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Jüdische Geschichte östlich des Jordans


Von Zeev H. Erlich
Die Gegend östlich des Jordans bietet dem jüdischen Touristen eine Reihe von spannenden Sehenswürdigkeiten. Die Region ist allerdings durch ein Paradox geprägt. Einerseits gab es hier über 1'000 Jahre lang keine jüdischen Einwohner, obwohl in allen angrenzenden Ländern, d.h. im Libanon, in Syrien und in Ägypten, während dieser gesamten Zeitspanne Juden lebten und erfolgreich waren. Andererseits gibt es in der Region östlich des Jordans unzählige Orte, die eng mit der frühen jüdischen Geschichte verknüpft sind und hier viel zahlreicher vorhanden sind als in anderen Ländern. Im Folgenden zählen wir einige von ihnen auf, auch wenn die Liste natürlich nicht vollständig ist.


Der Berg Nebo und Hor Ha-Har
Ich habe schon vielen Gruppen jüdischer und/oder israelischer Touristen im Osten des Jordans als Reiseführer gedient, darunter waren jüngere und ältere Leute, fromme und nicht praktizierende Menschen: Sie alle waren beim Besuch auf dem Berg Nebo östlich von Jericho extrem bewegt. Dabei gibt es dort überhaupt keine Relikte mehr aus der Zeit von Moses und der Besucher sieht nichts als eine Kirche, Mosaiken und eine erzene Schlange auf einem Pfahl, dies alles natürlich jüngeren Datums und ohne den geringsten Bezug zu Moses. Doch das Wissen, auf demselben Boden zu gehen wie damals der grösste Prophet Israels, geht jedem jüdischen Besucher sehr nahe. Von diesem Gipfel aus liess er seinen Blick über das Gelobte Land schweifen, in das er die Kinder Israels auf einer 40-jährigen Reise führte und das er, wie man weiss, selbst nie betrat. Der Besucher kommt auch nicht umhin daran zu denken, wie problemlos man nun den Jordan überquert und sich heute am Ostufer aufhält, um morgen ans Westufer zu wechseln!
Die eindrücklichste Sehenswürdigkeit im Königreich Jordanien ist zweifellos Petra mit seinen monumentalen, direkt in den Felsen gehauenen Fassaden. Der Schnittpunkt mit der jüdischen Geschichte besteht aus der Tatsache, dass das Volk der Nabatäer, dessen Hauptstadt Petra war, sich zur Zeit der bedeutenden Epoche des Zweiten Tempels ebenfalls auf ihrem zivilisatorischen Höhepunkt befand. Etwas anderes ist hier aber ebenfalls von Interesse für jüdische Reisende, ein bescheidenes Grab innerhalb eines muslimischen Baus, der über zwei ehemaligen Kirchen errichtet wurde, wobei die eine aus der Epoche der Kreuzzüge, die andere aus byzantinischer Zeit stammt: das Grabmal des Hohepriesters Aaron. Erklimmt man zu Fuss oder auf dem Eselsrücken die kleine Anhöhe, um zur schlichten Grabstätte und zur darunter liegenden Höhle zu gelangen, sieht man vor seinem inneren Auge, wie der Priester Aaron die Hebräer an der Seite seines Bruders Moses anführt und selbst das Gelobte Land auch nicht betreten durfte. Der Tag, an dem Aaron starb, der 1. des Monats Av, ist der einzige Todestag, der in der gesamten Bibel erwähnt wird.


