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Inhaltsangabe Kroatien Frühling 2002 - Pessach 5762

Editorial - Frühling 2002
    • Editorial

Pessach 5762
    • Optimismus ist unerlässlich

Politik
    • Zu besserem Bewusstsein

Interview
    • Der Schlüssel zum Sieg
    • Tourismus und Terrorismus

Strategie
    • Die dritte Streitkraft

Terrorismus
    • Die neue Logik Des Terrorismus

Reportage
    • Notfallstation
    • Die Moral stärken

Judäa – Samaria – Gaza
    • Das Leben geht weiter

Judäa - Samaria - Gaza
    • Stop in Rechelim

Medizin
    • Das Labor der Hoffnung

Wirtschaft
    • Solidarität - Wo bist Du ?

Kroatien
    • Stjepan Mesic – Präsident der Republik Kroatien
    • Jerusalem und Zagreb – Ljubljana – Bratislava
    • Jude in Hrvatska
    • Glavni Rabinat u Hrvatskoj
    • Eine ungewöhnliche Bibliothek
    • Die Schoah in Kroatien
    • Die Ustascha
    • Singen zum Überleben
    • Eine entscheidende Wende

Ethik und Judentum
    • Ins Privatleben Eingreifen ?

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Stjepan Mesic – Präsident der Republik Kroatien

Von Roland S. Süssmann
PRÄSIDENT DER REPUBLIK KROATIEN
«Ich spreche im Namen Kroatiens, das voller Respekt und Verehrung der Millionen von Opfern des Holocausts gedenkt. Ich ergreife diese Gelegenheit um all jene um Verzeihung zu bitten, die seitens der Kroaten zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte Schaden erlitten haben, in erster Linie natürlich die Juden. In meiner Eigenschaft als Präsident der Republik Kroatien bedaure ich zutiefst die Verbrechen, die während des Zweiten Weltkriegs durch das politische Gebilde Quisling namens «Unabhängiger Staat Kroatien», obwohl es weder unabhängig noch kroatisch war, begangen wurden».
Diese historische Erklärung, dieses Eingeständnis von Vergehen und diese Bitte um Verzeihen von STJEPAN MESIC, dem Präsidenten Kroatiens, die er am 31. Oktober 2001 vor der Knesset aussprach, müssen als Grundlage für eine neue Ära der Beziehungen zwischen Kroatien und Israel dienen. Stjepan Mesic beendete seine denkwürdige Ansprache mit folgenden Worten: «Ich bin nach Israel gekommen, um die Schulden der Vergangenheit zu tilgen, die eine Quelle für Spannungen in unserer Beziehung darstellten. Ich bin gekommen um den Grundstein zu legen, der eine umfassende und langjährige Zusammenarbeit ermöglichen soll, die unseren beiden Ländern zugute kommt.»
Stjepan Mesic ist ein aussergewöhnlicher Staatschef, sowohl durch seine Einstellung als auch durch seine zugleich sympathische und entschlossene Persönlichkeit. Dazu muss man wissen, das seine Familie während des Zweiten Weltkriegs zu den antifaschistischen Kräften gehörte, welche die Besatzungsmacht und ihre Helfershelfer in der Ustascha bekämpften; elf seiner Familienmitglieder wurden von der damals amtierenden Regierung umgebracht. Er selbst hat eine von den Partisanen geleitete Schule besucht, die gegen das Quisling-Regime kämpften.
Als ich die heute berühmt gewordenen Rede von Präsident Mesic hörte, beschloss ich, diesen Mann um ein Exklusivinterview zu bitten. Während einer Stunde empfing er mich mit grosser Herzlichkeit in der Bibliothek des Präsidentenpalastes von Zagreb, das sich in einer zur Zeit Titos erbauten Residenz inmitten eines herrlichen Parks befindet. Unser Gespräch, dessen wichtigste Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst werden, war ernsthaft, direkt und warmherzig zugleich.

Ein zentrales Anliegen Ihrer Reise nach Israel hängt mit der Zeit der Schoah und dem tragischen Schicksal zusammen, das die jüdische Gesellschaft Kroatiens in diesen Jahren erlitten hat. Im Verlauf Ihres Besuchs haben Sie sich wiederholt in der Öffentlichkeit entschuldigt. Wie wurden Ihre Erklärungen in Israel und in Kroatien aufgenommen?

