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Inhaltsangabe Russland Herbst 1997 - Tischri 5758

Editorial - Herbst 1997
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Rosch Haschanah 5758
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Jerusalem und Moskau

Von Roland S. Süssmann
Es ist für uns Tradition, in jedem Land, das wir bereisen, mit dem dort lebenden israelischen Botschafter zusammenzutreffen, um uns von ihm die Art der Beziehungen und Verbindungen zwischen dem jüdischen Staat und seinem Aufenthaltsland erklären zu lassen. Unsere Reise führte uns diesmal nach Moskau, wo wir sehr herzlich von S.E. Frau ALIZA SCHENHAR empfangen wurden, die seit drei Jahren als israelische Botschafterin in Russland tätig ist.


Können Sie uns in wenigen Worten die chronologische Entwicklung der diplomatischen Beziehungen zwischen der ehemaligen UdSSR, dem heutigen Russland und Israel erläutern ?

Die diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und Israel waren während über zwanzig Jahren unterbrochen. In unserer Eigenschaft als Juden und unverbesserliche Optimisten hatten wir unsere Botschaft zwar geschlossen, zahlten aber weiterhin die Miete, für den Tag... Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist dieser Tag endlich gekommen, und ab diesem Zeitpunkt wurden auch wieder normale diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufgenommen.
Was mich bei meiner Ankunft in Moskau besonders frappiert hat, ist die Vorstellung, die man sich von Israel macht, und die aus einer Mischung von Furcht und Bewunderung besteht. Das Image unseres Landes war dasjenige einer bedeutenden, direkt mit den Vereinigten Staaten verbundenen Macht, wobei die USA den grossen und Israel den kleinen, aber doch allgegenwärtigen Satan verkörperten. Anlässlich meiner ersten Gespräche fragte ich meine russischen Gesprächspartner, wie hoch sie die Bevölkerung Israels einschätzten, und erhielt immer dieselbe Antwort: "Im Vergleich zu Russland ist es nur ein kleines Land, dessen Bevölkerung 20 bis 30 Millionen Einwohner bestimmt nicht übersteigt." Seither hatten die Russen Gelegenheit, uns besser kennenzulernen, und ich darf behaupten, dass wir bis heute normale bilaterale Beziehungen haben aufbauen können, die sich sowohl aus kommerzieller als auch aus kultureller Sicht stetig verbessern.


Glauben Sie, dass bereits heute ein Klima des gegenseitigen Vertrauens geschaffen werden konnte ?

Das beidseitige Misstrauen besteht weiterhin, insbesondere im Hinblick auf die jüdischen Fragen. Trotz aller Offenheit und der extrem positiven Entwicklung, die wir täglich feststellen können, befinden wir uns immer wieder in Situationen, die Erinnerungen an eine unangenehme, noch nicht weit zurückliegende Epoche aufsteigen lassen. Man darf nicht vergessen, dass Russland zum ersten Mal in seiner Geschichte eine bestimmte Art von Demokratie erlebt. Wir verfolgen die Wiedergeburt einer Nation, des Staates, der Gesellschaft und des jüdischen Lebens. Es handelt sich um einen langsamen Vorgang, der nicht ohne gelegentliche Erschütterungen erfolgen kann.


Trotz der verbesserten Beziehungen zu Israel kann nicht geleugnet werden, dass die ehemalige UdSSR ein sehr enges und freundschaftliches Verhältnis zur arabischen Welt und zu Terroristenorganisationen wie der PLO pflegte. Heute ist Russland im nuklearen Bereich aktiv an einer Zusammenarbeit mit dem Iran beteiligt. Wie können diese Tatsachen mit den sich entwickelnden Beziehungen zu Israel vereinbart werden ?

Es muss betont werden, dass Russland heute, wie zur Zeit der UdSSR, aktiv am Friedensprozess mitwirkt. Michail Gorbatschow nahm 1991 an der Madrider Konferenz teil. Den Russen liegt viel an ihrer Präsenz und einer wichtigen Rolle auf dem Spielfeld des Nahen Ostens. Als Primakof sein Amt als Aussenminister antrat, wurden die Beziehungen zwischen Russland, Iran, Irak und Syrien wieder verstärkt. Konkret kam dies durch die Lieferung eines Atomreaktors für den Iran, von Raketen für Syrien und einer soliden politischen Unterstützung für den Irak zum Ausdruck, um die in diesem Zusammenhang in der UNO gefassten Sanktionen zu mildern. Auch wenn sich diese Entscheidungen auf den ersten Blick nicht gegen Israel, sondern vielmehr gegen die Vereinigten Staaten richten, wird letztendlich wohl Israel die teure Rechnung begleichen müssen.


Was unternehmen Sie, um dieser insgesamt eher gefährlichen und für Israel negativen Entwicklung entgegenzuwirken ?