Das Jordantal
Im Osten des Flusses erstreckt sich von Norden nach Süden ein lang gestrecktes Tal, eine Art Zwillingsbruder des Tals westlich des Jordans. Es beginnt mit dem Fluss Jarmuk, der die Berge von Gilead im Süden auf jordanischem Boden von den Golanhöhen im Norden auf israelischem Staatsgebiet trennt. Weiter unten im Süden liegt das Dorf Wadi Yabes, wo sich auf einem Hügel die Ruinen der Stadt Yawesch Gilead befinden. Die Einwohner dieser Stadt wurden im Krieg gegen den König von Amon durch König Saul gerettet. Als Saul von den Philistern getötet wird, hängen sie seinen Leichnam und die Leichen seiner drei Söhne an der Mauer von Beth Schean westlich des Jordans auf. Die Einwohner von Yawesch Gilead unternehmen daraufhin nachts einen langen Marsch, um die toten Körper von Saul und seinen Söhnen loszubinden; sie tragen sie in derselben Nacht in ihre Stadt zurück, um sie dort mit allen Ehren zu bestatten.
Im Süden liegt die Stadt Tsafon (Amato oder Tel Hamma), die im Krieg von Jephte gegen die Einwohner von Amon erwähnt wird. Noch weiter südlich stösst man gegenüber vom Grenzkontrollposten Adam auf Tel Der Alla. Der Talmud von Jerusalem setzt diesen Ort in Verbindung zur Stadt Sukkot, die anlässlich der Rückreise von Jakob genannt wird, als er aus Haran ins Land Kanaan heimkehrt. An diesem Ort wurden zahlreiche Kupferfragmente entdeckt, die zweifellos auf das von König Salomon angeordnete Einschmelzen von Gegenständen aus Kupfer zugunsten des Ersten Tempels zurückgehen.
Setzt man die Reise in den Süden fort, entdeckt man die kleine Stadt Karame, die im März 1968, kurz nach dem Sechstagekrieg, das Ziel einer bedeutenden Operation von Tsahal gegen jordanische Terroristen und die jordanische Armee war. Die beiden südlicheren Ortschaften Schunet-Nimrin und Qufrein waren früher die Städte der Stämme von Ruben, Nimra und Beth Haran. Die Quellen von Qalihori entspringen an den Ufern des Toten Meeres, König Herodes soll in ihrem Wasser mit heilenden Eigenschaften gebadet haben, als er kurz vor seinem Tod nach Jericho reiste. Der Fluss Arnon ergiesst sich ungefähr in der Mitte ins Tote Meer und trennt die beiden Teile der Region von Moab. Etwas weiter im Süden befindet sich das Dorf Safi, das man meist mit der Stadt Tsohar in Verbindung bringt, in die Lot und seine Töchter nach der Zerstörung von Sodom flüchteten. In den letzten Jahren wurden hier zahlreiche Gräber von jüdischen Pilgern aus dem 3. und 4. Jahrhundert ausgegraben, als es ihnen noch verwehrt war, Jerusalem zu betreten. Im Zentrum der Arava-Senke kann man die Überreste der Stadt Funon besichtigen, eine der Stationen unserer Vorfahren auf ihrem langen Marsch aus Ägypten in das Land Kanaan. In grosser Entfernung dazu liegt ganz im Süden die Stadt Aqaba, in deren Nähe der ehemalige, von König Salomon erbaute Hafen Etsion-Gaver zu sehen ist.


Der östliche Bergkamm
Östlich des Jordantals erstreckt sich die grosse Gebirgskette, die im Norden mit dem Berg Hermon beginnt und im Süden auf der arabischen Halbinsel endet. Das im Norden liegende Dorf Um-Kais umfasst zahlreiche Überreste der römischen Stadt Gadara. Hadrian besuchte sie vor der Unterdrückung des Aufstands von Bar-Kochba; hier residierten auch Rabbiner Meïr und sein Schüler Rabbi Schimon ben Elazar. Im Traktat Eruvin aus dem Talmud von Babylon kann man eine spannende Diskussion über halachische Fragen im Zusammenhang mit dieser Region nachlesen: Darf man an Schabbat zu Fuss aus der Stadt in das kleine Dorf El-Hamma in der Nähe des Jordans hinuntersteigen, wo sich natürliche Warmwasserthermen befinden, oder aus dem Dorf in die Stadt hoch steigen?
