In der letzten Nummer von "SHALOM" habe ich Geburtsrituale und ganz zum Schluss die "Brit Milah" vorgestellt. Dieser Artikel wird sich mit der "Pidyon haBen"-Feier und auch mit verschiedenen Festen anlässlich der Geburt eines Mädchens befassen. Wenn das erstgeborene Kind einer Frau ein Sohn ist (nur bei einer Normalgeburt), findet nach dreissig Tagen eine weitere Feier statt (ausser wenn ein Elternteil Kohen oder Levi ist). Dieses Fest wird Pidyon haBen genannt - die Einlösung des Erstgeborenen. Auch hier handelt es sich um ein biblisches Gebot: "Alles, was zuerst den Mutterschoss durchbricht bei Mensch und Vieh, das ist mein." (Ex. 13,2). Das Baby wird dem Kohen dargeboten, und der Vater gibt diesem fünf Silberschekel oder einen entsprechenden Wert als Ersatz.
Es gibt Platten oder grosse Teller für Pidyon haBen, welche den Beschneidungstellern gleichen, die in der letzten Nummer beschrieben wurden. Viele sind mit Darstellungen der Akedah oder mit den Sternzeichen versehen. Ein Teller aus dem 18. Jahrhundert aus Danzig, heute im Jüdischen Museum in New York ausgestellt, zeigt ein gewindeltes Kind, das von der Hand des Kohen über ihm gesegnet wird; die Bracha des Vaters wurde auf dem Rand eingraviert. Auch in diesem Fall ist der Zweck des Tellers unklar. Am Ende des 14.Jahrhunderts berichtet der Maharil von der Sitte, das Geld für die Einlösung auf ein Silbertablett zu legen, um das Gute zu beschwören. An anderer Stelle heisst es, das Baby werde auf dem Tablett präsentiert. Wiederum andere sagen, die Teller hätten nur Dekorations- und Erinnerungszweck und würden während der Feier gar nicht benutzt. In einigen östlichen Gemeinschaften bringen die Frauen Schmuck, um das Kind vor dem Fest zu schmücken. In manchen Gemeinden trägt die Frau ihr Hochzeitskleid während der Pidyon haBen-Feier.
Die Geburt eines Knaben ist, wie wir gesehen haben, ein wichtiges Ereignis im Familien- und Gemeinschaftsleben. Die Geburt eines Mädchens wurde traditionsgemäss hingegen durch den Ausdruck von Bedauern und Trost begangen. Alle Gebete von Frauen baten in der Vergangenheit um Söhne. Die Hauptaufgabe einer jüdischen Frau bestand im Heranziehen von gelehrten und frommen Söhnen. Von einem Jungen konnte man erwarten, dass er die Familie ernähren würde; ein Mädchen musste unterhalten werden, bis man einen Mann für sie fand, und dann musste sie eine Aussteuer bekommen. Das Netteste, was bei der Geburt eines Mädchens gesagt werden konnte: "Ein Mädchen zuerst verspricht viele Söhne". Es gibt einen Segen "Hatow vehametiw", der gemäss der Gemara (Berachot 59b) nach der Geburt eines Knaben, nicht eines Mädchens, gesagt werden sollte. Nach den Worten nämlich des Aruch Haschulchan, eines halachischen Kodex des 19. Jahrhunderts von Yechiel Michal Halevi Epstein, "spricht man bei der Geburt eines Mädchens keinen Segen aus, da dieses Ereignis nicht besonders erfreulich ist".
Dennoch musste ein kleines Mädchen zunächst einen Namen erhalten. Da dies nicht in den Bereich der Halacha fiel, entwickelten sich um den Zeitpunkt der Namensgebung verschiedene Gebräuche, die vom Tag der Geburt bis zu einem Monat oder mehr danach reichten, falls der Vater abwesend war.
In aschkenasischen Gemeinden wird ein Mädchen in der Regel im Verlauf eines gewöhnlichen Synagogengottesdienstes benannt, wenn der Vater für eine Aliya zur Thora gerufen wird, üblicherweise am ersten Schabbat oder Montag oder Donnerstag, wenn die Thora mit einem "Mischaberach" gelesen wird.
