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Inhaltsangabe Kroatien Frühling 2002 - Pessach 5762

Editorial - Frühling 2002
    • Editorial

Pessach 5762
    • Optimismus ist unerlässlich

Politik
    • Zu besserem Bewusstsein

Interview
    • Der Schlüssel zum Sieg
    • Tourismus und Terrorismus

Strategie
    • Die dritte Streitkraft

Terrorismus
    • Die neue Logik Des Terrorismus

Reportage
    • Notfallstation
    • Die Moral stärken

Judäa – Samaria – Gaza
    • Das Leben geht weiter

Judäa - Samaria - Gaza
    • Stop in Rechelim

Medizin
    • Das Labor der Hoffnung

Wirtschaft
    • Solidarität - Wo bist Du ?

Kroatien
    • Stjepan Mesic – Präsident der Republik Kroatien
    • Jerusalem und Zagreb – Ljubljana – Bratislava
    • Jude in Hrvatska
    • Glavni Rabinat u Hrvatskoj
    • Eine ungewöhnliche Bibliothek
    • Die Schoah in Kroatien
    • Die Ustascha
    • Singen zum Überleben
    • Eine entscheidende Wende

Ethik und Judentum
    • Ins Privatleben Eingreifen ?

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Jude in Hrvatska

Von Roland S. Süssmann
Die Überschrift dieses Artikels kann eigentlich als Zusammenfassung der aktuellen Situation des kroatischen Judentums gelesen werden. «Gestern – die Vergangenheit». Die wohlhabende und florierende jüdische Gemeinschaft Kroatiens wurde auf die entsetzlichste Weise dezimiert, und zwar vom Regime der Ustascha, dieser Ausgeburt nicht der Hölle, wie es üblicherweise heisst, sondern der Deutschen und ihrer faschistischen Komplizen. «Heute – die Gegenwart» ist Gegenstand des Hauptteils dieser Reportage, dank der wir eine ein wenig in Vergessenheit geratene Gemeinschaft kennen lernen werden, die unmittelbar nach dem Überstehen des Kriegs einen Neuanfang wagt. Für das «Morgen – die Zukunft» können wir im Moment nur ein riesiges Fragezeichen setzen.
Niemand weiss, wie die Zukunft aussehen wird, doch im Fall der jüdischen Gemeinschaft Kroatiens ist diese zusätzlich mit einer schweren Hypothek belastet, weil die Assimilierung und die Anzahl gemischter Ehen sehr hoch ist und nur noch wenige authentische Juden (mit jüdischer Mutter) der Gemeinde angehören. Ausserdem gilt es als unziemlich, die Frage nach der Echtheit des Judentums einer bestimmten Person zu stellen, die Standardantwort lautet immer wieder: «Er ist Mitglied der Gemeinde»… Mit dieser Situation setzt sich ein dynamisches und entschlossenes Team tagtäglich auseinander; unter der Leitung von Dr. Ognjen Kraus, einem bekannten Urologen, und von Rabbiner Kotel Dadon, unternimmt diese Gruppe alles in ihrer Macht Stehende, um wieder ein jüdisches Gemeinschaftsleben aufzubauen. Gleichzeitig bemüht sie sich darum, die Zukunft so zu planen, dass die kommenden Generationen ihr Judentum in Kroatien ungehindert leben können.
Es liegt uns fern, uns als oberflächliche und billige Historiker aufzuspielen, doch es schien uns doch sinnvoll, kurz die wichtigsten Etappen der jüdischen Präsenz in Kroatien und ihre Geschichte in Erinnerung zu rufen. Die ersten Juden liessen sich in Kroatien nieder, als die Römer eine umfassende Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit im gesamten Reich beschlossen. Archäologische Funde aus dem 2., 3. und 4. Jahrhundert machten es möglich, einige Spuren der jüdischen Präsenz nachzuweisen, insbesondere in Salona, einer bei Split gelegenen Stadt, und in Osijek. Andere Hinweise auf jüdische Gemeinschaften aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind in den Erlassen der Könige der Dynastie Arpad zu finden, in denen gewisse Einschränkungen in Bezug auf die Rechte der Juden festgehalten sind. Dank der Erwähnung von Juden in gerichtlichen Berichten weiss man heute, dass sie im 14. und 15. Jahrhundert in Kroatien lebten. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind keine Dokumente erhalten, doch im 18. Jh. wird ihre Präsenz regelmässig in verschiedenen offiziellen Papieren bestätigt. Die meisten Juden waren damals reisende Händler, die aus Ungarn stammten und auf den Märkten ihre Waren verkauften. In den meisten Fällen wurden sie von den ortsansässigen Kaufleuten nicht akzeptiert, die sich dafür einsetzten, dass ihnen die Berufsausübung verboten wurde. Erst im Jahr 1783, als das Toleranzedikt des Habsburger Kaisers Joseph III. in Kroatien in Kraft trat, erhielten und genossen die Juden im gesamten Reich Religionsfreiheit, Reise- und Niederlassungsfreiheit sowie das Recht auf Schulbildung. Strenge Einschränkungen blieben aber weiterhin gültig. So waren die Handwerksberufe, die den Zünften vorbehalten waren, den Juden untersagt, darunter auch die Landwirtschaft, sie durften auch kein Land und keine Häuser erwerben. Trotz all dieser Schwierigkeiten liessen sich immer mehr Juden in Kroatien nieder. 