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Inhaltsangabe Reportage Frühling 1997 - Pessach 5757

Editorial - April 1997
    • Editorial

Chanukkah 5757
    • Ein kleines Licht genügt

Politik
    • Die Flucht nach vorne

Interview
    • Gespräch mit S.E. Arnold D. Koller

Aktuell
    • Wer profitierte vom Völkermord der Nazis ?
    • Begegnung mit S.E. Alfonse M. D'Amato
    • Das Gesetz ist wichtiger als Gesten

Judäa - Samaria - Gaza
    • Zwischen Hammer und Amboss
    • Maale Adumim

Kunst und Kultur
    • Die Bodmer Haggadah
    • Schlicht und Ergreifend
    • Jüdische Scherenschnitte

Reportage
    • Prag und Jerusalem
    • Das jüdische Leben in der Tschechischen Republik
    • Das jüdische Museum Prag
    • Terezin - Das Vorzimmer von Auschwitz

Portrait
    • Das magische Paar

Schicksal
    • Von Nedjo nach Princeton

Ethik und Judentum
    • Technologie und menschlisches Eingreifen

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Prag und Jerusalem

Von Roland S. Süssmann
Seit dem Fall der Berliner Mauer entwickelten sich die Beziehungen der Ostblockstaaten zu Israel im grossen und ganzen sehr positiv; das gegenwärtige Verhältnis der Tschechischen Republik zum hebräischen Staat beispielsweise kann fast mit einer Art Flitterwochen verglichen werden. Es deutet alles darauf hin, dass die Tschechen die Zeit aufholen möchten, die sie während den langen Jahren des kommunistischen Regimes verloren hatten, als zwischen den beiden Ländern keine offiziellen Beziehungen unterhalten wurden.
Um die gegenwärtige Situation in bezug auf die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern zu veranschaulichen, haben wir in Prag S.E. RAPHAEL GVIR getroffen, den israelischen Botschafter, der uns mit grosser Herzlichkeit empfing.


Sie bekleiden den Posten in Prag seit ca. anderthalb Jahren. Können Sie uns die Beziehungen zwischen Israel und der jungen Tschechischen Republik kurz beschreiben ?

Die bilateralen Beziehungen sind nicht nur gut, sie sind ausgezeichnet, und zwar in allen Bereichen. Auf politischer Ebene gibt es keinerlei Probleme, die Tschechische Republik fördert den Friedensprozess nicht nur moralisch und mit Worten, sondern auch mit konkreten Taten und Aktivitäten. Sie hat soeben die Finanzierung eines Stromnetzes in einer ländlichen Gegend innerhalb einer autonomen Zone von Judäa-Samaria mit einer Spende von drei Millionen US-Dollar unterstützt. Als erstes Land des Ostblocks stellt die Tschechische Republik dem Friedensprozess ihre materielle Hilfe zur Verfügung und nimmt im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Madrider Konferenz an den Kommissionen teil, die sich mit wirtschaftlichen Fragen und dem Ausbau der Wasserquellen beschäftigen. Im weiteren beteiligte es sich auch an den Ökonomischen Konferenzen von Casablanca, Kairo und Amman.
Für die hervorragenden Beziehungen zwischen den beiden Ländern kann ich ein konkretes Beispiel geben, indem ich kurz an den viertägigen Staatsbesuch von Präsident Weizmann erinnere, der im Januar 1996 in einer herzlichen und freundschaftlichen Atmosphäre stattfand. Obwohl seine Gattin schwer erkrankt war (sie ist übrigens kurz danach gestorben), liess es sich Präsident Vaclav Havel nicht nehmen, das israelische Präsidentenpaar überallhin zu begleiten, an alle offiziellen Empfänge und Veranstaltungen, aber auch in das Lager von Terezin. Ich möchte auch betonen, dass das offizielle, vom Präsidenten Havel für 120 Gäste ausgerichtete Dinner nicht nur streng koscher war, sondern auch in neuem Geschirr aufgetragen wurde. Es ist vorgesehen, dass Präsident Havel im kommenden September Israel einen Staatsbesuch abstattet. Es ist ebenfalls wichtig zu wissen, dass Israel im Herzen von Präsident Havel einen besonderen Platz einnimmt. Anlässlich seiner ersten Rede an die Nation nach seiner Wahl zum Präsidenten, in der er sich in erster Linie mit der Innenpolitik auseinandersetzte, sprach er doch zwei Themen der Aussenpolitik an: Israel und den Vatikan. Es gäbe noch viel mehr Zeichen der Sympathie aufzuzählen und ich könnte zahlreiche Beispiele anführen. Ich beschränke mich jedoch darauf zu erwähnen, dass Präsident Havel mich sofort am Sonntag morgen nach der Ermordung Itzchak Rabins anrief, um mir zu sagen, er wolle das Kondolenzbuch als erster unterzeichnen. Damit wollte er seinen Respekt nicht nur für Israel, sondern auch für alles, was mit dem Judentum zusammenhängt, in aller Öffentlichkeit beweisen. Im übrigen hat Premieminister Vaclav Klaus darauf bestanden persönlich an der Beerdingung Itzchak Rabins teilzunehmen.
Interessanterweise gilt es heute fast als "schick", Jude zu sein. Für viele Tschechen stellt die Tatsache, jüdische Vorfahren nachweisen zu können, ein Zeichen von "Adel" dar. Diese allgemeine Atmosphäre von Achtung und Sympathie, ja sogar von Bewunderung für Israel strahlt vom Präsidenten aus und widerspiegelt sich in der gesamten Bevölkerung.


