In Israel hat sich innerhalb von sechzehn Tagen grösste Euphorie in tiefste Verzweiflung verwandelt. Beim Start des Raumschiffs Columbia war nämlich auf allen Gesichtern Stolz und Freude zu lesen. Nachdem über zwei Jahre lang nur schlechte Nachrichten zu hören waren, erhellte nun endlich ein Hoffnungsschimmer den harten Alltag in unserem Land. Mit dieser Herausforderung konnte sich die Jugend tatsächlich identifizieren, sie erhielt den Anreiz, sich wissenschaftlichen Karrieren zuzuwenden, man versprach ihr eine etwas bessere Zukunft. Seit Monaten waren spezielle Lehrpläne an den Schulen ausgearbeitet worden, um die jungen Leute auf dieses Ereignis aufmerksam zu machen und sie aktiv mit einzubeziehen. Ein wissenschaftliches Experiment, das von den Jugendlichen einer Schulklasse entwickelt worden war, sollte ausserdem im Weltraum durchgeführt werden. Als die Columbia dann während des Flugs explodierte, löste dies derart tiefe Traurigkeit aus, dass die Tragödie von allen Israelis wie eine Staatstrauer erlebt wurde.
Die Zahl, Vielfalt und Qualität der an Bord der Columbia durchgeführten Forschungsarbeiten war beeindruckend. Colonel Ilan Ramon befasste sich in seinen Arbeiten ganz besonders mit der Untersuchung von meteorologischen Phänomenen, Staubstürmen, Erdbewegungen (Prävention bei Erdbeben) etc. Doch für uns, die wir weder Forscher noch Gelehrte sind, ist es wichtig zu begreifen, mit welcher Einstellung Ilan Ramon, der erste aus Israel stammende jüdische Kosmonaut, an diese aussergewöhnliche berufliche Erfahrung heranging und sie ausführte.
Auf die Frage, welche Bedeutung er seiner Mission im Weltraum beimessen würde, hatte Col. Ilan Ramon geantwortet: "Für Israel und die gesamte jüdische Gemeinschaft geht es um wesentlich mehr als um die reine Präsenz im Weltraum - es handelt sich um eine symbolische Mission". Die symbolische Bedeutung und die Emotion waren während des gesamten Flugs der Columbia, der ein so trauriges Ende nahm, allgegenwärtig und nicht von der Hand zu weisen. In einer Zeit, in der alles zum Scheitern verurteilt scheint, in der Israel tagtäglich mit den Angriffen der arabischen Terroristen konfrontiert wird, in der die Wirtschaftslage durch die Androhung eines europäischen Boykotts von israelischen Produkten noch prekärer wird und in der letztendlich der Antisemitismus so intensiv ist wie nie mehr seit den 30er Jahren, sorgte Ilan Ramon eindeutig für frischen Wind und neue Hoffnung. Seine Botschaft an uns lautete, dass kein Ziel zu weit entfernt, kein Gipfel zu hoch sei. Er hat dem gesamten jüdischen Volk in Erinnerung gerufen, dass wir, wenn wir entschlossen an eine Aufgabe herangehen, die Wüste zum Blühen bringen und auf Sanddünen moderne Städte errichten können.
Ilan Ramon verkündete seine Botschaft, die nun zu seinem Erbe geworden ist, nicht nur als einfacher Staatsbürger Israels, sondern als stolzer Jude. So heiligte er den Schabbat, indem er am Freitagabend vor seinen verblüfften Kollegen in der Raumkapsel den Kiddusch rezitierte, so sagte er das Gebet "Schema Israel", als sie Jerusalem überflogen, und so verlangte er in seiner Eigenschaft als Jude, dass er an Bord der Columbia koschere Mahlzeiten zu sich nehmen konnte.
Ilan Ramon war ein Jude, der der ganzen Welt gezeigt hat, was man in Israel erreichen kann. Er war Wissenschaftler auf hohem Niveau und ein aussergewöhnlicher Pilot für Kampfflugzeuge - bei allem, was er unternahm, gehörte er zu den Besten. Seine Teilnahme an der Bombardierung von Osirak ist zwar allgemein bekannt, doch über seine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Lavi, des ersten israelischen Kampfjets, weiss bis heute fast niemand Bescheid.
Seine wichtigste Botschaft - und nun seine Hinterlassenschaft - drückte er bei einem historischen und emotionsgeladenen Gespräch aus, das er am 21. Januar 2003 mit Premierminister Ariel Sharon und Erziehungs- und Wissenschaftsministerin Limor Livnat führte. Im Laufe dieser im Fernsehen ausgestrahlten Diskussion, die live und in Konferenzschaltung zwischen dem Raumschiff Columbia und dem Büro des Premierministers in Jerusalem geführt wurde, erklärte Ilan Ramon insbesondere: "Von hier aus gesehen ist Israel so, wie wir es empfinden, wenn wir im Land sind: klein, aber wunderschön. Wir, die Israelis und das gesamte jüdische Volk, setzen uns als Nation aus einer Reihe bemerkenswerter Individuen zusammen. Ich möchte daher betonen, wie wichtig es mir von hier aus erscheint, unser geschichtliches und religiöses Erbe zu bewahren und zu pflegen. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich Ihnen etwas zeigen, was eine ganz besondere Bedeutung besitzt, das ich mitgenommen habe und das für mich einen ganz speziellen emotionalen Wert beinhaltet. Ich halte in den Händen eine kleine Sefer Torah, die ein kleiner Junge im Lager Bergen-Belsen vom Rabbiner von Amsterdam erhalten hatte, damit er seine Bar-Mitzwah vorbereiten und seine Parascha (wöchentlicher Abschnitt aus dem Pentateuch, der am Schabbat in der Synagoge gelesen wird) vortragen konnte. Wie durch ein Wunder überlebte der junge Yossef Yoyachin das Vernichtungslager, er liess sich in Israel nieder und nahm an den Kriegen des eben entstandenen jüdischen Staates teil. Er studierte an der Universität von Tel Aviv, wo er zu einem der angesehensten Professoren und vor allem zu einer der beiden Stützen des israelischen Weltraumprogramms wurde. Er trug diese Sefer Torah immer bei sich, und ich schätze mich daher glücklich und bin geehrt, dass er sie mir für die Dauer der Mission anvertraute. Noch wesentlicher ist allerdings die Symbolik, die in dieser kleinen Torah zum Ausdruck kommt, sowie die Tatsache, dass sie sich heute mit mir im Weltraum befindet. Sie will uns sagen, dass das jüdische Volk in der Lage ist, alle Schwierigkeiten zu überwinden, alles zu überleben, dass es aus den schwärzesten Stunden wieder ans Licht gelangen kann, wo sämtliche Hoffnungen erlaubt sind und wo man der Zukunft vertrauensvoll entgegen sehen kann."
Ilan Ramon hat bewiesen, dass es möglich ist, als israelischer Jude eine hoch qualifizierte Arbeit durchzuführen und Spitzenresultate alltäglich werden zu lassen, ohne dabei seine jüdische Identität und seine religiösen Traditionen zu vernachlässigen.
Die Erinnerung an ihn - sein Vorbild - sein Erbe sind uns eine Lehre, die uns daran erinnert, wonach wir streben sollten und dass Spitzenresultate und Vorzüglichkeit letztendlich nicht mehr sind als eine andere Möglichkeit, die jüdische Tradition und Identität auszudrücken.
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