Italienische und sephardische Traditionen bei den Feiern zur Benennung des Babys werden "Zeved Habat" genannt und reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Indirekt wird auf diesen Namen in Genesis 30,20 verwiesen, bei den Worten Leas nach der Geburt Sebulons und vor derjenigen Dinas "G'tt hat mich reich beschenkt". So kann der Ausdruck "Zeved Habat" als "Geschenk einer Tochter" übersetzt werden.
Die Feier umfasste neben der Namensgebung meist Pizmonim und Lieder, sowie Verse aus dem Hohelied, ganz besonders 2,14 (Meine Taube in den Felsklüften, im Versteck der Felswand, zeige mir deine Gestalt, lass mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süss und deine Gestalt ist lieblich). Handelt es sich beim Kind um das erste Mädchen, rezitiert der Vater einen anderen Vers aus dem Hohelied, 6,9 (Aber eine ist meine Taube, meine Reine; die Einzige ist sie für ihre Mutter, das Liebste für die, die sie geboren hat. Als die Töchter sie sahen, priesen sie sie glücklich; die Königinnen und Nebenfrauen rühmten sie). Andere Elemente des Zeved Habat sind Bibelverse, wie beispielsweise Genesis 24,60 über Rebekka und wie Psalm 121.
In diversen sephardischen Gemeinden kannte man das Willkommensfest für ein kleines Mädchen als "Las Fadas". Dieser Begriff stammt vielleicht vom spanischen "Hadas" für Feen, da es in Spanien Sitte war, das Baby von verschiedenen guten Feen segnen zu lassen. In der sephardischen Feier organisierten die Eltern ein Bankett, in dessen Verlauf der Rabbi das Mädchen auf dem Schoss hielt, einen Segen aussprach und ihren Namen bekanntgab. Das Baby wurde dann von den Gästen, die ihre eigenen guten Wünsche hinzufügten, von Arm zu Arm gereicht. In der Türkei wird beim "Las Fadas" ein bestickter Seidenschleier über den Kopf von Mutter und Baby gelegt. Nachdem der Rabbi den Namen des Kindes genannt hat, wird der Schleier vom Gesicht des Kindes entfernt. Der Schleier wird von der Mutter gebraucht und später von der Tochter an ihrer Hochzeit getragen. Ein wunderschöner "Mischaberach" für die Namensgebung bei einem Mädchen reicht ebenfalls ins 17. Jahrhundert zurück und erscheint in verschiedenen italienischen und sephardischen Gebetsbüchern, welche die Matriarchinnen und andere biblische Frauengestalten erwähnen, und nicht die Vorväter. "Möge derjenige, der unsere Mütter Sarah, Rebekka, Rachel und Lea, die Prophetin Miriam, Abigail und Königin Esther, Tochter Avihayils, segnete, auch dieses süsse Mädchen, das auf den Namen ... hören wird, segnen mit Mazel Tov und einem glücklichen Leben; möge sie aufwachsen in Gesundheit, Frieden und Stille, und mögen ihr Vater und ihre Mutter ihr Glück und ihre Eheschliessung mit Knaben, Reichtum und Ehre bis ins hohe Alter erleben dürfen. Dies sei G'ttes Wille, Amen." (Man beachte den Wunsch nach männlichen Nachkommen !)
