Editorial - Dezember 1994
• Editorial
Chanukkah 5755
• Mit seiner Zeit leben
Politik
• Zusammenschluss der Schwachen
Interview
• Die Diaspora sollte aufmerken
• Offenheit und strikte observanz
Jerusalem - Judäa - Samaria - gaza
• Wird Jerusalem die jüdische Souveränität entzogen ?
Erinnerung
• Liberation
Kunst und Kultur
• Gerettete Schätze
• Eugene Zak (1884-1926)
Wirtschaft
• Israel - Welches Wirtschaftswachstum ?
Israel - Japan
• Was kauft der japanische Konsument ?
Israel - China
• Israel in Schanghai
Erziehung
• Deplazierter 'Kulturkampf'
Reportage
• Israel in Goma
• Ein streng koscheres Retortenbaby
Analyse
• Das Verhältnis der Juden Südafrikas zum ANC
Ethik und Judentum
• Wem gehört das Kind ? Welches ist seine Religion ?
Shalom tsedaka
• Eine unnÖtige qual
Ein Name; eine Strasse; wer ist es ?
• Saul Tschernikowsky (1875-1943)
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Ein streng koscheres Retortenbaby
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Die Geburt eines Retortenbabys, die In-vitro-Fertilisation gilt nicht mehr als Wunder der modernen Medizin. Täglich werden überall auf der Welt Kinder geboren, die auf diese Weise gezeugt wurden, und ausser den Eltern und dem beteiligten Ärzteteam schenkt niemand mehr diesem Verfahren besondere Aufmerksamkeit. Das Verfahren stellt die letzte Möglichkeit bei der Unfruchtbarkeitsbehandlung dar und wird in Israel regelmässig durchgeführt. Das religiöse Krankenhaus Shaare Zedek in Jerusalem verfügt über eine Abteilung, die sich ausschliesslich mit der Durchführung dieses Verfahrens befasst und sich ausserdem dadurch auszeichnet, dass sie in völliger Übereinstimmung mit den jüdischen Gesetzen und der jüdischen Ethik in bezug auf die IVF tätig ist. Um mehr über diese zugleich hochspezialisierte und äusserst interessante Methode zu erfahren, haben wir mit Dr. EHUD MARGALIOTH gesprochen, dem Leiter der Abteilung für In-vitro-Fertilisation am Shaare Zedek-Krankenhaus.
Können Sie uns in wenigen Worten die IVF erklären und uns sagen, weshalb sie in Ihrer Abteilung auf besondere Weise durchgeführt wird ?
Die In-vitro-Fertilisation hat im Verlauf der vergangenen fünf Jahre eine enorme Weiterentwicklung erfahren. Zu Beginn betraf diese Methode nur diejenigen Frauen, die aus mechanischen oder infektiösen Gründen unfruchtbar waren. Gegen Ende der 70er Jahre entwickelten englische Ärzte die Idee, den Befruchtungsvorgang im Reagenzglas nachzuvollziehen und den Embryo danach wieder in der Gebärmutter einzupflanzen. Auf diese Weise kam 1978 die kleine Lisa Brown zur Welt. Seither ist dieses Verfahren zur Routine geworden, und Israel gehörte zu den ersten Ländern, in denen die Methode angewendet und weiterentwickelt wurde. Zwischen dem Zeitpunkt, da wir das Verfahren beherrschten, und dem Tag, an dem wir die Bewilligung des Gesundheitsministeriums erhielten, verging ein Jahr. Jeder Schritt, der zur endgültigen Entscheidung führte, wurde einer rabbinischen Kommission, einer Art ethischem Ausschuss, unterbreitet, damit sie alle Aspekte der Halacha (jüdische Gesetzgebung) in diesem Zusammenhang überprüfte. Ende 1981 kam das erste Retortenbaby in Israel zur Welt.
