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Inhaltsangabe Kunst und Kultur Frühling 2001 - Pessach 5761

Editorial - Frühling 2001
    • Editorial

Pessach 5761
    • Gehorsam und Gewissen

Politik
    • Die Einheit - Wozu?

Interview
    • Merkwürdiger Krieg

Judäa – Samaria – Gaza
    • Das Leben geht weiter…

Bulgarien
    • Jerusalem und Sofia
    • Frischer Wind für die Juden in Bulgarien
    • Tiefe Wurzeln
    • Jude – Bulgare - Abgeordneter
    • Das Kulturelle Leben

Junge Spitzenpolitiker
    • Begegnung mit Effi Eytam

Wirtschaft
    • Telefonieren mit Leerer Batterie!

Shalom Tsedaka
    • Hunde der Hoffnung

Wissenschaft und Forschung
    • Chumus ist gesund !

Kunst und Kultur
    • Das Ende einer Ära

Ethik und Judentum
    • Kopf oder Zahl ?

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Das Ende einer Ära

Von Jennifer Breger *
Anlässlich des Versteigerungsverkaufs von Gegenständen aus dem Besitz der Familie Sassoon durch Sotheby‘s in Tel Aviv wurden im vergangenen Oktober Erinnerungen an die Grösse einer Familie wachgerufen, die eine der berühmtesten jüdischen Dynastien der letzten Jahrhunderte verkörperte und unter dem Namen „Rothschild des Ostens“ bekannt war. Dank ihren Beziehungen und ihrem Unternehmergeist errichtete sie ein legendäres Imperium, das sich von Osten nach Westen erstreckte, von Bagdad über Persien, Indien, Hongkong und Schanghai nach London. Viele der veräusserten Besitztümer sind im Grunde kleine persönliche Gegenstände, die den verschiedenen Mitgliedern der bekannten Familie gehörten und die mit den diversen Orten in ihrer Geschichte zu tun haben.
Befassen wir uns zunächst mit der Geschichte der Familie, die in Bagdad als Höflinge und reiche Kaufleute begann. Scheich Sassoon ben Salah, der 1830 verstorbene Gründer der Familie, stand an der Spitze der jüdischen Gemeinschaft von Bagdad und diente dem osmanischen Pascha Suleiman als Oberschatzmeister. Sein Sohn, David Sassoon, floh vor der irakischen Verfolgung zunächst nach Baschir und dann nach Bombay. Hier legte er das Fundament für die internationale Handels- und Bankgesellschaft. Die jüdische Gemeinde von Bombay und ihre Institutionen verdanken ihm und seiner Familie sehr viel. Sein ältester Sohn war massgeblich an der Entwicklung Bombays zu einer modernen Hafenstadt beteiligt; später trugen Familienmitglieder in Indien zum Aufschwung der indischen Textilindustrie bei, während sie sich auch in grosszügiger Weise für wohltätige Zwecke einsetzten.
Von den acht Söhnen und sechs Töchtern David Sassoons liessen sich sechs in London nieder, gehörten rasch der höchsten Gesellschaft an und trugen in mancherlei Hinsicht zum politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben Grossbritanniens bei. Einer der Söhne, Edward, wurde 1899 Abgeordneter im Parlament, Tochter Rachel war Herausgeberin zweier konkurrierender Zeitungen, „The Sunday Times“ und „Observer“. Zahlreiche Sassoons verkehrten mit Mitgliedern der königlichen Familie, insbesondere mit Edward, Prince of Wales, dem späteren Edward VII. Auch Siegfried Sassoon gehörte zum britischen Teil der Familie, er wurde vor allem als Dichter des Ersten Weltkriegs bekannt, der die Schrecken des Krieges beschrieb; er wurde allerdings im anglikanischen Glauben erzogen und konvertierte später zum Christentum. Philip Sassoon war ebenfalls Parlamentsabgeordneter, er diente als Armeesekretär unter Feldmarschall Haig im Ersten Weltkrieg, wurde dann während der Zwischenkriegszeit Unterstaatssekretär für Luftfahrt und beendete seine Laufbahn als Bauminister und Kurator für die meisten bedeutenden britischen Kunstsammlungen.
