Editorial - Dezember 1993
• Editorial
Chanukkah 5754
• Die Pflicht der Erinnerung
Politik
• Stockender verlauf der verhandlungen
• Begegnung mit Jack Kemp
Exklusives Interview
• Verkauft der jüdische Staat seine Seele ?
Interview
• Jude - Weiss - Südafrikaner
Jerusalem-Judäa-Samaria-Gaza
• Juden oder Parias in Israel ?
Analyse
• Vive la différence !
• Diplomaten und Juden
Junge persönlichkeiten
• Elli Jaffe, der goldene Dirigentenstab
Kunst und Kultur
• Identität im Gegenstand
• Es ist ein Mädchen !
• 25 Jahre Petit-Palais
Reportage
• Der Oberste Gerichtshof Israels
Porträt
• Von Karola zu Dr. Ruth
Erziehung
• Rüstzeug fürs Leben
Gesellschaft
• ... der Kampf geht weiter !
Strategie
• Die strategischen Waffen Syriens
Erinnerung
• Porträt eines Meisters und Freundes
Ethik und Judentum
• Gefahr und Verantwortung
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Jude - Weiss - Südafrikaner
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In weniger als sechs Monaten wird Südafrika höchstwahrscheinlich den ersten schwarzen Präsidenten haben, aller Voraussicht nach ein Mann, der Arafat und Ghadafi nahe steht: Nelson Mandela. Am 27. April 1994 werden sich nämlich Südafrikas Schwarze zum allerersten Mal an die Urnen begeben können, um an einer nationalen Abstimmung teilzunehmen. Der Name des Landes wird abgeändert, die heutige Flagge und die Nationalhymne werden ausgewechselt. In Washington sind wir einem Mann begegnet, der sein ganzes Leben lang die Apartheid bekämpft hat und von Präsident de Klerk dazu ausgewählt wurde, bei der amerikanischen Administration und in der Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten das Symbol des neuen Südafrikas zu verkörpern. HARRY HEINZ SCHWARZ ist der erste Politiker der Opposition, Mitglied der Demokratischen Partei und erster zum Botschafter ernannter Jude in der Geschichte Südafrikas.
Harry H. Schwarz ist kein Karrierediplomat, sondern ein Politiker, der nicht der regierenden Partei angehört. Diese Stellung ist umso bedeutender und gewichtiger, als in den letzten Jahren keine einzige politische Ernennung in Südafrika ohne die Zustimmung Nelson Mandelas erfolgen konnte. Darüber hinaus ist dies der wichtigste Posten der südafrikanischen Diplomatie in den USA.
H. Schwarz wurde 1924 in Deutschland geboren und liess sich auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus mit seinen Eltern in Südafrika nieder. Seine gesamte politische Philosophie und sein Einsatz für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit wurden stark von den finanziellen Schwierigkeiten geprägt, mit denen seine Familie während den Jahren der grossen Krise zu kämpfen hatte. Von Beruf Rechtsanwalt studierte er an der Universität von Witwatersrand, wo er "cum laude" abschloss. Parallel zu seiner erfolgreichen beruflichen Laufbahn entfaltete er bedeutende politische Aktivitäten innerhalb der Opposition. Er gewann seine erste Wahl in den Stadtrat von Johannesburg im Jahr 1951 und wurde 1958 in den Provinzrat von Transvaal gewählt, wo er zum Leader der Opposition aufstieg. Er galt zu jeder Zeit als grosser Verfechter und Aktivist des interrassistischen Dialogs in Südafrika. Während des Zweiten Weltkriegs diente H. Schwarz als Navigator in der South African Air Force, die mit der Royal Air Force zusammenarbeitete. Harry Schwarz ist verheiratet, Vater von drei Söhnen und Grossvater von zwei Enkeln. In seinem Büro im Botschaftsgebäude in Washington nehmen die jüdischen Bücher in hebräisch und englisch einen privilegierten Platz neben politischen, wirtschaftlichen und allgemeinen Werken ein.
Der Rabbi von Lubawitsch wurde oft kritisiert, da er den Juden Südafrikas riet, das Land nicht zu verlassen, denn er war der Meinung, die Situation würde sich nach den gegenwärtigen Veränderungen nicht verschlechtern. Pflichten Sie dieser Einstellung bei ?
