"Früher durfte ich mir nicht selber aussuchen, wo ich wohnen oder arbeiten wollte, die Apartheid-Gesetze hinderten mich daran... Heute kann ich leben und arbeiten wo ich will, nur... gibt es heute fast keine Arbeit mehr." In diesen einfachen Worten fasst der Chauffeur des Minibusses, der mich zu meinem Hotel in Johannesburg fährt, die Situation der Schwarzen im "neuen" Südafrika zusammen. Selbstverständlich erscheint nichts natürlicher zu sein, als dass ein afrikanisches Land, dessen Bevölkerung fast fünfmal mehr Schwarze als Weisse zählt, einen schwarzen Präsidenten hat. Die Abschaffung der Apartheid stellt nichts anderes als die folgerichtige und normale Entwicklung für Südafrika dar. War es aber wirklich unumgänglich, das Land dem ANC auszuliefern, einer der doktrintreuesten kommunistischen Parteien der Welt ?
Diese Organisation, die von der Sowjetunion finanziert und gefördert wurde, verkörperte ein wohlfeiles gutes Gewissen für den Westen und bezog ihre militärische Unterstützung von Castro, Ghadafi und Arafat. Die Gründe, welche die Vereinigten Staaten veranlassten, die Einsetzung des ANC zu unterstützen, und welche zu seiner umfassenden Machtübernahme führten, bleiben im Verborgenen, obwohl Wahlkampfüberlegungen wahrscheinlich in der Einstellung der USA eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt haben, da man die Gunst der amerikanischen Schwarzen suchte. Im Land selbst hat sich im Grunde nichts verändert. Die wirtschaftliche Macht blieb weiterhin in den Händen der Weissen, und die Not, die Kriminalität und die politische Gewalt in den grossen Städten und "Townships" wurden in keiner Weise verringert. Die politische Korruption ist allgegenwärtiger denn je. Mittelfristig deutet alles darauf hin, dass die schwarze Bevölkerung auch in Zukunft dahinvegetieren wird und dass das Land, ein kleines Europa an der Südspitze Afrikas, denselben Grad an Unterentwicklung erreichen wird wie die anderen Staaten des afrikanischen Kontinents. Die Entwicklung zu einem Drittweltland ist in vollem Gange. Ausserdem wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, welche eine Quotenregelung vorschreiben: die Unternehmen sind verpflichtet, eine Mindestzahl von schwarzen, meist weniger qualifizierten Angestellten zu beschäftigen, die Universitäten müssen ein Minimum an schwarzen Studenten aufnehmen, so dass das allgemeine Niveau mit der Zeit sinken wird, insbesondere in der Medizin, die zu den besten Fakultäten der Welt gehörte. Keines der afrikanischen Länder, welche die Unabhängigkeit erlangt haben, besass eine so weitentwickelte Infrastruktur wie Südafrika, ohne vom wohltätigen Einfluss einer hier lebenden weissen Bevölkerung zu sprechen, die fast sechs Millionen Menschen umfasst.
In diesem Zusammenhang wollten wir wissen, wie die Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Südafrika aussieht. Eine führende Persönlichkeit hat sich einverstanden erklärt, uns Auskunft zu geben: es ist JULIUS WEINSTEIN, der Präsident des zionistischen Verbandes Südafrikas. Diese Organisation ist für die zionistischen Aktivitäten des gesamten Landes zuständig, kümmert sich jedoch auch um die Beziehungen zwischen der südafrikanischen und der israelischen Regierung, sowie um die Förderung kultureller und geschäftlicher Aktivitäten zwischen den beiden Ländern.
Könnten Sie uns in einigen Worten die gegenwärtige Situation der jüdischen Gemeinschaft in Südafrika nach der Machtübernahme durch den ANC beschreiben ?
