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Inhaltsangabe Shalom Tsedaka Frühling 2001 - Pessach 5761

Editorial - Frühling 2001
    • Editorial

Pessach 5761
    • Gehorsam und Gewissen

Politik
    • Die Einheit - Wozu?

Interview
    • Merkwürdiger Krieg

Judäa – Samaria – Gaza
    • Das Leben geht weiter…

Bulgarien
    • Jerusalem und Sofia
    • Frischer Wind für die Juden in Bulgarien
    • Tiefe Wurzeln
    • Jude – Bulgare - Abgeordneter
    • Das Kulturelle Leben

Junge Spitzenpolitiker
    • Begegnung mit Effi Eytam

Wirtschaft
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Shalom Tsedaka
    • Hunde der Hoffnung

Wissenschaft und Forschung
    • Chumus ist gesund !

Kunst und Kultur
    • Das Ende einer Ära

Ethik und Judentum
    • Kopf oder Zahl ?

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Hunde der Hoffnung

Von Roland S. Süssmann
Auf Hebräisch heisst Hund «Kelew»: in diesem Begriff treffen gemäss Talmud «Kulo» und «Lew» zusammen und bedeuten «alles mit dem Herzen». Dieses Wort findet in der Tätigkeit der STIFTUNG KEN seinen schönsten und aktivsten Ausdruck; unter der Leitung von Uri Beckmann werden hier diejenigen Tiere ausgebildet, die man ganz einfach «Begleithunde» nennt. Blindenhunde sind bestimmt die bekanntesten Begleithunde, doch die Stiftung bildet eine ganze Reihe von Hunden aus, die sie später nicht nur Blinden zur Verfügung stellt, sondern auch taubblinden Menschen, Seh- und Mehrfachbehinderten, Menschen mit Teilbehinderungen, Autisten usw. Die Hunde, die für jeden einzelnen Fall gesondert dressiert werden, leisten ihren vom Schicksal nicht verwöhnten Herrchen und Frauchen unschätzbare Dienste. Man kann sich fragen, weshalb diese Hunde sich so verhalten: ist es Altruismus oder Berechnung? Die Beziehung zwischen Mensch und Tier beruht auf gegenseitigem Vertrauen und auf absoluter Loyalität sowie auf einer völligen Abhängigkeit voneinander. Der Hundebesitzer gewährt dem Hund Unterkunft und Futter, aber auch die Zuwendung und Zuneigung, die er braucht. Der Hund stellt als Gegenleistung dem menschlichen Partner seine Augen, sein Gehör und seine Beweglichkeit zur Verfügung.
Diese spezielle Ausbildung verlangt vom Hundedresseur eine grenzenlose Geduld. Es herrscht zwar strenge Disziplin, doch die Tiere werden liebevoll behandelt und niemals bestraft. Ein richtiges Verhalten wird immer belohnt, und wenn ein Hund auf einen Befehl nicht reagiert, wird dieser einfach wiederholt.
Neben Uri Beckmann und seiner ausserordentlichen Arbeit für die Ausbildung und Dressur der Hunde kann sich die Stiftung Ken auf ein weiteres Zugpferd verlassen, nämlich auf ihren Mitgründer Mosche Midler, selbst seh- und anderweitig behindert.
Mosche, dessen Schwierigkeiten auf einen Sauerstoffmangel bei der Geburt zurückzuführen sind, bezeichnet seine körperlichen Gebrechen nicht als Behinderung, sondern als Einschränkung seiner Möglichkeiten. Schon im Alter von fünf Jahren, als er sich bewusst wurde, dass er «anders» war, beschloss er alles zu unternehmen, um ein möglichst normales Leben führen zu können. Als Jugendlicher wurde ihm klar, dass er sich ein Leben lang dafür einsetzen wollte, den Mitmenschen zu helfen…, die «noch weniger Glück» hatten als er. Nach einem Universitätsstudium spezialisierte sich Mosche auf Musikwissenschaft und wurde Musiklehrer für blinde Kinder. Aus der Überzeugung heraus, eine Aufgabe erfüllen zu müssen und vor allem die Pflicht zu besitzen, zum Wohl der Gesellschaft beizutragen, reist er allein, nur in Begleitung seines Hundes, durch die ganze Welt, um die Stiftung Ken zu erklären, sie bekannt zu machen und Geld für sie aufzutreiben; mit diesen Mitteln wird die Ausbildung von Hunden finanziert und den späteren Besitzern beigebracht, wie sie mit den Tieren leben können und umgehen müssen. «Man muss sich darüber im klaren sein, dass jemand, der uns Geld gibt, nicht nur eine Geste der Wohltätigkeit ausführt, sondern auch einer behinderten Person die Möglichkeit gibt, wieder ihr Selbstbewusstsein zu erlangen und ein neues, aktives und glückliches Leben zu beginnen». Unsere Tätigkeit besteht aus einer Partnerschaft zwischen dem Spender, dem Ausbilder, dem Hund und dem betroffenen Menschen, der auf diese Weise wieder Hoffnung und Lebensfreude erhält und vor allem ein aktives und konstruktives Leben in Würde führen kann.»
