News Neueste Ausgabe Befragung: Resultate Suchen Archiv Français English Русский עברית Español


Inhaltsangabe Aserbaidschan Frühling 2007 - Pessach 5767

Editorial
    • Editorial - April 2007 [pdf]

Pessach 5767
    • Gebet und Grosszügigkeit [pdf]

Politik
    • Häme und Honig [pdf]

Interview
    • Prävention - Intervention - Aktion [pdf]
    • 1967 - 2007
Quo Vadis Israel
 [pdf]
    • Mit dem Beispiel vorangehen [pdf]

Analyse
    • Vierzig Jahre danach [pdf]
    • Bazar des "Friedens" [pdf]
    • Islamismus, Multikulturalismus und die Juden [pdf]

Wirtschaft
    • Die Sicherheitsindustrie in Israel [pdf]

Aserbaidschan
    • Jerusalem und Baku [pdf]
    • Yevda Abramov [pdf]
    • Die Tat-Juden [pdf]
    • Reise ins Unwirkliche [pdf]
    • «Gipfeltreffen» [pdf]
    • Das Jüdische Leben [pdf]
    • Jüdisches Heldentum [pdf]
    • Musikalische Botschaft [pdf]
    • Von Baku in die Knesset [pdf]

Türkei
    • Jerusalem - Istanbul [pdf]
    • Zwischen Orient und Okzident [pdf]

Gerechtigkeit
    • Die Affäre Kepiro [pdf]

Reportage
    • Jeder Blutstropfen Zählt [pdf]

Judäa - Samaria
    • Neues Leben für einen Weinberg [pdf]

Wissenschaftliche Forschung
    • The College Of Judea And Samaria [pdf]

Ethik und Judentum
    • Komplizen? [pdf]

Das Gute Gedächtnis
    • Die Ereignisse des Monats April [pdf]

Artikel per E-mail senden...
Yevda Abramov

Von Roland S. Süssmann
Es kommt im Journalismus nur selten vor, dass die Realität das Vorstellungsvermögen übertrifft, und falls dies passiert, glaubt man zu träumen. So ging es auch mir, als ich bei einem privaten Abendessen in Baku YEVDA ABRAMOV kennen lernte. Dieser zuvorkommende, liebenswürdige und vor Intelligenz sprühende Herr ist Abgeordneter im Parlament von Aserbaidschan, einem muslimisch-schiitischen und laizistischen Staat! Yevda Abramov, von einer jüdischen Familie abstammender Cohen aus Irak und Sohn des früheren Präsidenten und geistlichen Führers der jüdischen Gemeinschaft Aserbaidschans, geht locker und ausgeglichen mit seiner doppelten Identität als Jude und Aseri um.
Die Geschichte seiner Familie in Aserbaidschan, und zwar im 250 km nordwestlich von Baku liegenden Dorf Schemakha, soll 750 Jahre zurückreichen. 1902 liessen sich infolge eines schrecklichen Erdbebens, das die Stadt dem Erdboden gleich machte, die meisten überlebenden Juden in Guba nieder, wo seine Familie noch heute lebt. Bis 1936 herrschte eine recht grosse Freiheit in Bezug auf die jüdische Erziehung und Ausbildung, trotz der kommunistischen Dominanz. Doch ab 1937 wurde der Religionsunterricht verboten und der Glaube durfte nur noch heimlich zu Hause ausgeübt werden. Während des 2. Weltkriegs war Yevda Abramovs Vater in die Rote Armee eingezogen worden, um die Nazis zu bekämpfen. Yevda Abramov ist stolz auf seine beiden Zugehörigkeiten sowohl nationaler als auch religiöser Natur und unterhält ausgezeichnete Beziehungen zum Staatspräsidenten. Parallel dazu reist er regelmässig nach Israel, wo drei seiner vier Kinder wohnen. Einer seiner Söhne strebt übrigens eine berufsmilitärische Laufbahn innerhalb von Tsahal an.
Der im Jahr 1948 geborene Yevda studierte Pädagogik und internationale Beziehungen. Er begann sein Berufsleben als Lehrer, wurde dann Schuldirektor und später Bürgermeister des jüdischen Dorfes Krasnaya Sloboda sowie Präsident des Regionalrates von Guba. Er befasste sich von 1986 von 1999 mit Regionalpolitik, bevor er der Präsidentschaftspartei beitrat und 2005 ins aserbaidschanische Parlament gewählt wurde.