Die jüdische Gemeinde Südafrikas ist kleiner geworden und umfasst heute nur noch 80'000 Juden, obwohl sie vor fünf Jahren noch 120'000 Mitglieder zählte. Dazu kommen rund 15'000 Israelis, wobei auch diese Zahl geschrumpft ist, da es vor drei Jahren 25'000 waren. Zahlreiche Joint ventures wurden beendet, die Israelis sind aus Angst vor Unruhen zurückgereist. Die südafrikanischen Juden befinden sich in derselben Situation wie der grösste Teil der weissen Bevölkerung und erhalten keine Sonderbehandlung. Viele Juden sind jedoch politisch linksstehend, bekennen sich offen zum Kommunismus und sind Mitglieder des ANC. Dies trifft insbesondere auf den Wohnungsminister Joe Slovo zu, der Präsident der kommunistischen Partei ist. Darüber hinaus sind zahlreiche Juden heute Parlamentarier des ANC und bekleiden verantwortungsvolle Posten. Zu dieser Regierung der nationalen Union gehören mehr Juden als dies jemals zuvor der Fall war. Das "Wunder", das Südafrika vor kurzem erlebt hat, beruht selbstverständlich auf der Art und Weise, wie die Wahlen und die Machtübernahme stattgefunden haben. Es stand fest, dass der ANC die Wahlen gewinnen würde, doch es ist eigentlich sehr positiv, dass er nicht die absolute Mehrheit von 66 2/3% errungen hat, denn dies hätte Nelson Mandela ermöglicht, die Gesetze und die Verfassung nach eigenem Gutdünken abzuändern, bestimmte Gesetze abzuschaffen, wenn sie ihm nicht passen, und eine neue Gesetzgebung einzuführen. Mit 62% der Stimmen kann er nicht alles allein entscheiden, was einerseits ausländisches Kapital anzieht und andererseits die weisse Bevölkerung veranlasst, im Land zu bleiben. Die jüdischen Stimmen haben ihrerseits aufgrund ihrer geringen Zahl den Wahlausgang nicht beeinflussen können. Die Wirtschaft liegt darnieder, doch es ist ermutigend festzustellen, dass zahlreiche internationale Gesellschaften, die sich aus Südafrika zurückgezogen hatten, nun ernsthaft eine erneute Niederlassung erwägen. Gegenwärtig sieht die Lage verhältnismässig vielversprechend aus.
Die gegenwärtige Regierung erlangte die Macht dank den von Hoffnung erfüllten schwarzen Wählern, die nun eine sehr deutliche Verbesserung ihres Lebensstandards sowohl im Hinblick auf Arbeitsplätze als auch auf Wohnraum und Erziehungswesen erwarten. Ist Mandela Ihrer Ansicht nach in der Lage, seine Versprechungen einzulösen ?
Genau dies ist die Frage, denn sollte die aktuelle Regierung scheitern, würde der Rückschlag schrecklich hart ausfallen. Die Regierung hat nicht viel Zeit. Ich denke, dass die ersten konkreten Anzeichen einer Veränderung in den kommenden drei bis neun Monaten sichtbar werden sollten. Man muss sich bewusst sein, dass das Wohnungsprogramm den Bau von fünf Millionen Wohneinheiten innerhalb von fünf Jahren vorsieht, ganz zu schweigen von einer ganzen Generation, die ihre Auflehnung durch das Anzünden von Schulhäusern kundtat und heute ihren Ausbildungsrückstand aufholen möchte. Es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu hat die Regierung die Steuern auf Unternehmen um 5% gesenkt, um die Investitionen im eigenen Land zu unterstützen. Es steht ebenfalls zur Debatte, die Devisenbewirtschaftung aufzuheben. Dazu möchte ich betonen, dass wir im heute geltenden Finanzregime um die Bewilligung bitten müssen, Mittel nach Israel zu schicken, und dass wir sie bis zum heutigen Tag immer erhalten haben. Ich weiss nicht, ob dies in näherer oder ferner Zukunft auch der Fall sein wird, doch wenn die Devisenkontrolle tatsächlich abgeschafft wird, erübrigt sich die Frage. Die jüdische Gemeinschaft geniesst schon lange das Privileg, finanzielle Mittel nach Israel ausführen zu dürfen, doch dies kann sich von einem Tag auf den andern ändern. Es weist heute nichts darauf hin, dass dieser Zustand beendet werden soll, doch wir sind uns bewusst, dass diese Erlaubnis eine Ausnahme darstellt. Ausserdem konnte jedermann, Jude oder Nichtjude, der in Israel in Immobilien oder in die Industrie investieren möchte, eine Sonderbewilligung von der Regierung erhalten, und Verlauf der Jahre haben zahlreiche jüdische oder nichtjüdische Interessenten diese vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit in Anspruch genommen.