Wie hat aber dieses spannende Abenteuer angefangen?
Im Jahr 1990 suchte Mosche einen Hund. Er nahm Kontakt zu Uri auf, der einen «an seine Bedürfnisse angepassten» Hund, einen Labrador, ausbildete und ihm so die Möglichkeit gab, zahlreiche, bisher mühselige tägliche Verrichtungen leichter zu erledigen. Der Griff in den Kühlschrank, um eine Flasche herauszunehmen, entpuppt sich für Mosche als schwieriges Unterfangen: nun holt ihm sein Hund Lu auf einen simplen Befehl das gewünschte Getränk heraus und bringt es ihm. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie nützlich diese Hunde nicht nur auf der Strasse und in der Öffentlichkeit, sondern auch zu Hause sind. So wecken Hunde für taube Menschen ihren Herrn auf, sobald der Wecker klingelt, oder verständigen ihn, wenn die Türglocke schellt. Für die Menschen, die sich nur mit Mühe bewegen können, werden die Hunde dazu abgerichtet, die Haustür zu öffnen. Ausserdem muss der Hund allein erkennen können, welche Geräusche wichtig sind, und zuverlässig auf diese reagieren: bei Feueralarm z.B. muss er in der Lage sein, diese Art von Warnung zu erkennen und sofort die Aufmerksamkeit seines menschlichen Partners wecken und ihm zu verstehen geben, worum es geht.
Angesichts des Erfolgs dieser Erziehung beschlossen Uri und Mosche sich zusammen zu tun und die Stiftung Ken zu gründen, deren Ziel es ist, Hunde für die besonderen Bedürfnisse jeder behinderten Person abzurichten und zu dressieren. Heute befinden sich bei der Stiftung 45 Hunde in Ausbildung, von denen sechs dazu abgerichtet werden, taubblinden Menschen beizustehen. In dieser Hinsicht ist es besonders interessant zu wissen, dass der Hund je nach Situation lernen kann, bestimmte Zeichen aus der Sprache der Taubstummen zu erkennen, die, wenn sie zudem auch blind sind, nur über den Tastsinn kommunizieren können. Uri und sein Team haben auch festgestellt, dass die Hunde darüber hinaus ein ausserordentliches Wahrnehmungsvermögen besitzen, das sich mit dem Verstand nicht erklären lässt: Sie sind in der Lage, einen epileptischen Anfall drei bis dreizehn Stunden vor seinem Ausbruch zu spüren und anzugeben, sowie drei Stunden vor einem diabetischen Koma eine Krise wegen Unterzuckerung. Sie nehmen ebenfalls bestimmte Krankheiten bei Bäumen wahr, was in Israel sehr geschätzt wird, wo Bäume im ökologischen Gleichgewicht des Landes eine wichtige Rolle spielen. Die Araber sind sich dessen übrigens sehr wohl bewusst, denn das Legen von Waldbränden gehört zu ihren regelmässigen terroristischen Aktivitäten.
Die Auswahl der Hunde erfolgt aufgrund ihres Stammbaums drei bis vier Tage nach ihrer Geburt. Der Welpe wird einer Reihe von besonderen Tests unterzogen, die von Uri entwickelt wurden. Nach einigen Wochen durchläuft das ausgewählte Tier eine zweite Serie von Prüfungen, und wenn diese positiv ausfallen, wird der Hund in das ein Jahr dauernde elementare Ausbildungsprogramm integriert und kommt in eine Adoptivfamillie. Ein Hundeausbilder gewöhnt das Tier an alle möglichen Alltagssituationen. Der Hund reagiert nicht aus Instinkt und erst nach dieser Phase kann die eigentliche Dressur beginnen; jetzt wird auch bestimmt, für welche Aufgabe der Hund am besten geeignet zu sein scheint. Im Laufe der Zeit wird das Tier ausgebildet, um allmählich einer Kategorie von Behinderten auf die spezielle Art dienen zu können, die ihm am ehesten entspricht: Blinden, taubstummen Blinden, Autisten usw.