Diese Bitten um Verzeihung mussten ganz einfach erfolgen und ich habe sie ohne Zögern vorgebracht und dabei versucht, keine falsche Interpretation meiner Worte oder das Entstehen irgendeiner Form von Missverständnis zuzulassen. Ich habe betont, dass das heutige Kroatien in keinerlei Weise der Nachfolger des Kroatiens aus dem letzten Weltkrieg ist, das nur entstanden war, weil die Achsenmächte es so beschlossen hatten. Ich habe ebenfalls daran erinnert, dass damals auch ein anderes Kroatien existierte, das den Faschismus bekämpfte und dessen Vorbild wir heute folgen. Was die Reaktionen angeht, glaube ich zu wissen, dass meine Rede in Israel selbst positiv aufgenommen wurde. Dasselbe gilt auch für mein Land und ich kann bestätigen, dass bei den meisten Kroaten meine in Israel gehaltenen Reden gut angekommen sind; im Grunde wünsche ich mir nur eines, dass nämlich die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sich verbessern und sich normal entwickeln.

Sind Sie der Ansicht, Ihr Besuch habe tatsächlich dazu beigetragen, eine neue Ära der Freundschaft zwischen Kroatien und Israel und zwischen Kroatien und den Juden einzuläuten? In welcher Richtung sollten sich diese verschiedenen Beziehungen Ihrem Wunsch nach entwickeln?

Es besteht kein Zweifel daran, dass mein Besuch den Beginn eines neuen Kapitels für die Beziehungen zwischen Kroatien und Israel bedeutet. Hinter uns liegen ein Jahrzehnt der Missverständnisse und eine Phase, in deren Verlauf in Israel berechtigte Zweifel an Kroatien und seiner geschichtlichen Rolle während der Schoah aufstiegen, sowohl in Bezug auf den Faschismus als auch auf den Antifaschismus, insbesondere nach der Veröffentlichung des berühmt-berüchtigten Buches von Fanjo Tudjman. Heute ist nun endlich eine neue Ära der normalisierten Beziehungen angebrochen. Ich denke, dass Kroatien den israelischen Geschäftsleuten zahlreiche Möglichkeiten für Investitionen bietet. Andererseits gibt es viele Bereiche, in denen wir eine Menge von Israel lernen können, was wir nicht versäumen werden. Ich möchte auch betonen, dass wir uns im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus auf die Seite der Vereinigten Staaten stellen.

Auf welchen Gebieten können Kroatien und Israel ihre Zusammenarbeit schon rasch aufnehmen?

Das israelische Know-how verkörpert das wertvollste «Exportgut» für unser Land, das uns sofort gute Dienste erweisen könnte. Wir hingegen sind eine kleine Nation, wir exportieren landwirtschaftliche und industrielle Erzeugnisse, Textilien usw. Wir können eine Reihe von gemeinsamen Projekten ins Leben rufen und israelisches Kapital in den Tourismus in Kroatien investieren.

In den vergangenen drei Jahren hat Kroatien den Kommandanten des schrecklichen Konzentrationslagers Jasenovac, Dini Sakic, vor Gericht gestellt und verurteilt. In Ihrer Rede vor der Knesset und in Yad Vaschem haben Sie hervorgehoben, wie wichtig es sei, die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher zu verfolgen. Sollen in Ihrem Land weitere Nazi-Prozesse durchgeführt werden?

Ich bezog mich dabei nicht nur auf nazistische Kriegsverbrecher, sondern auf alle Kriegsverbrecher. In der Knesset habe ich gesagt, es sei nie zu spät, einen solchen Kriminellen vor Gericht zu bringen, habe er nun seine Greueltaten während des Zweiten Weltkriegs oder während des Kriegs begangen, der vor kurzem in Jugoslawien wütete.

Ein wichtiger Punkt, den Sie in Ihren Reden in Israel angesprochen haben, war auch die Forderung, das Wissen über die Schoah zu verbreiten. Wie steht es heute darum in Kroatien? Besteht ein präzises Bildungsprogramm für die Öffentlichkeit einerseits und die kroatische Jugend andererseits in Bezug auf die Vermittlung der Geschichte dieser tragischen Zeit?

