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Inhaltsangabe Ethik und Judentum Frühling 2006 - Pessach 5766

Editorial
    • Editorial [pdf]

Pessach 5766
    • Freiheit und Verantwortung [pdf]

Politik
    • Trugbild der Einsteitigkeit [pdf]

Interview
    • Die Sicherheitslage [pdf]
    • Mut und Entschlossenheit [pdf]
    • Judentum und Geisteshöhe [pdf]

Judäa-Samaria
    • Schande und Hoffnung [pdf]

Analyse
    • Auferstehung des Kalifats [pdf]
    • Multikulturalität und Antisemitismus [pdf]
    • Zu spät? [pdf]

Reportage
    • Geburt in Jerusalem [pdf]

Wissenschaft und Forschung
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Kunst und Kultur
    • Das Menachem Begin Institut [pdf]
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Spanien
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    • Jude und Baske [pdf]
    • Die Juden und die Zeitgenössische Literatur [pdf]
    • Esther Bendahan [pdf]
    • Museo Sefardi [pdf]

Ethik und Judentum
    • Dura Lex - Sed Lex [pdf]

Das Gute Gedächtnis
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Dura Lex - Sed Lex

Von Rabbiner Shabtaï A. Rappoport *

P., 45, lehrt seit rund 15 Jahren Verfassungsrecht an einer prestigereichen israelischen Universität. Vor kurzem hat er zum ersten Mal in seinem Leben daran gedacht, in die Politik einzugreifen, und zwar wegen einer schwer wiegenden, von einer rechtmässig gewählten Regierung verabschiedeten Entscheidung. Bei seinem Versuch Einfluss zu nehmen ging es um die Aufgabe einer der wichtigsten staatlichen Institutionen, nämlich der Armee. Die Regierung stand kurz davor, die Armee für die Verwirklichung eines politisch heftig umstrittenen Beschlusses einzusetzen, der nach Meinung von P. nichts mit der in der Verfassung verankerten und traditionellen Rolle der Armee zu tun hatte - der Gewährleistung der Verteidigung und Sicherheit des Landes.

P. war mit dieser Entscheidung der Regierung nicht einverstanden, denn er war der Meinung, sie schade dem Land und sei mit der zynischen Absicht getroffen worden, gewissen Machtträgern ein Gerichtsverfahren wegen Veruntreuung finanzieller Mittel zu ersparen. P. hatte folgenden Plan: er würde dafür sorgen, dass einige wesentliche Informationen, über die er verfügte, an die Personen durchsickerten, die von diesem Regierungsbeschluss betroffen waren, und würde dadurch bestimmt die geplante Aktion kompromittieren und vielleicht gar vereiteln.

In P.s Augen verkörpert die jüdische Staatsregierung eine Form von Königreich, und gemäss dem Gesetz der Torah muss das Königreich von allen Bürgern respektiert werden. Macht eine Regierung in ihrer Politik Fehler, kann sie von den Bürgern dafür beurteilt und bei den nächsten Wahlen bestraft werden, doch die Bürger sind nicht befugt, Regierungsbeschlüsse durch eine List zu unterlaufen.

In Deuteronomium 17, 14-15 heisst es nämlich: «Wenn du in das Land kommst. und dann sagst: 'Ich will einen König über mich setzen, wie ihn alle Völker um mich her haben`, so sollst du den zum König über dich setzen, den der Herr, dein G'tt, erwählen wird.» Maimonides interpretiert diesen Vers (Das Buch der Gebote, positives Gebot 173) wie folgt: «Es ist an uns, einen König zu wählen, der die Nation einigt und uns regiert. und jedes Mal, wenn dieser König eine Verordnung erlässt, die den Gesetzen der Torah nicht widerspricht, müssen wir uns dieser Verordnung unterwerfen.».