Wie werden Sie als Jude von Ihren meist muslimischen Kollegen im Parlament wahrgenommen?

Die Beziehungen zu meinen Amtskollegen sind sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene ausgezeichnet. Wir sind natürlich - wie in jeder Demokratie - bei weitem nicht immer einer politischen Meinung, und jeder verteidigt seinen Standpunkt, der Umstand aber, dass ich Jude bin, ist wirklich völlig nebensächlich. Eine kleine Anekdote veranschaulicht diese Tatsache aufs Beste. Kürzlich stellte ein Mitglied der jüdischen Gemeinde von Guba dem Parlamentspräsidenten eine Reihe von Fragen, die dieser mit der scherzhaften Bemerkung beantwortete: "Wenden Sie sich doch an Yevda, ich bin überzeugt, er weiss viel besser Bescheid als ich, ist beliebter und wird innerhalb des Parlaments stärker unterstützt". Alle meine Kollegen wissen, dass meine Kinder in Israel leben, ich habe auch einige gemeinsame Projekte zwischen dem aserbaidschanischen Parlament und der Knesset organisiert, vor allem im Bereich der Frauenrechte.

Wieso sind Sie in die Politik gegangen?

Als der verstorbene Präsident Heydar Aliyev 1993 an die Macht kam, beschloss die jüdische Gemeinschaft ihn zu unterstützen und ihm dabei zu helfen, an der Macht zu bleiben. Wir waren uns bewusst, dass eine islamische Revolution nicht auszuschliessen war, was wir selbstverständlich verhindern wollten. Es bestand das Risiko, dass das Land in die Hände unfähiger Dummköpfe gelangen könnte. In einer Rede zur Nation hatte der Präsident insbesondere erklärt: "Ich möchte einen Staat schaffen, in dem alle gleichberechtigt sind. Gebt mir ein wenig Zeit und ihr werdet sehen, welche positiven Folgen meine Politik haben wird". Ich beschloss, ihn zum Wohle Aserbaidschans und unserer Gemeinde dabei zu unterstützen, da letztere sonst vielleicht gefährdet wäre. Ich vertrat daher zunächst seine Partei in der Region von Guba und begann so meine politische Karriere.

Wie beurteilen Sie die Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Israel?

Sie sind solide und in vielen Bereichen sehr entwickelt. Ich bedaure natürlich, dass noch kein aserbaidschanischer Botschafter für Israel ernannt wurde, doch ich hoffe, dass dies nur eine Frage der Zeit ist. Man muss sich klar machen, dass einer der Gründe für die Stabilität Aserbaidschans aus der Fähigkeit unseres Präsidenten besteht, ausgezeichnete Beziehungen zu unseren direkten Nachbarn zu pflegen, nämlich zu Iran und Russland, und dabei immer das Wohl seines Landes im Auge zu behalten. Es ist eine sehr knifflige Aufgabe, denn diese beiden Länder unterstützen Armenien im Streit um Nagorni-Karabach. Ich erinnere daran, dass wir 1993 in einem Krieg gegen Armenien 16% des aserbaidschanischen Territoriums verloren haben und die 750'000 Aseris aufnehmen mussten, die aus dieser Region flohen. Durch die Beziehungen zu Israel entstehen einige Vorteile, die uns insbesondere auf technologischer Ebene zugute kommen. In diesem Zusammenhang kann man interessanterweise feststellen, dass Benjamin Netanjahu der einzige israelische Premierminister ist, der das Land besuchte und seit seiner Amtseinsetzung 1996 begriffen hat, wie bedeutend unsere Erdölvorkommen sind.

Aserbaidschan gehört der Organisation der islamischen Konferenz an und besitzt dadurch eine Reihe kollektiver Pflichten. Wie ist dies mit den guten Beziehungen zu Israel zu vereinbaren?

