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Inhaltsangabe Shalom tsedaka Dezember 1994 - Chanukkah 5754

Editorial - Dezember 1994
    • Editorial

Chanukkah 5755
    • Mit seiner Zeit leben

Politik
    • Zusammenschluss der Schwachen

Interview
    • Die Diaspora sollte aufmerken
    • Offenheit und strikte observanz

Jerusalem - Judäa - Samaria - gaza
    •  Wird Jerusalem die jüdische Souveränität entzogen ?

Erinnerung
    • Liberation

Kunst und Kultur
    • Gerettete Schätze
    • Eugene Zak (1884-1926)

Wirtschaft
    • Israel - Welches Wirtschaftswachstum ?

Israel - Japan
    • Was kauft der japanische Konsument ?

Israel - China
    • Israel in Schanghai

Erziehung
    • Deplazierter 'Kulturkampf'

Reportage
    • Israel in Goma
    • Ein streng koscheres Retortenbaby

Analyse
    • Das Verhältnis der Juden Südafrikas zum ANC

Ethik und Judentum
    • Wem gehört das Kind ? Welches ist seine Religion ?

Shalom tsedaka
    • Eine unnÖtige qual

Ein Name; eine Strasse; wer ist es ?
    • Saul Tschernikowsky (1875-1943)

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Eine unnÖtige qual

Von Von Roland S. Süssmann
Was ist eine AGUNAH ? Eine seltene Pflanze, eine exotische Frucht oder der Name eines neuen Parfums ? Keines dieser schönen Dinge. Sondern ganz einfach eine unglückliche Frau, die sich in einer sehr schwierigen, wenn nicht gar auswegslosen juristischen, materiellen, physischen und psychischen Situation befindet. Der Begriff Agunah bezieht sich nämlich auf eine Frau, die sich scheiden lassen möchte, deren Mann aber nicht in die Scheidung einwilligt, und sie dazu noch mit Geld oder mit den Kindern schamlos erpresst. Der Ausdruck bezeichnet ebenfalls alle Frauen, deren Mann als tot gilt, ohne dass sein Ableben bewiesen werden kann, oder wenn ein Ehemann sich, meist ins Ausland, abgesetzt hat, unabhängig davon, ob er eine Adresse hinterlässt oder nicht. Darüber hinaus werden vom Gesetz noch einige spezifische Fälle aufgeführt, die jedoch seltener auftreten.
Gemäss der jüdischen Gesetzgebung gibt der Ehemann seiner Frau den Scheidungsvertrag den "Get". Ausser in einigen äusserst seltenen und ganz besonderen Fällen kann die Frau von ihrer Seite allein keine Scheidung verlangen. Eine Frau in der Situation der Agunah befindet sich in einem entsetzlichen juristischen Vakuum, denn sie ist weder berechtigt, eine zweite Ehe einzugehen, noch mit einem anderen Lebenspartner eine Familie zu gründen, da Kinder aus einer solchen Verbindung als "Mamzerim", Bastarde gelten, die einem speziellen rechtlichen Status unterworfen sind. Es bestehen gewisse juristische Möglichkeiten, den Ehemann zur "Befreiung" seiner Frau zu zwingen, die jedoch sehr selten angewandt werden, da die eine von ihnen aus der Gefängnishaft des Mannes besteht.
Es existiert auf weltweiter Ebene eine Dachorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Frauen in einer solchen Situation zu helfen; ihr Name ist ICAR (International Coalition for Agunah Rights), was auf Hebräisch "das Wesentliche" bedeutet. In Israel wendet sich die Organisation "Hairgun leMaan Haagunoth" (Mitglied von ICAR) nicht nur an jene Frauen, die unter einer unglücklichen Ehe leiden, sondern auch an diejenigen, denen die Scheidung und die Möglichkeit eines neuen Anfangs verweigert wird. Die Organisation wurde 1984 von DANIELA VALENCY gegründet, die sich nach Kräften für ihre Aufgabe einsetzt. Sie war selbst einmal eine Agunah, die nach einem hartnäckigen, zwölf Jahre währenden Kampf mit der Unterstützung von sieben mehr oder weniger ausgeprägten Winkeladvokaten letztendlich ihre Scheidung erhielt.


Wieviele Frauen gelten in Israel als Agunoth ?

