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Inhaltsangabe Ethik und Judentum Frühling 2007 - Pessach 5767

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Pessach 5767
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Ethik und Judentum
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Komplizen?

Von Rabbiner Schabtai A. Rappoport *
A. ist frommer Jude und Vater kleiner Kinder. Aufgrund seiner Erziehung und seiner Philosophie misst er dem Schabbat grosse Bedeutung zu, seine strikte Einhaltung gehört zu den obersten Prioritäten in seiner Familie. Die festliche Atmosphäre des Schabbats ist im Haus von A. deutlich zu spüren und beginnt bereits mehrere Stunden vor dem Anzünden der Kerzen, wenn die Vorbereitungen einsetzen. Höhepunkte des Tages sind die Mahlzeiten, zu denen im Allgemeinen auch einige Gäste gebeten werden, die Studierstunden, die A. mit seinen Kindern verbringt, und die Lieder, die bis zur Hawdalah-Zeremonie am Ende des Schabbats gesungen werden. A. wünscht sich nichts sehnlicher, als seinen Kindern die tiefe Verbundenheit zum Schabbat zu vermitteln, die er selbst von seinen Eltern mitbekommen hat.
Eines Tages bringt K., ein nicht frommer Verwandter seiner Frau, den Wunsch vor, am Schabbat-Mahl teilzunehmen. Er weigert sich hartnäckig, die Nacht bei A. zu verbringen und möchte nur zum Essen erscheinen. K. will jedoch die Gefühle A.s und seiner frommen Nachbarn keinesfalls verletzen, indem er sein Auto vor der Haustür parkt oder mitten am Schabbat vor aller Augen wieder davonfährt. Er verspricht, seinen Wagen einige Strassen weiter stehen zu lassen und die verbleibende Strecke zu Fuss zurückzulegen. A. und seine Frau würden sich freuen, K. zu ihren Tischgästen zu zählen und die freundschaftliche Verbindung zu verstärken, doch sie fragen sich, ob sie ihn unter diesen Umständen einladen dürfen. Würde K. nicht ihretwegen den Schabbat verletzen, was einem schwerwiegenden Verstoss gegen das jüdische Gesetz entspräche? Während Jahrtausenden haben die Juden ihr Leben geopfert, um ihrer Religion treu bleiben zu können, insbesondere um die Heiligkeit des Schabbats einzuhalten. Dürfen sie nun die Augen vor der Tatsache verschliessen, dass einer ihrer Gäste den Schabbat entweiht, um die festliche Mahlzeit mit ihnen zu begehen?
Erste Frage: Darf ein Jude behaupten nichts gesehen zu haben, wenn sein Nächster ein Verbot überschreitet? Die Torah sagt: «Du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich ladest» (Levitikus 19, 17). Im Talmud wird diese Stelle folgendermassen kommentiert: «Wenn ein Mann etwas Unzulässiges bei seinem Nachbarn bemerkt, muss er ihn zurechtweisen?Und wenn er dies getan hat und der andere akzeptiert es nicht, muss er ihn erneut zurechtweisen» (Arachin 17b). Die Diskussion unter den Weisen wird in der Gemara fortgesetzt: Bis wohin erstreckt sich die Pflicht zur Zurechtweisung? Bis der Zurechtweisende vom Zurechtgewiesenen geschlagen wird, bis letzterer ihn beleidigt oder ihn beschimpft? Rabbi Schlomo Luria, ein herausragender polnischer Gelehrter aus dem 16. Jahrhundert (bekannt unter dem Namen Maharshal), entschied Folgendes: Wenn es offensichtlich ist, dass derjenige, der gegen das Gesetz verstösst, die Zurechtweisung nicht akzeptieren wird, muss man ihn nicht zurechtweisen (Kommentare von Maharshal im Sefer Mitzvoth Gadol, positive Mitzvoth 11). Maharshal scheint die Pflicht zur Zurechtweisung (wie sie von den Weisen in der oben erwähnten Gemara diskutiert wird) so zu sehen: sie ist der Ausdruck der Anstrengung, die man unternehmen muss, um eine zusätzliche Überschreitung zu verhindern. Diese Pflicht entsteht aus der Verantwortung eines jeden Individuums gegenüber seinem Nächsten und nicht aus der Notwendigkeit, sein Entsetzen angesichts der Überschreitung zum Ausdruck zu bringen. Wenn es nur darum ginge, wären die Folgen durch die Wirkung der Zurechtweisung bedeutungslos. Die Entscheidung von Maharshal wurde im Verlauf der nächsten Jahrhunderte von anderen rabbinischen Autoritäten anerkannt und zitiert.
