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Inhaltsangabe Reportage Frühling 2002 - Pessach 5762

Editorial - Frühling 2002
    • Editorial

Pessach 5762
    • Optimismus ist unerlässlich

Politik
    • Zu besserem Bewusstsein

Interview
    • Der Schlüssel zum Sieg
    • Tourismus und Terrorismus

Strategie
    • Die dritte Streitkraft

Terrorismus
    • Die neue Logik Des Terrorismus

Reportage
    • Notfallstation
    • Die Moral stärken

Judäa – Samaria – Gaza
    • Das Leben geht weiter

Judäa - Samaria - Gaza
    • Stop in Rechelim

Medizin
    • Das Labor der Hoffnung

Wirtschaft
    • Solidarität - Wo bist Du ?

Kroatien
    • Stjepan Mesic – Präsident der Republik Kroatien
    • Jerusalem und Zagreb – Ljubljana – Bratislava
    • Jude in Hrvatska
    • Glavni Rabinat u Hrvatskoj
    • Eine ungewöhnliche Bibliothek
    • Die Schoah in Kroatien
    • Die Ustascha
    • Singen zum Überleben
    • Eine entscheidende Wende

Ethik und Judentum
    • Ins Privatleben Eingreifen ?

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Die Moral stärken

Von Roland S. Süssmann
Der Brief einiger Reservisten, die sich weigerten in Judäa, Samaria und Gaza Dienst zu tun, hat viel Staub aufgewirbelt und wirkte aus der Sicht der übrigen Welt wie eine nationale und militärische Bewegung, welche die Politik der gegenwärtigen Regierung ablehnt. Diese Initiative wird zwar sehr wahrscheinlich im Keim erstickt werden und stellt darüber hinaus keinesfalls eine neue Anti-Sharon-Bewegung dar, sondern sehr wohl einen Versuch der hilflosen Linken, die Moral der Armee zu untergraben. Zu dem Zeitpunkt, da diese Ereignisse weltweit für Schlagzeilen in der Presse sorgten, sind wir mit einem Mann zusammengetroffen, der sein Leben der Aufgabe widmet, die Moral der Truppen zu stärken. Der Instruktor für zukünftige Helikopterpiloten, der Rabbiner und Pilot RAPHAEL PERETZ hat vor neun Jahren eine ganz besondere Organisation mit dem Namen «Etzem - Mechinah Toranith LeTsahal» gegründet. Diese Schule soll die militärischen Führer von morgen ausbilden, was seltsamerweise nicht auf Grund von körperlichen oder technischen Leistungen erfolgt, sondern mit Hilfe der Entwicklung menschlicher Qualitäten, des Dienstes an der Nation und des Kampfwillens angesichts des Feindes und der Schwierigkeit. Bis heute haben über 500 Schüler «Etzem» besucht, und von den 120 leitenden Befehlshabern der Armee haben 9 diese Schule des Lebens absolviert.

Woher kam Ihr Entschluss, ein derart ehrgeiziges und weitreichendes Projekt in Angriff zu nehmen?

Ich habe viele Jahre lang in der Armee gedient und habe miterlebt, wie viele meiner Freunde, welche dieselbe religiöse Erziehung genossen hatten wie ich, nämlich diejenige der national-religiösen Bewegung, ihren Lebensstil während des Militärdienstes aufgegeben haben. Als ich die Hintergründe dieser Tatsache analysierte, ist mir bewusst geworden, dass dieser Bruch sich aus der Kluft ergab, die zwischen dem frommen Leben und dem Wissen existiert. Dies betrifft nicht nur die jungen Leute, die in die Armee eintreten, sondern einen grossen Teil der Bevölkerung, der sein Judentum mit Hilfe einer Reihe von Automatismen lebt. Heute ist aber ein Leben auf diese Weise nicht mehr möglich, und meiner Ansicht nach ist es die Pflicht der Rabbiner und vor allem der Menschen wie ich, denen das Privileg zuteil wurde, ein gewisses jüdisches Wissen zu erwerben und sich gleichzeitig im Dienst der Armee zu bewähren, sich an die Jugend zu wenden. Heute möchte jeder mehr denn je die Grundlagen und Hintergründe der Ideen, Pläne und Ideologien begreifen. Es scheint mir äusserst wichtig, alles in Bezug auf den Zionismus, die Entwicklung des Landes und die Besiedlung von Judäa – Samaria – Gaza mit einer Terminologie zu erklären, die uns in der Torah dargeboten wird, und zwar in einer Sprache, mit der sich die Bevölkerung im Allgemeinen und die Jugend im Besonderen identifizieren können. Dieses Vorgehen soll es ihnen ermöglichen, mit den Theorien des Post-Zionismus oder auch mit der Entwicklung eines übertriebenen Materialismus und Egoismus fertig zu werden, ganz zu schweigen von den Einflüssen von Fernsehen und Internet. Kurz, ich finde es ist unsere Pflicht, eine Gesellschaft heranzubilden, der wir eine Alternative zu den Verlockungen der modernen Konsumgesellschaft anbieten können, der wir aber in erster Linie ermöglichen, ihre jüdische Kultur mit Stolz und im Wissen um die Hintergründe auszuleben. Dies ist beileibe keine einfache Aufgabe, die in kurzer Zeit erfüllt werden kann, es handelt sich um einen langwierigen, tiefgreifenden und allmählich erfolgenden Prozess, der zunächst bei jedem Einzelnen stattfinden muss, bevor er sich auf die Gesellschaft auswirken kann.

