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Inhaltsangabe Ethik und Judentum Herbst 2006 - Tischri 5767

Editorial
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Rosch Haschanah 5767
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Ethik und Judentum
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Die Grundvoraussetzungen der Ehe

Von Rabbiner Shabtai A. Rappoport *
M., eine 30-jährige Ärztin, ist seit drei Jahren verheiratet. Sie hat ihren Mann, einen Börsenhändler von 35 Jahren, am Geburtstagsfest einer gemeinsamen Freundin kennen gelernt und ihn nach sechs Monaten geheiratet. Im vergangenen Jahr entdeckt M., dass ihr Gatte eine kurze Affäre mit einem anderen Mann gehabt hat. Angewidert verlangt sie eine Erklärung von ihm. Ihr Ehemann entschuldigt sich überschwänglich und beteuert unter Tränen, es handle sich um einen unüberlegten, einmaligen Ausrutscher. Einige Monate später merkt M., dass er diese Beziehung weiterführt, und erfährt darüber hinaus, dass er als Erwachsener immer schon homosexuell aktiv war. Ab diesem Zeitpunkt lehnt sie jede weitere Entschuldigung ab und verlangt die sofortige Scheidung. Der Ehemann willigt ein, betont aber gleichzeitig, dass sie ja die Trennung wolle und daher «viel Verständnis bei der Regelung der finanziellen Angelegenheiten» zeigen müsse. Sie soll beispielsweise auf ihren Anteil am gemeinsamen Besitz verzichten, hauptsächlich auf die wunderbare Wohnung.
Im jüdischen Recht hängt die Scheidung von der Einwilligung des Ehemanns ab. In den äusserst seltenen Fällen, in denen der Mann zur Scheidung gezwungen werden kann, ist diese Regel in den Ländern, in dem die Bürger dem dortigen Rechtssystem unterworfen sind, nur schwer durchzusetzen. Es sieht also so aus, als ob M. wohl keine andere Wahl hat, als die Erpressung hinzunehmen, wenn sie diese Beziehung auflösen und für einen Neuanfang frei sein möchte. Ihr Mann weist sie zynisch darauf hin, dass sie sich glücklich schätzen sollte: andere Männer stellen derart hohe Forderungen, dass die Familie der Frau ihre Befreiung von den Ehepflichten aus eigener Tasche berappen muss.
Die Mischnah (Ketubot, 77a) zählt die Kategorien von Ehemännern auf, die zur Scheidung gezwungen werden können. Es handelt sich dabei um Männer, die an einer unheilbaren, extrem abstossenden oder ansteckenden Krankheit leiden, oder aber um Personen, die aufgrund ihres Berufs (z.B. Ledergerber) sehr schlecht riechen. Der Schulchan Aruch (Even Ha'ezer 154a) legt jedoch fest, dass der Mann nicht zur Scheidung gezwungen werden kann, wenn die Ehefrau vor ihrer Heirat über seine Krankheit oder seinen Beruf informiert war. In diesem Fall hat die Frau den Zustand oder die Tätigkeit des Mannes de facto akzeptiert und kann also nicht behaupten, dass das Leben an seiner Seite für sie unerträglich ist.
Daraus folgt, dass der Mann nur dann gegen seinen Willen in die Scheidung einwilligen muss, wenn sein Gesundheitszustand oder sein Beruf den Grundvoraussetzungen der Ehe widerspricht: dem Zusammenleben im Rahmen einer normalen Familie. Wenn nun eine Frau im Wissen um die Umstände trotzdem heiratet, heisst dies, dass die Bedingungen dieser Ehe nicht der üblichen Norm entsprechen und dass sie dies ganz bewusst akzeptiert hat. Sie kann dann nicht behaupten, die Bedingungen der Ehe seien nicht erfüllt worden und diese müsse daher aufgelöst werden.
Ganz anders sieht es aus, wenn eines der Elemente, das gegen die Grundbedingungen des gemeinsamen Lebens verstösst, schon vor der Heirat bestand und die Ehefrau nichts davon wusste; in diesem Fall beruht ihre Zustimmung, durch die eine Ehe erst ihre Gültigkeit erlangt, auf einer falschen Annahme. Die Eheschliessung wurde ohne die wirkliche Zustimmung der Frau gefeiert und wird dadurch null und nichtig. Daher spricht die Mischnah nur dann von der Notwendigkeit einer Scheidung, wenn diese Elemente nach der Heirat zutage treten und somit den ursprünglichen Vertrag verändern.
Untersuchen wir nun den Fall, wo sich der Mann zum Zeitpunkt der Eheschliessung in einer Situation befindet, die eindeutig gegen die Grundbedingungen des Zusammenlebens verstösst; wenn die Frau ihn geheiratet hat, ohne Bescheid zu wissen, gilt diese Verbindung als «irrtümliches Geschäft», bei dem eine Partei übervorteilt wurde, weil die andere Partei ihr ein wesentliches Element verheimlicht hat. Eine solche Ehe besitzt im jüdischen Recht keinerlei juristischen Wert.