1806 wird von zwanzig Familien, insgesamt 75 Menschen, die jüdische Gemeinde von Zagreb gegründet. Zum ersten Rabbiner ernennte die Gemeinde 1809 Aron Palota. 1840 besagte ein Entschluss des «Sabor», des kroatischen Reichstags, dass die «Juden mit der Zeit die absolute Gleichstellung erhalten» sollen. Diese Verordnung wurde jedoch erst nach 37 Jahren umgesetzt! 1843 wurde die Zahl der Berufe, die Juden ausüben durften, erhöht und 1859 erhielten sie das Recht Häuser und Land zu kaufen. Doch erst im Jahr 1837 (?) unterzeichnete Ban Mazuranic den Erlass, der den Juden die vollständige Gleichstellung zusicherte. Die jüdische Gemeinschaft erlebte zu diesem Zeitpunkt einen enormen Aufschwung; 1880 lebten 13'488 Juden im Land, 1900 bereits 20'032!
Doch die Juden hatten nicht nur gegenüber den Behörden und der christlichen Bevölkerung mit Schwierigkeiten zu kämpfen, sie litten auch unter ernsthaften internen Zwistigkeiten. Es handelte sich nicht, wie so häufig, um Fragen der Ehre, welche diese Spannungen hervorriefen, sondern um Ideen. Der Konflikt beruhte auf einer gegensätzlichen Auffassung vom Judentum: derjenigen der Orthodoxen (20% der Gemeinschaft) und derjenigen der Reformatoren, die wie in Ungarn «Neologen» genannt wurden. Dazu kamen zwei philosophische Strömungen, die sich ebenfalls feindlich gegenüber standen, der Zionismus und eine Bewegung, welche die Assimilierung forderte; dieser Streit endete mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Während langer Zeit stellten die Zionisten eine Minderheit dar, doch infolge der verschiedenen antisemitischen Gewalttätigkeiten seitens der rechtsradikalen politischen Parteien und der extremistischen katholischen Bewegungen gaben die «Assimilationisten» letztendlich in mancher Hinsicht nach. So verloren sie zu Beginn der 30er Jahre die Wahlen um die Leitung der Gemeinschaft zunächst in Osijek, später auch in Zagreb und in den anderen Städten. Parallel zu diesen Ereignissen und zum Erfolg Hitlers in Deutschland zog die verbotene kommunistische Partei zahlreiche junge Juden an, denn sie bot ein radikales antifaschistisches, Programm an. Auf wirtschaftlicher Ebene sollte an die interessante Tatsache erinnert werden, dass die jüdische Gemeinschaft Kroatiens innerhalb von fünfzig Jahren zur wohlhabendsten Bevölkerungsgruppe geworden war. Obwohl sie nur 1% der gesamten Einwohnerzahl ausmachten, kontrollierten die Juden einen wichtigen Teil des Handels und der Industrie. Die Familien Deutsch-Maceljsk, Alexander, Prister, Ehrlich und Schwartz gehörten zu den reichsten des Landes und schürten dadurch Neid, Fremdenhass und Antisemitismus. Natürlich waren nicht alle Juden wohlhabend, die meisten Mitglieder der Gemeinschaft waren bescheidene Händler oder Angestellte. Viele von ihnen engagierten sich in den Gewerkschaften, in der sozialistischen Partei und in den kommunistischen Organisationen. Darüber hinaus spielten die Juden mit ihrer Grossherzigkeit eine bedeutende Rolle bei der Verbesserung der allgemeinen Wohlfahrt benachteiligter Bürger. Die lokale Intelligentsia (eher reformiert und assimiliert) setzte sich aus Juden zusammen, die sich in erster Linie mit akademischer und intellektueller Arbeit beschäftigten.
Dieser kurze Überblick vermittelt ein recht genaues Bild vom Stand der Bildung, der Macht und des Reichtums der jüdischen Gemeinschaft in Kroatien, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 23’000 Juden zählte. Nur 5000 von ihnen überlebten die Schoah (siehe die Artikel mit Dr. Slavko Goldstein, Professor Ivo Goldstein, Dr. Aleksander Tolnauer und dem Historiker Dr. Efraïm Zuroff), die meisten als Soldaten der nationalen Befreiungsarmee, die anderen nach der Flucht in die italienische Zone. Nach der Kapitulation Italiens fanden sie Zuflucht in den Gebieten, die von den Partisanen befreit worden waren.
Dank diesem knappen geschichtlichen Rückblick können wir die aktuellen Hintergründe besser verstehen, die wir im Lauf eines Gesprächs mit Dr. OGNJEN KRAUS, dem Präsidenten des Koordinationsausschusses der jüdischen Gemeinden von Kroatien, analysiert haben.

