"Wir haben schwere Zeiten durchgemacht, doch unser Kampfgeist und unser Wunsch, das Land aufzubauen, sind ungebrochen. Heute stehen wir vor einer neuen Herausforderung und es ist unsere Pflicht, uns ihr zu stellen und sie erfolgreich zu meistern. Heute in Gusch Katif, morgen in Schomrijah, übermorgen vielleicht anderswo. Schomrijah soll zum Hauptort der sechs geplanten Dörfer werden, denn hier wird das gesamte Schulwesen und die Administration der Region zentralisiert. Die Pläne für den Wiederaufbau der landwirtschaftlichen Einrichtungen, die einst in Gusch Katif existierten, sind bereits erstellt, und unser früherer Alltag soll zu neuem Leben erweckt werden."
Dies erfuhr ich von den Verantwortlichen, die für die Geschicke der aus Gusch Katif vertriebenen Menschen zuständig sind, als ich sie Ende 2005 in "Ihr Ha-Emunah" (Stadt des Glaubens) besuchte. In diesem besseren Slum hatte man die israelischen Bürger, sogenannte Binnenflüchtlinge, damals unter erbärmlichen Bedingungen vorübergehend einquartiert (siehe dazu Shalom Nr. 45).
Vier Jahre später war ich neugierig, was aus ihnen geworden ist und wie sie ihr zerstörtes Leben wieder aufbauen konnten. Das Team von SHALOM reiste zu diesem Zweck nach Schomrijah, wo wir von ZEVULUN KALFA, dem Generalsekretär der Gemeinde, herzlich empfangen wurden.
Können Sie kurz berichten, wie es zur Niederlassung in Schomrijah kam und wie diese Siedlung heute organisiert ist?
Gegenwärtig leben etwas mehr als 100 Familien hier, 50 von ihnen stammen aus Atzmonah, 15 aus Kfar Darom und die anderen aus verschiedenen Ortschaften in Gusch Katif. Wir zogen an Pessach 2006 hier ein, d.h. vor etwas über dreieinhalb Jahren. Zurzeit sind alle unsere Wohneinheiten belegt, die Leute leben in "Cara-Villas", wie wir sie nennen, nämlich in verbesserten und erweiterten Wohnwagen. Doch wir haben mit dem Bau von Häusern aus Stein begonnen, und bis in einem Jahr können wir fast 60 zusätzliche Familien aufnehmen. Dazu kommt, dass Schomrijah als Zentrum für eine Reihe kleinerer Dörfer in der Umgebung dient, wo insgesamt 220 aus Gusch Katif vertriebene Familien wohnen.
Obwohl es sich bei diesem Ort um einen ehemaligen Kibbuz des Haschomer Hatzaïr handelt, war die Infrastruktur bei unserem Eintreffen hier entweder veraltet oder ganz einfach nicht mehr funktionstüchtig. Wir mussten alles neu errichten, und zwar in allen Bereichen: Landwirtschaft, Schulen, Wasserreservoirs und Synagoge. Was Sie heute sehen, ist das Resultat gemeinsamer Anstrengungen von allen Vertriebenen, die heute hier wohnen. Zu landwirtschaftlichen Zwecken haben wir eine grosse Molkerei eingerichtet und züchten auch Kälber für das Fleisch, wir verfügen über Olivenplantagen und Gewächshäuser, wo wir Peperoni, Gurken, Tomaten usw. anbauen. Wir pflanzen gegenwärtig eine ganze Reihe von Gemüsesorten an, die als "Miniatur-Ausgabe" wachsen sollen (Auberginen, Zucchetti, Karotten usw.), die von den Kunden immer mehr verlangt werden, zudem setzen wir in zwei Monaten unsere ersten Rebstöcke.
Doch am meisten liegen uns die Ausbildung und die Zukunft unserer Kinder am Herzen. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass wir nur wenige Tage nach unserer Vertreibung bereits Schulklassen in Ihr Ha-Emunah eröffnet haben. Der erste wichtige Neubau war auch hier eine Schule für alle Kinder der Region.
Wie finanzieren Sie sich?
Dies ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Die Kosten für die neue Schule beispielsweise, die insgesamt 20 Millionen Schekel kosten wird (ca. 5 Millionen Dollar), werden grösstenteils vom Staat übernommen, während der Rest über bedeutende und grosszügige Spenden finanziert wird, hauptsächlich aus Grossbritannien und Australien. Wir bitten auch die Einwohner um finanzielle Unterstützung und eine Investition zugunsten des Dorfes.
Dem Besucher fällt als erstes auf, dass es ausser einem kleinen Supermarkt hier eigentlich keine Geschäfte gibt. Müssen die Einwohner zum Einkaufen in die nächste Stadt fahren oder gibt es eine andere Form des Handels in Schomrijah?
Eigentlich steht uns hier alles zur Verfügung, wenn auch in reduziertem Ausmass. So befindet sich der Coiffeur bei jemandem zu Hause, dasselbe gilt für andere Dienstleistungen, darunter auch die jüdische Bibliothek und die Kosmetikerin. Wir haben allerdings den Bau eines Zentrums geplant, der im ersten Stock Büros für die Gemeinde enthält (Planung und Administration) und im Erdgeschoss Raum bietet für einen grösseren Supermarkt sowie für kleinere Geschäfte und Handwerker.
Rein technisch gesehen und im Alltag scheinen Sie bestens organisiert zu sein und haben alles im Griff. Es stellt sich nun die grundlegende Frage, ob die vertriebenen Menschen sich allmählich von den schmerzlichen Erfahrungen zu erholen beginnen?
