Für den historisch bewanderten Besucher stellt ein Rundgang im früheren Warschauer Ghetto einen besonders ergreifenden und emotionalen Moment dar, kurz, es ist eine unvergessliche Erfahrung. Unsere jüngste Geschichte und ihre Gräuel sind überall mit Händen zu greifen, man wird den Eindruck nicht los, durch ganze Seen von jüdischem Blut zu waten. An bestimmten Orten sind die Ereignisse der Vergangenheit noch physisch nachzuvollziehen: insbesondere am Umschlagplatz, von wo aus 300'000 Juden in den Tod geschickt wurden, falls sie nicht direkt an Ort und Stelle ermordet wurden, weil sie zu schwach waren, um in die Viehwagen nach Treblinka zu klettern; auch am Mahnmal für die letzte Bastion des Aufstands im jüdischen Ghetto ist dies zu spüren, das von den Deutschen mit dem zynischen Euphemismus jüdischer Wohnbezirk bedacht wurde!
Die Mila-Strasse gibt es in Warschau auch heute noch, doch bei der Hausnummer 18 steht kein Haus mehr, niemand wohnt mehr hier, obwohl an dieser Adresse eine Präsenz deutlich wahrzunehmen ist: diejenige der letzten jüdischen Aufständischen. An dieser Stelle, an der Ecke zur Zamenhofa-Strasse, starben am 8. Mai 1943 die letzten Helden der Warschauer Ghetto-Revolte. Dort, wo sich vor 63 Jahren das Zentrum des jüdischen Widerstands befand, steht heute nur noch eine Gedenkstätte, die auf den Ruinen dieses berühmten Hauses errichtet wurde. Die letzten Kämpfenden aus dem Ghetto, 120 Männer und Frauen, hatten sich in einem Bunker verschanzt, der von deutschen, ukrainischen und lettischen Soldaten ohne Unterlass bombardiert wurde. Um die letzten Aufständischen zur Aufgabe zu zwingen, wurde das Haus mit Tränengas angegriffen. Angesichts dieser massiven Attacke und weil sie unter keinen Umständen aufgeben wollten, begingen Mordechai Anielewicz, der Befehlshaber der Revolte, und seine Kampfgenossen in ihrem Unterschlupf schliesslich Selbstmord.
Der Kampf um das Warschauer Ghetto endete am 16. Mai 1943 um 8.15 Uhr früh. Kommandant Jürgen Stroop feierte seinen Sieg, indem er die ausserhalb des Ghettos gelegene grosse Synagoge an der Thomacki-Strasse in die Luft sprengte. Er erklärte, es seien 7'000 Juden im Kampf gefallen und insgesamt habe man 631 Bunker zerstört, als letzten denjenigen an der Mila 18. Während des Kampfs wurden 30'000 Juden verhaftet und in das Vernichtungslager Treblinka deportiert.
Die historischen Fakten betreffend die Schrecken im Warschauer Ghetto sind bekannt und dokumentiert, obwohl täglich neue Zeugenberichte von Überlebenden auftauchen. Erinnern wir einfach daran, dass auf dieser Fläche von 400 Hektaren (das sind 2,4% der Gesamtfläche von Warschau) 27'000 Wohnungen bestanden und dass sie von einer 3 m hohen und 18 km langen Mauer umgeben war. Zu Beginn betrug die Bevölkerungsdichte 128'000 Menschen pro km2, später stieg sie auf 146'000 Personen pro m2, das sind 8 Personen pro Zimmer. Die Ghettomauer wurde von aussen durch deutsche Polizisten, im Inneren durch jüdische Polizisten bewacht. Die «Grosse Aktion», die Deportation von 270'000 Juden aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka begann am 22. Juli 1942. Um sich diese Industrie des Todes vor Augen zu führen, muss man wissen, dass die Ermordungsrate wie folgt beziffert werden kann: 100 Tote pro Tag und m2 in jeder der drei Gaskammern, dies entspricht der Vernichtung von 6'000 bis 7'000 Menschen in drei Stunden (diese Rate wurde in der Folge in zwei Stunden, an gewissen Tagen sogar in einer Stunde erreicht).