Wie steht es um den Antisemitismus ?

Er ist gesetzlich verboten, doch es gibt trotzdem einige antisemitische Zellen im ultranationalistischen Lager, die heute keinen grossen Einfluss auf die Bevölkerung im allgemeinen und auf diejenige von Prag im besonderen ausüben. Ausserdem greift die rechtsradikale republikanische Partei, mit der Nationalen Front in Frankreich vergleichbar, heute vor allem die Roma und die Zigeuner an. Es existieren auch einige hartnäckig verwurzelte Vorurteile des traditionellen Antisemitismus, wie man ihnen heute fast überall begegnet.


Zwischen den beiden Ländern gibt es also keine bedeutenden politischen Schwierigkeiten. Welchem Anliegen widmen Sie denn Ihre Bemühungen und Ihre Energie ?

Anstatt mich mit der Lösung von Problemen zu beschäftigen, kann ich meine Zeit in konstruktive Aufgaben stecken, wie zum Beispiel in die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder die Intensivierung der kulturellen Beziehungen. Im Bereich der Wirtschaft wurden vergangenes Jahr eine Reihe von gesetzlichen Instrumenten ausgearbeitet. Zunächst haben wir auf Anfrage der tschechischen Botschaft in Israel die Visumspflicht zwischen unseren beiden Ländern aufgehoben, da die Botschaft den Gesuchen der vielen zehntausend israelischen Touristen nicht mehr nachkommen konnte. Der Andrang der Touristen ist so gross, dass EL AL und CSA im Sommer pro Woche insgesamt sieben Flüge zwischen Prag und Tel Aviv ansetzen. Wir haben ebenfalls ein Freihandelsabkommen zwischen unseren Ländern vereinbart und unterzeichnet. Auch hier ist die Tschechische Republik das erste Land des ehemaligen Ostblocks, mit dem Israel diese Art von Vertrag unterschrieben hat, dem später auch die Slowakei beitrat. Seit dem 1. Januar 1997 bestehen folglich keine Zollschranken mehr zwischen uns, was die Lieferung der Produkte in das jeweilige Land beträchtlich erleichtert. Der Preis der Wagen der Marke Skoda ist in Israel beispielsweise stark gesunken. Wir hingegen exportieren landwirtschaftliche und agrotechnische Produkte, mechanisches Werkzeug, medizinische Instrumente sowie zahlreiche Produkte der Spitzentechnologie in die Tschechei. Darüber hinaus besteht auf beiden Seiten bei tschechischen und israelischen Unternehmern der Wunsch, am gegenwärtig in der Tschechei stattfindenden Privatisierungsprozess teilzunehmen. Es bestehen daher viele gemeinsame Projekte. So existiert z.B. ein ganz neues Zentrum für In-vitro-Fertilisation, das über die jüngste Technologie verfügt und dessen Verantwortliche und Fachleute in den bedeutenden Zentren Israels ausgebildet wurden.


