News Neueste Ausgabe Befragung: Resultate Suchen Archiv Français English Русский עברית Español


Inhaltsangabe Exklusives Interview Frühling 2004 - Pessach 5764

Editorial - April 2004
    • Editorial [pdf]

Pessach 5764
    • Verantwortung – Grosszügigkeit – Freiheit [pdf]

Politik
    • Besinnung auf sich selbst [pdf]

Exklusives Interview
    • Gaza - eine realistische Idee ? [pdf]

Bericht
    • Mitgefühl Ja - Mitleid Nein [pdf]

Junge Leader in Israel
    • Yuval Steinitz [pdf]

Judäa – Samaria - Gaza
    • Alfe Menasche [pdf]

Umfrage – Ergebnisse
    • „Und der gewinner ist…“ [pdf]

Shalom Tsedaka
    • Zu Essen und zu Trinken… [pdf]

Reportage
    • Die Falaschas Muras [pdf]
    • Krav Maga [pdf]

Medizin
    • Es ist mitternacht Dr. Chouraqui! [pdf]

Deutschland
    • Jerusalem und Berlin [pdf]
    • Jude in Deutschland – nicht deutscher Jude [pdf]
    • Eine riesige Herausforderung [pdf]
    • Jüdische Gemeinde zu Berlin [pdf]
    • Die Jüdische Oberschule [pdf]
    • Beit Midrsasch d’Berlin [pdf]
    • Juden in Berlin [pdf]
    • Die Villa am Wannsee [pdf]
    • Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 [pdf]
    • Das jüdische Museum Berlin [pdf]
    • Entschlossenheit Und Strafverfolgung [pdf]

Gesellschaft
    • Konflikt der Gesetze ? [pdf]

Ethik und Judentum
    • Gefangene zurückkaufen? [pdf]

Artikel per E-mail senden...
Gaza - eine realistische Idee ?

Von Roland S. Süssmann, Chefredakteur
Es sind alle Anzeichen dafür da, dass Israel am Scheideweg steht, dass alles anders geworden ist, dass die Tatsachen, die noch vor drei Wochen als absolute Wahrheit galten, in Vergessenheit geraten sind. So hat beispielsweise die jüdische Präsenz im Gazastreifen urplötzlich ihre strategische Bedeutung verloren. Der aufmerksame Beobachter erlebt eine Überraschung nach der anderen und soll dabei nicht nur die Orientierung behalten, sondern allen anderen auch erklären, was vor sich geht. Damit wir dieser Aufgabe nachkommen können, haben wir uns direkt an die Quelle gewendet und wurden vom Verteidigungsminister des Staates Israel empfangen, von General SCHAUL MOFAZ, dem ehemaligen Generalstabschef der israelischen Verteidigungsarmee (IDF).

Können Sie uns kurz die neue strategische Situation im Nahen Osten seit dem Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte in Irak schildern?