Die Geschichte des Warschauer Ghettos wird in allen jüdischen Lehranstalten, in den orthodoxen wie den liberalsten Einrichtungen in allen Einzelheiten gelehrt. Die Namen von Dr. Janusz Korczak und Mordechai Anielewicz sind allen jüdischen Jugendlichen ein Begriff. Doch wer kennt diesen anderen Held des Ghetto-Aufstands, Pavel Frenkel, wer kennt seine Kampfkameraden? Wir wollten mehr zu diesem Thema erfahren und haben dazu MOSCHE ARENS befragt, den ehemaligen Verteidigungsminister des Staates Israel, der vor kurzem die Resultate seiner mehrjährigen historischen Nachforschungen über die Rolle veröffentlicht hat, welche die Gruppen des Betar in der berühmten Revolte gespielt haben; das Werk heisst «The Jewish Military Organizations in the Warsaw Ghetto» und ist bei Oxford University Press in der Serie «Holocaust and Genocide Studies» erschienen.
Welche Funktion besass der Betar beim Aufstand im Warschauer Ghetto?
Bevor ich näher auf Ihre Frage eingehe, möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass die Zerstörung der Warschauer Gemeinde in der langen Liste der Grausamkeiten, welche die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs gegenüber dem jüdischen Volk begangen haben, besonders schwer ins Gewicht fällt. Es handelte sich dabei um die grösste jüdische Gemeinschaft Europas, so dass Warschau in gewissem Sinne als die Hauptstadt der jüdischen Diaspora in Europa galt. Zu der furchtbaren Tatsache, in einem Ghetto eingesperrt zu sein, kam der Horror, dass diese blühende Gemeinschaft innerhalb von sieben Wochen im Takt von 7-8'000 Menschen pro Tag dezimiert wurde, die über den Umschlagplatz zum Tod in Treblinka geführt wurden. Ausserdem muss man wissen, dass es zu jener Zeit im Ghetto noch keine Widerstandsbewegung gab. Jeder von uns steht vor der quälenden Frage: Warum? Sind die Ereignisse von Warschau typisch für das Dilemma, vor dem die in den Tod geschickten Juden standen?». Wir können uns nur vorstellen, wie einige Antworten wohl gelautet haben, und dass alle wahrscheinlich die Hoffnung hegten, ihre Familie «trotz allem» retten zu können. Eine Antwort allerdings steht fest, und sie besteht aus dem Fakt, dass die Verantwortlichen der Gemeinde fort waren, fehlten. Die Führung des polnischen Judentums hatte Warschau vor der Ankunft der Deutschen verlassen; zu ihnen gehörten sowohl die Leitung des Bundes, der Agudath Israel, der zionistischen Bewegungen einschliesslich von Mosche Sneh (Arzt und von 1935-39 Präsident des Zentralkomitees der polnischen Zionisten), Menachem Begin, als auch einige Rabbiner. Sie alle besassen die Illusion, die polnische Armee könne den deutschen Streitkräften beim Vorrücken Widerstand leisten, und keiner mochte sich vorstellen, dass diese so mächtige und blühende jüdische Gemeinschaft völlig vernichtet werden könne. In Warschau war demnach niemand aus der früheren Führungsschicht übrig geblieben, und darüber hinaus ist wohl davon auszugehen, dass sie den Lauf der Dinge sowieso nicht hätte aufhalten können. Adam Czerniakow, der Präsident des Judenrats, brachte sich an dem Tag um, als ihn die Deutschen dazu aufforderten, täglich eine Liste von 8'000 Personen zu erstellen, die deportiert werden sollten. Er wusste, was sie erwartete. So begann sich eine Revolte erst nach der «Grossen Aktion» von 1942 abzuzeichnen. Zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch 50'000 Juden im Ghetto, das im Übrigen in drei völlig voneinander getrennte Sektionen unterteilt worden war: das zentrale Ghetto und zwei Lager für Zwangsarbeit zugunsten Deutschlands.
Wer gehörte zu den ersten Aufständischen?