Doch der Teil der Familie, der eng mit dem jüdischen Erbe verbunden blieb, waren die Nachkommen von Solomon David Sassoon und seiner Frau Flora. Er war der Sohn David Sassoons und verbrachte zahlreiche Jahre mit der Verwaltung der chinesischen Tochtergesellschaften der Familienunternehmen in Schanghai und Hongkong und kehrte später nach Bombay zurück. Neben seinem Sinn für Geschäftliches befasste er sich auch ernsthaft als Gelehrter mit der hebräischen Sprache. Er heiratete Flora Gabbai, die als Enkelin von David Sassoon, der sich als Erster in Bombay niedergelassen hatte, ursprünglich ebenfalls eine Sassoon war. Sie besass eine aussergewöhnliche Persönlichkeit. Sie war bei ihrer Eheschliessung erst 17 Jahre alt, verfügte über eine unglaubliche Begabung und beherrschte die Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Hindustani ebenso wie Englisch, Französisch und Deutsch. In Bombay wurde sie zu einer berühmten Gastgeberin, welche die jüdischen Ernährungsvorschriften streng einhielt, ihren Mann bei der Verwaltung seiner Geschäfte unterstützte und aktiv an der Anti-Purdah-Bewegung beteiligt war.
Als ihr Mann 1894 starb, übernahm sie die Verantwortung für das Unternehmen und leitete das Büro in Bombay äusserst effizient und mit viel unternehmerischem Geschick. 1901 zog sie nach London, zum Teil wegen der besseren medizinischen Betreuung einer ihrer Töchter. In London wurde sie als würdevolle und majestätische, elegant gekleidete Dame, die immer eine siebenreihige Halskette trug, in die Gesellschaft aufgenommen. Als sie sich in Mayfair niederliess, wurde sie zu einer der begehrtesten Gastgeberinnen: Ihre minutiöse Beachtung der religiösen Vorschriften war dabei kein Hindernis. Der berühmte Historiker Cecil Roth sagte, sie habe sich „unterschiedslos mit Aristokraten, Radschahs und Rabbiner unterhalten, erfolgreich und selbstbewusst“. Auf Reisen nahm sie immer ihren eigenes Minyan und Schochet mit. Ausserdem haben Tausende ihre Wohltätigkeit genossen und sie erhielt Post, auch wenn sie nur an „Flora Sassoon, London“ adressiert war. Unermüdlich setzte sie sich dafür ein, dass Flüchtlinge nach England einreisen konnten. Sie verteidigte den Zionismus und die Gründung eines jüdischen Staates mit Überzeugung und setzte sich sehr für die Balfour Deklaration ein.
Einzigartig war aber vor allem ihre Gelehrsamkeit. Sie wusste so viel über sephardische Doktrin und Riten wie niemand anderes. Sie verfasste Artikel zu wissenschaftlichen Themen. In einer Abhandlung über Raschi legte sie eine unglaubliche Kenntnis seiner Kommentare und Responsen an den Tag, indem sie deren genaue Analyse anhand von Beispielen vornahm, wo er mit seinen Lehrern übereinstimmte oder aber von ihren Überzeugungen abwich und sie kritisierte. Auch ihr Wissen über Werke, insbesondere diejenigen aus dem Orient, die nur in handschriftlicher Form vorliegen, war beeindruckend. 1924 war sie Vorsitzende bei der Feier des jüdischen College, und ihre brillante Rede erschien im gleichen Jahr bei der Oxford University Press und später auf Hebräisch in einem Anhang zu einem Werk über Bibelkommentare, dessen Verfasser Rabbi Yoel Herzog war, damals Rabbiner in Paris und Vater von Rabbi Yitzchak Herzog, der als Oberrabbiner in Irland und später von Eretz Israel wirkte. Am Treffendsten fasste wohl Cecil Roth das Leben von Flora Sassoon zusammen, wenn er sagte: „Sie schritt wie eine Königin, sprach wie ein Weiser und empfing wie ein orientalischer Potentat“.