Welche Summen erreicht heute der wirtschaftliche Austausch ?

Die Zahl mag vielleicht gering erscheinen, denn im Moment handelt es sich nur um 71 Millionen US-Dollar, doch dies verkörpert im Vergleich zu 1995 einen Anstieg von 60%. Wir befinden uns also auf dem richtigen Weg. Im Mai 1997 wird zum ersten Mal das sehr bedeutende tschechische Unternehmen Skoda-Pilsen, das Trams, Eisenbahnen, Turbinen usw. herstellt, in Israel an einer grossen Industriemesse teilnehmen. Parallel dazu haben sich multinationale israelische Gesellschaften wie Iscar (siehe Shalom Vol. X) oder Elscint (siehe Shalom Vol. I) bereits in der Tschechischen Republik niedergelassen. Von besonders grosser Wichtigkeit ist heute der Kontakt zwischen den beiden Ländern. Nach und nach, meiner Ansicht nach viel zu langsam, entdecken die israelischen Industriellen das Potential Mitteleuropas im allgemeinen und der Tschechei im besonderen. Im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist Israel auch an der Modernisierung des Arsenals der tschechischen Armee beteiligt, insbesondere was den Panzer T.72 angeht, der weiterhin zur Standardausrüstung der ehemaligen COMECON-Länder gehört. Man muss sich im klaren sein, dass die Tschechische Republik eine der Nationen ist, die sich dem Westen zuwenden und zusammen mit Ungarn und Polen zu den ersten Ländern Osteuropas gehören wird, die der Europäischen Union und ab 1999 wahrscheinlich der NATO beitreten werden.


Sie haben uns von einer positiven Entwicklung der kulturellen Beziehungen zwischen beiden Ländern berichtet. Wie sieht diese konkret aus ?

Prag gilt als Kulturstadt par excellence und wurde darüber hinaus von der UNESCO zur "Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2000" ernannt. Der kulturelle, wissenschaftliche und akademische Austausch zwischen Israel und der Tschechischen Republik ist sehr intensiv; wir haben vor kurzem ein Abkommen unterzeichnet, das einen allgemeinen Plan und ein Budget für eine Reihe von kulturellen Aktivitäten in den kommenden drei Jahren beinhaltet. Dieses Programm umfasst alle Kategorien von Veranstaltungen, ich möchte jedoch nur darauf hinweisen, dass einerseits das Philharmonische Orchester Israels im Oktober dieses Jahres im Rahmen des jährlich stattfindenden Festivals Musica Judaica in Prag spielen wird, und dass andererseits Elli Yaffe (siehe Shalom Vol. XIX) aus Jerusalem ständiger Gastdirigent des Symphonieorchesters von Prag ist, das er regelmässig an Konzerten dirigiert. Ausserdem nimmt Israel im Verlauf des Sommers 1997 am Festival Consentus Moravia teil, das in 13 Städten Mährens stattfindet. Israel wird mit israelischen Künstlern in der Stadt Mikulov anwesend sein, wo der Maharal von Prag eine sehr grosse Jeschiwah leitete. Auf der Ebene der wissenschaftlichen und akademischen Zusammenarbeit organisieren die Prager Karlsuniversität und die grössten akademischen Institute Israels gemeinsam zahlreiche Symposien und Seminare. Selbstverständlich nimmt Israel an der Buchmesse (anlässlich des 50. Yom Haatsmauth wird Israel Ehrengast sein) und am Filmfestival von Karlo Vivary teil.