Sobald der Hund so weit ist, dass man ihn seinem neuen Herrn übergeben kann, erweist sich eine Lernphase zur gegenseitigen Angewöhnung als notwendig. Diese Phase findet in direkter Zusammenarbeit mit Uri und seinem Team statt, zunächst im Hundezentrum, dann immer öfter im Heim des neuen Hundebesitzers. Ausserdem erfolgt beständig die weitere Ausbildung des Hundes in dem Ausmass, wie sich die Bedürfnisse seines Herrchens oder Frauchens verändern. Es ist beispielsweise nicht ungewöhnlich, dass ein Hund lernen muss, einer Person die Schuhe auszuziehen, die sich plötzlich nicht mehr bücken kann, und dies ohne zu beissen und am Bein zu zerren, oder man bringt ihm bei, heruntergefallene Gegenstände aufzuheben usw. Es ist eine sechsmonatige intensive Ausbildung, die US$.30´000.- pro Hund kostet, notwendig, damit das Tier zu einem vertrauenswürdigen Partner wird.
Neben der Geschichte von Mosche, der dank seinem Hund und natürlich dank seiner kommunikativen Art ein erfülltes, aktives und konstruktives Leben führt, gibt es noch zahlreiche andere herrliche, bewegende und erstaunliche Anekdoten um die Hunde, die von Uri und seinen Leuten abgerichtet werden.
An dieser Stelle sollen zwei bezeichnende Beispiele genannt werden. Beim ersten geht es um die kleine sechsjährige Lisa, deren eine Hand gelähmt ist und die auch im Nacken eine Muskelschwäche aufweist: weil ihr Kopf immer wieder nach links fällt, droht sie dadurch zu ersticken. Gegenwärtig wird ein Hund dazu ausgebildet, ihr sofort den Kopf wieder aufzurichten, sobald er abkippt. Darüber hinaus muss die kleine Lisa während der Nacht alle zwei Stunden umgedreht werden, was für die berufstätigen Eltern natürlich eine Qual und äusserst ermüdend ist. Der Hund, den Lisa erhalten soll, lernt zu Zeit, wie er nach einem automatisch alle zwei Stunden ausgelösten akustischen Signal das Kind umzudrehen hat. So werden die Eltern wieder unbesorgt schlafen können. Das zweite Beispiel erzählt die Geschichte von Assi Bitton, der in der Armee bleibende Schäden davontrug, als er eine extrem schwere Last schleppte. Von allen seinem traurigen Schicksal überlassen, wünschte er sich nichts sehnlicher als einen Hund. Dank Uri hat er Rambo bekommen, ein prächtiger Bull-Mastiff, der ihm seither nicht mehr von der Seite weicht. Neben den zahlreichen Diensten, die Rambo ihm erweist, hat sich der Allgemeinzustand von Assi seit ihrer Begegnung auf derart spektakuläre Art verbessert, dass er heute als Musterbeispiel in den Kliniken für Physiotherapie zitiert wird.
Folgende Anekdote veranschaulicht besonders gut die intensive Beziehung, die zwischen Assi und Rambo existiert. Bei einem Ausflug in die Stadt kippte Assis Rollstuhl um und er lag auf der Strasse, ohne sich erheben zu können. Rambo legte sich daraufhin sofort schützend neben seinen Kopf, auch wenn er dabei hätte überfahren werden können, bis ein Auto anhielt und man seinem Herrchen half. Dazu muss man wissen, dass Assi jahrelang nur auf dem Rücken liegend gelebt hat. Heute bewegt er sich im Rollstuhl fort, er ist verheiratet, Vater einer kleinen Tochter, und fasst seine Entwicklung folgendermassen zusammen: «Wenn jemand im Dunkeln lebt und plötzlich einen Lichtstrahl erblickt, lebt er wieder auf. Für mich war Rambo wie eine Neonlampe in meiner Finsternis». Assi erzählt seine Geschichte in den Schulen, denn in der israelischen Gesellschaft wird der Hund noch nicht seinem Wert entsprechend anerkannt, das Bild des Schäferhundes, den die Nazis an der Leine führten, beherrscht immer noch die Gemüter. Assi unternimmt alles, um diese Vorurteile, vor allem bei Kindern, abzubauen. Sein Ziel und auch dasjenige von Mosche, Uri und allen anderen Mitarbeitern, wie z.B. Amnon Tocker, ist es, mit Hilfe einer umfassenden Aufklärungsarbeit verständlich zu machen, dass das Tier dem Menschen auch dienen kann, und zwar nicht nur als angsteinflössende Bestie zur Abschreckung oder Folter, sondern als Helfer und Freund.


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