Können Sie uns in wenigen Worten die heutige jüdische Gemeinschaft von Kroatien beschreiben?

1992 haben wir einen neuen Koordinationsausschuss gegründet, der unabhängig ist von den jüdischen Gemeinden Kroatiens und der heute neun Gemeinschaften umfasst: drei an der Küste - Rijeka, Split und Dubrovnik -, die anderen im Norden des Landes - Zagreb, Osijek, Cadovek, Slavonski Brod, Virovitica und Daruvar. Dazu haben wir, 1999, die Gemeinschaft von Koprivnica offiziell wieder ins Leben gerufen und auch sie ist in unseren Koordinationsausschuss aufgenommen worden. Die Gemeinden der Küstenstädte sind sephardisch. Wir sind als Gemeinde sehr offen für andere Minderheiten, mit denen wir einige kulturelle Aktivitäten gemeinsam veranstalten, wie beispielsweise Tagungen. Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren konnten wir 1997 einen bedeutenden Kongress auf sehr anspruchsvollem Niveau organisieren. Das Thema lautete: «Antisemitismus – Holocaust und Antifaschismus». Die wichtigsten Beiträge wurden in kroatischer und englischer Sprache veröffentlicht. A propos Publikationen: wir geben regelmässig eine Zeitschrift mit dem Titel «HaKol» (die Stimme) heraus, die als Mitteilungsblatt der Gemeinde dient. Einmal jährlich veröffentlichen wir eine Ausgabe auf Englisch unter dem Titel «Voice - Kol» (es handelt sich um eine qualitativ hochstehende, ansprechende Publikation mit zahlreichen Informationen über das Leben und die Arbeit in der Gemeinde, einem ausführlichen historischen und kulturellen Teil und schwarzweissen Illustrationen. Anm.d.Red.). Darüber hinaus erscheint bei uns eine kulturelle Zeitschrift, die denselben Titel trägt wie ein Magazin ähnlicher Art, das vor dem Krieg existierte, «Omanut» (Kunst). In Zagreb besteht neben der eigentlichen Gemeinde eine Organisation der Freunde der jüdischen Gemeinschaft, «Miroslav Schalom Freiberger cultural society», mit der wir eine Reihe von kulturellen Veranstaltungen organisieren. Was die Entwicklung unserer verschiedenen Projekte angeht, bin ich in der glücklichen Lage sagen zu können, dass sie in Zukunft an der Praska-Strasse Nr.7, an demselben Ort stattfinden wird, wo sich die wunderschöne Synagoge von Zagreb befand, die 1941-42 zerstört wurde. Mitte der 80er Jahre haben wir den offiziellen Antrag auf Rückerstattung dieses Gebäudekomplexes gestellt. Das Prozedere war recht langwierig, so dass die Eigentumsurkunden erst gegen Ende 1999 den Vertretern der Gemeinschaft offiziell und feierlich überreicht wurden. An dieser historischen Stätte möchten wir also ein jüdisches Kulturzentrum errichten, zu dem das Jüdische Museum von Kroatien, die jüdische Schule und eine Synagoge – als Erinnerung an die vor dem Krieg bestehende - gehören sollen. Obwohl sich einige Stimmen dafür ausgesprochen haben, ist es unmöglich, die herrliche Synagoge wieder aufzubauen, die vor dem Krieg in Zagreb stand, denn die Gemeinde zählte damals 11'000 Mitglieder, und heute sind wir nur noch 1'500. Wir planen, eine Mauer zu errichten, auf der die Namen aller Juden von Zagreb und von Kroatien stehen, die während der Schoah ums Leben kamen, wie dies auch in der Synagoge Pinkas in Prag gemacht wurde (siehe SHALOM Vol. 27). Wir möchten auch eine Kunstgalerie und ein multikulturelles Theater dort einrichten. Es ist ein sehr umfangreiches Projekt, es geht um einen Komplex von 6000 m2, von denen 2000 m2 für die Aktivitäten der Gemeinde verwendet werden, der Rest für Geschäftslokale, deren Vermietung eine Einnahmequelle für die Gemeinde darstellen wird.

