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Inhaltsangabe Analyse Frühling 2007 - Pessach 5767

Editorial
    • Editorial - April 2007 [pdf]

Pessach 5767
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Politik
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Interview
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Quo Vadis Israel
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Analyse
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Wirtschaft
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Wissenschaftliche Forschung
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Ethik und Judentum
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Islamismus, Multikulturalismus und die Juden

Von Professor Robert S. Wistrich *
Am 11. September 2002, ein Jahr nach dem Al-Kaida-Anschlag auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon, fand in der Finsbury-Park-Moschee in Nordlondon eine ausserordentliche Zusammenkunft statt, um den ersten Jahrestag des Massakers zu "feiern". Rund tausend britische Muslime versammelten sich unter dem Schutz der Londoner Polizei mit dem Ziel, mehr über diesen "erhebenden Tag in der Geschichte" zu erfahren.
Den Vorsitz führte der in Ägypten geborene Abu Hamza al-Masri, der damals noch als Präsident der Moschee amtierte (heute befindet er sich hinter Schloss und Riegel und sitzt eine siebenjährige Strafe für Mittäterschaft bei Mord und für "rassistische Anstiftung" gegenüber Juden ab); Hauptredner war ein im Exil lebender Syrer namens Scheich Omar Bin Bakri Mohammed - damals Chef der Al-Muhajirun (die Emigranten), einer radikalen und antisemitischen islamischen Gruppierung mit Sitz in London, die sich den Sturz "ungläubiger" Regimes und die weltweite Durchsetzung der Scharia auf die Fahnen geschrieben hat.
Omar Bin Bakri wurde im vergangenen Jahr endlich aus Grossbritannien ausgewiesen, doch die Bedrohung durch den Dschihad-Terrorismus ist seither weiterhin gestiegen. London hat sich in den letzten Jahren zu einer internationalen Drehscheibe für die Rekrutierung, Förderung und Finanzierung zugunsten des globalen Terrorismus und des radikalen Islamismus entwickelt. Londonistan, wie die Stadt auch genannt wird, ist zu einem sicheren Hafen für Dschihad-gesteuerte Aufhetzung und in Grossbritannien geborene und aufgewachsene Selbstmordattentäter von der Art geworden, die im Juli 2005 in Londons Untergrundbahn 52 unschuldige Zivilisten ermordeten. Man geht davon aus, dass gegenwärtig rund tausend Anhänger der Al Kaida in Grossbritannien leben. Bei Scotland Yard und den Sicherheitsdiensten liegen die Akten von 34 Terrorismusfällen vor, in deren Rahmen 99 Verdächtige auf ihren Prozess warten. Weitere 70 Fälle werden noch untersucht. Das Ausmass der aktuellen Bedrohung Grossbritanniens trat im August 2006 dramatisch zu Tage, als zwei Dutzend in Grossbritannien geborene muslimische Verdächtige verhaftet wurden: sie wollten im Rahmen einer Al-Kaida-Verschwörung fünf Transatlantikflüge in die Luft jagen und mit dieser Aktion eine ähnliche Wirkung erzielen wie 9/11.
Darüber hinaus erfolgt die militante Tätigkeit der Islamisten in Grossbritannien in aller Öffentlichkeit und schockiert oft durch ihre Aggressivität. Im Februar 2006 erblickte ich persönlich an einer Demonstration in London ein Transparent mit dem Wortlaut "Macht euch auf den echten Holocaust gefasst!", das von einer jungen Muslimin mit Kopftuch geschwenkt wurde. Andere Schilder trugen makabre Aufschriften wie: "Allah wird den Terroristenstaat Israel vernichten". Im Hyde Park hatten junge britische Muslime eine gruslige Botschaft für die EU, hier zwei eher abschreckende Beispiele: "Europa, du wirst zahlen, deine Vernichtung ist auf bestem Weg", oder ebenso ekelhaft: "Europa ist der Krebs. Islam ist die Heilung". Statt die Tragweite dieser gewalttätigen Sprache zu diskutieren, ist die Behauptung Mode geworden, asiatische Muslime seien das Opfer des britischen Rassismus und der "Islamophobie". Das ist natürlich Humbug. Die extreme Rechte ist in Grossbritannien sehr schwach, und so fallen Vorurteile gegenüber dem Islam eigentlich erstaunlich zurückhaltend aus angesichts der tatsächlichen Bedrohung durch islamistische Terrorzellen. Die britische Gesellschaft hat effektiv ein Ausmass an Glaubensfreiheit und an wirtschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten für Muslime geschaffen, die sie in ihren Herkunftsländern kaum geniessen.
