Editorial - Dezember 1993
• Editorial
Chanukkah 5754
• Die Pflicht der Erinnerung
Politik
• Stockender verlauf der verhandlungen
• Begegnung mit Jack Kemp
Exklusives Interview
• Verkauft der jüdische Staat seine Seele ?
Interview
• Jude - Weiss - Südafrikaner
Jerusalem-Judäa-Samaria-Gaza
• Juden oder Parias in Israel ?
Analyse
• Vive la différence !
• Diplomaten und Juden
Junge persönlichkeiten
• Elli Jaffe, der goldene Dirigentenstab
Kunst und Kultur
• Identität im Gegenstand
• Es ist ein Mädchen !
• 25 Jahre Petit-Palais
Reportage
• Der Oberste Gerichtshof Israels
Porträt
• Von Karola zu Dr. Ruth
Erziehung
• Rüstzeug fürs Leben
Gesellschaft
• ... der Kampf geht weiter !
Strategie
• Die strategischen Waffen Syriens
Erinnerung
• Porträt eines Meisters und Freundes
Ethik und Judentum
• Gefahr und Verantwortung
|
... der Kampf geht weiter !
|
Spricht man von der israelischen Frau, denkt man dabei sofort an das Klischee von der schönen Soldatin in Uniform, die mit wehenden Haaren und ein Uzi-Maschinengewehr in der Hand hält. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. Die Frauen besitzen in Israel, wie in zahlreichen demokratischen Ländern, in bestimmten Bereichen weniger oder anders geartete Rechte als die Männer. Zur besseren Analyse dieses Problems sind wir FRANCES RADAY begegnet, Professorin für Recht an der Hebräischen Universität von Jerusalem mit dem Lehrstuhl für Arbeits-, Gesellschafts- und Frauenrecht. Die Juristin und äusserst aktive Feministin ist verheiratet und Mutter dreier Kinder.
Die israelische Gesellschaft wird oft als frauenfeindlich bezeichnet. Ist diese Behauptung richtig und begründet oder handelt es sich dabei um eine Legende ?
Diese Annahme entspricht in weitem Ausmass der Realität. Sie trifft allerdings im gesellschaftlich-wirtschaftlichen Bereich des Alltags nicht zu. Die Stellung der israelischen Frau ist in den Beziehungen "berufstätige Frau - Hausfrau" tatsächlich besser als in anderen Ländern. Die Familie spielt in der israelischen Gesellschaft eine zentrale Rolle, und dieses Phänomen wird von allen, Frauen oder Männern, anerkannt und akzeptiert. Schwangere Frauen oder stillende Mütter, die während ihrer Arbeitszeit persönliche Telefongespräche in bezug auf ihre Kinder führen, werden als ganz normale und natürliche Situationen angesehen. In dieser Hinsicht ist Israel sehr viel fortschrittlicher als z.B. die USA und kann bestimmt nicht als machistische Gesellschaft abgetan werden.
Es existieren jedoch zahlreiche andere Aspekte, die Israel zweifellos zu einer Macho-Gesellschaft machen. Interessant ist beispielsweise die Art und Weise, wie Jungen und Mädchen von der Armee gesehen werden und wie sie die Armee wahrnehmen. Im Militärdienst machen Jungen und Mädchen ihre allerersten Erfahrungen miteinander im wirklichen Leben, ausserhalb der schützenden Umgebung von Familie oder Schule. Es handelt sich um ihren ersten Beitrag zum öffentlichen Leben und zur Gesellschaft. Ich kann Ihnen versichern, dass diese Erfahrung von beiden Gruppen ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Von einigen Ausnahmen abgesehen, werden die jungen Mädchen in der Armee wirklich in den zweiten Rang delegiert. Es leuchtet ein, dass sie nicht in die prestigereichen Einheiten, vor allem die Kampf- oder Kommandoeinheiten, integriert werden. Dies ist auch durchaus nicht notwendig. Doch den meisten Soldatinnen werden untergeordnete Arbeiten zugeteilt. An dieser Stelle möchte ich betonen, wie sehr der Eintritt in die Armee das Leben und vor allem die berufliche Entwicklung jedes Staatsbürgers in Israel prägt. Meiner Ansicht nach handelt es sich hier um das wichtigste und wohl am schwersten verdauliche "Macho"-Element im Leben einer israelischen Frau. Dazu gesellt sich die Tatsache, dass zahlreiche junge Mädchen, die zwei Jahre ihres Lebens dem Staat gegeben haben, auf psychologischer Ebene nicht das Gefühl haben, soviel "persönlichen Einsatz geleistet" zu haben wie ihre männlichen Kollegen. Da sie zwei Jahre lang minderwertige Arbeiten verrichtet haben, verlieren sie oft die Lust daran, sich mit den Männern zu messen. Kurz gesagt, die negativen Auswirkungen dieser untergeordneten Stellung in der Armee sind während ihres gesamten Lebens in Beruf und Familie zu spüren. Auch im Bereich der Gehälter ist der Graben sehr tief. Bei gleicher Arbeit, Ausbildung, Erfahrung und Kenntnis beziehen die Frauen 10% bis 35% weniger Lohn als die Männer. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie in den meisten Fällen die niedrigsten Beschäftigungen in der beruflichen Skala verrichten müssen und folglich am schlechtesten bezahlt werden.
Es existieren bestimmt noch weitere machistische Elemente in der israelischen Gesellschaft ?
