K. und H. waren beide schon über dreissig, als sie heirateten. Während mehreren Jahren versuchten sie ein Kind zu zeugen, jedoch ohne Erfolg. Im Alter von vierzig Jahren musste H. eine Hysterektomie vornehmen lassen, als infolge einer medizinischen Untersuchung Gebärmutterkrebs diagnostiziert wurde. Nun war jede Hoffnung auf ein Kind sinnlos geworden.
Die Ärzte erklärten jedoch dem Paar, dass man den Eierstöcken von H. Eizellen entnehmen könne, die anschliessend durch In-vitro-Fertilisation mit dem Samen ihres Mannes K. befruchtet würden. Eine oder mehrere befruchtete Eizellen (um die Erfolgsquote zu erhöhen) würden daraufhin in den Uterus einer Leihmutter eingepflanzt werden, welche das genetische Kind von H. und K. austragen und für sie zur Welt bringen könnte. Für H. war dies die einzige Möglichkeit, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Das Ehepaar entschied sich für dieses Verfahren. Im kommenden Jahr musste H. eine Reihe von unangenehmen chirurgischen Eingriffen über sich ergehen lassen, in deren Verlauf ihren Eierstöcken einige Eizellen entnommen und anschliessend mit dem Samen von K. befruchtet wurden. Doch schon vor der Suche nach einer geeigneten Leihmutter trat ein gravierendes Problem auf: Wer wären gemäss der Halacha die Eltern des Kindes ? Gälte das Kind auch als Jude, wenn die Leihmutter es nicht wäre ? Sollten sich H. und K. für eine jüdische oder besser für eine nichtjüdische Leihmutter entscheiden ? In bezug auf die Vaterschaft wurde festgehalten (Turei Zahav, Yore Dea 195,7, Igrot Moshe Even Ha'Ezer Band I, Res.1), dass der genetische Vater - der das Sperma spendet - immer als der legale Vater des Kindes gilt, auch wenn zwischen ihm und der Kindesmutter nie Geschlechtsverkehr stattgefunden hat, unabhängig davon, ob er mit der Mutter verheiratet ist oder nicht. Diese Bestimmungen sind gültig, solange die Mutter Jüdin ist. Im Falle einer nichtjüdischen Mutter und eines jüdischen Vaters geht man davon aus, dass das Kind vaterlos ist und die einzige verwandtschaftliche Beziehung diejenige zur Mutter ist (Yevamot 17a). Daher besteht bei der künstlichen Befruchtung, d.h. wenn der Samen eines Spenders in den Uterus einer Frau eingeführt wird, durch einen anonymen jüdischen Spender das Problem des möglichen Inzestes. Der legale Vater, in diesem Fall der Samenspender, kann auch andere Kinder haben, und da seine Identität unbekannt bleibt, kann ein durch künstliche Befruchtung mit seinem Sperma gezeugtes Kind später unter Umständen einen Bruder oder eine Schwester heiraten. Die rabbinischen Behörden, welche bei Sterilität des Mannes die künstliche Befruchtung gestatten, verbieten aus diesem Grund im allgemeinen die Verwendung des Samens eines jüdischen Spenders. Im vorliegenden Fall ist die Identität des Vaters jedoch durchaus bekannt, anonym bleibt nur die Leihmutter. Daher muss festgestellt werden, ob zwischen ihr und dem Kind, das sie für K. und H. austrägt, eine rechtliche Beziehung entsteht. Diese Frage nach der Bestimmung der Leihmutterschaft wurde erst in den letzten Jahren geklärt und wird immer noch heftig diskutiert: bis vor kurzem war es schlichtweg undenkbar, dass die genetische Mutter, von der die Eizellen stammen, nicht auch die Frau ist, die das Kind zur Welt bringt.
Es ist uns jedoch ein interessanter Präzedenzfall bekannt, der diese schwierige Frage erhellen kann. In der Abhandlung Yevamot 78a-b diskutiert der Talmud den Fall einer schwangeren Frau, die zum Judentum übertritt, sowie den Status ihres Kindes. Es wird eindeutig festgehalten, dass man davon ausgeht, der Fötus habe durch die Entscheidung seiner Mutter einen unabhängigen Glaubenswechsel vollzogen: das Kind wird nicht nur deswegen als Jude angesehen, weil es von einer - von nun an jüdischen - Mutter geboren wird. Damit ein Kind den jüdischen Glauben von seiner Mutter übernimmt, muss seine Zeugung zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, da die Mutter bereits Jüdin war. Hat sich die Mutter aber nach der Empfängnis, d.h. im Verlauf der Schwangerschaft, zur jüdischen Religion bekannt, überträgt sich der Glauben nicht durch Vererbung auf ihr Kind. Daraus kann man schliessen, dass der jüdische Glaube durch die genetische Mutter übertragen wird, und dass die Eizelle, aus der das Kind entsteht, von einer Jüdin stammen muss. Eine allgemein bekannte Regel betreffend den Familienstatus von Bekehrten besagt (Yevamot 97b), dass ein Mensch, der zum Judentum übergetreten ist, einem Neugeborenen gleicht, und keine verwandtschaftlichen Bande mit seiner früheren Familie mehr aufweist. Daraus folgt, dass gemäss biblischem Recht das Heiratsverbot wegen Inzest einen zum Judentum bekehrten Bruder und seine Schwester nicht betrifft. Wir haben festgestellt, dass ein Kind, dessen Mutter während der Schwangerschaft zum jüdischen Glauben übergetreten ist, als unabhängiger Konvertit gilt; daher sollte keine Verwandtschaft mehr mit seiner Mutter oder mit seinen Geschwistern bestehen, die vor dem Konfessionswechsel der Mutter geboren wurden. Es wird jedoch festgehalten (ebenda), dass dieses Kind vor dem jüdischen Gesetz das legale Geschwister der Kinder ist, die von seiner Mutter nach ihrem Glaubenswechsel gezeugt und geboren werden.