Die britischen Behörden haben sich ihrerseits alle Mühe gegeben, um ungewöhnlichem oder gar kriminellem Verhalten Verständnis entgegenzubringen. Erst vor kurzem hat sich diese Vorgehensweise verändert. Doch die liberalen Medien haben das härtere Durchgreifen ständig kritisiert und auch das Rechtssystem stellte in gewisser Weise einen Hemmschuh dar. Die britische Linke sorgte mit ihrem liebedienerischen Getue um den radikalen Islamismus auch für eine Verschlimmerung der Situation. Der Antisemitismus, der Antifeminismus, die Homophobie und der unerbittliche Hass der Islamisten gegenüber dem weltlichen Westen werden von der Linken in der Regel ignoriert oder verharmlost. Die gemeinsame Ablehnung von Amerika und Israel scheint stärker ins Gewicht zu fallen als die ideologischen Abweichungen zwischen Islamisten und Marxisten. In den Augen britischer Parlamentarier des linken Flügels wie George Galloway verkörpert Israel den eigentlichen Bösewicht, während Hassan Nasrallah als "Held" gilt. Dann gibt es da auch noch den radikalen Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, der um Scheich Yusuf al-Qaradhawi, einen homophoben, misogynen, antisemitischen Bigotten, herumscharwenzelt, als ob er der Gipfel der islamischen Progressivität wäre, sowie die britischen Akademiker (einige von ihnen Juden), die darauf bestehen, Israel als "rassistischen Apartheid-Staat" zu verunglimpfen, der viel schlimmer sei als Südafrika und aus diesem Grund zunächst durch Sanktionen gelähmt und schliesslich ausradiert werden sollte!
Das multikulturelle Grossbritannien, vor allem seine liberalen Eliten, bringen Israel nur wenig Verständnis entgegen und sehen es immer mehr als einen aggressiven, neokolonialistischen Staat an, der sich ausschliesslich auf seine militärische Macht und die Grosszügigkeit Amerikas verlässt, um die schwächeren Palästinenser zu vernichten. Im Zeitalter des weltlichen, universalistischen "Postnationalismus" gilt Israel als ein Anachronismus, eine ethnozentrische Nation, deren Beharren auf ihren jüdischen Charakter oft als eine Form des Rassismus dargestellt wird. Dieselben Intellektuellen und Künstler, Journalisten und Akademiker, die Israel für seine angebliche religiöse Ausschliesslichkeit verteufeln, vermeiden es tunlichst, den muslimischen Fundamentalismus zu kritisieren - trotz seiner Gewalttätigkeit, seiner Einschüchterungstaktik, seiner Unterdrückung der Frauen und seiner rassistischen Ausfälligkeiten gegenüber Juden. Sie lehnen jeden Versuch ab, eine Verbindung zwischen Islam und Terrorismus herzustellen; sie hinterfragen nicht die muslimische Einstellung zur Demokratie und umgehen heikle Themen wie die eingeschränkte Loyalität britischer Muslime gegenüber dem Land, in dem sie leben. Gleichzeitig weigern sich die britischen Mainstream-Medien weiterhin einzusehen, dass die Islamisten den Westen und Israel zerstören, die Scharia einführen und das mittelalterliche Kalifat überall auf der Welt erneut durchsetzen wollen. Sie sperren sich ganz einfach gegen die Einsicht, dass der Dschihad (der heilige Krieg) tatsächlich existiert; daher auch die verzweifelten Bemühungen, das Programm der Islamisten aufzupolieren.