Können Sie uns sagen, mit welcher Einstellung Sie ihre Mission in der Tschechischen Republik erfüllen wollen ?

In meinen Augen ist es ein Privileg, Israel in diesem Land vertreten zu können. Böhmen und Mähren galten während Jahrhunderten als bedeutende europäische Ballungspunkte des jüdischen Lebens. Zahlreiche Meister des Judentums haben hier gelebt und diese Regionen verkörperten nicht nur für Europa, sondern für die gesamte Welt ein echtes Zentrum jüdischer Kultur. Dazu möchte ich nur kurz in Erinnerung rufen, dass Franz Kafka in Prag lebte, Jude war und in deutscher Sprache schrieb. Damit symbolisiert er ein wenig die kulturelle Symbiose, bestehend aus diesen drei Elementen, auf denen die moderne tschechische Kultur beruht.
Ich vergesse nie, dass in diesem Land vor dem Zweiten Weltkrieg 600 jüdische Gemeinden lebten, die vollständig zerstört wurden und von denen ausser den Friedhöfen und einigen verlassenen, zum Teil restaurierten (wie beispielsweise in Pilsen, wo sich die zweitgrösste Synagoge Europas befindet) und von den Stadtverwaltungen in lokale Kulturzentren verwandelten Synagogen nichts übrigbleibt. Während meinen offiziellen Reisen im Landesinnern bestehe ich immer darauf, die jüdischen Stätten zu besichtigen und dass die wenigen, in diesen Städtchen und Dörfern lebenden Juden in meinen offiziellen Besuch einbezogen werden und an den Empfängen im Rathaus usw. teilnehmen. Diese Momente sind immer traurig und ergreifend, manchmal gar tragisch oder schmerzhaft. Die Bürgermeister dieser Orte sind immer voller Verständnis, dass der israelische Botschafter mit "seinen" Juden zusammentreffen will.
Es ist auffallend, dass das jüdische Leben in der Tschechischen Republik gegenwärtig eine äusserst interessante Epoche erlebt. Wir befinden uns in einer Übergangsphase zwischen einer extremen Assimilierung und einem Wiedererwachen des jüdischen Bewusstseins und des Gemeindelebens. Das tschechische Judentum steht am Scheidewege und es ist unmöglich vorauszusagen, welche Richtung es letztendlich einschlagen wird. Vergessen wir nicht, dass Hitler diese Gemeinschaft völlig zerstört hatte und dass die wenigen Überlebenden vom Kommunismus sozusagen erstickt wurden. Allmählich erwachen die Gemeinden aber zu neuem Leben. Wenn ich diese Gemeinschaft beobachte und an ihre Vergangenheit denke, wird mir die Verantwortung und die Bedeutung, einen freien und unabhängigen jüdischen Staat vertreten zu können, wieder voll bewusst.
Die Tatsache, als Botschafter in Prag zu leben, verkörpert für mich als gläubigen Juden ein weiteres bewegendes Privileg. Wenn ich mich zur Synagoge begebe und man mir den Platz zuweist, der sozusagen neben demjenigen liegt, an dem der Maharal von Prag sass, lässt mich dies nicht gleichgültig.


Wir haben festgestellt, dass Sie einer der sehr seltenen - wenn nicht gar der einzige - israelische Botschafter sind, der zu jeder Gelegenheit die Kippah (traditionelle jüdische Kopfbedeckung) trägt. Warum ?

Das stimmt, und dazu möchte ich Ihnen eine kleine Anekdote erzählen. Als ich Botschafter in der Schweiz war, stattete ich dem Kunstmuseum Basel einen offiziellen Besuch ab. Ein Herr kam auf mich zu und sagte: "Ich möchte ja nicht indiskret sein, aber warum tragen Sie diese kleine Kappe auf dem Kopf ?" Ich antwortete ihm : "Das ist mein gelber Stern. Als Kind musste ich ihn tragen. Heute habe ich aber frei entschieden, die Kippah als Symbol des jüdischen Stolzes ständig zu tragen."


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