Erniedrigen, so lautet die Parole. Dies fordern mit verschlagenem Grinsen die grauen Eminenzen der siegreichen Hamas. Die Vernichtung Israels stellt zweifellos das oberste Ziel dar, doch bis dahin müssen wir uns gedulden, liebe Brüder; wie heisst es doch in unserer Charta: die Juden manipulieren die Welt mit ihren Weisen von Zion, ihrem Rotary-Club und ihren Freimaurern. Zunächst müssten also die Verbündeten der Kreuzritter im Dreck kriechen und eine Erniedrigung nach der anderen einstecken.
Europa verschliesst ahnungslos die Augen angesichts dieser Worte und Texten, spielt ihre Gefährlichkeit herab oder bezeichnet sie bestenfalls als Hirngespinste, die - da haben wir's - durch die unerträgliche Erniedrigung entstehen, die Israel durch seine Existenz der arabisch-muslimischen Welt zufügt.
Wird sich die Diskussion auf ein Gefecht mit beleidigenden Worten beschränken? Wer kann nun eigentlich stärker oder besser verletzen? Gegenseitigkeit, und zwar nicht bei einem konstruktiven Dialog im Hinblick auf einen Kompromiss, sondern in einem Hin und Her von Ohrfeigen oder gar Bomben. Was erwartet uns angesichts dieser Feststellung zu guter Letzt? Eine Form von Gegenseitigkeit in der Verzweiflung: so geht zwar der Aufstieg der Hamas angeblich einmal mehr auf die «Arroganz» Israels zurück, einziger und willkommener Sündenbock für alles Leid der Welt, doch Israel seinerseits verliert die Hoffnung auf Verhandlungen, die irgendwann vielleicht eine Beilegung des Konflikts herbeiführen könnten.
Einige sehen darin einen positiven Aspekt: ab sofort, meinen sie, ist die Situation klar. Die durch den Osloer Prozess genährten Illusionen können endgültig begraben werden: niemand kann von Israel erwarten, dass es die Hand jemandem reiche, der sie von vornherein ablehne (dabei unterschätzt man die aussergewöhnliche Begabung des Westens für Blauäugigkeit, denn er interpretiert bereits die von der Hamas vorgebrachten Angebote eines «Waffenstillstands» (Hudna) als Zeichen der Mässigung, während der von Bin Laden angebotene «Waffenstillstand» - der nach genau demselben Muster gestrickt ist - niemanden mehr täuschen kann).
Vor diesem Hintergrund hat man vollstes Verständnis dafür, dass Israel von der Einseitigkeit dermassen angezogen wird: da beim besten Willen kein echter Gesprächspartner zu finden ist und «die Zeit gegen Israel arbeitet» (Zitat Frau Livni), müssen wir die ganze Palette der ausgehandelten Lösungen wieder in die Abstellkammer verbannen, den Begriff «Frieden» aus unserem Wortschatz streichen, ihn auch nicht mehr denken, und uns dem reinen existentiellen Pragmatismus verschreiben.
Dies kommt in einer Botschaft zum Ausdruck, die wir an uns selbst und an die Welt richten und die völlig simpel ist: nehmen wir unser Schicksal wieder in die Hand, indem wir die erforderlichen Massnahmen zur Gewährleistung von Grenzen ergreifen, die wir verteidigen können, indem wir eine günstige demografische Situation (nicht mehr als 20% Nichtjuden auf unserem Territorium) sowie eine dynamische Wirtschaft mit stetigem Wachstum schaffen. Die Palästinenser? Sie werden auf der anderen Seite der Abgrenzung leben, sollen sie allein zurechtkommen oder sich vom Rest der Welt helfen lassen, das geht uns nichts mehr an. An dem Tag, an dem sie mit uns telefonieren möchten, werden wir zwar das Gespräch entgegennehmen, doch dies ist vielleicht erst in ein bis zwei Generationen der Fall, wenn der Aufruf zu Hass und zum Dschihad der Vergangenheit angehören.
Auf den ersten Blick wirkt diese Sicht der Dinge gar nicht so abwegig. Sie knüpft an die voluntaristische Tradition der Gründerväter an, die das Motto vertraten: «Egal, was die Nationen sagen, wichtig ist, was wir selbst tun» (Ben Gurion). Doch die Zeiten haben sich geändert, und die Einseitigkeit, die heute die Gunst der Öffentlichkeit geniesst, ist ebenso illusorisch wie die Hoffnungen, dass Israel eines Tages von allen Nachbarn als legitimer jüdischer Staat anerkannt und akzeptiert werden könnte.
Was steht denn sonst zur Auswahl? «Eine vollständige Trennung», sagte Olmert bereits vor zwei Jahren, lange vor dem Rückzug aus dem Gazastreifen. «Eine in Form einer Grenze materialisierte Trennung, die wie als unerlässlich für die Gewährleistung unserer existenziellen Bedürfnisse ansehen. Eine Trennung, die uns eine möglichst hohe jüdische Bevölkerung und eine möglichst geringe arabische Bevölkerung garantiert. Die von uns festzulegende Trennlinie wird uns veranlassen, die jüdische Bevölkerung aus dem Gebiet zu evakuieren, das in palästinensische Hand übergehen wird» (Politique Internationale, Nr.102, Winter 2004). Was mit der schmerzhaften Evakuierung der jüdischen Siedlungen im Gazastreifen begann, wird also - immer noch ohne jede Gegenleistung - mit Dutzenden von jüdischen Dörfern in Cisjordanien fortgeführt werden, in denen zehn Mal mehr Menschen wohnen als in Gusch Katif. Der immer undurchlässigere Sicherheitszaun wird auf israelischem Gebiet den grössten Teil von Jerusalem und zwei Drittel der in Judäa und Samaria, insbesondere in Maale Adumim, Ariel und Gusch Etzion, sowie im Süden von Jerusalem lebenden Juden umfassen. Wir werden dann wieder unbeschwert in unserem Land wohnen können, ohne dass man uns vorwerfen könnte, wenn schon nicht das von den Palästinensern beanspruchte Gebiet zu besetzen, so doch die arabische Bevölkerung selbst. Von diesem Moment an können wir im vollen Bewusstsein unseres Rechts alles ignorieren, was bei unseren Nachbarn passiert. Ein sauberer, klarer chirurgischer Eingriff, dank dem wir uns wieder der Lösung unserer eigenen gesellschaftlichen Probleme, der Ankurbelung unserer Wirtschaft, der Umstrukturierung unserer Institutionen zuwenden können.