Vor der Schoah war die Gemeinschaft von Zagreb reformiert, einschliesslich der Synagoge. Fast fünfzig Jahre lang hat Ihre Gemeinde ohne Rabbiner funktioniert. 1998 haben Sie nun Kotel Dadon eingestellt, einen orthodoxen Rabbiner. Wie erklären Sie sich diese Entscheidung und dieses plötzliche Bedürfnis nach der echten Präsenz eines Rabbiners?

Jede jüdische Gemeinschaft, die dieses Namens würdig ist, muss einen Rabbiner besitzen, dessen Tätigkeit sich nicht auf das Gebet in der Synagoge beschränkt, ganz im Gegenteil. Seine wichtigste Aufgabe besteht darin, dem jüdischen Leben neuen Schwung zu verleihen, der Jugend nahe zu stehen, die jüdische Bildung zu fördern, darunter auch den Hebräischunterricht. Wie Sie bereits betont haben, blickt unsere Gemeinde auf eine reformierte Tradition zurück und war nie orthodox. Ausserdem stellt die Einstellung eines orthodoxen Rabbiners nach fünfzig Jahren der Verweltlichung und des nichtreligiösen Gemeindelebens eine Herausforderung dar, die frischen Schaffensdrang erzeugt. Seine Anwesenheit wird natürlich auch zu einigen Spannungen führen, vor allem unter den älteren Mitgliedern der Gemeinde, die diese neue Situation nur mit grossen Vorbehalten akzeptieren. In meiner Eigenschaft als Präsident ist es meine Aufgabe, alles zu tun, um eine Verständigung zwischen den verschiedenen Gruppen, Meinungen und Einstellungen zu erreichen. Ich behaupte nicht, dass dies immer leicht ist, es ist aber äusserst wichtig, mit einer gewissen Offenheit vorzugehen und dazu muss ich sagen, dass Rabbiner Dadon sich der Bedeutung der Situation sehr bewusst ist und seine Tätigkeit in den Dienst dieser Umstände zu stellen weiss.
Was die Entwicklung unserer Gemeinde und die Wahl eines orthodoxen Rabbiners angeht, darf man nicht vergessen, dass die meisten Angehörigen unserer Gemeinschaft innerhalb einer gemischten Ehe geboren und aufgewachsen sind. In den vergangenen fünfzig Jahren hat man sich die Frage nach dem Glauben oder dem Ehepartner ganz einfach nie gestellt, so wie man auch nicht wissen wollte, ob jemand Aschkenasi oder Sepharade ist. Im Allgemeinen wurde die Eheschliessung nur standesamtlich gefeiert und das Paar wurde unabhängig von der Religion des Partners in die Gemeinschaft aufgenommen. Wir verbrachten aber unsere gesamte Zeit miteinander, und diejenigen, die wie ich jetzt um die fünfzig sind, erinnern sich an wunderbare Augenblicke, die wir «in unserem Kreis», im Kindergarten, in Ferienlagern, im Jugendklub oder im Gemeindeleben miteinander erlebt haben. Darüber hinaus, Sie haben es auf dem Friedhof gesehen, sind zahlreiche Gräber sowohl mit einem Davidsstern als auch mit einem Kreuz geschmückt, andere weisen eine Mondsichel und einen jüdischen Stern auf, auf anderen wiederum steht unser Sechsstern neben demjenigen mit fünf Spitzen; in diesem Fall handelt es sich um Menschen, die aktiv bei den Partisanen mitwirkten.
Heute finden in Kroatien immer weniger standesamtliche Heiraten statt. Aufgrund der von mir beschriebenen Situation befinden sich zahlreiche Juden in einer schwierigen Lage, aus der es keinen einfachen Ausweg gibt. Gegenwärtig heiraten tatsächlich einige Juden in der katholischen Kirche, die seit kurzem gemischte Ehen akzeptiert, ohne dass der nichtkatholische Partner zum Katholizismus übertreten muss. Sie können sich ja denken, welchen Problemen wir gegenüber stehen würden, wenn wir gemischte Ehen gemäss der jüdischen Tradition einführen wollten! Es ist eine Tatsache, dass erst im letzten Jahr nach mehreren Jahrzehnten wieder traditionelle jüdische Hochzeiten in unserer Gemeinschaft gefeiert werden konnten. Man muss sich das Ausmass dieser Ereignisse vor Augen führen, denn seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden nur zwei oder drei Eheschliessungen unter der Chuppah (Hochzeitsbaldachin) gefeiert, bei denen beide Partner dem jüdischen Glauben angehörten.