Raw Yitzhak Elchanan Spector von Kovno, herausragende Halacha-Koryphäe des 19. Jahrhunderts, sagt dazu Folgendes (Ein Yitzchak Band I, Even Ha'ezer 24, 6): eine Ehe, die geschlossen wurde, obwohl der Ehemann seinen ehelichen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, ist nichtig und macht keine Scheidung erforderlich. Diese Meinung wird von mehreren jüngeren Entscheidungsträgern geteilt, darunter auch von Raw Mosche Feinstein, einem berühmten Gelehrten des 20. Jahrhunderts (Igrot Mosche, Even Ha'ezer Sektion I, 79).
Raw Mosche Feinstein hält fest (Igrot Mosche, Even Ha'ezer Sektion IV, 113), dass die Homosexualität ein extrem abstossender Umstand sei, die eine Schande für alle Familienmitglieder verkörpere. Sie stellt ein Hindernis für jede Form eines normalen Zusammenlebens dar und verstösst eindeutig gegen die Grundbedingungen der Ehe. Es sei daran erinnert, dass das moralische Verhalten im jüdischen Recht der jahrhundertealten halachischen Tradition unterworfen ist und nicht den politisch korrekten Ansichten der heutigen Zeit entspricht.
Die Gesetze betreffend das «irrtümliche Geschäft» schliessen aber auch folgende Einschränkung ein: wenn der Fehler oder der Mangel von der geschädigten Partei entdeckt wurde und diese Person den Handel nicht sofort annulliert hat, kann man davon ausgehen, dass sie im Bewusstsein um die genauen Umstände einwilligte. Sie kann demnach nicht nachträglich die Annullierung des Geschäfts verlangen (siehe Maimonides, Gesetze über den Erwerb 15, 3). Wenn also, gemäss Raw Mosche Feinstein, die Ehefrau bei ihrem Mann geblieben ist, nachdem sie seine Homosexualität entdeckt hatte, kann die Ehe kaum als nichtig angesehen werden.
Es ist allerdings in der Halacha eine Bestimmung zu finden, die man «Vermutung des gesunden Menschenverstands» nennen könnte. Wenn die Handlung einer Person entweder auf eine allgemein übliche oder auf eine widernatürliche Überlegung zurückgeführt werden kann, geht man von üblichen Überlegungen aus, ausser es kann das Gegenteil nachgewiesen werden. Diese Bestimmung gilt in unterschiedlichen Fällen, darunter auch im folgenden, der im Talmud zitiert wird: bevor sie zum zweiten Mal heiratet, überschreibt eine Frau ihren gesamten Besitz ihrer Tochter. Später lässt sie sich vom zweiten Mann wieder scheiden und bittet ihre Tochter, ihr alles zurückzugeben. Raw Nachman (Abhandlung Ketubot 79a) meint, dass dadurch die erste Schenkung nichtig wird. Indem sie alles an ihre Tochter übertrug, wollte diese Frau sicher einzig und allein verhindern, dass ihr zweiter Ehemann alles erbt, falls sie als erste sterben sollte. Man geht ausserdem davon aus, dass sie schon vorher die Absicht hatte, die Schenkung im Falle einer Scheidung zu annullieren, da ihr Motiv ja dann nicht mehr existieren würde. Das Gesetz zieht es vor, dieses bei der Schenkung verheimlichte Motiv in den Vordergrund zu stellen als davon auszugehen, dass die Frau beim Verzicht auf ihren gesamten Besitz unüberlegt gehandelt hat.
So kann auch die Handlung (oder Nicht-Handlung), wenn eine Frau ihr gemeinsames Leben mit einem homosexuellen Ehemann fortführt, auf zwei Arten erklärt werden: entweder als abnormales Akzeptieren des Ehegatten mit seiner Eigenart, oder aber als ernsthafte Hoffnung, dass es sich bei seiner Neigung um einen einmaligen Ausrutscher handelt, der nicht wieder vorkommen wird. Wir ziehen es vor zu glauben, dass sie aufgrund dieser naiven Hoffnung gehandelt hat, die gemäss der Halacha im Rahmen der üblichen Überlegungen einzuordnen ist. Wir weigern uns anzunehmen, dass sie die widernatürliche Entscheidung, mit einem Homosexuellen zu leben, im Wissen getroffen hat, dass ein solches Leben einem schwer wiegenden Verstoss gegen die Grundvoraussetzungen der Ehe gleichkommt.
Wenn sich der Ehemann von M. also nun weigert, in die Scheidung einzuwilligen, oder wenn er sie finanziell erpresst, kann M. das zuständige Rabbinergericht anrufen und von ihm diese Ehe annullieren lassen.

* Rabbiner Schabtai Rappoport leitet die Yeschiwah "Schwut Israel" in Efrat (Gusch Etzion). Er hat vor kurzem die letzten beiden Bände der Responsen herausgegeben, die von Rabbiner Mosche Feinstein, s.A., geschrieben wurden. Er entwickelt gegenwärtig eine Datenbank, die alle aktuellen Themen der Halacha umfasst. Richten Sie Ihre Fragen oder Kommentare an folgende E-Mail-Adresse: shrap@bezeqint.net.

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