Unseren Schätzungen zufolge sind 16'000 Frauen heute Agunoth oder kämpfen mit Schwierigkeiten, um geschieden zu werden. Diese Zahl mag erschreckend hoch erscheinen, doch jährlich werden ca. 15'000 Scheidungsgesuche eingereicht, und nur 5'000 von ihnen führen tatsächlich zur Scheidung. Wir gehen davon aus, dass jede Frau, welcher die Scheidung verweigert wird, eine Agunah ist. Das Rabbinat hingegen verwendet diese Bezeichnung nur für die Frauen, deren Mann ins Ausland geflüchtet ist und trotz aller rabbinischen und rechtlichen Massnahmen nicht für den "Get" einwilligt. Die Not all dieser Frauen ist dieselbe, die Situation gleicht jedesmal demselben Muster, da die Männer einzig danach streben, ihre Frauen zu quälen. Im Rahmen unserer Tätigkeit unternehmen wir sehr viel, um diese Frauen in moralischer, psychologischer und juristischer Hinsicht zu unterstützen. Wir werden ebenfalls bei den rabbinischen Gerichten aktiv, damit die Rechtssache rasch beigelegt werden kann. Wir konnten mehrere Erfolge verbuchen, und in einigen besonderen Fällen unternahmen die Rabbiner einschliesslich der beiden Grossrabbiner Israels die notwendigen Schritte, um die Ehemänner im Ausland ausfindig zu machen und sie zur Einwilligung in die Scheidung zu überreden. Darüber hinaus berichten wir mit Hilfe der Medien in der breiten Öffentlichkeit über unsere Tätigkeit und ich muss zugeben, dass die Zeitungen, der Rundfunk und das Fernsehen regelmässig über uns sprechen, was die Verantwortlichen zu effizienterem Handeln drängt. Interessanterweise ist es uns in dieser Hinsicht zusammen mit anderen Frauenorganisationen in Israel gelungen, gewisse Kreise auf dieses Problem aufmerksam zu machen, die sich nicht betroffen fühlten. Heute gilt es als selbstverständlich, dass jede Frau, ob reich oder arm, schön oder hässlich, intelligent oder dumm, sich plötzlich in dieser auswegslosen Lage befinden kann. Daher treffen wir anlässlich von Informationsabenden immer öfter Frauen aus gehobeneren Schichten an, die gekommen sind, um die Berichte unserer Schützlinge zu hören, da sie fürchten, dass ihre Töchter oder eine jüngere Schwester eines Tages in diese Falle geraten können. Natürlich sind unsere Ergebnisse heute noch unbefriedigend, wir arbeiten mit extrem beschränkten Mitteln und unter sehr schwierigen Bedingungen.


Wie helfen Sie diesen Frauen konkret ?

Man muss sich vor Augen führen, dass die meisten dieser Frauen in einer entsetzlichen Klemme stecken. Wenn der Ehemann die Einwilligung für den "Get" verweigert, führt er eine immer stärkere und widerwärtige Erpressung durch Geld durch und verstärkt so die Verzweiflung seines Opfers immer mehr. Das Vorgehen zur Erlangung einer Scheidung ist sehr langwierig, und die Sitzungen des Gerichts- oder Schlichtungsverfahrens finden sehr oft während der Arbeitszeit statt. Es kommt vor, dass eine Agunah aufgrund häufiger Abwesenheit ihren Job verliert. Andererseits ist der Ehemann nach der Trennung des Paares zur Zahlung von Unterhaltsleistungen für die Kinder verpflichtet. Da er in der Regel seinen Beitrag nicht leistet, muss die Frau die Polizei aufsuchen, um die klägliche Summe einzufordern, die ihren Kindern zusteht. Auch dieser Schritt muss während der Arbeitszeit stattfinden. Und dasselbe gilt für zahlreiche andere Gänge.
Wir bieten nun eine "Hot Line" rund um die Uhr an, die ausschliesslich Frauen zur Verfügung steht. Sie können sich aus«MDNM»sprechen, wir hören ihnen zu, beraten sie und versuchen ihnen nach bestem Vermögen zu helfen. Wir organisieren ebenfalls «MDNM»Freizeitaktivitäten für Mütter und ihre Kinder. Auf etwas höherer Ebene verfügen wir über eine Lobby in der Knesset, um noch stärker Druck auf die Männer ausüben zu können. Dadurch haben wir einige Erfolge erzielt. So hat beispielsweise im November 1993 der legislative Ministerausschuss einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der den rabbinischen Gerichten Instrumente an die Hand gibt, um nicht einwilligende Ehemänner umzustimmen. Dazu gehört das Verbot, das Land zu verlassen, einen Pass oder einen Führerschein zu beantragen, eine öffentliche Stelle zu erhalten, einen Beruf auszuüben, für den eine besondere Bewilligung oder Lizenz erforderlich ist, ein Bankkonto zu eröffnen oder eine Kreditkarte zu bekommen. Dieses Gesetz wird demnächst in der Vollversammlung der Knesset diskutiert.


Werden Sie insgesamt vom Rabbinat unterstützt ?