Der herausragende jüdische Rechtsgelehrte und Philosoph Raw Avraham Yitzhak Ha'Kohen Kook, der erste Oberrabbiner von Eretz Israel, führt in seinem Werk Mischpat Kohen (Fragen zu Eretz Israel 144, 15-a) einen innovativen Gedanken aus: «Da die Gesetze und Erlasse der Regierung nicht nur den König betreffen, sondern die Nation an sich, stehen die aus diesen Gesetzen entstehenden Privilegien der ganzen Nation zu, wenn es keinen gewählten König gibt. Folglich besitzt jede von der Nation aufgestellte Regierung einige dieser Privilegien, insbesondere jene, die mit der eigentlichen Leitung der Nation zu tun haben.» Daraus folgt, dass der Bürger sich einer rechtmässig gewählten Regierung von Israel ohne Widerspruch und ohne Widerstreben unterordnen muss, so wie er sich auch einem König unterwerfen müsste. Maimonides schliesst alle Verordnungen von dieser Regel aus, die nicht den Gesetzen der Torah entsprechen; es ist allerdings kaum wahrscheinlich, dass eine politische Entscheidung diesen Gesetzen so eindeutig widerspricht. Wenn uns die Halachah dazu verpflichtet, der Regierung zu gehorchen, sind wir ganz eindeutig nicht berechtigt, die Umsetzung dieser Beschlüsse zu sabotieren.

Rabbiner Nissim Girondi, ein berühmter Halachah-Gelehrter aus dem 14. Jahrhundert (genannt der Ran) erklärt (Predigten des Ran, IX), der König habe das Recht, Gesetze einzuführen, die von den Gesetzen der Torah abweichen, um den geordneten Ablauf der Gesellschaft zu gewährleisten. So mag zwar das Strafgesetzbuch der Torah sehr wohl das göttliche Recht in seiner wahren Grösse verkörpern, doch weil es so schwer anzuwenden ist (Erfordernis von zwei Zeugen, einer Warnung usw.), hat sich die abschreckende Wirkung dieser Gesetze in einer realen menschlichen Gemeinschaft abgeschwächt. Der König muss diese Lücke füllen, indem er Gesetze schafft, die an die Epoche seiner Herrschaft angepasst sind. Es leuchtet ein, dass diese Anpassung der Gesetze und der Politik ausschliesslich dem König zusteht und dass sich ihnen kein Bürger unter dem Vorwand entziehen kann, er fechte ihre Rechtmässigkeit an. Eine vorschriftsgemäss gewählte Regierung besitzt dieses Privileg zweifellos, und deswegen muss man ihr diese besondere Verantwortung überlassen. Die Könige früherer Zeiten konnten von den Propheten ihres Amtes enthoben werden, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigten; analog dazu kann eine moderne Regierung bei einer Wahl zurückgepfiffen werden, doch ihre Gesetze darf man dennoch nicht missachten.

Die Torah erlegt dem König jedoch noch ein weiteres Gebot auf: (Deuteronomium, id. 18-19): «Und wenn er nun sitzen wird auf dem Thron seines Königreichs, soll er eine Abschrift der Torah, wie es den levitischen Priestern vorliegt, in ein Buch schreiben lassen. Das soll bei ihm sein, und er soll darin lesen sein Leben lang, damit er den Herrn, seinen G'tt, fürchten lernt, dass er halte alle Worte dieses Gesetzes und diese Rechte und danach tue.» Der Ran erklärt, dass dieses Gebot dazu bestimmt ist, die dem König zum Regieren zugestandenen Privilegien auszugleichen: «In dem Ausmass, da der König durch die Gesetze der Torah weniger stark gebunden ist als die Rabbiner und Richter, richtet man eine spezielle Warnung an ihn, damit er die in der Torah festgelegten Gesetze nicht verfälscht.» Diese Auslegung klingt verblüffend. Wir haben ja gesehen, dass die Anpassung der Torah-Gesetze an die zeitgenössische Gesellschaft zu den Vorrechten und zur Verantwortung des Königs gehört: wie hat man sich nun diese Warnung zu erklären, die ihm jede Abweichung verbietet?

Es scheint, dass der Ran eindeutig darauf hinweist, dass der König zwar schon seine eigenen Gesetze erlassen und eine autonome Politik führen darf, doch in gewisser Weise weiterhin der Torah folgen muss, genau so wie die Rabbiner und Richter. In der Torah kommt der Wille Gottes in Bezug auf das Volk Israel zum Ausdruck, und dieser Wille muss mit Hilfe von anwendbaren Gesetzen umgesetzt und ausgeführt werden. Die Rabbiner interpretieren den göttlichen Willen und treffen halachische Beschlüsse gemäss der in der Torah ausgedrückten Gesetzgebung. Der König verfügt über mehr Freiheit und setzt den göttlichen Willen nach eigenem Ermessen und eigener Beurteilung der Realität des Landes und der Bedürfnisse der Gesellschaft um. Die vom König erlassenen Gesetze und seine Politik sind demnach die Früchte dieser Überlegungen. Wenn man nun behauptet, der König habe kein Recht, von der Torah abzuweichen, bedeutet dies, er müsse sich nach bestem Wissen und Gewissen an seinem Verständnis des göttlichen Willens unter den gegebenen Umständen orientieren. Solange der König den Thron besitzt, muss man ihm diese Entscheidungen überlassen und davon ausgehen, dass er gemäss dieser grundlegenden Regel handelt; man muss ihm also gehorchen.