Es geht dabei um zwei verschiedene Dinge. Die Erwachsenen wissen Bescheid über die Schoah, die in der Föderation Jugoslawien nie in Frage gestellt wurde. Die jungen Leute hingegen, die in den letzten zehn Jahren zur Schule gegangen sind, wissen überhaupt nichts, denn was sie gelernt haben, war in Wirklichkeit eine politisch gefärbte Version der jüngsten Geschichte. Sie müssen nun erfahren, was wirklich passiert ist, und aus diesem Grund habe ich in unseren Schulen eine Art Lehrprogramm zum Thema Schoah eingeführt. Darüber hinaus habe ich in Folge einer Begegnung mit Dr. E. Zuroff eingewilligt, dass das Jerusalemer Büro des Simon Wiesenthal Zentrums eine Ausstellung über die Schoah nach Zagreb kommen lässt. Diese wird höchstwahrscheinlich von unserem «Civic Committee for Human Rights» organisiert werden und zuerst in Zagreb und später in mehreren Städten Kroatiens stattfinden.

Kehren wir nun zur Aktualität zurück. Sie sagten, Ihr Land beteilige sich an der westlichen Koalition im Kampf gegen den Terrorismus. Während der letzten Generalversammlung der UNO wurden Sie während fast einer halben Stunde von Präsident George W. Bush empfangen. Haben Sie auch über die Haltung von Arafat gesprochen, der selber ein Terrorist ist und den internationalen Terror unterstützt?

Anlässlich meines letzten Besuchs in New York bin ich Arafat persönlich begegnet. Ich habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er alles in seiner Macht Stehende unternehmen müsse, um der Gewalt in Israel Einhalt zu gebieten. Wie Sie wissen, kann der Terror sich hinter verschiedenen Masken oder Vorwänden verstecken, wie beispielsweise die «Freiheit», die «Ideologie» oder die «Religion», doch dies kann nicht die Tatsache verbergen, dass der Terrorismus in Wahrheit nur eine Reihe von Morden darstellt. Ich habe Arafat daran erinnert, dass Israel eine Realität ist, die sich für ihren Fortbestand weiterhin sowohl für den Staat als solchen als auch für seine Bürger um Sicherheit bemühen wird. Es wäre illusorisch, diese Tatsache zu leugnen. Dennoch bin ich der Ansicht, dass die Schaffung der palästinensischen Behörde und ihre Tätigkeit für die betroffene Bevölkerung einen positiven Schritt auf dem Weg des Friedens darstellt. Ich habe Arafat ebenfalls gesagt, es sei sinnvoller, zehn Jahre lang zu verhandeln als auch nur zehn Tage lang Krieg zu führen. Arafat gehört zu den Politikern, die nie eine klare und eindeutige Antwort geben. Man muss sich klar machen, dass er mit verschiedenen Strömungen zurechtkommen muss, die innerhalb seiner Bewegung existieren.

Wie sehen Sie auf der Grundlage der Ereignisse in Ihrem eigenen Land die weitere Entwicklung der Lage im Nahen Osten?

Es ist von grösster Wichtigkeit, die Schuld des Individuums anzuprangern. Wir haben, wie Sie wissen, vor kurzem erst einen schrecklichen Krieg beendet, dessen Ziel die territoriale Kontrolle und die ethnische Säuberung war. Alle Serben sind überzeugt, die Kroaten seien Kriegsverbrecher, und umgekehrt. Dem ist aber nicht so. Es gibt eine Reihe von Menschen, die entsetzliche Taten begangen haben, die verfolgt und letztendlich verurteilt werden. Diese Art, an das Problem heranzugehen, hat die Gemüter beruhigt und uns ermöglicht, eine Form der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn aufzunehmen. Ich glaube, dass ein derartiges Modell mit allen Feinheiten, die der besonderen Mentalität der jeweiligen Region entsprechen, allmählich den Frieden herbeiführen sollte. Es ist unabdingbar, dass die palästinensische Behörde sich von den Terroristengruppen lossagt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht, denn dadurch könnten sie allmählich das Vertrauen der Israelis gewinnen und vor allem ein Klima schaffen, in der die kollektive Schuldzuweisung keinen Platz mehr hat. Diejenigen Palästinenser, die friedlich mit Israel zusammenleben wollen, könnten so ihr Anliegen zum Erfolg führen.

Glauben Sie nicht, dass nach diesen Überlegungen Arafat die erste Person wäre, von der sich die Palästinenser distanzieren müssten, weil er zu den grössten Drahtziehern des Terrors gehört?

Ja, aber mit Hilfe des internationalen Drucks könnte man Arafat dazu zwingen, den richtigen Weg einzuschlagen. In dieser Hinsicht bin ich überzeugt, dass die Vereinigten Staaten eine äusserst wichtige Rolle zu spielen haben. Ich bin jedoch der festen Meinung, dass auch ein schon so lange währender Konflikt durch Verhandlungen und die Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien beigelegt werden kann.