Der zweite diskriminierende Faktor, unter dem die Frauen zu leiden haben, findet sich in den Religionen dieses Landes, sei es im Judentum oder im Islam oder Christentum. Kultur und führende Politiker haben es den religiösen Autoritäten erlaubt, alle Gesetze mit Bezug auf die Beziehungen innerhalb der Familie zu kontrollieren. Eheschliessungen und Scheidungen sind vollständig von den religiösen Gerichtsinstanzen abhängig, und in den meisten Fällen ziehen die Frauen dabei den kürzeren. Bei Konflikten in der Familie werden sie durch das System an sich bereits aller ihrer Rechte beraubt. In Tat und Wahrheit kann sich die Frau in keinem Fall von der Autorität ihres Ehemannes befreien. Kein Gesetz zwingt den Mann dazu, seiner Frau die Scheidungsurkunde, den Get, zu geben, wenn er es nicht wünscht. Für diese Weigerung kann er natürlich eingesperrt werden, doch er kann sich ohne weiteres dazu entschliessen, sein Leben im Gefängnis zu verbringen und seine Frau auf diese Weise mit Gewalt an sich zu fesseln. Diese Fälle kommen äusserst selten vor, denn das Rabbinat schreckt im allgemeinen davor zurück, die Ehemänner einzusperren. Im Hinblick auf die Vorrechte der Männer möchte ich sogar behaupten, dass das Volk zutiefst korrumpiert ist, denn es versteckt sich hinter dem Schutzschild der Religion und des Rabbinats. In Wirklichkeit sind es jedoch das Volk und der Staat, die dem orthodoxen Rabbinat die Verantwortung für alles übertragen haben, was Ehefragen betrifft. (Anm.d.Red.: die anderen Formen des "Rabbinats", konservativ oder liberal gesinnt, besitzen in Israel und in der jüdischen Welt im allgemeinen keinerlei Autorität oder gesetzliche Macht. Heirats-, Scheidungs- und vor allem Konvertierungsurkunden werden daher zu Recht nicht anerkannt.) Die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit macht es den Rabbinern möglich, ein patriarchalisches System weiterzuführen, dass das Leben der Frauen ohne Einschränkungen beherrscht. Die einengenden Vorschriften, die aus dieser gesamten Gesetzgebung entstehen, hindern die Frau daran, sich als Individuum zu verwirklichen und ein normales, unabhängiges Leben zu führen.
Auch die muslimischen Frauen erfreuen sich keiner besseren Stellung. Sie können von ihrem Mann fortgeschickt, d.h. einseitig geschieden werden, dürfen sich jedoch selbst nicht zu einer Trennung entschliessen. Wenn sie ihren Mann verlassen oder als Witwe erneut heiraten, verlieren sie diesem System zufolge das Sorgerecht für ihre Kinder. Diese werden automatisch dem Vater zugesprochen, bei seinem Tod der Familie des Vaters. Die Frau besitzt keinerlei Rekurs- oder Verteidigungsmöglichkeit. Dieselbe Haltung existiert nur in der jüdischen Gesellschaft, wo der Staat, mit anderen Worten das Volk, seine Verantwortung im Bereich des Eherechts an den Klerus abgibt.
Infolge der jüdischen Gesetzgebung über die Würde der Frau und der Gesetze über die Gewalt werden die Israelinnen jedoch gut geschützt, denn in diesem Bereich gelten die diesbezüglichen Gesetze als die fortschrittlichsten in der westlichen Welt. Erzwungener Geschlechtsverkehr zwischen Eheleuten wird beispielsweise seit langem als Vergewaltigung angesehen, da die Thora ihn als solchen beschreibt und bestraft.
Abschliessend möchte ich sagen, dass die Gesetzgebung in bezug auf die körperliche Unversehrtheit der Frau (Abtreibung und Gewalt) sie ziemlich begünstigt, was aber noch lange nicht bedeutet, dass es im Leben der israelischen Frauen keine Gewalt gibt. Es sind unbetreitbar konkrete Fortschritte wahrzunehmen bei der Stellung der Frau im Bereich der wirtschaftlichen Gleichberechtigung, auch wenn bestimmte Rechte noch erworben werden müssen, wie z.B. diejenigen der Frauen innerhalb der Familie. In diesem konkreten Fall stehen wir vor der letzten Festung des latenten Patriarchats, wir rennen gegen die Mauer der Religion an. Ausser in einzelnen Fällen sind dem israelischen Gesetzgeber beim Schutz der muslimischen Frauen die Hände gebunden, denn er wird dabei mit der Macht der unabhängigen islamischen Gerichte konfrontiert. Eine meiner arabischen Schülerinnen schrieb deshalb kürzlich in einer freien Arbeit: "Alles, was Sie uns während des Jahres beigebracht haben, erscheint mir in einer ganz anderen Sprache gesagt worden zu sein. In meinem arabischen Dorf in Israel beweist ein Mann seine Männlichkeit, indem er regelmässig seine Frau, seine Mutter, seine Tochter und seine Schwester schlägt. Geben mir Ihre juristischen Theorien die Mittel, diese Tatsache zu bekämpfen ?"
Dies alles zeigt, dass unser Kampf sich nicht darauf beschränkt, der Knesset Gesetze zu unterbreiten oder abstrakte Wissenschaft zu unterrichten. Wir müssen unsere Tätigkeit auf den Alltag ausdehnen und uns vor allem um eine Veränderung der Mentalitäten und eine Weiterentwicklung bestimmter Traditionen bemühen. Hier liegt der eigentliche Kern unseres Kampfes.
|
|