Wir setzen alles daran, Russland davon zu überzeugen, dass der Einsatz der gelieferten konventionellen oder nicht-konventionellen Waffen durch Iran nicht nur den Mittleren Osten, sondern auch Russland direkt betreffen wird, da es ein unmittelbarer Nachbar von Iran ist. Sollte Iran ausserdem beginnen, die "islamische Revolution" nach Russland zu exportieren, würde die gesamte russische Nation darunter leiden. Wie Sie wissen, sind die Russen sehr kultivierte und intelligente Menschen, sie begreifen schnell und die Botschaft ist wohl verstanden worden. Doch hier geschieht alles mit unglaublicher Langsamkeit und Schwerfälligkeit. Darüber hinaus verlangt eine festverankerte Tradition, dass jede Behauptung bewiesen und belegt wird. Jeder Schritt muss von einem Dokument begleitet werden, was der Entwicklung der Mentalitäten oder einer veränderten Einstellung nicht immer förderlich ist. Lassen wir nicht ausser acht, dass Russland eine lange Zeit der Isolation hinter sich hat, in deren Verlauf jahrelang die Vorstellung von einer feindlich gesinnten Welt genährt wurde. In dieser Hinsicht findet ganz, ganz langsam und allmählich eine grundlegende Veränderung statt. Dieser Prozess wird durch die Tatsache erleichtert, dass wir in einer sich verändernden Welt leben und dass die junge Generation die Öffnung und Modernisierung vorantreiben möchte.


Können Sie in Ihren Kontakten mit der politischen und diplomatischen Welt immer noch eine anti-israelische, wenn nicht gar antisemitische Einstellung feststellen, und falls ja, wie drückt sich diese konkret aus ?

Wir müssen zwischen der Regierung und dem Parlament, der Duma, ganz deutlich unterscheiden. Die bedeutendste Partei des Parlaments ist die kommunistische Partei, die uns gegenüber keine Sympathie hegt. Anlässlich der diesjährigen Veranstaltungen zum 1.Mai konnte man übrigens zahlreiche anti-israelische und antijüdische Spruchbänder sehen. Die Tatsache allein, Kontakte oder Beziehungen zu kommunistischen Abgeordneten zu knüpfen, hat sich für unsere Diplomaten als äusserst schwierig herausgestellt. Offiziell und auf dem Papier werden unsere Beziehungen als hervorragend bezeichnet, doch die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Auf Regierungs- und Präsidentschaftsebene stehen die Dinge anders, schon nur aufgrund der Tatsache, dass viele Minister, Regierungsmitglieder und Vertraute von Boris Jelzin Juden sind. Darüber hinaus verbessert die zahlreiche russische Bevölkerung in Israel in gewisser Hinsicht das Ansehen Israels in Regierungskreisen, die davon ausgehen, dass sie in Israel massiv vertreten sind.


Denken Sie, dass man Russland heute immer noch als Supermacht bezeichnen könnte ?

Das Land ist riesig und verfügt über unermessliche natürliche Ressourcen. Auch wenn Russland auf internationaler Ebene ein wenig an Einfluss verloren hat, besteht kein Zweifel daran, dass es auf lange Sicht wieder zu einer Supermacht werden wird. Zum ersten Mal in seiner Geschichte gibt es hier eine Mittelschicht; gleichzeitig ist sich die Jugend bewusst geworden, dass die Zukunft in ihren Händen liegt, sie ist sehr dynamisch und will unbedingt Erfolg haben. Die Verbindung all dieser Elemente führt dazu, dass die Zukunft trotz zahlreicher Schwierigkeiten sehr vielversprechend aussieht.


Man geht im allgemeinen davon aus, dass ein israelischer Botschafter nicht nur zu den offiziellen Organen des Landes abgesandt wird, wo er im Amt ist, sondern auch eine Mission bei der jüdischen Gemeinde zu erfüllen hat. In Russland besitzt dieser Teil Ihrer Aufgabe einen besonderen Anstrich. Wie werden Sie Ihrer Aufgabe gerecht ?