Neben den Ruinen der alten Stadt Um Djimal gab es nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 ein Lager für israelische Gefangene. Eine Pipeline verläuft entlang der nach Osten in den Irak führenden Strasse von Kirkuk zum Hafen von Haifa, wird heute aber nicht mehr genutzt. Sie wird erst in besseren Tagen, wenn wieder Frieden herrscht, den Betrieb wieder aufnehmen?
Die Stadt Djarasch befindet sich an dem Ort, wo das römische Gerasa stand, gemäss anderen Quellen soll hier auch der biblische Zufluchtsort Ramot-Gilad gewesen sein. Hier kann man eindrückliche römische Ruinen besichtigen. Unter einer Kirche versteckt sich eine Synagoge, die mit herrlichen Mosaiken verziert ist, Darstellungen von Tieren und von zwei Söhnen Noahs. Das Bild zeigt zweifellos das Verlassen der Arche Noah. Weiter im Süden fliesst der Yaboq, den einst der Patriarch Jakob überschritt. An dieser Stelle teilte er sein Lager aus Furcht vor seinem Bruder Esau auf, hier fand auch der Kampf mit dem Engel statt, nach dessen Ende er den Namen Israel erhielt.
Die Hauptstadt des Königreichs Jordanien heisst Rabat-Amon oder Amman. Auf einem breiten Hügel liegen die Überreste der gleichnamigen Stadt aus der Zeit von Moses und von David. König David sandte den Hethiter Urijah zum Kampf an diesem Ort, und als dieser in der Schlacht fiel, heiratete er dessen Frau Bat-Schewah.
Im kleinen Museum am obersten Punkt dieser Ruinenstadt können mehrere bedeutende archäologische Funde besichtigt werden. Unter ihnen auch eine Inschrift in einer alten hebräischen Schrift, zweifellos in Midianitisch, die lautet: "Balaam bar Be'or, Seher und Mann G'ttes?". Es handelt sich eventuell um denselben Balaam, der in der Bibel erwähnt wird und Israel segnet, obwohl er es eigentlich hätte verfluchen sollen.
Im Westen von Amman liegen die Ruinen des riesigen Palastes Qasr El-Abed aus der Zeit der Hasmonäer oder vielleicht sogar aus einer früheren Epoche. Er war das Zentrum der "Söhne von Tuvia", einer begüterten jüdischen Familie, die unter hellenischer Vorherrschaft und schon früher unter den Persern über den östlichen Teil des Jordans regierte. Diese Familie baute ihren Palast inmitten eines riesigen Wasserbeckens. Da sich das Gebäude im Wasser spiegelte, wirkte der zweistöckige Palast doppelt so hoch. Etwas weiter im Norden befinden sich geheime Höhlen, die der Familie Tuvia später als Grabstätte dienten. Der Name Tuvia ist an den Eingängen in einer Schrift eingraviert, die eine Übergangsform zwischen der alten hebräischen Schrift und der heutigen darstellt.
Südlich von Amman führt die Strasse an Heschbon vorbei, der Hauptstadt von Sichon, dem König der Amoräer, an der Grenze zwischen Amon und Moab und zwischen den Stämmen von Gad und Ruben. Die Überreste des Mosaikbodens einer byzantinischen Kirche werden in Madaba aufbewahrt, der Stadt des Stammes von Ruben. Dieses Mosaik zeigt das Land Israel gemäss der Beschreibung in der Bibel. Es sind ebenfalls Verse in der Übersetzung der Septuaginta und Zitate von Eusebius, Bischof von Caesarea im 4. Jahrhundert, zu entziffern, in denen man den Einfluss seines Zeitgenossen Rabbi Abbahu erkennt, des jüdischen Oberhauptes von Caesarea und Israel.