Ihr Sohn David Solomon Sassoon gilt als einer der bedeutendsten jüdischen Sammler und Bücherkenner aller Zeiten. Er schrieb auch gewichtige Werke über mittelalterliche hebräische Poesie und über die Geschichte der Juden in Bagdad. Er machte es zu seiner Lebensaufgabe, eine Bibliothek mit Manuskripten aufzubauen. Bereits mit 13 Jahren begann er, angespornt von seiner Mutter, zu sammeln, die erste von ihm erworbene Handschrift war eine Megillath Ruth, die früher einem seiner Onkel gehört hatte. Er und seine Mitarbeiter reisten um die Welt, um kostbare und einzigartige hebräische und samaritanische Manuskripte zu finden und zu erwerben. Seine Schwester Rachel stand ihm dabei oft zur Seite; sie hatte in die Familie Ezra hinein geheiratet und lebte jetzt in Kalkutta. 1902 kaufte er eine Sammlung mit Geniza-Material in Kairo und 1913 erwarb er in Aleppo die Farhi Bibel, eine aus Spanien stammende, mit Illuminierungen versehene hebräische Bibel, die als eine der bedeutendsten weltweit gilt. In der jüdischen Gemeinschaft in Damaskus kaufte er das berühmte, aus dem 9. Jh. datierende und aus Babylon stammende Pentateuch von Damaskus, das wahrscheinlich nach den Schriftrollen aus dem Toten Meer das älteste noch existierende hebräische Manuskript ist. Zwischen 1893 und 1932 erwarb er über 1150 hebräische und samaritanische Handschriften. In diesem Jahr gab er auch den berühmten Katalog seiner Sammlung „Ohel David“ heraus. Die Kollektion wurde von seinem Sohn Solomon David Sassoon weitergeführt, der sie sowohl durch weitere Gegenstände ergänzte als auch einige der Manuskripte der Sammlung veröffentlichte, sowie ein Buch über die Schechitah und eines über die sephardische Kultur verfasste.
Seit 1975 wurden die Schätze der Sammlung Sassoon in einer Reihe von Verkäufen durch Sotheby’s in Zürich, London, New York und Tel Aviv in alle Welt zerstreut.
Die jüngste Versteigerung in Tel Aviv wurde in zwei Teilen durchgeführt: ein Teil betraf Judaika, der andere persönliche Gegenstände, Möbelstücke, Haushaltgegenstände, darunter auch Silber, und Erinnerungsstücke. Unter den Judaika befanden sich einige Gegenstände aus dem Irak, die an die Herkunft der Familie erinnerten. Als ganz besonderes Objekt kann ein einzelner irakischer Rimmon (Torahglöckchen) aus dem 18. Jh. bezeichnet werden, er ist mit einer Inschrift zur Erinnerung an Ma’atuka versehen, die Tochter des Familiengründers Sassoon Salah. Ein Paar Rimmonim aus dem Jahr 1760 mit Hamsas am oberen Ende und hebräischen Inschriften wurde auf einen Preis von $.15-18'000.- geschätzt und wechselte letztendlich die Hand für $.64'000.-. Ein anderes Paar von Rimmonim machen die enge Beziehung mit der jüdischen Gemeinschaft Grossbritanniens deutlich. Sie wurden 1790 vom englischen Silberschmied Henry Green hergestellt. Bei einem Schätzpreis von $.15-25'000.- erzielten sie einen Verkaufspreis von $.390'750.