Es waren junge Leute, die den Mut, die Vision und die Kühnheit besassen sich vorzustellen, dass eine Form des Widerstands möglich sei und organisiert werden könne. Darüber hinaus waren nur junge Männer ohne eigene Familie in der Lage, sich dieser Herausforderung zu stellen, da sie sich keine Gedanken darüber zu machen brauchten, ihre Nächsten zu gefährden. Es gab im Grunde zwei Widerstandsbewegungen: die erste war unter der polnischen Abkürzung «ZOB» (Irgun Jehudi Lochem – jüdische Kampforganisation) bekannt und wurde von Mordechai Anielewicz geleitet, der damals 23 Jahre alt war; die zweite wurde auf Polnisch als «ZZW» (Irgun Hatzvaït Hajehudi – jüdischer Militärverband) bezeichnet, an ihrer Spitze stand Pavel Frenkel, ebenfalls 23-jährig. Zur ZOB gehörten Mitglieder aus praktisch allen jüdischen Organisationen, darunter auch aus dem Bund, den zionistischen Bewegungen und sogar den Kommunisten. Der ZZW bestand in erster Linie aus Mitgliedern des Betar sowie aus einer Reihe von Personen, die gegen die Deutschen kämpfen wollten und Waffen besassen. Ich möchte die Tatsache betonen, dass die jüdische Ghetto-Revolte von Warschau im Gegensatz zur allgemeinen Annahme nicht auf eine einzige, sondern auf zwei Organisationen zurückzuführen war, was natürlich den Mut und die menschliche Grösse von Mordechai Anielewicz und von seinen Leuten in keiner Weise schmälert.
Hat der Betar beim Aufstand eine wichtige Rolle gespielt?
Zwischen dem 19. und dem 28. April 1943 fand der bedeutendste Kampf der Revolte unter dem Kommando von Pavel Frenkel auf dem Woranowsky-Platz statt. Am Ende des ersten Kampftages hissten die Mitglieder des Betar nach dem Zurückdrängen der Deutschen die zionistische (die heutige Flagge von Israel) und die polnische Flagge auf dem höchsten Gebäude des Quartiers. Die Deutschen versuchten sie zu entfernen, da sie sie für gefährliche Symbole hielten, die von zahlreichen Orten in Warschau wahrgenommen werden konnten. Himmler rief Jürgen Stroop an und beauftragte ihn, das Ghetto zu liquidieren und vor allem alles zu unternehmen, um diese Fahnen verschwinden zu lassen. Der Kampf wogte vier Tage lang hin und her, bis es den Deutschen aufgrund ihrer Übermacht und ihrer besseren Bewaffnung gelang, den Sieg davonzutragen. Leider weist bis heute keine einzige Tafel und auch keine andere Gedenkstätte auf dieses wichtige Gefecht hin, und ich bemühe mich gegenwärtig bei der polnischen Regierung darum, dass eine Hinweistafel am Woranowsky-Platz angebracht wird, wo sich heute ein Hotel befindet.
Wie viele Menschen gehörten der Gruppe von Frenkel an?
Die beiden Organisationen umfassten zusammen kaum 300 Personen. Die Menge der Kämpfenden wurde durch die Anzahl der Waffen bestimmt, über die jede Gruppierung verfügte. Am häufigsten war die Pistole, ihr gegenüber standen die automatischen Waffen, die Maschinengewehre, die leichte Artillerie und die kleinen Panzer der deutschen Armee.
Wie erklären Sie sich, dass die beiden Gruppierungen des Aufstands sich nie zusammenschlossen?
Die ZOB setzte sich vor allem aus links ausgerichteten Organisationen sozialistischer und marxistischer Prägung zusammen, einschliesslich des Bundes, der als Organismus in erster Linie antizionistisch und sozialistisch orientiert, aber doch jüdisch war. Die Bund-Mitglieder schlossen sich der ZOB übrigens erst spät an; sie wollten nicht einer jüdischen, aber eben ausschliesslich sozialistischen Kampforganisation angehören, die auch polnische Sozialisten umfasste. Da sieht man, wie präsent die alten Ideologien in den Köpfen der Warschauer Ghetto-Bewohner sogar nach der grossen Deportationswelle noch waren. Alle diese Gruppen waren der Ansicht, der Betar bestehe nur aus Faschisten, und setzten so die Aufteilung fort, die bereits zwischen Jabotinsky und den sozialistischen Zionisten existiert hatte. In Wahrheit war der Betar von Anfang an aus der Organisation der Widerstandsgruppen ausgeschlossen worden. In den Wochen vor dem Ausbruch der Revolte, nach der Deportation der meisten Juden der Gemeinschaft, stand ein Zusammenschluss zur Debatte, doch der Gedanke, sich mit Männern zusammenzutun, die als Faschisten galten, war für die ZOB inakzeptabel. Da Frenkel und seine Leute über mehr Waffen verfügten, hatten ihnen die Anhänger von Mordechai Anielewicz vorgeschlagen, sich ihnen nicht als Gruppe anzuschliessen, sondern einzeln. Weil aber Frenkels Männer eine bessere militärische Ausbildung genossen hatten als die Mitglieder der ZOB, lehnten sie ein derartiges Angebot ab. Angesichts der Umstände befremdet diese Affäre doch sehr, denn die Deutschen machten keinen Unterschied zwischen den Zugehörigkeiten der Aufständischen. Es ist interessant zu sehen, wie eng die Kämpfenden ihren Organisationen verbunden waren. Nach dem Krieg wurde auf den Listen der gefallenen Helden neben jedem Namen die ideologische Gruppierung vermerkt, der er angehört hatte.