Sie haben sich zu dem Zeitpunkt, als die Osloer Verträge unterzeichnet wurden, ganz bewusst in Atzmona im Gazastreifen niedergelassen. Waren Sie dabei nicht etwas gar abenteuerlustig, da zu jener Zeit alles darauf hinwies, dass eine jüdische Präsenz in dieser Region keine Zukunft besitzen würde?

Wenn man den Namen Itzchak Rabin erwähnt, denken alle als Erstes an seine Ermordung, dann an die Osloer Abkommen. Für uns ist er aber der Mann, der die ersten jüdischen Dörfer in der Gegend von Gusch Katif im Herzen des Gazastreifens und an der Küste gegründet hat. Er hat die strategische Bedeutung jeder einzelnen dieser Siedlungen erkannt. Wir haben uns folglich an einem Ort niedergelassen, an dem die israelische Regierung eine jüdische Präsenz aufbauen wollte. Ich sehe daher nicht ein, weshalb ich nicht in eine Region hätte ziehen sollen, die von den Behörden zum festen Bestandteil unseres Nationalgutes erklärt worden war. Es stimmt, dass damals einige Menschen dachten, es sei nicht der richtige Zeitpunkt dafür, doch heute haben uns die Ereignisse bewiesen, dass sie nicht Recht behalten haben. Wir haben mit 25 Schülern begonnen, heute zählen wie 180, wobei 120 im ersten Ausbildungsjahr und 60 im zweiten stehen.

Welche Bedingungen muss man erfüllen, um in Ihre Institution aufgenommen zu werden?

Wir nehmen jeden auf, der sich durch Offenheit, Aufmerksamkeit, Zuhörbereitschaft und Idealismus auszeichnet. Ich möchte betonen, dass wir junge Leute aufnehmen, welche die körperlichen Anforderungen nicht erfüllen, um Armeeangehörige zu werden. Sie kommen zu uns und geben ihrem Wunsch Ausdruck, im Rahmen der Armee Freiwilligenarbeit zu leisten. Dann erkläre ich ihnen, sie hätten grossen Kampfgeist und ihr Beitrag sei ebenso wertvoll wie derjenige eines Piloten oder eines Mitglieds einer Kommandoeinheit, sofern sie ihr Bestes geben um die vielleicht weniger ruhmreiche Aufgabe zu erfüllen, die man ihnen aufträgt. Unsere Auswahl erfolgt auf Grund menschlicher Qualitäten jedes einzelnen und berücksichtigt nicht seine Ausbildung oder die Tatsache, ob er nun religiösen Kreisen entstammt oder nicht. Jeder Mensch mit dem aufrichtigen Wunsch sich weiterzuentwickeln und mit dem Willen, in seinem Beruf und im Privatleben grosse Verantwortung zu tragen und dabei der Nation zu dienen, ist bei uns am richtigen Ort. Unsere Auswahlkriterien beruhen daher nicht auf einer Prüfung des Wissens. Jeder junge Mann, der zu uns kommen möchte, wird während drei Tagen von uns beherbergt und beobachtet. In dieser Zeit kann er tun, was ihm Spass macht, Kurse besuchen, Sport treiben oder gar nichts unternehmen. Wir beobachten sein Verhalten z.B. während des Unterrichts oder im Speisesaal: hilft er beim Tischdecken und Abräumen oder lässt er sich bedienen? Eine Reihe von kleinen Hinweisen gibt uns einen ersten Eindruck des Kandidaten, den ich anschliessend zu einem Gespräch empfange. Während dieser Unterredung beschliesse ich, ob wir ihn aufnehmen oder abweisen.

Welche Frage ist im Verlauf dieses Gesprächs «ausschlaggebend», welche Antwort führt unter allen Umständen zu einer Absage an den Kandidaten?