Ein Grossteil der russischen Juden, die sich in Israel niedergelassen haben, gehörten der Intelligenzia an, und diese Bereicherung ist im Leben Israels auf allen Niveaus spürbar. Bei jeder meiner offiziellen Reisen in die verschiedenen Städte Russlands, sei es in Sankt Petersburg oder in einer kleinen Ortschaft Sibiriens, lege ich grössten Wert darauf, die Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft, und nicht nur ihre offiziellen Vertreter, zu treffen. Jedesmal verkörpert der Empfang, der mir bereitet wird, ein sowohl bewegendes als auch unvergessliches Erlebnis. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich von meiner Reise nach Perm berichten. Die Synagoge ist alt und wird nur selten besucht, so dass das Erdgeschoss an eine Bank vermietet wurde, die das gesamte Gebäude renoviert hat. Heute steht in Perm eine herrlich renovierte alte Synagoge, die im Erdgeschoss diverse Bankschalter und auf den drei oberen Stockwerken einen Kultusort und ein Gemeindezentrum beherbergt. Diese Kombination ist typisch für Russland und sehr erfolgreich. Ich bin eines Sonntags hingegangen, und Tausende von Menschen, die in ihrem ganzen Leben noch nie einen Botschafter gesehen hatten, standen in der Halle, lachten, weinten und sangen gleichzeitig "Am Israel Chai !" (Das jüdische Volk lebt !). Danach habe ich den Talmud Torah besucht, wo all diese Knirpse Hebräisch lesen und studieren. Man muss sich des Umfangs des Phänomens bewusst sein, mit dem ich konfrontiert wurde. Ich lernte eine jüdische Gemeinschaft kennen, die in vollständiger Isolation gelebt hatte, der es verboten war, ihr Judentum auszuleben, so dass viele Mitglieder ihren Namen aufzugeben gezwungen waren. Und nun standen diese Menschen vor der israelischen Botschafterin und wurden von einem Gefühl der Gemeinschaft erfüllt, als ob sie ihren Glauben während der gesamten kommunistischen Ära ohne Einschränkungen hätten ausleben können ! Trotz allem zögern viele Juden immer noch, oder lehnen es gar ab, sich zu ihrer jüdischen Identität zu bekennen, denn die Situation in Russland ist immer nocht sehr ungewiss; viele von ihnen fürchten erneute Repressionen oder Pogrome. Dazu muss ich betonen, wie wichtig die Gründung einer Vereinigung der Juden Russlands war. Das offizielle Erklingen der Stimme des russischen Judentums über eine Institution, die sich aus sehr einflussreichen Geschäftsleuten zusammensetzt, stellt schon allein etwas sehr Wichtiges dar. Die Situation der jüdischen Gemeinschaft hier ist nicht einfach, sie strotzt vor Widersprüchen und erfährt grosse Umwälzungen. Natürlich wird sie mit einer gewissen Form des Antisemitismus insbesondere nationalistischer Ausrichtung konfrontiert, der trotz allem insbesondere in der Presse recht aktiv ist. Doch der staatliche Antisemitismus ist verschwunden und es werden nur noch wenige typische oder gewalttätige antisemitische Ausschreitungen festgestellt.


Wie sehen Sie die Entwicklung der jüdisch-russischen Beziehungen ? Hat sich seit dem Besuch des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu etwas verändert ?

Seit diesem offiziellen Besuch im März dieses Jahres, in deren Verlauf unser Ministerpräsident die Wichtigkeit Russlands für Israel unterstrich und seinem Wunsch Ausdruck gab, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu verstärken, habe ich auf Regierungsebene eine veränderte Einstellung uns gegenüber wahrgenommen. Es wurden eine Reihe von konkreten Zusammenarbeitsprojekten, vor allem im wissenschaftlichen Bereich, entwickelt. So werden wir beispielsweise ein russisches Flugzeug vollständig modernisieren, bei dem nur noch der Rumpf russisch sein wird, da der Rest durch israelische Bauteile und Technologie ersetzt wird. Es handelt sich um ein Militärflugzeug, das anschliessend an einen .... potentiellen Kunden verkauft wird. Die Zustimmung zu diesem Projekt konnte dank dem Besuch unseres Ministerpräsidenten erreicht werden. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Reise unseres Industrie- und Handelsministers Nathan Scharansky ein sehr grosser Erfolg war. Eine Reihe von gemeinsamen technischen Projekten werden in der Folge verwirklicht werden, bei denen das wissenschaftliche Know-how der beiden Länder zum Tragen kommt, ungeachtet der Schwerfälligkeit des Systems und der Schwierigkeit, hier Geschäfte zu betreiben.


Sie sind keine Karrierediplomatin, sondern eine Universitätsprofessorin, die sich auf jüdisches Volksgut und jüdische Studien spezialisiert hatte. Sie waren jahrelang Rektorin der Universität von Haifa und haben diesen Posten in Moskau auf Ansuchen von Schimon Peres angenommen. Meine letzte Frage richtet sich demnach nicht an die Diplomatin, sondern an die Professorin für jüdisches Volksgut. Es gibt zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen der israelischen und russischen Folklore, vor allem auf musikalischer Ebene. Verbirgt sich hier nicht eine beiden Völkern eigene Quelle für Ausdruck, Einstellung, Geschichte und Mentalität, welche den Austausch erleichtern und die Beziehungen fördern könnte ?

Wir stehen uns kulturell tatsächlich sehr nahe, wir singen dieselben Lieder und besitzen viel Gemeinsames. Aufgrund meiner Ausbildung und dieser Ähnlichkeiten, die uns verbinden, habe ich übrigens diesen Posten in Russland angenommen. Ich dachte, dass ich mit meiner Spezialisierung und unter Verwendung dieser gemeinsamen kulturellen Sprache dazu beitragen könnte, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu verbessern. Es war für mich eine Herausforderung, die schon mit dem Erlernen der russischen Sprache begann.

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