wir nicht, dass der verstorbene Lubawitscher Rebbe eine akademische Ausbildung von höchstem Niveau besass. Wir leben heute in einer Gesellschaft, die auf beruflicher und finanzieller Ebene im allgemeinen sehr erfolgreich ist, die jedoch ahnt, dass dies letztendlich nicht ausreicht, dass etwas fehlt. Deshalb wurde der Name des "Kontinuitäts"-Programms letztes Jahr um den Zusatz "Spiritualität" erweitert. In diesem Rahmen erfüllen meine Tätigkeit, meine Bücher, Kassetten (18 je einstündige Lektionen), Videofilme und Vorträge eine Funktion, denn ich weiss, dass der Bedarf an kurzen, präzisen und richtigen Antworten sehr gross ist. Im Gegensatz zur Situation, die wir noch vor wenigen Jahren erlebten, sprechen diejenigen unter uns, die ihre jüdische Identität zu verstärken suchen, offen darüber und schämen sich nicht mehr ihrer Unwissenheit in diesem Bereich. Heute ist die aussergewöhnliche Zeit angebrochen, in der das jüdische Volk nach der Rückkehr in das Land von Eretz Israel sich wieder sich selbst und seinen Werten zuwendet. Natürlich ist die Assimilierung immer noch eine drohende Gefahr und nimmt ständig zu, doch es stimmt auch, dass sich ganz langsam und allmählich etwas verändert und dass ein neues Bewusstsein entstanden ist, die in der Suche nach der jüdischen Spiritualität sichtbar wird. Abschliessend möchte ich den verstorbenen Lubawitscher Rebben zitieren, der oft sagte: "Es gibt zwei Arten von Juden, die frommen und diejenigen, die es noch nicht sind." Lassen Sie mich diese Worte folgendermassen interpretieren: Es gibt heute Juden, die bereits einiges Wissen erlangt haben, sowie andere, die es erst noch erlangen werden. Wir können die Welt nicht verändern, doch wer das Privileg des Wissens besitzt, ist auch verpflichtet, dieses richtig zu vermitteln.

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