-. Sie wurden ursprünglich von Reuben Sassoon erworben, einem der Sassoonschen Brüder, die sich in London niedergelassen und mit dem Prince of Wales angefreundet hatten, der sie dem ehemaligen Besitzer, einem berühmten Juden, abkaufte, dessen Bruder der erste jüdische Bürgermeister von London gewesen war; später waren sie in den Besitz von David Sassoon übergegangen. Ein seltener Etrog-Behälter aus Silber, ein Werk des Silberschmieds Christian Wilhelm Eichler aus Dresden, brachte mit einem Schätzpreis von $.12-15'000.- letztendlich $.49'050.- ein. Zwei Thora-Schilder wiesen eine einzigartige Schönheit auf. Das eine entstand am Ende des 18. Jh. in Lemberg, weist auf der einen Seite üppige Verzierungen in Form von mythischen Tieren und Vögeln auf, darunter auch die äusserst ungewöhnliche Darstellung eines Elefanten, die allgemein üblichen Säulen, die Krone und die zehn Gebote; die andere Seite ist sehr überraschend mit einem gravierten Bild des Opfers Isaaks versehen, über einem grossen eingravierten Plan des Zweiten Tempels. Der Preis wurde auf $.120-150'000.- geschätzt, doch das Schild erzielte schliesslich $.797'750.-, einen Rekordpreis für ein Thora-Schild. Ein weiteres silbernes Thora-Schild aus dem 18. Jh. im Rokoko-Stil wurde auf $.50-70'000.- geschätzt und für $.110'000.- verkauft.
Am rührendsten waren jedoch die entzückenden persönlichen und häuslichen Gegenstände der Familie Sassoon im zweiten Teil der Versteigerung. Darunter befanden sich sowohl Stücke aus Indien, China, Japan, der Türkei und anderen Regionen des Nahen Ostens als auch Objekte aus England und Europa, was die kosmopolitische Seite der Familie noch unterstrich. Zahlreiche Gegenstände waren mit dem eingravierten Monogramm von Flora Sassoon oder bisweilen von Solomon Sassoon versehen, wie beispielsweise ein silberner Teekessel und ein Teekrug aus Silber, silberne Schalen und Konfitürenbehälter. Besonders reizend war eine Taschenuhr für die Jagd aus Gold, Diamanten und Email, die um 1900 in London für den indischen Markt hergestellt wurde; sie trug das Monogramm von Flora Sassoon und war auf dem Deckel mit einem Porträt ihres Mannes Solomon verziert, der ungefähr sechs Jahre zuvor gestorben war. Der Schätzpreis betrug $.3'500-4'500.-, der erzielte Preis war $.13'200.-. Eine aus Gold und Email gefertigte Spieldose mit Vögeln, wahrscheinlich das Werk von Charles Breguier aus Genf in der Mitte des 19. Jhs., erreichte $.13'200.- und übertraf damit den Schätzpreis von $.7-9'000.-, während eine in Genf am Ende des 19. Jhs. aus Gold und Email für den türkischen Exportmarkt hergestellte Schnupftabakdose ebenfalls ihren Schätzpreis verdoppelte und für $.7'000.- verkauft wurde. Gemäss Frances Barrow von Sotheby’s sind die Versteigerung der Familie Sassoon sowie andere bedeutende Kunstversteigerungen von Judaika und von internationaler und jüdischer Kunst alle sehr erfolgreich ausgefallen, trotz der gespannten Atmosphäre aufgrund der politischen Situation. Für diejenigen, die sich für jüdische Geschichte interessieren, ist es eine Freude die Gegenstände zu sehen, welche die Grösse der legendären Familie Sassoon symbolisieren, aber auch traurig zu wissen, dass diese Stücke nun in alle Welt verstreut wurden und somit ein ruhmreiches Blatt der jüdischen Geschichte für immer gewandt wurde.

*Jennifer Breger ist von Oxford und der Hebräischen Universität in Jerusalem diplomiert. Sie ist Spezialistin für jüdische Bücher und Manuskripte. Sie lebt heute in Washington.


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