Am Shaare Zedek wurde die IVF-Abteilung vor ca. drei Jahren eröffnet. Als religiöses Krankenhaus halten wir uns an eine Reihe von ethischen Regeln und gesetzlichen Vorschriften der Halacha. Daher führen wir die IVF nur bei verheirateten Paaren durch und verwenden keine Samen, die von einem aussenstehenden Spender stammen. Natürlich tun wir alles, um die Zeugung auf natürlichem Wege zu fördern. Wir behandeln ungefähr zweihundert Fälle pro Jahr; daraus ergeben sich vielleicht vierzig Schwangerschaften, von denen 70% tatsächlich ausgetragen werden. Im Gegensatz zu den anfänglichen Indikationen wird die In-vitro-Fertilisation heute bei allen möglichen Ursachen für Sterilität angewendet. Wir bieten auch Hormonbehandlungen an, welche die Produktion von qualitativ besseren und zahlreicheren Eizellen ermöglichen. Im Falle männlicher Unfruchtbarkeit funktioniert die Hormonbehandlung nur sehr selten. Seit kurzem ist es aber dank einer neuen Technik der Mikromanipulation möglich, nur ein Spermatozoid in die Eizelle zu injizieren (Grösse 1/100 mm). Diese in Belgien entwickelte Technik kommt immer häufiger zur Anwendung und ist recht erfolgreich. Normalerweise sind für die Befruchtung einer Eizelle 50'000-100'000 Spermatozoiden notwendig. Die Technik, nur eines von ihnen zu isolieren und zu verwenden, verkörpert eine bedeutende Errungenschaft. Wir sind dabei, uns zur Durchführung dieses sehr komplizierten, unter dem Mikroskop durchgeführten Verfahrens auszurüsten. Ich kehre soeben aus New York zurück, wo diese Technik bereits routinemässig zur Anwendung kommt, und einer unserer Ärzte ist nach Singapur gereist, um sich dort ebenfalls zu informieren.
Weshalb unterzieht sich ein Paar der Behandlung eher im Shaare Zedek als in einem anderen Spital in Jerusalem ?
Zunächst liegt es wohl daran, dass wir hier eine ganz besondere Atmosphäre geschaffen haben. Vergessen wir nicht, dass die Paare, die sich an uns wenden, oft verzweifelt sind. Unsere Station wurde speziell so konzipiert, dass die Patienten nicht verschiedene Abteilungen durchlaufen müssen; alles wurde an einem einzigen Ort zentralisiert, was in anderen Spitälern überall in der Welt nicht der Fall ist. Vor allem in orthodoxen Kreisen ist es für das Paar sehr wichtig, über ein gewisses Mass an Diskretion zu verfügen und vor "neugierigen Blicken" geschützt zu werden. Ungefähr 10% unserer Patienten sind Araber, einige von ihnen kommen aus Jordanien und anderen arabischen Nachbarländern. Uns stehen hier sowohl ein Operationssaal als auch ein Aufwachraum und ein Labor zur Verfügung.
Wie läuft eine Operation der In-vitro-Fertilisation ab ?
Während drei Wochen erhält die Frau täglich Hormoninjektionen, damit sie eine grosse Zahl von Eizellen produziert. Nach dieser Phase saugen wir die Eizellen per Ultraschallsystem durch die Vagina ab, was unter Gesamt- oder Epiduralanästhesie geschieht. Zahlreiche Frauen entscheiden sich für die Epiduralanästhesie, da sie die gesamte Operation auf dem Ultraschallbildschirm verfolgen möchten und sich so aktiver am ganzen Geschehen beteiligt fühlen. Danach nehmen wir die vom Ehemann gelieferten Samenzellen, die durch Zentrifugation gereinigt werden. Schliesslich wird alles in einem Reagenzglas vereinigt und 48 bis 72 Stunden darin belassen, bis der befruchtete Embryo in den Uterus eingeführt werden kann; auch diese Operation erfordert keinerlei chirurgischen Eingriff. Es handelt sich im Grunde um ein ganz einfaches Verfahren, das einer herkömmlichen gynäkologischen Untersuchung gleichgestellt werden kann.
Auf welche Weise erhält man das notwendige männliche Sperma ?
