Editorial - Frühling 2001
• Editorial
Pessach 5761
• Gehorsam und Gewissen
Politik
• Die Einheit - Wozu?
Interview
• Merkwürdiger Krieg
Judäa – Samaria – Gaza
• Das Leben geht weiter…
Bulgarien
• Jerusalem und Sofia
• Frischer Wind für die Juden in Bulgarien
• Tiefe Wurzeln
• Jude – Bulgare - Abgeordneter
• Das Kulturelle Leben
Junge Spitzenpolitiker
• Begegnung mit Effi Eytam
Wirtschaft
• Telefonieren mit Leerer Batterie!
Shalom Tsedaka
• Hunde der Hoffnung
Wissenschaft und Forschung
• Chumus ist gesund !
Kunst und Kultur
• Das Ende einer Ära
Ethik und Judentum
• Kopf oder Zahl ?
|
|
Von Emmanuel Halperin, unserem Korrespondenten in Jerusalem
|
Wie schön ist eine nationale Koalition! Sie umfasst einen drusischen Minister, der sich mit den Palästinensern solidarisch erklärt, aber auch einen ehemaligen jüdischen General, der sich ganz unverblümt ihren massiven Auszug in andere Gefilde wünscht.
Dank ihr steht nun ein eigenartiges Paar siebzigjähriger Männer an der Spitze des Staates, von denen einer (der Ministerpräsident) den Osloer Abkommen schon immer negativ gegenüberstand, während der andere (der Aussenminister) mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, weil er eben diese berühmten Verträge durchgesetzt und verwirklicht hat. Sie führt zur Bildung einer aus 27 Mitgliedern bestehenden, bunt gemischten Regierung, die durch ein Dutzend Staatssekretäre ergänzt wird, während für die Chefs der drei politischen Parteien, die immerhin fünfzehn Abgeordnete stellen und auch zur Koalition stossen sollen (Zentrum, nationalreligiöse Partei und aschkenasische Orthodoxe), kein Platz mehr am Tisch war und diese nun zu Salzsäulen erstarrt vor der Macht stehen wie Moses, als er das Gelobte Land vom Berg Nebo aus erblickte.
Auf den ersten Blick traut man diesem Team nur eine äusserst kurze Wirkungszeit zu. Nach der ersten Krise, dem ersten Sturm, scheint der Schiffbruch unausweichlich, vor allem weil die Arbeitspartei sich über die Daseinsberechtigung dieser Koalition nicht einig ist und mit einem Fuss in der Opposition verharrt. Würdigt man jedoch das Konstrukt eines zweiten Blickes, wirkt das Gebäude doch solider, als es den Anschein hat. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich, beide sind negativ: die Angst der Knesset angesichts vorgezogener Wahlen (interner Grund) und die offensichtliche Unmöglichkeit, in der gegenwärtigen Situation den Osloer Friedensprozess weiterzuführen (externer Grund).
Einer der ersten innenpolitischen Erfolge von Ariel Sharon bestand darin, dass die Knesset beschloss, die direkte Wahl des Ministerpräsidenten durch eine Volksabstimmung schon bei den nächsten Wahlen aufzuheben. Diese zu Beginn der 90er Jahre von einer Gruppe Akademiker ausgeheckte Reform, welche eine grössere politische Stabilität und der Exekutive eine verstärkte Entscheidungsmacht garantieren soll, bewirkte das genaue Gegenteil. Netanyahu und Barak wurden aufgrund dieses nirgendwo sonst in der Welt existierenden – und bestimmt nie kopierten - Systems gewählt und auch sehr rasch wieder von der Macht verdrängt. Die Rückkehr zum alten System (Wahl der Knesset allein und Bezeichnung eines Ministerpräsidenten, der im Parlament höchstwahrscheinlich über die Mehrheit verfügt, d.h. im Grunde der Chef der grössten Partei ist) entzieht den kleinen Parteien jede Möglichkeit, die Knesset vorzeitig (vor November 2003) aufzulösen. Es gilt nämlich als erwiesen, dass die direkte Wahl des Ministerpräsidenten die Aufsplitterung der Wählerstimmen auf unzählige politische Gruppierungen begünstigt hat, welche einzelne Interessen vertreten (Sepharden, orthodoxe Juden, Araber, Russen). Diese Gruppierungen sind sich der Tatsache bewusst, dass die Rückkehr zum alten Modell ihnen einen Grossteil ihrer Wähler entziehen wird und, wie in der Vergangenheit, eher den grossen Parteien zugute kommt. So werden sie sich zwar gegen für sie unangenehme politische Entscheidungen auflehnen, doch sie werden sich hüten, den Elefanten im Porzellanladen zu spielen. Das Team Sharon-Peres besitzt gute Chancen durchzuhalten, auch wenn im Verlauf der Zeit einige Ministerposten neu besetzt werden müssen.