Da sich K. weigert, die Nacht bei A. zu verbringen und bestimmt nicht zu Fuss nach Hause gehen wird, bestünde die einzige Reaktion auf die Zurechtweisung von A. darin, gar nicht zu kommen. Eine derartige Lösung wäre aber völlig sinnlos: da K. ja nicht fromm ist, wird er den Schabbat sowieso in irgendeiner Form verletzen indem er irgendeiner Tätigkeit nachgeht, die an diesem Tag verboten ist. Folglich gilt die Pflicht, den Urheber eines Verstosses zurechtzuweisen, in diesem Fall nicht für A. gegenüber seinem Gast K.
Es bleiben jedoch zwei weitere Probleme bestehen, einerseits ein Verbot der Torah und andererseits ein rabbinisches Verbot (Beschluss der Weisen). Die Torah ordnet an: «Du sollst vor den Blinden kein Hindernis legen» (Levitikus 19, 14). Gemäss einer in der Gemara (Pessachim 22b) angeführten Interpretation ist der Blinde derjenige, der dabei ist, gegen ein Gebot zu verstossen; man geht nämlich davon aus, dass seine Urteilskraft durch seinen Hang zum Bösen «geblendet» wurde (siehe dazu Maimonides, Gesetzesbücher, Verbote 199). Die Möglichkeit, einen Fehler zu begehen, stellt das «Hindernis» dar. Daraus folgt, dass man kein Recht dazu hat, einem anderen die Möglichkeit zu geben, einen Fehler zu begehen.
Das letztgenannte Verbot kann auf zwei Arten ausgelegt werden. Gemäss einer ersten Erklärung beruht es (wie das Gebot zur Zurechtweisung gemäss Maharshal) auf meiner Verantwortung gegenüber dem «Blinden», der gleich einen Fehler begehen wird. Ein zweites Verbot geht davon aus, dass ich, indem ich einen Fehltritt ermögliche, daran teilhabe (selbst wenn ein anderer ihn begeht). Die erste Erklärung stützt sich auf eine andere Auslegung des Verses «Lege kein Hindernis vor den Blinden»: die Weisen sehen darin das Verbot, bewusst jemandem in einem persönlichen, geschäftlichen oder gesellschaftlichen Bereich, von dem dieser keine Ahnung hat, einen schlechten Rat zu erteilen. Denn durch das Befolgen des Ratschlags (das Hindernis) droht die betreffende Person (der Blinde) zu «stolpern», d.h. einen Schaden zu erleiden.
Raw Mosche Feinstein, eine berühmte Halachah-Autorität des 20. Jahrhunderts, weist darauf hin, dass die Unterstützung bei der Überschreitung eines rabbinischen Gebots im Rahmen der ersten Interpretation genauso schwerwiegend ist wie ein Verstoss gegen die Torah. Der Verstoss gegen ein rabbinisches Verbot ist mindestens ebenso strafbar wie das Anraten einer ungünstigen finanziellen Investition; da ein solcher Ratschlag einer Verletzung der Torah entspricht, gilt dies auch für die Unterstützung beim Verstoss gegen ein rabbinisches Gebot. Die ein wenig widersprüchliche Schlussfolgerung aus dieser Überlegung: Wenn ich jemandem beim Überschreiten eines rabbinischen Verbots helfe, begehe ich einen schlimmeren Fehler als er. Gemäss der zweiten Auslegung kann die Hilfestellung beim Verstoss gegen ein rabbinisches Verbot nicht schwerwiegender sein als das eigentliche Vergehen (Dibrot Mosche, Schabbat, Siman 2).
Die Aufforderung «Lege kein Hindernis vor den Blinden» gilt nur dann, wenn der Verstoss nicht ohne Hilfestellung hätte erfolgen können (Abhandlung Awoda Zara 6b). Im Falle von A. fällt sie daher nicht ins Gewicht, da sein Gast den Schabbat sowieso nicht einhalten würde, ob er A. nun besucht oder nicht. Es existiert allerdings ein rabbinisches Verbot betreffend die Hilfestellung für jemanden beim Verstoss gegen ein Gebot, auch wenn letzterer dies auch ohne Hilfestellung hätte tun können (Tossafot, Schabbat 3a, Dibur Ha'Matchil Bava De'Reischa).