Die Ruinen einer römischen Stadt, deren damaliger Name nicht überliefert ist, liegen im Süden von Madaba. Auf Arabisch heisst der Ort Um Rasas. Auf den Mosaiken einer dort befindlichen Kirche sind die Beschreibungen von zehn ägyptischen Städten, von sieben Städten östlich des Jordans und von acht Ortschaften im westlichen Teil von Israel zu sehen. Im Dorf Maayan wurde auch ein Mosaikboden entdeckt, auf dem die Städte dieser Gegend beschrieben sind. Die gehäuft auftretenden geografischen Beschreibungen auf Mosaiken in dieser Region weckten die Neugier der Archäologen. Einige erklären dieses Phänomen mit der Nähe zum Berg Nebo, von wo Moses das Gelobte Land betrachten konnte, das in der Bibel gemäss den verschiedenen Regionen beschrieben wird.
Reist man weiter in den Süden, kommt man zum imposanten Nachal Arnon: Der Strom ist hier 1'000 Meter tief und 8 bis 10 Kilometer breit! Einige Kilometer östlich weist der Fluss in der Nähe des Toten Meeres nur noch eine Tiefe von 100 Metern oder gar weniger auf, seine Breite reduziert sich auf wenige Meter. Am Nachal Arnon ereignete sich einmal ein wahres Wunder: Die Bewohner des Landes, die Amoräer, hatten sich in den Höhlen und Spalten der Schluchten am Flussbett versteckt und wollten die Kinder Israels aus dem Hinterhalt angreifen. Als sich diese näherten, schlossen sich beide Ufer, die Felsen der einen Seite drangen in die Höhlen der gegenüberliegenden Seite ein und töteten so die Amoräer. Die Kinder Israels bekamen vom Wunder allerdings nicht viel mit. Sie erfuhren erst am "Brunnen von Mirjam" davon, weil sich das Wasser vom Blut der Amoräer rot färbte. In der Mischnah heisst es: "Wer einen Ort sieht, an dem ein Wunder für Israel geschah, z.B. der Durchzug durch das Rote Meer, die Überschreitung des Jordans und des Nachal Arnon, soll sich in Lobpreisungen des Herrn ergehen."
Unter den Dörfern von Moab befindet sich auch Rabba, oder, gemäss der biblischen Bezeichnung, Rabat Moab, eine der Hauptstädte des alten Königreichs Moab; eine weitere Hauptstadt ist Divon, wo Mischa, König von Moab, regierte, der sich nach dem Tod von Achab gegen Israel auflehnte. Von seinem Schicksal wird auf einer Stele berichtet, die in Divon ausgegraben wurde und heute im Louvre in Paris steht.
Busaira, die Hauptstadt von Edom, aus welcher der Erlöser kommen wird (gemäss Jesaja 73), liegt als eines der Dörfer der Edom-Höhen weiter im Süden; da gibt es auch das Dorf Sil'a, wo Amatsia, der König von Judäa, seine Feinde besiegte, sowie das Dorf Wadi Mussa in der Nähe von Petra. Am östlichen Eingang des Dorfes hat man eine Quelle entdeckt, die unter einem grossen Felsen entsprang. Gemäss der lokalen Überlieferung ist dies der Stein, auf den Moses zwei Mal mit seinem Stab schlug, was ihm verboten war und weshalb er das Gelobte Land nicht betreten durfte.
Der bedeutende Ort Petra und seine für Juden interessanten Sehenswürdigkeiten wurden bereits weiter oben erwähnt, wir bewegen uns also gen Süden und legen erst kurz vor Aqaba in Wadi Ram am Ufer des Roten Meeres einen Halt ein. Gleich daneben liegt Wadi Yatem, dessen Name vielleicht an König Yotam von Judäa erinnert, den Sohn von Usija. Bereits zur Zeit Salomons versuchten die Könige von Judäa zum Roten Meer und zum Hafen von Etsion Gaver vorzudringen, der für den Handel mit Indien und mit dem Fernen Osten sehr wichtig war. Sie scheiterten sehr oft, doch als sie auf die Unterstützung des Königreichs von Israel zählen konnten, gelang es ihnen, die für den Seeweg in den Fernen Osten unabdingbare Küste des Roten Meeres zu erreichen.

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