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Inhaltsangabe Russland Herbst 1997 - Tischri 5758

Editorial - Herbst 1997
    • Editorial

Rosch Haschanah 5758
    • Das Wesentliche

Politik
    • Fragen um den Libanon

Interview
    • Entschlossenheit und Realität
    • Rasch handeln

Analyse
    • Jahresrückblick

Judäa - Samaria - Gaza
    • Schomron - Samaria

Kunst und Kultur
    • Yiddischkeit
    • Feminismus und Orthodoxie

Russland
    • Jerusalem und Moskau
    • Juden in Russland
    • Wissenschaftliche Zusammenarbeit Russland-Israel
    • Neue Energie...
    • Referenz - Chronik - Erinnerung
    • Zwölf Millionen Bücher und massenhaft Schulen
    • Schule nummer 1621

Erziehung
    • Dynamischere Übertragung des Judentums

Porträt
    • Kalligraphie und Informatik

Reportage
    • Leben und leben lassen

Ethik und Judentum
    • Gefährliche Wette

Das gute Gedechtnis
    • Die Ereignisse des Monats Oktober

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Zwölf Millionen Bücher und massenhaft Schulen

Von Roland S. Süssmann
Stellen wir uns die Szene vor: ein Familienfest in Sankt Petersburg. Der Sohn des Grossrabbiners ist drei Jahre alt, und ihm werden gemäss einer chassidischen Tradition anlässlich eines kleines Festessens, an dem Familie und Freunde teilnehmen, zum ersten Mal in seinem Leben einige Haarsträhnen symbolisch abgeschnitten. Diese Feier, die auf Jiddisch "Oberschernisch", abgeleitet vom deutschen Wort "abscheren", heisst, spielt sich regelmässig überall dort auf der Welt ab, wo Chassidim leben. Das Ereignis ist also an sich nichts Besonderes. Aber an diesem Tag in Sankt Petersburg erhebt sich plötzlich eine alte, zahnlose Frau und beginnt auf Jiddisch zu reden. Sie erinnert sich!
Sie erinnert sich an den Grossvater des kleinen Jungen, der mit seiner Familie in Samarkand lebte, wo sie und ihre Familie herstammen. Dieser Grossvater, der heute so stolz ist, war damals einer von Tausenden von lokalen Beauftragten, den Abgesandten des Lubawitscher Rebben. Dieser hatte ein Netz von geheimen jüdischen Schulen, Synagogen und Studienhäusern gegründet. Mit Tränen in den Augen erinnerte sich die Alte daran, wie "der junge Mann" von damals heimlich in seinem Heim die Juden der Stadt versammelte, um ihnen einige Kenntnisse des Judentums und der hebräischen Sprache zu vermitteln. Sie erinnerte sich, wie dieser "junge Mann" heimlich von Haus zu Haus ging, um durch seinen Unterricht Hoffnung und Licht zu erwecken und den Reichtum des jüdischen Erbes weiterzugeben.
Dies ist eine der zahlreichen Anekdoten, die nicht in die Annalen der jüdischen Geschichte eingegangen sind, die jedoch von den "kleinen Bravourstückchen" berichten, dank denen das russische und sowjetische Judentum die Seele nicht vollständig verloren haben. Eine der jüdischen Organisationen, die heute wie zur Zeit, als in der UdSSR der Kommunismus hart und unerbittlich wütete, zu den aktivsten in Russland gehört, ist die Lubawitscher Bewegung, genannt Chabad. Sie besteht in vierzig Städten und Dörfern Russlands und unterhält sowohl in Moskau, als auch in Armenien oder in Sankt Petersburg eine Synagoge, eine Jeschiwah, eine Schule usw., je nachdem. Gegenwärtig beläuft sich ihr Budget für Russland auf zehn Millionen Dollar! In Moskau hat Chabad folgende Institutionen geschaffen: mehrere Synagogen, eine Jeschiwah, zwei Kindergärten, eine Schule mit 250 Schülern (sie gilt als die beste