Heute gibt es vor allem in Amerika neben dem traditionellen "Mischaberach" und Kiddusch in der Synagoge selbst bei den Orthodoxen Feiern für neugeborene Mädchen, um ihre Aufnahme in die jüdische Gemeinschaft zu begehen. Oft wird dieses Fest "Simchat bat" genannt (Jubel der Tochter), obwohl ebenfalls andere Namen verwendet werden, wie z.B. "Brit Keduscha" (Schwur der Tochter Israels) oder "Brit Bnot Yisrael" (Bund der Heiligkeit). Da für die Beschneidung (Brit) keine zeitlichen Vorschriften bestehen, warten die Eltern in der Regel, bis die Mutter sich ausreichend erholt hat, um an der Feier aktiv teilzunehmen. In traditionsverbundenen Familien findet das Fest zusätzlich zur Namensgebung in der Synagoge während der Thora-Lesung statt und ersetzt diese nicht. In nichtorthodoxen Gemeinden wird manchmal eine Annäherung an den Brit versucht, indem es am achten Tag nach der Geburt stattfindet. Dazu gehört ab und zu auch das Eintauchen in die Mikvah. Manche Eltern finden die Möglichkeiten, neue Liturgien in ihrer eigenen religiösen Feier zu schaffen, sehr bereichernd. Einige von ihnen verbinden den Namen des Mädchens mit den biblischen Gestalten oder Personen aus der jüdischen Geschichte, deren Namen es trägt. Gebete aus anderen Zusammenhängen, Frauengebete aus der Vergangenheit werden oft eingeschlossen. Eine neue Tradition besteht darin, aus dem hebräischen Namen des Mädchens ein Akrostichon zu formen und dabei biblische Verse zu verwenden. Eine weitere, im Talmud erwähnte (Gittin, 57a) Sitte wird von einigen Familien ebenfalls eingeflochten. Die Eltern pflanzen eine Kiefer in der Hoffnung, dass das kleine Mädchen stark und köstlich heranwächst. Der Baum wird erst geschnitten, wenn sie erwachsen ist, und seine Äste werden für ihre Chuppah verwendet.
Ein interessanter Brauch für Mädchen, der jedoch fast in Vergessenheit geraten ist, besteht aus dem "Hollekreisch" aus Süddeutschland (und schweizerischen Gemeinden). Diese Feier zur Namensgebung hat sich anscheinend im 15. Jahrhundert unter dem Einfluss deutschen Volkstums entwickelt. Die Mutter kam meist einen Monat nach der Geburt des Mädchens erstmals wieder an einem Schabbat in die Synagoge. Die Mutter wurde mit einem Lied begrüsst und ihr Mann zur Thora gerufen. Nach dem Gottesdienst kamen Familie und Freunde nach Hause. Das Kind wurde in seinen schönsten Kleidern in eine geschmückte Wiege gelegt. Acht- bis zehnjährige Kinder standen im Kreis um die Wiege herum, hoben sie drei Mal in die Höhe und schrieen dabei "Holle, Holle, wie soll dieses Kind heissen ?" Dann riefen sie den weltlichen Namen des Babys. Danach erhielten die Kinder Süssigkeiten von den Eltern. In einigen Teilen Deutschlands wurde die "Hollekreisch"-Feier sowohl für Mädchen als auch für Buben durchgeführt, normalerweise aber nur für Mädchen, da die Jungen einen "Bris" hatten.
Die Herkunft des Namens der Feier ist ungewiss. Er könnte mit dem deutschen Geist Holle zusammenhängen, der Neugeborene bedrohte: zum Schutz des Kindes wurde ein Kreis um das Kind herum gezeichnet, und sein Name wurde gerufen, um böse Geister zu vertreiben. Es sind auch volkstümliche Sprüche aus Deutschland und Österreich über eine Frau Holle bekannt, eine alte Göttin der Mythologie, die Kinder auf die Erde brachte: jedes Mal, wenn ein Kind aus dem Wasser gezogen wurde, stellte sie die Frage "Wie soll es heissen ?". Er könnte auch vom jiddischen Wort "Hole" (vom hebräischen Wort "hol" - weltlich) stammen, zusammengesetzt mit dem deutschen "Kreischen", das sich auf das Ausrufen des weltlichen Namens des Kindes bezieht. Schliesslich ist noch eine Ableitung vom französischen "haut la crèche" möglich, eine Anspielung auf das Heben der Wiege.
Der Brauch des "Hollekreisch", der in den Städten und grösseren Gemeinden nicht mehr existiert, wurde in kleineren Ortschaften und auf dem Land noch lange fortgeführt. In Strassburg wurde er noch in den 50er Jahren praktiziert, scheint heute aber vollkommen vergessen zu sein. Ein Gemälde aus dem 20. Jahrhundert mit einer Darstellung dieser Feier, gemalt vom schweizerischen Künstler Alis Guggenheim, wurde kürzlich von Siegmund Wiener und Eva Wiener-Karo aus Luzern dem Israel Museum überreicht.
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