Raw Avraham Borenstein von Sochotshow, ein bekannter Halachah-Gelehrter des 19. Jahrhunderts, legte fest (Avnei Nezer Yoreh De'ah 312), dass effektiv die Rabbiner der Moderne die Verantwortung trügen, die früher den Königen oblag; statt komplizierte halachische Entscheide auszutüfteln, bestünde ihre Aufgabe darin, ihren Gemeinschaften gemäss den besonderen Anforderungen des Orts und der Zeit den Weg der Torah zu weisen.

Folglich ist die Pflicht, dem König oder der Regierung zu gehorchen, vom Vertrauen abzuleiten, die man ihnen entgegenbringt: man überlässt es ihnen, nach bestem Wissen und Gewissen gemäss ihrem Verständnis des göttlichen Willens zu handeln, wie er in der Torah zum Ausdruck kommt. Dieses Vertrauen muss auf einem aufrichtigen Engagement des Königs beruhen, sich dem göttlichen Willen und der Torah zu unterwerfen. Wenn aber das Regime in seinen grundlegenden Gesetzen und seinen politischen Stellungnahmen zeigt - wie dies im modernen Staat Israel der Fall ist -, dass es sich gegenüber der Torah in keiner Weise verpflichtet fühlt, darf es sich die Privilegien, die dem König kraft der Torah zustehen, nicht anmassen.

In einem Brief an die Anhänger der Bewegung Misrachi aus dem Jahr 1913 lässt Raw Kook persönlich verlauten (Igrot Ha'Reiah II S. 134), dass ein Zionismus, der «nichts mit dem jüdischen Glauben und der Religion zu tun hat», von den frommen Juden unter keinen Umständen akzeptiert werden kann. Der Zionismus, dessen Ziel es war, erneut einen jüdischen Staat im Land Israel zu errichten, hätte sich nicht über ausschliesslich weltliche Kriterien definieren dürfen. Jede Regierung, die sich dieser weltlichen Definition anschliesst, kann nicht als jüdische Regierung analog zu einem Königreich angesehen werden; sie fällt vielmehr in die Kategorie des Verwaltungsrates einer Handelsgesellschaft, deren Macht sich aus der gemeinsam ausgesprochenen Zustimmung der Aktionäre ableitet. Einer derartigen Regierung stehen die Privilegien der Torah nicht zu.

Dies heisst also, dass im Prinzip keine Bestimmung der Halachah P. daran hindert, gegen die Entscheidung der Regierung vorzugehen. Sein Eingreifen muss lediglich den Grundsätzen der gegenseitigen Übereinstimmung zwischen Staatsbürgern und Regierung entsprechen, wobei diese Übereinkunft eingehalten werden muss, solange diese Grundsätze nicht in grober Weise von der Regierung verletzt werden, wie beispielsweise durch eine Entscheidung, die in einem unrechtmässigen Verfahren verabschiedet und durch den rechtswidrigen Einsatz der Armee umgesetzt wird. Bei seinem Entschluss, den Plan der Regierung zu vereiteln, muss P. also die Bestimmungen des demokratischen Vertrags berücksichtigen.



Rabbiner Schabtai Rappoport leitet die Yeschiwah «Schwut Israel» in Efrat (Gusch Etzion). Er hat vor kurzem die letzten beiden Bände der Responsen herausgegeben, die von Rabbiner Mosche Feinstein, s.A., geschrieben wurden. Er entwickelt gegenwärtig eine Datenbank, die alle aktuellen Themen der Halachah umfasst. Richten Sie Ihre Fragen oder Kommentare an folgende E-Mail-Adresse: shrap@bezeqint.net.



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