Welches ist die Hauptsorge des Präsidenten des Koordinationssausschusses aller jüdischen Gemeinden in Kroatien?

Die Zukunft der Gemeinschaft! Wir sind nur eine kleine Gruppe, die nicht jünger wird, über 60% unserer Mitglieder sind über 65 Jahre alt. Zur Vorbereitung der Zukunft muss ich mich bei der Jugend sehr einsetzen: sie muss motiviert und für das Leben in der Gemeinschaft interessiert werden. Daher ist es äusserst wichtig, dass die Divergenzen zwischen Gläubigen und Atheisten so schnell wie möglich aus dem Weg geräumt werden, denn dieser Streit ist sinnlos und stösst die Jugend ab. Natürlich finden diese Zwistigkeiten bei uns nicht in dem Umfang statt wie in anderen europäischen Städten, doch wir müssen uns anstrengen, damit die Arbeit in der Gemeinde und die Vorbereitung der Zukunft in einer möglichst angenehmen Atmosphäre stattfinden. Es versteht sich von selbst, dass wir unserer Gemeinschaft und vor allem den jungen Leuten eine ganze Reihe von sozialen und kulturellen Veranstaltungen anbieten.

Wie sieht es in Kroatien heute mit dem Antisemitismus aus?

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stehen wir nicht so schlecht da. Es gibt überhaupt keinen Antisemitismus des Staates, doch natürlich werden wir von einzelnen Vorfällen nicht verschont. Ich denke aber, dass die wachsende Verbreitung des Nationalismus und die schlechte wirtschaftliche Lage unseres Landes dazu beitragen, den Antisemitismus zu schüren, der sich dadurch noch verstärken könnte, was heute noch nicht der Fall ist. Wir pflegen ausgezeichnete Beziehungen zu den Behörden und die historische Reise unseres Präsidenten Stjepan Mesic ist der beste Beweis dafür. Der Kontakt mit der Kirche kann als korrekt bezeichnet werden, obwohl sie es bis jetzt nicht für nötig erachtet hat, ihre Haltung während der Schoah kritisch zu hinterfragen.

Die jüdische Gemeinschaft Kroatiens befindet sich, wie wir sehen, mitten im Umbruch, hinter ihr liegt eine zugleich glorreiche und komplexe Vergangenheit, heute steht sie in einer bewegten Gegenwart voller Veränderungen.