Moskaus in den weltlichen Fächern - die diplomierten Schulabgänger werden in den am schwersten zugänglichen Fakultäten Moskaus aufgenommen), ein Seminar für junge Mädchen, welche die Mittelschule der Lubawitscher Organisation absolviert haben und dort zu Pädagoginnen oder Juristinnen ausgebildet werden, ein Zentrum zur Förderung jüdischer Ehen, einen Business Club, in dem die einflussreichen Geschäftsleute zusammentreffen. Mit Hilfe all dieser Aktivitäten hofft Chabad, bei den russischen Juden ein Gefühl der Solidarität und der Zugehörigkeit zum gesamten jüdichen Volk entstehen zu lassen. Ebenfalls in Moskau hat der Rabbiner BERL LAZAR, ein italienischer Jude und seit vielen Jahren Abgesandter des Rabbiners in Russland, dieses Jahr zu Pessach eine Plakat-, Presse und Radiokampagne organisiert, in welcher die Juden informiert und dazu aufgefordert wurden, Matza zu kaufen: in der russischen Hauptstadt wurden hundert Tonnen des ungesäuerten Brotes, Symbol der Freiheit, verkauft ! Seine Aktivität führt er mit Hilfe eines Teams von dreissig Familien, zum Grösstenteil nach Israel ausgewanderten und nach Russland "im Sonderauftrag" zurückgekehrten Juden. Die Aktion wendet sich an alle, die denken, sie seien Juden oder besässen - selbst entfernte - Verbindungen mit dem jüdichen Volk. Rabbiner Lazar hat sich bewusst dazu entschlossen, sich mit ehemaligen russischen Juden zu umgeben, denn aufgrund ihrer perfekten Kenntnisse der Sprache und der Mentalität, verstehen sie es, das Interesse der einheimischen Juden zu wecken. Sämtliche von Lubawitsch in Russland durchgeführte Operationen gehen von einer machtvollen und richtungsangebenden Grundidee aus, die von Rabbi Berl Lazar in diesen Worten zusammengefasst wird: "Erstens denken wir, dass es in Russland sehr viel mehr Juden gibt, als die offiziellen Schätzungen angeben. Zweitens glauben wir, ungeachtet der politischen Entwicklung und der Instabilität, die übrigens täglich zurückgeht, dass die jüdische Gemeinschaft hier eine bedeutende Zukunft besitzt. Die russischen Juden werden zum grössten Teil - egal, was passiert - das Land nicht verlassen. Es ist an uns alles bereitzustellen, damit sie sich als verantwortungsbewusste Mitglieder und aktiven Teil der grossen jüdischen Familie fühlen. Wir sind mit dieser Herausforderung konfrontiert und setzen alles in unserer Macht Stehende ein, um erfolgreich zu sein."
Zur Veranschaulichung der Aktivitäten von Chabad in Russland und in den Ländern der ehemaligen UdSSR haben wir die "Schule Nr. 224" in Sankt Petersburg besucht. Die Stadt zählt vier jüdische Schulen: ein nichtreligiöses Institut des israelisch-weltlichen Typs, eine zur Gruppe "Reschet Or Avner" gehörende Primarschule, die "Schule Nr. 224" und eine kleine Privatschule für 60 Jungen, die von Zeew Wolfson aus New York gegründet und finanziert wird, um Schüler auszubilden, die später die ultra-orthodoxen Jeschiwoth in Israel besuchen werden. Die Besonderheit der "Schule Nr. 224" liegt in erster Linie in der Einstellung, mit der sie vor sieben Jahren von Professor Herman Branover gegründet wurde. Im Jahr 1989 glaubte niemand an die Möglichkeit, in der UdSSR eine offizielle jüdische Schule ins Leben zu rufen. Die Schule "Nr. 224" ist demnach die älteste offizielle jüdische Schule der ehemaligen UdSSR und soll als Modell bei der Gründung anderer jüdischer Schulen im ganzen Land dienen; dies ist wunderbar gelungen, da es heute