Ein verführerisches Programm? Mag sein, wenn es nicht müssig wäre, wenn es nicht etwas als einen Akt des politischen Willens ausgeben würde, was in Wirklichkeit nur ein Zeichen von Mutlosigkeit und Schwäche ist.
Denn was hier, wie überall sonst, in erster Linie zählt, ist die Art und Weise, wie der Gegner unsere Handlungen interpretiert. Wir wissen ja nun bereits, wie der Rückzug (oder die Flucht) aus Gaza von der arabisch-muslimischen Welt im Allgemeinen und von den Palästinensern im Besonderen ausgelegt worden ist. Wir wissen ebenfalls, wie die internationale Staatengemeinschaft nach einigen Monaten über etwas dachte, was zunächst als Akt der Grosszügigkeit und des Muts gelobt worden war. Es ist ein überwältigender Sieg des «bewaffneten Kampfes», d.h. des Terrorismus, denken gemäss Umfragen vier von fünf Palästinensern. Das Opfer zahlt sich aus. Die Israelis vergelten jeden Schlag mit einem Gegenschlag, sie sind aber nicht in der Lage, mit derselben Konstanz in Bezug auf Gewalt und Hass so lange durchzuhalten wie wir. Deswegen muss der Kampf mit denselben Waffen fortgesetzt werden und nebenher sind durch einen Wahlsieg jene zu belohnen, die am gewalttätigsten und grausamsten waren sowie jedes Gespräch am schärfsten abgelehnt haben, nämlich die Islamisten.
Ein zweiter wichtiger Punkt: der israelische Rückzug hat die aus dem Gazastreifen stammenden Terroranschläge in keiner Weise unterbunden, ganz im Gegenteil. Die im Norden dieser Region evakuierten Orte dienen heute als Übungsplätze für das Abschiessen von Raketen, deren Reichweite immer grösser wird und die bereits das Elektrizitätswerk von Aschkelon bedrohen. Israel kann nicht so tun, als ob es die Vorgänge in dieser Gegend nicht sähe, als ob diese nicht mehr existierte, da Gaza sich täglich wieder selbst in Erinnerung ruft.
Man wollte die Abhängigkeit des Gazastreifens beenden, indem man die Grenze zu Ägypten öffnete und gleichzeitig in einem komplizierten Verfahren den Transitverkehr zu überwachen versuchte. Diese von ausländischen Beobachtern beaufsichtigte Kontrolle funktioniert nicht, und jedes Mal, wenn Israel zur Gewährleistung seiner Sicherheit einen Durchgangsposten in sein eigenes Territorium schliesst, wirft man ihm vor, die Bevölkerung «ersticken und aushungern» zu wollen. Das Ende jeder militärischen und zivilen Besetzung dieser Zone hat Israel in den Augen der internationalen Gemeinschaft und auch nach eigener Meinung demnach nicht aus der Verantwortung für das entlassen, was in Gaza geschieht. Besatzung ohne Besetzung, Verantwortung ohne Präsenz. Dabei stehen doch 100% dieses Territoriums und der Bevölkerung unter der alleinigen Aufsicht der palästinensischen Autonomiebehörde.
Überträgt man diesen Präzedenzfall auf Judäa und Samaria, kann man nur mit dem vorprogrammierten Scheitern jeder neuen einseitigen Initiative rechnen. Mit deutlich bedenklicheren Ergebnissen. Denn wie kann man ohne Abkommen und ohne Kontrolle die Militarisierung des Raums verhindern, aus dem sich Israel zurückzieht? Wie kann eine Intensivierung des Terrors vermieden werden, der in diesem Kontext durch die Besetzung oder Annexion eines Teils des annektierten Territoriums durch Israel «gerechtfertigt» war? Wie kann vor den Augen der internationalen Staatengemeinschaft das Problem von Jerusalem und seiner arabischen Bevölkerung gelöst werden?
Die Einseitigkeit bietet auch kurzfristig keine echte Lösung. Nur die Illusion, dass Israel seine nahen und fernen Nachbarn ignorieren, sich in einem kuscheligen Ghetto einsperren und seelenruhig seinen Alltagsgeschäften nachgehen kann. Diese Einseitigkeit ist potenziell gefährlich, denn sie bestärkt die Feinde Israels in ihrem wahnwitzigen Traum, den Staat des jüdischen Volkes zu zerstören - nicht locker lassen, gleich ist es vollbracht. Israel verzichtet nämlich nicht nur auf irgendeine Form der Gegenleistung, sondern auch auf das, was es noch vor kurzem als sein absolutes und ihm zustehendes natürliches Recht ansah: den Juden die Möglichkeit zu geben, in der Nähe von Jericho oder Nablus, in Schilo oder in Hebron zu wohnen. Hier geht es nicht mehr um Selbstemanzipation, sondern um Selbsterniedrigung.
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