Welche konkreten Massnahmen schlagen Sie vor, um dem Terrorismus das Handwerk zu legen?

Meiner Ansicht nach besteht eine wirksame Bekämpfung des Terrors, die Verantwortlichen bekannt zu machen, die Menschen, Gruppen oder Regimes, die den Terror unterstützen und finanzieren. Ein gemeinsames Vorgehen in diesem Sinne würde einen riesigen Fortschritt bedeuten. Darüber hinaus stellt die weltweite Koalition für den Kampf gegen den Terror ein ausgezeichnetes Mittel dar, die Drahtzieher des Terrors an den Pranger zu stellen. Der Kampf gegen den Terror kann nicht von einem einzelnen Staat gewonnen werden, es braucht die gemeinsame Anstrengung der demokratischen Länder, damit die Nationen, welche terroristische Organisationen finanzieren, unterstützen und beherbergen, ausgegrenzt werden.

Sind Sie bei aller Vernunft so optimistisch zu glauben, dass diese Form des internationalen Vorgehens realisierbar ist?

Ja, denn wir leben heute in einer Zeit, wo die positiven Kräfte jedes Landes hoch geachtet werden. In dieser Hinsicht war ich von Israel nachhaltig beeindruckt. Sobald die Phase der militärischen Operationen abgeschlossen ist und auch die zweite Etappe, diejenige der Aufdeckung der finanziellen und logistischen Netzwerke der terroristischen Organisationen, beendet wäre, treten wir in eine Ära ein, in der die konstruktiven Kräfte im Vordergrund stehen. Auch hier kann Israel als Vorbild dienen, und der Fall des Toten Meers veranschaulicht diese Tatsache sehr gut. Jedes andere Land hätte dieses natürliche Salzwasserbecken als unnütze Last empfunden, doch Israel hat es verstanden, ihm seine Geheimnisse und seine Kraft zu entlocken, indem es um diese «Last» herum eine Reihe von industriellen und landwirtschaftlichen Aktivitäten entwickelt hat. Ich denke, dass die Länder aufgrund dieser Einstellung nicht anders können, als gezwungenermassen zusammenzuarbeiten und ihre Rohstoffe und menschlichen Ressourcen zum gemeinsamen Wohl einzusetzen. Wenn jede Nation einen positiven Beitrag leisten würde, anstatt den Grund für ihr Leid bei ihren Feinden zu suchen, würden wir – und auch der Nahe Osten - in einer friedlicheren Welt leben.

Kroatien steckt gegenwärtig in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Könnte diese Tatsache zu einem erneuten Aufleben der rechtsextremen Kräfte führen?

Dies ist der Wunsch meiner politischen Gegner. Es entspricht jedoch heute keinem Bedürfnis in der Bevölkerung, auch wenn es einige radikale Gruppierungen gibt, die im Moment politisch bedeutungslos sind. Ich persönlich unternehme wirklich alles, um die Arbeitslosigkeit zu senken, und ich glaube, dass wir es mit der Hilfe der europäischen Länder und der USA schaffen werden, unsere gegenwärtige Situation zu verbessern. Die Vereinigten Staaten sind bis heute der grösste ausländische Investor in unserem Land.

Ein Interview mit dem Präsidenten Kroatiens wäre unvollständig, wenn er nicht über seine Beziehung zur jüdischen Gemeinschaft seines Landes sprechen würde. Wie könnte man sie beschreiben?

Unsere Beziehungen sind ausgezeichnet, insbesondere diejenigen mit der jüdischen Gemeinde von Zagreb. Als ich der Gemeinde von Zagreb einen offiziellen Besuch abstattete, wurde mir gesagt, ich sei der erste Staatschef seit Kaiser Franz Joseph, der diesen Schritt gemacht habe! Ich bin ebenfalls in die Synagoge von Dubrovnik gegangen, wo mir die Gemeinde einen herzlichen Empfang bereitete. Ausserdem gehörten der Präsident des Verbands jüdischer Gemeinden Kroatiens, Dr. Ognjen Kraus, und der Präsident der Gesellschaft für die Freundschaft Kroatien–Israel, Michael Montiljo, anlässlich meiner Israel-Reise der offiziellen Delegation an. Sie sehen, unsere Beziehungen sind bemerkenswert gut und ich freue mich darüber.


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