Wie kam Pavel Frenkel ums Leben?
Die meisten seiner Kameraden fielen im Kampf auf dem Woranowsky-Platz. Frenkel selbst überlebte und schaffte es, zusammen mit einigen Männern das Ghetto zu verlassen. Als er nach dem Ende des Aufstands in Warschau untertauchte, entdeckten ihn die Deutschen im Juni 1943. Es brach ein erbitterter Kampf aus, in dessen Verlauf er mit allen seinen Männern getötet wurde.
Der Aufstand im Warschauer Ghetto fand erst nach der Deportation von über 270'000 Juden statt. Weshalb kam es erst so spät zur dieser Revolte?
Die jungen Leute, die den Aufstand organisierten, hielten sich während der «Grossen Aktion» im Ghetto auf, mit Ausnahme von Mordechai Anielewicz, der von seiner Bewegung, dem Haschomer Hatzair, in eine andere polnische Stadt geschickt worden war. Dies war übrigens der Grund, weshalb er zum Anführer des Aufstands gemacht wurde, denn diejenigen, die ihn ausgelöst hatten, verloren in den ersten Kämpfen sofort ihr Leben. Ausserdem konnte historisch nachgewiesen werden, dass der jüdische Widerstand gegen die Deutschen nur dort organisiert werden konnte und einige Erfolge verbuchen durfte, wo die Kämpfenden die fast uneingeschränkte Unterstützung der lokalen jüdischen Bevölkerung erhielten. In zahlreichen Fällen wurden sie nämlich als Verrückte angesehen, die durch ihre Taten die Deutschen zu einem noch härteren Durchgreifen und zu noch mehr Vergeltungsmassnahmen provozierten und dadurch die Überlebenschancen aufs Spiel setzten. In Warschau wies bis zur «Grossen Aktion» alles darauf hin, dass die Bevölkerung nicht hinter einer Revolte stehen und die Aufständischen bekämpfen würde. Erst nach der Deportation von 270'000 Juden, als nur noch 50'000 von ihnen übrig waren, begriffen die Leute, dass die Deutschen wirklich zur Ermordung aller Juden entschlossen waren. Und irgendwann waren alle Vertreter der früheren Spitze, die sich zu Beginn der Deportationen noch im Ghetto aufhielten, ermordet worden. Folglich sprangen die jungen Leute in die Bresche und konnten endlich selbst Entscheidungen treffen.
Wie sahen die Beziehungen zwischen den aufständischen Bewegungen und den polnischen Partisanen aus?
Letztere waren extrem antisemitisch und haben zahlreiche Juden umgebracht, die sich ihnen angeschlossen hatten. Es gab bei den Partisanen übrigens ausschliesslich jüdische Einheiten. Doch die Partisanen haben den Aufstand nicht nur aus Judenfeindlichkeit heraus praktisch nicht unterstützt, sondern einfach auch aus dem Grund, dass sie einerseits weder sehr einflussreich noch besonders gut ausgerüstet waren und andererseits in ziemlicher Entfernung von Warschau selbst aktiv waren, vor allem in der Region von Wilnius. Die Gruppen, die man die weissrussischen Partisanen nannte, standen den im Untergrund operierenden Widerstandsbewegungen im Ghetto von Wilnius nahe, und zahlreiche Juden hatten sich ihnen angeschlossen, insbesondere Aba Kovner (siehe Shalom Vol.36). Darüber hinaus war in Warschau der Antisemitismus der polnischen Partisanen allgemein bekannt, so dass die Juden am Kontakt zu ihnen nicht interessiert waren.
Wird im Archiv Ringelblum (siehe Artikel) die Rolle erwähnt, die der Betar während der Revolte spielte?