Die Koalition gefährden kann demnach nur die politische Uneinigkeit von Sharon und Peres in Bezug auf die Verhandlungen mit der arabischen Welt im Allgemeinen und mit den Palästinensern im Besonderen. Nichts deutet jedoch auf einen derartigen Zwist hin, ganz einfach, weil die Aussicht auf Verhandlungen versperrt ist, vollkommen versperrt. Barak, heute «bei den Reservetruppen des Vaterlandes» (gemäss dem Vorbild von General de Gaulle, der sich während seiner «Durchquerung der Wüste» als «Reservisten der Republik» bezeichnete) gilt als der eigentliche Architekt – vielleicht ohne Absicht – dieser politischen Realität: durch seine extremen Zugeständnisse, einschliesslich in Jerusalem, hat er auf Grund der Absurdität der Situation bewiesen, dass kein Gesprächspartner vorhanden war, da die politische Führung der Palästinenser alles zurückwies, sich für eine Strategie der Gewalt entschied und dabei hoffte, die arabische Welt würde sich auf ihre Seite stellen. Der grösste «Erfolg» von Barak in dieser Hinsicht war das an Arafat gerichtete Manifest der radikalen israelischen Linksintellektuellen, in dem sie ihn baten, auf das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge zu verzichten, da die Verwirklichung eines derartigen Plans die Zerstörung des Staates Israel bedeuten würde. Dieses – endlich weitsichtige – Manifest konnte Arafat nicht davon überzeugen ein anderer zu werden. Kurz vor der Machtübergabe an Sharon konkretisierte Barak den Versuch, indem er seine Regierung einen unwiderruflichen Beschluss verabschieden liess: alle von Israel oder dem Präsidenten Clinton unterbreiteten Vorschläge, alle grosszügig vorgebrachten Ideen, welche den Konflikt – für immer – beenden sollten, gehören ab sofort der Vergangenheit an und besitzen keinerlei bindende Wirkung für den Staat Israel. Die Amerikaner und die Europäer haben dies zur Kenntnis genommen.
Neben der Gewalt, deren Ende gemäss der israelischen Armee nicht abzusehen ist, sondern im Gegenteil immer öfter auf das eigentliche Staatsgebiet Israels übergreift und sich nicht mehr auf Judäa-Samaria und Gaza beschränkt, haben zwei wichtige politische Erklärungen palästinensischer Politiker dem Fass den Boden ausgeschlagen. Die erste stammt von Salim Zaanun, dem Präsidenten des Palästinenserrates, und erfolgte einige Tage vor den israelischen Wahlen im Februar: die berüchtigte Nationalcharta der Palästinenser, in der die Existenz des jüdischen Volkes und folglich die Daseinsberechtigung des Staates Israel geleugnet und zu seiner Zerstörung aufgerufen wird, ist nie ungültig erklärt worden, erklärte Zaanun, im Gegensatz zu dem, was die israelische Regierung und Präsident Clinton annehmen konnten. Dies heisst mit anderen Worten, man hat alle hübsch auf den Arm genommen. Die zweite Erklärung wurde im Libanon von einem der wichtigsten Mitarbeiter Arafats Anfang März gemacht und gibt bekannt, die heutige Intifada sei nicht spontan entstanden und der Besuch Sharons auf dem Tempelberg habe nur als Vorwand gedient. Es handelte sich sehr wohl um eine wohlüberlegte Strategie nach dem Scheitern der Verhandlungen von Camp David. Auch da hatten die Palästinenser die Wahrheit vertuscht.
Unter diesen Umständen und angesichts der Tatsache, dass kein ernsthafter Gesprächspartner für ehrgeizige Verhandlungen zur Verfügung steht (endgültiges Abkommen, Beendigung des Konflikts), kommt man zum Schluss, wenn man Shimon Peres heisst, dass man sich wieder realistischeren Zielen zuwenden muss. Dieser Ansicht ist auch Ariel Sharon: zunächst muss die Situation vor Ort stabilisiert werden, auch wenn die palästinensische Zivilbevölkerung gegenwärtig einen hohen Preis für die eingeschlagene und moralisch anfechtbare (für einige gar nicht zu rechtfertigende) Politik zahlt. Dann muss, zum Teil dank einer bedeutend weniger interventionistischen amerikanischen Regierung als die vorangehende, ein Teilabkommen in Bezug auf einen Waffenstillstand mit den Palästinensern erreicht werden, das jedoch langfristige Gültigkeit besitzt und sowohl die Sicherheit der Israelis garantieren als auch die Interessen der arabischen Zivilbevölkerung vertreten soll, indem mit Hilfe von Israel und der internationalen Staatengemeinschaft ihre wirtschaftliche Entwicklung gefördert wird.
Dieses Ziel mag nicht unbedingt sehr verlockend wirken, da es von einer enttäuschenden Realität ausgeht: es gibt keine wirkliche Lösung des Konflikts, über die man sich im Moment einigen könnte. Doch die logische Folge dieser verblüffenden Feststellung ist durchaus positiv: da es nun einmal so ist, wird jede heftige Auseinandersetzung unter Israelis sinnlos. Die Koalition ist demnach nicht das Ergebnis einer grundlegenden oder gar innigen Einigung zwischen den verschiedenen politischen Befindlichkeiten in Israel. Sie ist ganz einfach aus der Sinnlosigkeit der Betonung von weiterhin fortbestehenden Missverständnissen entstanden. Irgendwann wird bestimmt eine Zeit kommen, in der man sich zwischen zwei entgegengesetzten politischen Ausrichtungen wird entscheiden müssen. Diejenigen, die der Ansicht waren, die Stunde der Entscheidung habe bereits geschlagen oder breche an, haben sich einfach geirrt. Was während Jahren der Hoffnungen und Fehler geschehen ist, kann nicht ohne weiteres ungeschehen gemacht werden: die palästinensische Behörde existiert zusammen mit ihren Institutionen, ihrer Armee, ihrer internationalen Anerkennung. Die territoriale Aufteilung ist eine Realität, welche die einen bedauern, die andern hingegen noch weiter vorantreiben möchten. Die Debatte über die Siedlungen ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen, wie auch die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Zukunft der israelischen Gesellschaft, die Identität des Staates Israel, den Stellenwert der Religion innerhalb der Republik. Diese Gegebenheiten dürfen jedoch weder ignoriert noch vertuscht werden, es geht nur darum,– und dies fällt nicht leicht – die Krise vorsichtig in den Griff zu bekommen, indem ein möglichst genauer Kurs eingeschlagen, der Schaden begrenzt und eine grosse Entschlossenheit und ebenso grosse Bescheidenheit an den Tag gelegt werden.
|
|