Das bedeutendste Ereignis des Jahres 2003 war zweifellos die amerikanische Militäraktion in Irak. Mit ihren Auswirkungen auf weltweiter und lokaler Ebene hatte sie einen grossen Einfluss auf unsere ganze Region. Sie hat den Ländern mit extremistischem Regime, deren Ziel der Erwerb von Atomwaffen ist und die heute den Terrorismus finanziell und logistisch unterstützen, eine sehr deutliche Botschaft vermittelt. Man darf sich allerdings keiner Illusion hingeben. Die Tatsache, dass Iran, Syrien und Libyen ihre Aktivitäten einzuschränken scheinen, stellt nur eine vorübergehende Atempause dar. Diese Situation gibt Israel die Möglichkeit, sich eindeutig auf seine Prioritäten zu konzentrieren, d.h. auf die gefährlichsten Bedrohungen. In dieser Hinsicht liegt die grösste Gefahr in Iran, der alles unternimmt, um Zeit zu gewinnen und zu einer militärischen Supermacht in der Region zu werden. Wir müssen beständig auf der Hut sein und beobachten, was die Iraner unternehmen, da sie sich angereichertes Uran beschaffen und zu einer Atommacht aufsteigen wollen. Unsere zweite Priorität besteht darin, die tägliche Sicherheit in Israel zu gewährleisten. Dazu führen wir eine Reihe von antiterroristischen Massnahmen durch. Abu Allah hat nicht versucht, die Lage am Schauplatz des Geschehens zu ändern oder der berühmten «Road Map» zum Erfolg zu verhelfen. Vor der Einwilligung in Verhandlungen möchte er, dass eine Liste von Bedingungen erfüllt wird. Zu diesen gehört u.a. die Idee, dass wir uns hinter die Feuerlinie von September 2000 zurückziehen, dass wir den Sicherheitszaun abreissen usw. Angesichts dieser Realität hat der Premierminister beschlossen, aus eigener Initiative einseitige Massnahmen zu ergreifen, um aus der fest gefahrenen Situation heraus zu kommen. Wir können nicht mehr darauf warten, dass sich unser Verhandlungspartner dazu herablässt, mit uns Gespräche zu führen. Uns steht heute keine Gegenpartei zur Verfügung und ich weiss niemanden, der in der näheren Zukunft ernsthaft als solche in Frage käme und mit uns zusammenarbeiten könnte, um die «Road Map» umzusetzen. Daher haben wir den unilateralen Beschluss gefasst, die in Gaza lebenden Juden umzusiedeln. Dieser Rückzug wird die Sicherheitslage Israels verbessern, die Spannungen zwischen uns und der arabischen Bevölkerung in dieser Region reduzieren, der Verwirklichung der «Road Map» eine neue Chance geben und uns im Kampf gegen den Terrorismus freiere Hand gewähren. Wenn es uns innerhalb eines Jahres gelingt diesen Rückzug durchzuführen und gleichzeitig unseren Verhandlungspartner davon zu überzeugen, die erste in der «Road Map» beschriebene Massnahme, nämlich die vollständige Auflösung der terroristischen Infrastrukturen, tatsächlich durchzuführen, haben wir einen grossen Schritt hin zu einer friedlichen Lösung gemacht.

Glauben Sie wirklich, dass Sie durch den Rückzug aus Gaza einen Partner für Verhandlungen oder gar den Frieden gewinnen werden?

Ich bin überzeugt, dass die Araber verstehen werden, dass wir, wenn wir aus eigener Initiative eine erhöhte Sicherheit für Israel schaffen, uns in einer Position befinden, die wir mühelos während mehreren Jahren verteidigen können. Gleichzeitig wird ihnen auch klar werden, dass sie nichts davon haben, wenn sie weiterhin hartnäckig die Verhandlungen mit uns verweigern. Wir können ihre ersten feindlichen Äusserungen gegenüber unserer Idee des einseitigen Rückzugs bereits förmlich hören, denn sie wollen unter allen Umständen verhindern, dass wir uns in einer komfortablen Lage befinden. Das grosse Problem ist Arafat, der alles kontrolliert, insbesondere den Sicherheitsapparat der PLO. Er stellt ein ernsthaftes Hindernis für jeden neuen Ansatz dar. Wir können nicht darauf warten, dass unsere Gegenpartei kreative Initiativen ergreift, dank denen unsere jeweilige Bevölkerung friedlich, wenn auch nicht in gegenseitiger Zuneigung, zusammenleben kann. Daher denke ich, dass unser Vorschlag, uns zunächst einmal aus Gaza zurückzuziehen, konstruktiv ist.

Wenn Sie sagen «zunächst einmal aus Gaza», bedeutet dies, dass Sie die Absicht haben, andere jüdische Siedlungen in Judäa und Samaria aufzugeben?

Unsere Interessen in Bezug auf Sicherheit in diesen Regionen unterscheiden sich stark von denjenigen in der Region von Gaza. Meines Erachtens müssen wir bestimmte Bastionen verstärken, wie z.B. Maale Adumim, Gusch Etzion, Ariel und andere Gegenden, wo wir uns endgültig niedergelassen haben. Wenn wir ein Abkommen mit dem Ziel der Koexistenz, ja sogar des Friedens abschliessen können, erweist sich die Schaffung realistischer und verteidigungsfähiger Grenzen als wesentlich. Diese liegen jedoch in Judäa und Samaria und nicht in Gaza. In diesem Sinne unterstütze ich den Rückzugsplan, denn wenn wir ein Abkommen erreichen, wird dies meiner Meinung nach unbedingt eine erneute Ansiedlung der jüdischen Bewohner nach sich ziehen, die gegenwärtig in dieser Region leben.