Im Archiv von Ringelblum stehen zwei wichtige Elemente in einem direkten Zusammenhang mit dieser Frage. Wir haben einen sehr vollständigen Bericht über den Besuch von Emmanuel Ringelblum persönlich im Zentrum des Irgun gefunden, das er wie folgt beschreibt: «Sie sind gut ausgerüstet und fürchten sich vor nichts.» Da er aber selbst ein links stehender Zionist war, beendete er seinen Bericht mit den Worten, dass es sich um eine Gruppe «von Faschisten der italienischen Schule» handle. Nun ist es aber allgemein bekannt, dass die Faschisten in Osteuropa als Feinde galten und dass man sie während des Kriegs zu den Deutschen zählte. Ich habe letzthin einen Text von Ringelblum veröffentlicht, den er während seines Aufenthalts im arischen Bereich des Ghettos verfasst hatte, wo er schliesslich zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn von den Deutschen ermordet wurde. Er war in Begleitung seiner zwei Freunde Itzchak Zuckerman und Adolf Abraham Berman dort, um für das Archiv möglichst viele Informationen über den Aufstand zusammenzutragen und auch eine Namensliste der Menschen zu erstellen, die der Gruppe von Mordechai Anielewicz angehörten. In dieser an Zuckerman und Berman adressierten Notiz wirft er die Frage auf, ob die Mitglieder der «anderen Organisation» ebenfalls erfasst wurden. Er betont, dass er keinerlei Sympathie für sie empfinde, sie aber Teil der Realität seien und ihre Tätigkeit von der Geschichte nicht vergessen werden solle. Da stehen sich also Ringelblum, der militante linke Zionist, und der Historiker gegenüber, der schliesslich die Oberhand gewinnt.
Wenn man mit Polen spricht, hört man immer wieder: «Polen war in erster Linie ein Opfer von Nazideutschland». Es ist aber eine Tatsache, dass auf polnischem Boden die grösste jüdische Gemeinschaft Europas vernichtet wurde. Glauben Sie, dass diese Rolle als «Opfer» völlig gerechtfertigt ist?
Diese Frage kann man weder bejahen noch verneinen. Die Polen waren zweifellos Opfer der Deutschen, weil letztere sich der polnischen Bevölkerung gegenüber recht feindselig verhielten. Ausserdem verloren während des polnischen Aufstands von 1944 fast 200'000 Menschen ihr Leben, Warschau wurde vollständig zerstört. Die meisten Polen waren aber überzeugte Antisemiten, und viele Juden, insbesondere in Warschau, haben den Krieg überlebt, weil sie sich als Polen ausgaben. Ihre grösste Furcht bestand darin, von ihren Mitbürgern entdeckt und denunziert zu werden. Zahlreiche Polen machten sich übrigens einen Zeitvertreib daraus, Juden ausfindig zu machen und sie bei den Deutschen zu verzeigen. Darüber hinaus haben die Polen die Aufständischen im Ghetto praktisch nicht unterstützt.
Weshalb haben Sie diese Ereignisse eigentlich untersucht?
Meiner Ansicht nach stellt die Revolte im Warschauer Ghetto ein einzigartiges Element in der Geschichte der Schoah dar, weil es sich um den ersten Aufstand gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg handelt. Als ich mich aus der Politik und als ehemaliges Mitglied des Betar zurückzog, wurde mir bewusst, dass die Funktion des Betar während des Aufstands von den Historikern nie gebührend gewürdigt worden war. Ich stellte ebenfalls fest, dass man sich angesichts der Geschichte von Mordechai Anielewicz und seinen Mitkämpfern immer wieder die Frage stellt: Wo waren denn die Männer des Betar, des grössten Zusammenschlusses junger Zionisten in Polen? Es handelte sich überdies ja auch um eine militante Organisation, deren Mitglieder, unter ihnen auch Pavel Frenkel, zum Teil ein echtes militärisches Training absolviert hatten. Diese Fragen beschäftigten mich viele Jahre lang, bis ich beschloss, gründliche und vertiefte historische Nachforschungen anzustellen. Ich wollte auch der Wahrheit über die historischen Fakten zum Aufstand im Warschauer Ghetto zu ihrem Recht verhelfen, die seit über 60 Jahren verfälscht und verdreht worden war. Für mich war das einfach ein Akt der Gerechtigkeit.
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