in Russland ungefähr dreissig von ihnen gibt. Damals war das Projekt von den lokalen Behörden sehr positiv aufgenommen worden, die sich für die Eröffnung und den Erfolg der Schule sehr einsetzten. Man darf nicht vergessen, dass 1989 die Entscheidung, ihre Kinder in eine jüdische Schule zu schicken, den russischen Eltern nicht leicht fiel. Obwohl einige die Gelegenheit ergriffen, ihren Kindern die jüdische Ausbildung zu verleihen, die sie selbst nicht geniessen konnten, haben sich andere nur aufgrund der dort herrschenden gesunden Atmosphäre für sie entschlossen. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat sich in den staatlichen Schulen nämlich eine gewisse Nachsichtigkeit breitgemacht (Tabak, Drogen usw.), was in den jüdischen Schulen nicht der Fall ist. Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Motiv sind die zwei täglichen Mahlzeiten, die für viele Eltern mit einer prekären finanziellen Situation Anlass genug sind, ihre Kinder hierher zu schicken. Es muss betont werden, dass die Schule gratis ist und vom Staat nicht subventioniert wird, da sie insbesondere aufgrund des religiösen Programms vollkommen unabhängig bleiben wollte.
Die Schule, die von MARK MORDECHAI GRUBERG (auch Präsident der jüdischen Gemeinde von Sankt Petersburg) geleitet wird, der seine Laufbahn als Physiker bewusst aufgegeben hat, um sich der Leitung der Schule zu widmen, zählt heute 150 Schüler aus einem sehr heterogenen Umfeld auf Primar- und Sekundarstufe. 100% der Schüler, die sich auf die russische Maturität vorbereiteten, haben sie im Verlauf der Jahre erfolgreich bestanden, obwohl 20% der Lernzeit dem Unterricht in Hebräisch und den jüdischen Fächern gewidmet sind (drei Wochenstunden Hebräisch, drei Stunden Torah und zwei Stunden jüdische Geschichte). Die Schule bereitet mit einem besonderen Programm auf die Bar- und Bat-Mitzwah vor, die regelmässig in der Grossen Synagoge von Sankt Petersburg gefeiert werden. Es werden nur Kinder von authentischen jüdischen Müttern aufgenommen, die Schule wird gemischt geführt, obwohl bestimmte Klassen nach Möglichkeit ab dem 14. Lebensjahr aufgeteilt werden. Zum Schulbeginn 1997 wurde ein Koordinationsprogramm zwischen der "Schule Nr. 224" und einer der vier anderen jüdischen Schulen von Sankt Petersburg - derjenigen, die vom Grossrabbiner der Stadt, Menachem-Mendel Pewzner, geleitet wird - eingeführt, auch wenn jede der beiden Institutionen in ihren gegenwärtigen Räumlichkeiten verbleibt. Diese reine Primarschule mit ca. hundert Schülern gehört der Organisation "Reschet Or Avner" an, die in ganz Russland schulische Etablissements gegründet hat.
Die "Schule Nr. 224" wird vollumfänglich von der unabhängigen Organisation "SHAMIR" finanziert, "Schomre Mitsvoth Yehudeï Russia" (siehe Shalom Vol. VIII), die vom Luwabitscher Rebben gegründet wurde und von Professor Branover geleitet wird. "Shamir" ist der weltweit grösste Verlag für ins Russisch übersetzte und vertriebene jüdische Bücher, da er im Verlauf der letzten zehn Jahre fast 12 Millionen jüdische Bücher verteilt hat ! Die einzigen jüdischen Bücher, die man in Russland findet, seien es Gebetssammlungen oder die grossen Klassiker der jüdischen Literatur, werden von "Shamir" hergestellt und nicht nur in Russland, sondern auch dort vertrieben, wo zahlreiche russische Juden leben: in Israel, Kanada, in den USA und in Australien.

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