Sie unterstützen einen unilateralen Rückzug aus Gaza. Ich erinnere mich jedoch sehr gut daran, dass Sie, als Tsahal sich einseitig aus dem Libanon zurückzog, sich offen gegen diese Entscheidung aussprachen. Weshalb begrüssen Sie heute eine bedeutende unilaterale Konzession zugunsten der Araber?

Man kann diese beiden Situationen nicht miteinander vergleichen. Im Libanon befand sich nur die Armee vor Ort, um den Terrorismus zu bekämpfen. Es gab keine einzige jüdische Niederlassung. Ich bin immer noch überzeugt, dass unser einseitiger Rückzug aus dem Südlibanon ein Fehler war. Was Gaza betrifft, wird die IDF die Region nicht verlassen. Es wird immer eine israelische Militärpräsenz im unmittelbaren Umfeld dieser Zone geben, so dass wir den Terrorismus bekämpfen können, sobald sich dies als notwendig erweist. Darüber hinaus behalten wir die absolute Kontrolle über Luftraum, Meer und Grenzzone mit Ägypten.
Ganz anders sieht es bei Judäa und Samaria aus, einschliesslich des Jordantals, das fester Bestandteil unserer nationalen und sicherheitspolitischen Interessen ist. Unsere Präsenz in diesen Regionen ist folglich unabdingbar.

Wie gedenken Sie konkret vorzugehen? Wollen Sie die Juden mit Gewalt aus ihren Häusern vertreiben?

Wir werden Verhandlungen mit den Verantwortlichen dieser Regionen aufnehmen müssen, um die Umsiedlung zu vereinbaren. Wir stehen am Anfang bei der Planung und haben noch keine Lösung für alle auftretenden Probleme gefunden…

Ihr Ansatz weist trotz allem eine grundsätzliche Schwachstelle auf. Wie gedenken Sie das Konzept des Zionismus mit demjenigen der – im Notfall anscheinend auch gewaltsamen - Evakuation der Juden aus ihren Häusern zu vereinbaren?

Wir sind ein friedliebendes Volk, dessen grösster Wunsch es ist, in Frieden zu leben: dieses Element verkörpert so zu sagen die Basis unserer Gebete. In den letzten drei Jahren haben wir alles unternommen, um gemeinsam mit unserem Verhandlungspartner eine Lösung zu finden, was uns aber nicht gelungen ist. Folglich müssen wir Entscheidungen treffen, die in verschiedener Hinsicht einen hohen Preis fordern, die jedoch eine sicherheitspolitische Grundlage für unsere Zukunft darstellen. Ich glaube, dass die meisten Israeli unsere Initiative unterstützen werden. Wir wollen diese Frage der Bevölkerung unterbreiten, damit sie sich im Rahmen einer Abstimmung dazu äussert, bevor das Kabinett und die Knesset Position beziehen.

Es mag sein, dass dieser Plan einer Notwendigkeit entspricht, um die zukünftigen Generationen zu schützen. Sie haben aber noch nicht erklärt, weshalb diese Lösung nicht früher möglich war. Zahlreiche israelische Zivilpersonen und Soldaten haben ihr Leben geopfert, um eine jüdische Präsenz in Gaza beizubehalten, die nun von einem Tag auf den andern überflüssig wird. Können Sie uns genau erläutern, was diese Kehrtwende ausgelöst hat?