Von diesem Trauma wird sich niemand je wieder ganz erholen können. Als wir mit den Lehrerinnen die neuen Räumlichkeiten der Schule besichtigen wollten, um sie in die Entscheidung über die Anordnung der Zimmer einzubeziehen, lehnten es die meisten von ihnen dies zunächst ab. Sie waren der Ansicht, die Zustimmung zum Bau eines neuen, massiven Schulhauses käme einer definitiven Anerkennung der Vertreibung aus Gusch Katif gleich. Auch wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, irgendwann nach Gusch Katif zurückzukehren und uns erneut dort niederzulassen. In der Zwischenzeit befinden wir uns jedoch ein wenig in der Lage der Juden, die Israel nach der Zerstörung des Zweiten Tempels verlassen hatten. Sie lebten verstreut in aller Welt, und überall errichteten sie Häuser, Städte, Geschäfte und Friedhöfe. Natürlich betrachten wir uns in Schomrijah nicht als Juden, die in der Diaspora leben. Niemand kann ewig trauern und in einem Provisorium verweilen. Wenn wir untereinander die Situation besprechen, erwähnen wir immer das Beispiel der Familie, die einen Sohn im Krieg verloren hat, deren andere Kinder aber noch leben. Sie wird den gefallenen Sohn nie vergessen, doch nach einem Jahr der Trauer gewinnt das Leben wieder die Oberhand, man muss an die Zukunft denken und auf sie hinarbeiten.
Es scheint, dass die Jugend noch stärker unter der Vertreibung gelitten hat als die Erwachsenen. Wie stellen sich denn die jungen Leute zu ihrem neuen Leben, aber auch zum Staat, der sie in gewisser Weise verraten hat?
Darf ich Ihnen dafür ein persönliches Beispiel geben? Einige Tage nach der Umsiedlung hätte mein ältester Sohn seinen Militärdienst antreten sollen. Er sagte uns, er wolle zu diesem Zeitpunkt nicht sofort zur Armee gehen. Wir haben mit den Verantwortlichen der Armee gesprochen, die viel Verständnis zeigten und ihm einen Aufschub von drei Monaten gewährten. Nach dieser Frist trat mein Sohn in die Armee ein und entschloss sich nach dem Abschluss des dreijährigen obligatorischen Militärdienstes sogar dazu, weiterzumachen und eventuell gar eine Militärkarriere anzustreben. Mein zweitältester Sohn hat grade mit der Offiziersschule begonnen. Wir haben unseren Kindern erklärt, dass es unsere Armee ist, dass dieses Land unser Land ist, und dass unsere Politiker zwar schwerwiegende oder fatale Fehler begehen, was uns aber nicht das Recht gibt, uns vor der Verantwortung zu drücken. Wenn sie der Meinung sind, sie wollten der Armee nicht angehören, sind sie auch nicht mehr berechtigt, vollwertige Staatsbürger zu sein und haben keinen Platz mehr in Israel.
Man darf sich natürlich nicht einbilden, dass unsere jungen Leute diese Forderung ohne weiteres akzeptieren, doch sie sind tatsächlich alle zur Armee gegangen, die meisten von ihnen sind auf höchster Führungsstufe und in den Elite-Kampfeinheiten tätig. Trotz der tiefen Wunde, welche die Vertreibung hinterlassen hat, haben Motivation und Ideologie auch vier Jahre nach dem traumatischen Erlebnis nicht darunter gelitten.
Was für die Jugend gilt, trifft letztendlich auch auf die Erwachsenen zu. Wir können unseren Gemeindemitgliedern nur dann aus der Trauerphase heraushelfen, wenn wir ihnen eine Zukunft, eine neue Herausforderung und eine Vision anbieten.
Wie sehen Ihre Beziehungen zu den Bewohnern der Nachbardörfer aus, die entweder nicht fromm oder völlig laizistisch sind?
Vor unserem Eintreffen wurden fromme Menschen wie wir, die überdies in Gaza oder in Judäa-Samaria lebten, a priori abgelehnt. Es ist uns gelungen, uns besser bekannt zu machen, eine Klima des Vertrauens und des gegenseitigen Respekts zu schaffen und die regionale Zusammenarbeit zu fördern. Schomrijah besass beispielsweise kein Schwimmbad. Nun bietet uns einer der Kibbuzim des Haschomer Hatzaïr in der Region - übrigens der einzige Ort in Israel, wo Schweine gezüchtet werden -, nicht nur an, deren Schwimmbad zu benützen, sondern führt uns zuliebe sogar getrennte Öffnungszeiten für Männer und Frauen ein.
Ihrer Ansicht nach wird sich diese Region entwickeln, die jüdische Bevölkerung wird zunehmen. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Dafür sprechen mehrere Gründe. Der erste ist rein strategischer Natur. Die Beduinen breiten sich im Norden des Negevs immer mehr aus und erreichen sogar das Tote Meer. Wir werden dort jüdische Dörfer errichten, wo sich die Beduinen zumeist illegal niedergelassen haben. Zweitens ist es in Judäa-Samaria und in anderen Regionen des Landes schon nur wegen der Trockenheit kaum möglich, intensive Landwirtschaft zu betreiben. In unserer Gegend ist fehlendes Wasser ein viel geringeres Problem, und so möchten junge Landwirte heute ihre Tätigkeit hier noch stärker entwickeln.
Ich möchte mit der Bemerkung abschliessen, dass unsere Präsenz in dieser Region vom Wunsch angetrieben wird, zum Aufschwung Israels und zu einem in jeder Hinsicht starken Staat beizutragen. Wir geben die Hoffnung nicht auf, eines Tages nach Gusch Katif zurückzukehren. Und auch wenn unsere Generation scheitern sollte, wird es unseren Kindern bestimmt gelingen.
|