Wir pflegen hervorragende Beziehungen zu Saudi-Arabien und besitzen tatsächlich einige kollegiale Verpflichtungen aufgrund unserer Zugehörigkeit zu der von Ihnen erwähnten Organisation. Doch diese betreffen nur die Wirtschaft und keinesfalls die Politik. Darüber hinaus kommt es uns ausgesprochen gelegen, dass die meisten arabischen Staaten auf der Seite Armeniens stehen und kaum oder nur sehr wenig in Aserbaidschan investieren, was unseren politischen Handlungsspielraum beträchtlich erhöht. Es gibt übrigens nur zwei muslimische Staaten, die uns in Bezug auf Armenien unterstützen: Pakistan und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Dazu muss man wissen, dass die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit Aserbaidschans auf der Quantität seiner Erdöl- und Naturgasvorkommen beruht. Wir sind uns allerdings der Fallstricke bewusst, die sich aus einem Überfluss an Bodenschätzen ergeben können. Wir wissen, dass die Entwicklung mit den finanziellen Ressourcen nicht unbedingt Hand in Hand geht, dass uns die Gefahr des berüchtigten « Hollandsyndroms » auflauern könnte, d.h. finanzieller Wohlstand, der nicht auf der Arbeit beruht, fiktiver sozialer Frieden, Stagnierung des echten Fortschritts und allgemeine Korruption über die Ausschüttung von finanziellen Zuwendungen mit einer extremen Konzentration des Staatseinkommens in den Händen einiger weniger Spekulanten. Dies würde unvermeidlich zur Verarmung grosser Bevölkerungsteile führen und das Risiko politischer Instabilität erhöhen, in erster Linie durch die Verstärkung allfälliger islamistischer Strömungen, die von einigen Nachbarstaaten gefördert und finanziert werden. Meiner Ansicht nach ist aber eine derartige Entwicklung völlig ausgeschlossen, da im Moment nicht einmal deren Vorzeichen sichtbar sind. Wir stehen mit beiden Füssen auf dem Boden und achten die Werte der Arbeit; eine hoch stehende Ausbildung und die Unbestechlichkeit sind nationale Prioritäten. Sie gehen mit der eigentlichen Erdöl- und Erdgasförderung und allen Vorteilen einher, die aus diesem Segen entstehen und dank denen wir unsere Stabilität und unsere Unabhängigkeit sichern können. Dieses Gleichgewicht ist nur schwer herzustellen und vor allem beizubehalten, denn die Zukunftsaussichten sind unglaublich: gemäss einer vor kurzem durchgeführten Schätzung könnten im Jahr 2030 die Einnahmen aus dem Erdöl 160 Mrd. Dollar betragen (auf der Grundlage eines Barrel-Preises von US$ 45). Unser Staatshaushalt 2005 betrug im Vergleich dazu 2 Mrd. Dollar.

Wie sehen Sie die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Aserbaidschan?

Sie denken bestimmt, dass ich Ihnen als Politiker ein Märchen auftische, doch es ist eine Tatsache, dass die Juden im Schnitt einen höheren Lebensstandard geniessen als die aserbaidschanische Bevölkerung. Obwohl wir ein muslimisch-schiitisches Land sind, verkörpern wir in erster Linie eine Demokratie, in der Glaubensfreiheit herrscht. Es handelt sich aber um eine junge Demokratie, die erst vor kurzem das sowjetische Joch verlassen hat und noch in den Kinderschuhen steckt. Unter der allgemeinen Situation des Landes, insbesondere den fehlenden Arbeitsplätzen, dem tiefen Lebensstandard, der Wohnungsnot in den grossen Städten usw. leidet auch die jüdische Gemeinschaft. Viele Menschen ziehen nach Russland, Europa, die USA oder Israel. In meinen Augen handelt es sich um eine vorübergehende Erscheinung; die Lage wird sich mit der Zeit verbessern, die Auswanderer könnten zurückkehren. Die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft steht in einem direkten Zusammenhang mit dieser Entwicklung. Ich habe daher allen Grund, der Zukunft optimistisch und realistisch entgegenzusehen.


Contacts
Redaction: edition@shalom-magazine.com   |  Advertising: advert@shalom-magazine.com
Webmaster: webmaster@shalom-magazine.com

© S.A. 2004