Es ist das Ergebnis des Osloer Prozesses und kein Zeichen seiner erfolgreichen Umsetzung. Wir haben begriffen, dass alle von Arafat mit uns geführten Verhandlungen nur einen Grund besassen: die Umsetzung seiner politischen Ziele mit Hilfe des Terrorismus und der Gewalt. Diese Ziele sind bekannt und können in wenigen Worten zusammengefasst werden: Schaffung eines Palästinenserstaates, Teilung von Jerusalem, so dass die eine Hälfte Hauptstadt seines Landes werden kann, Rückkehr zu den Grenzen von 1967 und vor allem Rückkehr der 1948 geflohenen arabischen Flüchtlinge. Heute ist es sogar Arafat klar geworden, dass er durch diese Vorgehensweise keine Chance besass, seine politischen Ziele zu erreichen. Die Rede von Präsident Bush am 24. Juni 2002 stellte einen Wendepunkt dar, denn er erklärte, dass «die Palästinenser eine neue Führung wählen müssen». Seit Oslo haben wir demnach eine Verschlechterung der Beziehungen und der Absichten unseres Verhandlungspartners miterlebt. In meinen Augen wird die Entscheidung, sich aus Gaza zurückzuziehen, eine neue Sicherheitslage für uns schaffen, wie ich bereits sagte, sowie eine neue Quelle der Hoffnung für die israelische Bevölkerung. Gleichzeitig erhält die Führung der palästinensischen Behörden eine deutliche Botschaft. Es ist nun die Aufgabe dieser Politiker Entscheidungen zu treffen, deren positive Auswirkungen oft nicht kurzfristig ersichtlich sind, die sich jedoch langfristig als positiv erweisen.
In den vergangenen zehn Jahren habe ich fünf Premierminister beraten. Jeder von ihnen wollte, auf seine Weise, den Frieden herbeiführen. Sie alle suchten nach Lösungen, und ich bin überzeugt, dass unsere Haltung in den letzten zwei Jahren, d.h. nicht zu verhandeln, solange terroristische Aktionen durchgeführt werden, die richtige ist. Unser Rückzugsplan zwingt unsere Gegenpartei dazu Massnahmen zu ergreifen, dank denen wir uns letztendlich wieder an den Verhandlungstisch setzen können.

Trotz allem hat sich eine Mehrheit in der Armeeleitung offen gegen Ihren Plan ausgesprochen und bezeichnete ihn gar als Aufforderung zum Terror. Wie reagieren Sie auf diese Vorwürfe?

Es ist die Rolle der Armee, die Vor- und Nachteile unseres Vorschlags abzuwägen, was sie auch getan hat. Sie ist nicht berechtigt, eine politische Entscheidung zu fällen.

Als ich Sie das letzte Mal interviewte, waren Sie Generalstabschef (siehe SHALOM Nr. 35) und leiteten ein Organ, das zwar zahlreiche Entscheidungen trifft, letztendlich aber Regierungsentscheide ausführt. Heute stehen Sie auf der anderen Seite, Sie gehören zu den Leadern des Landes, zu jenen, die der Armee vorschreiben, was sie zu tun hat. Wie erleben Sie diesen Wechsel?

Es ist sehr viel schwieriger auf der Ebene, auf der ich mich heute befinde, Entscheidungen zu fällen, als dies bei unserer letzten Begegnung der Fall war. Der wesentliche Unterschied zwischen meinen beiden Funktionen liegt vor allem in der Tatsache, dass ich bei meinen Entscheidungen viel mehr Elemente und Parameter berücksichtigen muss. Die Bevölkerung erwartet von ihren führenden Politikern, dass sie Entscheidungen treffen, doch ich bin mir auch bewusst, dass ich damit oft die Zukunft des Landes auf lange Zeit hinaus bestimme. Die guten Beschlüsse zu fassen stellt den schwierigsten Teil meiner Aufgabe dar. Unser Rückzugsplan aus Gaza entstand nicht aus Übermut oder Leichtsinn. Kurzfristig gesehen erscheint die Umsiedlung von Israelis sehr unangenehm, doch ich bin sicher, dass sich unser Entscheid langfristig nicht nur als richtig herausstellen wird, sondern auch als ein Segen für unsere Bevölkerung.

Contacts
Redaction: edition@shalom-magazine.com   |  Advertising: advert@shalom-magazine.com
Webmaster: webmaster@shalom-magazine.com

© S.A. 2004