Wie kommen hiermit auf die Frage zurück, wie die jüdische Gemeinschaft behandelt werden wird und ob sie weiterhin so effizient tätig sein wird wie unter der vorherigen Regierung.
Wenn die Regierung, beispielsweise im Erziehungsbereich, die Privatschulen subventioniert, kommt dies auch den jüdischen Schulen zugute. Wird diese Unterstützung wieder abgeschafft, betrifft dies die jüdischen Schulen ebenso wie die anderen. Dasselbe gilt für die jüdischen Altersheime, die noch eine Regierungsbeihilfe erhalten. Sollte diese aufgehoben werden, würde dies eine grosse Belastung der Gemeinde bedeuten, denn unsere Gesellschaft ist recht überaltert, da ein grosser Teil der qualifizierten und beruflich erfolgreichen jungen Leute ausgewandert sind. Die Anzahl Menschen, die von der Sozialhilfe der Gemeinde abhängig sind, steigt leider immer mehr an. Ich glaube jedoch nicht, dass die gegenwärtige Regierung ein Sonderprogramm für die Juden vorgesehen hat, obwohl Mandela nicht verschweigt, dass seine Freunde Arafat und Ghadafi ihn in seinem Kampf unterstützt haben, während Israel eine neutrale Haltung einnahm. Ich denke nicht, dass sich dies im Moment in irgendeiner Weise auf die jüdische Gemeinschaft Südafrikas auswirken wird.
Nelson Mandela ist 75 Jahre alt. Wie bereitet er seine Nachfolge vor ?
Es profilieren sich allmählich neue Führungspersönlichkeiten. Da einige von ihnen nie eine offizielle Aufgabe erfüllt haben, kennen wir sie nicht. Die jüdische Gemeinde pflegt keine Beziehungen zu den beiden möglichen Nachfolgern von Mandela.
Haben die Juden Südafrika seit den Wahlen in stärkerem Ausmass verlassen ?
Vor den Wahlen haben zahlreiche Menschen, nicht nur Juden, das Land verlassen. Die Auswanderung nach Israel war recht umfangreich. Seit den Wahlen haben die Leute festgestellt, dass sich nichts grundsätzlich verändert hat und neigen weniger zur Ausreise.
Welche Zukunft erwartet die jüdische Gemeinde in Südafrika ?
Ich bin überzeugt, dass den Weissen, folglich auch den Juden, in Südafrika die Zukunft offensteht. Wir erleben heute ein interessantes Phänomen, nämlich die Rückkehr von Juden nach Südafrika. Eine der grossen Tragödien des südafrikanischen Judentums ist die Aufsplitterung der Familien zwischen Australien, Kanada, den Vereinigten Staaten und Israel. Aufgrund der heute herrschenden Situation vereinen sich einige Familien in Südafrika, auch wenn es nur ganz wenige sind. Präsident Mandela hat übrigens von der Synagoge von Sea Point am Kap aus einen Appell erlassen, damit die Juden ihre ins Ausland ausgewanderten Kinder ins Land zurückholen. Er sagte, er könne begreifen, weshalb ein Jude sich in Israel niederlasse, aber weshalb in Kanada oder Australien ?
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