Das Paar kann natürlich die Samen zu Hause in der Intimität erzeugen, doch sie müssen innerhalb von einer Stunde bei uns eintreffen. Wir stellen den Paaren hier auch einen besonderen Raum ausserhalb der verschiedenen Abteilungen zur Verfügung, in dem sich zu weit entfernt wohnende Eheleute zurückziehen können. Nach den Regeln der Halacha ist die Erzeugung und das Auffangen von Sperma etwas problematisch, da die Onanie verboten ist. Es existieren jedoch einige von der Halacha mehr oder weniger akzeptierte Techniken.
Angenommen, die erste Operation ist erfolglos, wie lange warten Sie, bevor Sie erneut mit dem Verfahren beginnen ?
In der Regel einen Monat. Nach jedem erfolglosen Versuch findet jedoch eine Beratung mit allen beteiligten Ärzten statt, um zu ermitteln, weshalb die Operation gescheitert ist und was verbessert werden könnte. In gewissen Fällen trat die Schwangerschaft erst nach zwölf Versuchen ein. Jeder Fehlschlag stellt für das Paar ein traumatisches Erlebnis dar. In unserer Abteilung kümmern sich daher Psychologen und speziell damit beauftragte Sozialhelfer um das Paar und unterstützen es in diesen schwierigen Momenten.
Vor kurzem sprach man über verschiedene Fälle von Schwangerschaften bei Frauen über 60 Jahren. Bis in welches Alter erklären Sie sich einverstanden, diese Technik bei einer Frau anzuwenden ?
Dies hängt alles von ihrem Hormonhaushalt ab. Wir raten sie jeder Frau von 40 Jahren ab, deren Hormonstatus anzeigt, dass sie sich der Menopause nähert, da die Aussichten auf Erfolg dann sehr gering sind. Darüber hinaus gibt es für uns aber keine bestimmte Altersgrenze.
Wenn Sie eine bestimmte Anzahl von Eizellen befruchten, verwenden Sie hinterher nicht alle Embryonen. Wird die Vernichtung der ungenutzten Embryonen als eine Art Abtreibung angesehen ?
Nein. Wir arbeiten nur mit Embryonen von herausragender Qualität. Da es möglich ist, bei Embryonen eine Reihe von Krankheiten festzustellen, nehmen wir nur die gesunden. Wir versuchen ebenfalls mehrfache Schwangerschaften zu vermeiden, doch trotzdem gab es bis heute bereits Zwillinge und gar einen Fall von Drillingen. Nicht selten verfügen wir über dreissig Embryonen, obwohl nur drei oder maximal fünf von ihnen in den Uterus eingeführt werden. Die restlichen, nicht verwendeten Embryonen werden eingefroren; sie können aber nicht einem anderen Paar als den biologischen "Eltern" zugesprochen werden. Sie werden für jeden weiteren Befruchtungsversuch verwendet, so dass das Paar das Verfahren für Eizellen- und Samenentnahme nur einmal durchlaufen muss. "Unser" allererstes "tiefgekühltes Baby" kam also erst im Juli 1994 zur Welt.
Sie sind kein praktizierender Jude. Werden Ihre medizinische Tätigkeit, Ihre Forschungsarbeiten und Ihre berufliche Weiterentwicklung nicht durch die Tatsache eingeschränkt, dass Sie in einem religiösen Krankenhaus praktizieren, in dem die Vorschriften der Halacha streng eingehalten werden ?
Ja, natürlich werden mir einige Einschränkungen auferlegt. Ich habe aber während drei Jahren in den Vereinigten Staaten gearbeitet, wo jeder Staat eigene Regeln und ethische Ausschüsse besitzt, die letztendlich genauso einschränkend oder gar strenger sind als die Halacha. Meiner Ansicht nach ist dies sehr gut so. Sollte ich davon ausgehen, dass ich einen Patienten aufgrund der religiösen Vorschriften im Shaare Zedek nicht meiner Diagnose entsprechend behandeln kann, steht es mir frei, ihn in ein anderes Spital einzuweisen, welches sich nicht an diese Regeln halten muss. Dank meinen guten Beziehungen zu den Spitälern kann ich meine Patientin nach eigenem Gutdünken weiterbetreuen.
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