In britischen Publikationen werden der muslimische Antisemitismus und die dadurch entstehende Gefahr für das englische Judentum nur äusserst selten angetönt. Schon nur die Evozierung des Themas wird von manchen als Provokation oder "islamophobe" Aktion gedeutet. Dabei wird impliziert, dass die Muslime in Grossbritannien, wie die Palästinenser im Nahen Osten, ausgenommen sind von normaler Kritik und für ihre Taten keine Verantwortung übernehmen müssen. Im Namen der kulturellen Diversität dürfen zwar Judentum und Christentum verunglimpft werden, das Gegenteil hingegen ist nicht gestattet. Die Meinungsfreiheit findet also irgendwie in einer Art Einbahnstrasse statt. Muslimische Politiker predigen offen den Hass auf westliche Demokratien, den Säkularismus, Juden, Schwule, Feministinnen und "Kaffirs" (Ungläubige) im Allgemeinen, doch Kritik am Islam kann tödliche Folgen haben für jene, die sie üben, wie dies in den letzten Jahren entsprechende Vorfälle in Frankreich, Holland und Dänemark nur zu deutlich gezeigt haben.
Die durch politische Korrektheit, Feigheit, Passivität und Selbsttäuschung bedingte Furcht, den Islam zu beleidigen, hat sich in gravierender Weise auf die Sicherheit für britische und westeuropäische Juden ausgewirkt. Der Bericht aufgrund einer parteiübergeifenden parlamentarischen Untersuchung in Grossbritannien zum Antisemitismus, der im September 2006 veröffentlicht wurde, vermerkte zwar das Phänomen des "islamistischen Antisemitismus", behandelte ihn aber eher zurückhaltend. In meiner eigenen Aussage wies ich warnend darauf hin, dass es sich um eine Kernfrage handelt. Die parlamentarische Untersuchung, die in mancherlei Hinsicht wertvolle Arbeit geleistet hatte, beschönigte leider das steigende Interesse an antisemitischen Ansichten bei den britischen Muslimen. Nicht weniger als 40% der Muslime in Grossbritannien glauben heute, dass die jüdische Gemeinschaft "als Teil des gegenwärtigen Kampfes um Gerechtigkeit im Nahen Osten" eine legitime Zielscheibe darstellt; immerhin 46% nehmen an, dass eine jüdisch-freimaurerische Verschwörung im Gange ist, um die Kontrolle über die britische Medienlandschaft und Politik zu übernehmen; und über die Hälfte der britischen Muslime sind der Ansicht, die Juden hätten "zu viel Einfluss auf die Ausrichtung der britischen Aussenpolitik". Es sind erschreckende Zahlen. Sie widerspiegeln eine hochgiftige Mischung zwischen Ignoranz, Bigotterie und dschihadistischem Eifer, verstärkt durch die unerbittliche Feindseligkeit gegenüber Israel in Teilen der britischen Medien (einschliesslich der BBC).
Die linksliberalen Medien in Grossbritannien üben nicht nur scharfe Kritik an Israel, sie verstärken auch die "Islamophobie", während sie gleichzeitig das Ausmass des Antisemitismus herabspielen. Von der britischen Polizei letzthin ermittelte Zahlen zeigen, dass Juden mit vier Mal höherer Wahrscheinlichkeit wegen ihrer Religion angegriffen werden als Muslime. Und doch werden diese Fakten von einigen Juden in Grossbritannien bewusst ignoriert; sie betonen, dass Israel das Problem sei und vermuten, der Antisemitismus sei eine "zionistische" Erfindung. Ihre abweichende Meinung wird von den "qualitativ hoch stehenden" Medien in Grossbritannien begrüsst, die Juden gern gegeneinander aufhetzen und in der Regel jene, die Israel kritisieren, als "mutige Nonkonformisten" loben, während sie jenen, die Israel verteidigen, jeweils die Zustimmung zur Unterdrückung der Palästinenser in die Schuhe schieben. Dieses heuchlerische Spiel fügt eine neue und recht armselige Fussnote zur langen Geschichte des "Kriegs zwischen Juden" hinzu, der immer mit dem erneuten Aufflammen von Antisemitismus einherging.

* Robert S. Wistrich ist Professor für moderne europäische und jüdische Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Er ist ebenfalls Direktor des «Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism». Zu seinen zahlreichen Werken gehören u.a. Antisemitism: The Longest Hatred (Pantheon, 1991), Nietzsche, Godfather of Facism? (Princeton, 2002), und Hitler und der Holocaust (Berlin, 2003).



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