DAS ALTERSHEIM LAVOSLAV SCHWARZ
Wie überall in den osteuropäischen Ländern spielen die sozialen Probleme eine wichtige Rolle im Leben der Gemeinde. In Kroatien ist der grösste Teil der jüdischen Bevölkerung über 65 Jahre alt und immer mehr Menschen leiden unter den Schwierigkeiten des Alters. In den meisten Fällen kümmern sich die Familien um ihre älteren Verwandten, doch wenn jemand dieses Glück nicht besitzt, gibt es in Zagreb eine jüdische Institution für Pensionäre, das «Lavoslav Schwarz retirement home».
Lavoslav Schwarz wurde 1837 in Zagreb geboren. Als Sohn eines reichen Kaufmanns wuchs er in einer Umgebung auf, in der die Wohltätigkeit selbstverständlich war. Schon zu Lebzeiten war er für seine Grosszügigkeit sowohl den jüdischen als auch den nichtjüdischen Organisationen gegenüber bekannt, und in diesem Umfeld hat er eine Institution für alte Menschen gegründet. Er selber starb 1906.
Zu Beginn befand sich das Heim in einem Gebäude, das von den Nazis zwei Tage nach dem Einmarsch der Deutschen in Zagreb evakuiert wurde. Diejenigen Menschen, die Verwandten in Zagreb hatten, konnten bei ihrer Familie unterkommen, die anderen wurden in Wohnungen untergebracht, die von der Gemeinschaft überall in der Stadt gemietet wurden, was damals ungemein schwierig war, da zu jener Zeit fast niemand Juden als Mieter haben wollte. Eine weitere Schwierigkeit war die Suche nach Personal, denn nur wenige hatten nichts dagegen, ihr Leben zu riskieren, weil sie für Juden arbeiteten. So kümmerten sich letztendlich die jüngeren und kräftigeren Rentner schliesslich gemäss dem Motto «à la guerre comme à la guerre» um die Älteren, versorgten sie mit Nahrung, wuschen ihre Wäsche usw. Interessanterweise stellte Erzbischof Stepinac trotz der Zusammenarbeit zwischen der römisch-katholischen Kirche Jugoslawiens und dem Ustascha-Regime dem Heim eine der Residenzen des Episkopats zur Verfügung, in der von 1943-1946 fünfzig Personen untergebracht wurden. Ausserdem hatte die Kirche es trotz mehrerer Versuche und Interventionen der Ustascha-Polizei nicht zugelassen, dass die Bewohner des Heims verhaftet und deportiert würden. Auf diese Weise wurden 55 Menschen gerettet.
1957 wurde ein neuer Gebäudekomplex errichtet; in diesen Räumen befindet sich das Heim heute. Ursprünglich war diese Institution für alle in Jugoslawien lebenden alten Menschen vorgesehen, doch seit Kroatien wieder unabhängig ist, steht sie grundsätzlich nur den Mitgliedern der kroatischen jüdischen Gemeinschaft offen. Dies bedeutet, dass auch die nichtjüdischen Ehepartner und ihre direkten Angehörigen (Schwiegereltern usw.) akzeptiert werden. Wegen des jüngsten Balkankriegs wurden jedoch auch einige aus Sarajevo stammende Menschen aufgenommen. Bei Kriegsende haben mehrere von ihnen beschlossen in Zagreb zu bleiben, andere sind nach Bosnien zurückgekehrt. Zweck des Altersheims ist es, sowohl als zeitweiliger als auch als ständiger Aufenthaltsort zu dienen und verfügt über eine Abteilung mit ärztlicher Betreuung, wo pflegebedürftige Menschen oder Kranke im Endstadium betreut werden. Die Pflege wird kostenlos von den ansässigen jüdischen Ärzten übernommen. Die Küche des Altersheims beliefert ausserdem auch einige Haushalte von älteren Menschen, die nicht mehr für sich selbst kochen können. Die Mahlzeiten sind nicht streng koscher. Gegenwärtig ist das Heim voll belegt: es verfügt über 85 Plätze, die im Moment von ca. 20 Männern und 65 Frauen in Anspruch genommen werden. Der älteste Bewohner ist heute 99 Jahre alt, der jüngste ist 72. Wie alle Institutionen dieser Art organisiert das Heim eine Reihe von jüdischen und weltlichen Kulturveranstaltungen, um die Bewohner zu zerstreuen, darunter auch Ausflüge. So geben z.B. aufgrund eines Abkommens mit dem Musikkonservatorium die Schüler der Abschlussklasse regelmässig Konzerte als Vorpremiere. Die Leitung des Heims legt besonderen Wert auf eine echte jüdische Atmosphäre. Man feiert die jüdischen Festtage und in der kleinen Synagoge finden Gottesdienste statt. Diese Institution wird zum grössten Teil vom American Joint Distribution Committee und der «Conference of Jewish Material Claims against Germany» finanziert. Die Bewohner beteiligen sich ebenfalls je nach Höhe ihrer Rente an den Kosten ihres Aufenthalts.


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