Die einzige logische Erklärung dieses Phänomens liegt in der Tatsache, dass die Mutterschaft nicht genetisch definiert wird, sondern durch die Schwangerschaft und die Niederkunft entsteht. Daher wird ein Mensch, der vor seiner Geburt während der Schwangerschaft seiner Mutter konvertiert wurde, zwar als Konvertit aus freiem Willen angesehen, doch er bleibt der legale Sohn der bekehrten Mutter, die ihn nach ihrem Glaubenswechsel unter ihrem Herzen getragen und geboren hat. Diese verwandtschaftliche Beziehung muss also im Augenblick der Geburt entstanden sein, da die weiter oben zitierte Regel (ein Mensch, der vor seiner Geburt zum Judentum übergetreten ist, gilt als mit den Geschwistern verwandt, die nach der Konvertierung der Mutter von ihr gezeugt und geboren wurden) sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt der Schwangerschaft beschränkt. Es wird nicht gesagt, dass ein vor seiner Geburt konvertierter Mensch mit seinen Brüdern und Schwestern nur dann verwandt ist, wenn der Glaubenswechsel vor Ablauf des ersten oder des zweiten Drittels der Schwangerschaft erfolgte. Es steht eindeutig fest, dass die Verwandtschaft zwischen Mutter und Kind auch dann entsteht, wenn die Bekehrung der schwangeren Mutter und ihres Kindes nur einen Tag vor der Geburt stattfindet. Die Mutterschaft wird demnach im Gegensatz zum jüdischen Glauben nicht genetisch im Augenblick der Zeugung bestimmt, sondern vielmehr physiologisch zum Zeitpunkt der Geburt. Ein Kind, das von einer nichtjüdischen Mutter gezeugt wird, die im Verlauf ihrer Schwangerschaft zum jüdischen Glauben übertritt, wird nicht durch Übertragung zum Juden, sondern durch Bekehrung; es wird jedoch trotzdem als Sohn oder Tochter dieser Frau angesehen, weil sie zum Zeitpunkt der Geburt bereits Jüdin war. Abschliessend kann man folglich sagen, dass dieses Kind im Gegensatz zu einem Menschen, der sich als Individuum (nach seiner Geburt) bekehrt und daher keine verwandtschaftliche Beziehung mehr zu seiner Mutter aufweist, einerseits durch den Glaubenswechsel zum Juden wird, andererseits durch seine Geburt eine jüdische Mutter besitzt.
Eigentlich scheint es recht einleuchtend, dass der jüdische Glaube sich durch die Zeugung überträgt. Aus der Sicht der Halacha gilt der Fötus als potentielles Wesen, das nach der Geburt zu einem eigenständigen Individuum wird. Die eigentliche Essenz unseres Glaubens liegt im Bund zwischen G'tt und dem Volk Israels, den wir am Berg Sinaï bei der Übergabe der Thora eingegangen sind und der uns und unsere Nachkommen bis in alle Ewigkeit verpflichtet. Dieser Glaube ist demnach von aktueller und von virtueller Tragweite: aktuell für uns, virtuell für unsere Nachfahren. Die virtuelle Tragweite ist von grosser Bedeutung für jedes potentielle Wesen. Zum Zeitpunkt der Zeugung eines Kindes entfalten der Bund und das Versprechen zwingende Wirkung. Aus diesem Grund wird es im jüdischen Glauben erzogen. Derjenige Mensch aber, der nicht von einer jüdischen Mutter gezeugt wurde, hat den jüdischen Glauben nicht durch erbliche Übertragung, sondern nur durch seine Konvertierung erworben.
Die Mutterschaft besitzt keine virtuelle Bedeutung, sie kann nur zwischen einer Mutter und ihrem tatsächlichen Kind existieren. Keine Mutter kann von einem nur potentiell vorhandenen Kind sprechen. Diese Beziehung entsteht daher nicht durch die Zeugung, sondern durch die Geburt. In diesem Punkt unterscheidet sich übrigens die Mutterschaft von der Vaterschaft, denn die einzige Beziehung zum Vater wurde bei der Zeugung geschaffen. Folgende Schlussfolgerung drängt sich auf: der Glaube eines Kindes entspricht demjenigen der Mutter, die ihn gezeugt hat, oder in anderen Worten, dem Glauben seiner genetischen Mutter. Jedes Kind, das sich aus der durch das Sperma von K. und einer Eizelle von H. gebildeten Zygote entwickelt, wird unabhängig von der Religion der Leihmutter Jude sein. Auch wenn die Leihmutter Jüdin ist, gilt das Neugeborene als das legale Kind von K. Ist die Leihmutter nicht Jüdin, muss die Vaterschaft von K. gesondert diskutiert werden, um festzustellen, ob ein Kind nicht zugleich mit einem jüdischen Vater und einer nichtjüdischen Mutter verwandt sein kann. In beiden Fällen wird H., die ihr Kind weder ausgetragen noch geboren hat, von der Halacha als die legale Mutter angesehen. Da es aber ihr genetisches Kind ist, wird es ihr höchstwahrscheinlich gleichen und auch ähnliche Charakterzüge aufweisen. Sie wird es aufziehen und lieben können und es als ihr eigenes Kind betrachten; ausserdem hat sie die jüdische Religion auf das Kind übertragen. Doch zur Leihmutter besteht weiterhin eine legale Verwandtschaft, und ein möglicher Inzest sollte möglichst vermieden werden, falls dieses Kind später ein anderes Kind der Leihmutter heiraten möchte.
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