Es gibt mehrere solcher Fragen, und je nach Fall verwende ich die eine oder andere von ihnen. Ich sage beispielsweise zu einem jungen Mann: «Jetzt lebst du seit achtzehn Jahren in diesem Land; wie sah dein bisheriger Beitrag zum Leben und zur Gesellschaft aus?». Wenn er mir antwortet: «Ich werde meine Pflicht erfüllen, sobald ich in der Armee bin», oder auch: «Im Rahmen von schulischen Aktivitäten habe ich mich einmal pro Woche um behinderte Kinder gekümmert», steht fest, dass er nicht zu uns gehört. Wenn er aber berichtet, er habe diese oder jene freiwillige Tätigkeit ausgeübt oder er sei Betreuer in einer Jugendbewegung gewesen, öffnen wir ihm sofort unsere Türen, denn dieser Mensch besitzt ein Potential, das nur darauf wartet angeleitet und entwickelt zu werden. Er hat es bewiesen, indem er selbst freiwillig die Initiative ergriffen hat und - auf seinem Niveau natürlich - seine Zeit und seine Energie zum Wohl des jüdischen Volkes und Israels einsetzte. Unsere Erziehungsprogramme sind nämlich in erster Linie darauf ausgerichtet, beim Einzelnen das Verantwortungsgefühl zu wecken. Wir haben kein Personal, die Schüler müssen sich allein organisieren und alle Aufgaben, wie kochen, waschen, putzen usw., selbst übernehmen. Wir wollen natürlich damit keine Hausmänner ausbilden, doch wir möchten der Nation Männer geben, die ganz bewusst Verantwortung übernehmen und ihr Wissen in den Dienst einer höchst verantwortungsvollen Aufgabe stellen. Heute sind fast 10% der höchsten Kader in der Armee frühere Schüler von uns. Ein grosser Teil unserer Ausbildung erfolgt durch die im Alltag erlebte Situation, und ich bin überzeugt, dass der Frontalunterricht darin sehr oft versagt. Wir leben mit unseren Schülern zusammen, sie sehen, wie wir mit unseren Familien und unseren Alltagsproblemen umgehen.

Kann man Sie letztlich nicht als eine Art vormilitärische Akademie bezeichnen, in der bessere Soldaten ausgebildet werden?

Keinesfalls. Wir bieten ja keine eigentliche militärische Ausbildung an, die Schüler tragen keine Uniform und erhalten bei ihrem Eintritt in die Armee keine Vorteile aus der Tatsache, dass sie an unserer Institution waren. Sie werden auf menschlicher Ebene bessere Soldaten sein, sicher nicht auf technischer. Wir lehren sie die menschlichen Werte, den Preis des Lebens und wie schrecklich es ist, auf einen Menschen schiessen oder ihn töten zu müssen, auch wenn er unser schlimmster Feind ist. Natürlich bringen wir ihnen bei, sich physisch zu verteidigen. In der letzten Zeit mussten wir die Angriffe von Terroristen abwehren, die bis in unsere Dörfer und Wohnungen vorgedrungen waren. Wir haben unsere Schüler gelehrt, Wachtürme einzunehmen und diese Form des Angriffs abzuwehren, selbstverständlich immer in direkter Zusammenarbeit mit der Armee.

Wie sehen die Lehrpläne aus und wer gibt den Unterricht?

Es gibt eine Reihe von Kursen, doch sie beruhen, wie das gesamte Programm, auf der individuellen Verantwortung, die Tage können recht frei organisiert werden. Die Studienräume sind ab sieben Uhr morgens bis um zwei Uhr morgens geöffnet. Die Kurse sind obligatorisch. Vergessen Sie nicht, dass wir wie eine Jeschiwah funktionieren, dass wir aber im Gegensatz zu anderen Jeschiwoth die Betonung auf den Unterricht in jüdischer Moral legen und weniger auf das Studium des Talmud selbst. Die Unterrichtenden fallen ein wenig aus dem Rahmen. Wir haben heute 15 Lehrer, die alle in Atzmona wohnen. Es sind Männer mit einer grossen Lebenserfahrung, sei es nun im Rahmen der Armee, des Rabbinats oder in einem anderen Fachbereich. Unsere Lehrer arbeiten ohne zeitliche Einschränkung, sie stehen den Schülern rund um die Uhr zur Verfügung und gehen auf sie ein.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Institution?

Zur Zeit planen wir keine grossen Entwicklungsprogramme. Wir haben jedoch eine neue Abteilung für die Männer eröffnet, die soeben ihren Armeedienst beendet haben und noch einige Zeit studieren möchten. Wir bringen sie zusammen mit ihren Familien in einem neuen Erweiterungsbau unter, der nur hundert Meter von der Grenze zu Ägypten entfernt liegt.

Rabbiner Peretz entfaltet, wie wir sehen, zahlreiche und klar umrissene Aktivitäten. Die Ergebnisse seines Unterrichts sind greifbar und sein jüngster Erfolg trat anlässlich der Diplomfeier am Ende der Ausbildung der Armeepiloten zutage, als ein ehemaliger Schüler von «Etzem - Mechinah Toranith LeTsahal» den Titel des besten Kameraden erhielt.


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