Raw Mosche Feinstein erläutert das Problem. Wie erklärt sich das rabbinische Verbot, das die Hilfestellung bei einer Überschreitung verurteilt? Der einzige mögliche Grund ist folgender: derjenige, der einem anderen hilft, einen Verstoss zu begehen, drückt dadurch seine Zustimmung aus. Er leistet nicht nur Hilfestellung bei der Überschreitung - die ohne seine Unterstützung hätte geschehen können -, sondern beweist auch eine gewisse Verachtung gegenüber G'tt und seinen Geboten.
Wenn jedoch die gemeinsame Handlung dergestalt ist, dass sie in keiner Weise eine Zustimmung zur Überschreitung darstellt, wird das rabbinische Verbot hinfällig - gesetzt den Fall, die Überschreitung hätte auch ohne Hilfestellung stattgefunden. Dasselbe Argument kommt bei einer Entscheidung von Raw Mosche Feinstein in einem ähnlichen Fall zum Tragen: darf man einen nicht gläubigen Partner zu einem Geschäftsessen einladen, wenn man weiss, dass dieser die bei der Mahlzeit erforderlichen Segenssprüche nicht sagen wird (Igrot Mosche, Vol.VIII, Orach Chaim V, Siman 13)? Ein weiteres Argument wird im oben erwähnten Responsum aufgeführt: derjenige, der gegen die Gebote verstösst, weil er von Kindsbeinen an eine nicht fromme Erziehung erhalten hat, gilt als unfreiwilliger Sünder (Maimonides, Gesetz der Aufständischen 3, 3). Folglich gilt die Hilfestellung, die man diesem Menschen bei einer Überschreitung leistet, die eigentlich keine ist, nicht als Fehler.
Wenn also A. seinen Verwandten K. zu einem Schabbatmahl einlädt, nähert sich letzterer dem frommen Teil seiner Familie an und lernt sein religiöses Erbe besser kennen: A. unterstützt seinen Gast deswegen nicht bei dessen Verstoss gegen den Schabbat. Er führt eine zulässige Geste der Freundschaft aus, die jedem Juden zusteht, insbesondere wenn es sich um einen Familienangehörigen handelt. Folglich kann A. seinen nicht frommen Verwandten einladen, ohne dass sein Respekt vor dem Schabbat beeinträchtigt und seine Hingabe zum jüdischen Glauben verringert werden.
Es soll aber betont werden, dass diese Haltung nur dann zulässig ist, wenn zwei Bedingungen erfüllt werden. Erstens muss man sicher sein, dass sich keine Zurechtweisung auf den Gast auswirken wird und dass man daher von der Pflicht entbunden ist, ihn wegen seines Verstosses gegen den Schabbat zurechtzuweisen. Zweitens sollte man sicher sein, dass dieser Gast den Schabbat in jedem Fall verletzen würde, ob er nun zum Essen kommt oder nicht, denn in diesem Fall wird die Aufforderung «Lege kein Hindernis vor den Blinden» hinfällig. Um sich zu vergewissern, dass diese beiden Bedingungen wirklich erfüllt sind, muss natürlich jeder Fall separat geprüft werden.
In folgenden Fällen können die genannten Bedingungen nicht als selbstverständlich angesehen werden: offene Einladung zu einem Schabbat (ohne den genauen Tag festzulegen), Organisation einer Gruppenveranstaltung, an der mehrere Personen mit dem Auto reisen müssen und somit gegen den Schabbat verstossen, oder, noch vermehrt, regelmässig an Schabbat stattfindende Gruppenveranstaltungen. In diesen Fällen darf man folglich keinen nicht frommen Juden einladen, wenn dies zu einem Verstoss gegen den Schabbat führt.

* Rabbiner Schabtai Rappoport leitet die Yeschiwah "Schwut Israel" in Efrat (Gusch Etzion). Er hat vor kurzem die letzten beiden Bände der Responsen herausgegeben, die von Rabbiner Mosche Feinstein, s.A., geschrieben wurden. Er entwickelt gegenwärtig eine Datenbank, die alle aktuellen Themen der Halachah umfasst. Richten Sie Ihre Fragen oder Kommentare an folgende E-Mail-Adresse: shrap@bezeqint.net.


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