In Israel bestehen soviele verschiedene rabbinische Strömungen, dass wir auf sehr diplomatische Weise "jonglieren" müssen, um das Gleichgewicht zwischen den diversen Gruppierungen zu wahren, die oft politischen Beweggründen gehorchen. Wichtig ist für uns der Beistand zugunsten der Opfer, um die wir uns kümmern, und dazu müssen wir von allen Seiten unterstützt werden. Was eine Gruppe von Rabbinern akzeptiert, lehnt eine andere oft ab, und letztendlich leiden darunter in erster Linie die Frauen und Kinder.


Welche Veränderungen im juristischen oder praktischen Bereich wären für Sie wünschenswert ?

Es könnten zahlreiche Massnahmen ergriffen werden, um den Frauen die Erhaltung einer Scheidung zu erleichtern. Meiner Ansicht nach gibt es drei Punkte, deren Verwirklichung einen ersten, bedeutenden Schritt nach vorn bedeuten würden. Zunächst müsste das Grossrabbinat Israels endlich sein Versprechen konkretisieren, besondere Gerichtshöfe zur Lösung der besonders schwierigen Fälle zu schaffen. Danach sollten die Auslieferungsabkommen auf die im Ausland lebenden Ehemänner ausgedehnt werden, die ihren Frauen vor ihrer Abreise die Einwilligung zum "Get" nicht gegeben haben. Und schliesslich muss unbedingt ein Gesetz verabschiedet werden, in dem die Regelung materieller Fragen, die bei einer Scheidung unvermeidlich auftreten, vollständig von der Einwilligung zu einem "Get" getrennt wird. Werden diese drei Ziele erreicht und tatsächlich umgesetzt, würde dies die Situation um einiges vereinfachen.


Welche Massnahmen gibt es, die Ehemänner zur Freigabe ihrer Frauen zu zwingen ?

Man muss sich bewusst sein, dass das Verhalten der Männer nicht auf edlen Beweggründen beruht. Die Möglichkeit einer Erpressung wird ihnen auf dem Silbertablett geboten, da die Gesetze keine Anwendung finden. Die Druckmittel, die für diese Zwecke in der jüdischen Gesetzgebung vorgesehen sind, werden von den rabbinischen Gesetzen nur mit grösster Zurückhaltung angewendet. Je verfahrener die Situation ist, desto gewissenloser werden die Männer. Nicht selten kommt es sogar vor, dass ein Mann mit seiner neuen Gefährtin zusammenzieht, mit ihr Kinder zeugt und auch dann noch seiner rechtmässigen Ehefrau den "Get" verweigert. Viele Männer, ehemalige Alkoholiker, die ihre Frauen schlugen, sagen: "Indem sie mich verlassen hat, hat sie meinen Stolz gekränkt. Ich leide darunter, daher soll sich ruhig auch leiden !" Das juristische Verfahren ist oft langwierig, kompliziert und nicht immer erfolgreich. In Israel leben Frauen, die seit über 30 Jahren Agunoth sind ! Wir versuchen manchmal, mit dem Mann zu reden, einige von ihnen hören auf uns. Wenn wir scheitern, schrecken wir nicht davor zurück, an seinem Arbeits- oder Wohnort Demonstrationen zu veranstalten. Dies kann in bestimmten Fällen zu einer Lösung führen, doch zuständig sind hier eigentlich die rabbinischen und zivilen Gesetzgeber.


Welches ist Ihr grösstes Problem ?

Wir funktionieren dank einer bedeutenden Anzahl freiwilliger Mitarbeiter und die Büros der Organisation befinden sich in meiner Wohnung. Mein innigster Wunsch, ja mein Traum wäre es, wenn wir unsere Organisation in eigenen Räumlichkeiten mit eigenen Möbeln unterbringen könnten. Neben unseren Unterstützungsaktionen führen wir auch präventive Massnahmen durch. Wenn wir über Büros verfügten, könnten wir Kursräume einrichten, um junge Paare zu informieren und ihnen die Chance zu geben, ihr Leben zu zweit auf eine angenehmere Art aufzubauen, auf der Grundlage von Verständnis und einer grösseren Kompromissbereitschaft. Dies würde die Zahl der Scheidungen bestimmt reduzieren, die heute leider immer stärker ansteigt. Auf diese Weise gäbe es mehr glückliche Paare und Kinder, was sich nur positiv auf die israelische Gesellschaft auswirken kann.
Wenn Sie diese Organisation finanziell unterstützen möchten, wenden Sie sich bitte direkt an:
Hairgun leMaan Haagunoth
Discount Bank Tel Aviv
Konto-Nr.: 569 666
Tel Aviv / Israel

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