Ich gehe davon aus, dass jeder die Situation je nach Sensibilität und Lebensweise selbst einschätzen muss. Ich würde nie jemandem raten, in Südafrika zu bleiben oder auszuwandern, es handelt sich um eine ganz persönliche Entscheidung. In meiner Eigenschaft als Botschafter Südafrikas ist es aber meine Pflicht, die Menschen zum Bleiben oder gar zur Niederlassung in diesem Land zu ermutigen. Eine andere Einstellung widerspräche ganz und gar meiner Aufgabe.
Glauben Sie, dass trotz allem nach den Wahlen eine jüdische Auswanderungsbewegung aus Südafrika einsetzen wird ?
Die Zeit vor und nach den Wahlen wird zwangsläufig von Gewalt geprägt sein. Viele Menschen werden sich dann zum Weggehen entschliessen, doch ich denke nicht, dass es sich hierbei um ein typisch jüdisches Phänomen handeln wird. Die gesamte Gemeinschaft der Weissen sowie Mitglieder der nichtweissen Gesellschaft werden von einer zahlenmässig mehr oder weniger grossen Auswanderung berührt werden. Es leuchtet ein, dass sich niemand gern in einer Situation der Unsicherheit oder der Gewalt befindet, ganz unabhängig von Rasse oder Hautfarbe.
Denken Sie, dass die Veränderungen, die in Südafrika nach den Wahlen eintreten werden, die jüdische Gemeinde direkt betreffen werden ?
Die Juden werden davon genauso berührt werden wie die übrige Bevölkerung, nicht mehr und nicht weniger. Sollte Stabilität herrschen, ist sie für alle die gleiche, und bricht eine Zukunft des Aufschwungs an, kommt sie allen zugute. Es wird keine selektive Situation entstehen, in der die Juden als separate Einheit besser oder schlechter behandelt werden. Die Juden gehören der weissen Gemeinschaft an und teilen deren Schicksal in jeder Hinsicht. Es existiert kein Programm, kein besonderer oder heimlicher Plan die Juden betreffend. Natürlich gibt es, wie überall, antisemitische Gruppierungen sowohl in der weissen als auch in der schwarzen Gemeinschaft, doch dieses Phänomen tritt hier nicht stärker auf als in anderen Ländern der Erde. Meiner Ansicht nach wird kein Mensch in Südafrika stärker bedroht als ein anderer, nur weil er Jude ist.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel und Südafrika nach den Wahlen ? Der ANC (African National Congress) und die Terroristenorganisation PLO stehen sich doch sehr nahe.
N. Mandela hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er fest entschlossen sei, die heute bestehenden diplomatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufrechtzuerhalten. Es trifft zu, dass der ANC und andere schwarze Gruppen Südafrikas in der Vergangenheit der PLO nahestanden, doch meiner Ansicht nach tragen die neue Situation in Israel und die Tatsache, dass zwischen der israelischen Regierung und der PLO verhandelt wird, dazu bei, dass diese Gruppen Israel mit anderen Augen sehen. In einem gewissen Sinn hebt diese neue Gegebenheit einen gewichtigen Streitpunkt zwischen der jüdischen Gemeinschaft und den ausserparlamentarischen Organisationen Südafrikas auf und vereinfacht ihre Beziehungen untereinander. In Simbabwe z.B. besteht ein Büro der PLO, jedoch keine israelische Botschaft. Nelson Mandela hat immer betont, er wolle die diplomatischen Beziehungen zum jüdischen Staat erhalten. Anlässlich einer vor kurzem durchgeführten Begegnung mit den Führungskräften der jüdischen Gemeinde in Südafrika hat N. Mandela diese Position bekräftigt. Seiner Auffassung nach existiert keinerlei Widerspruch zwischen der Unterstützung der PLO und der Pflege guter Beziehungen zu Israel.
Sie sagen, Mandela sei weder anti-israelisch noch antisemitisch eingestellt. Wie steht es aber um seine direkte Umgebung ?
In jeder politischen Bewegung bestehen Meinungsverschiedenheiten, und ich könnte mir vorstellen, dass der ANC keine Ausnahme von dieser Regel darstellt. Es wurde der Versuch unternommen, die Tatsache, Jude zu sein, von der zionistischen Überzeugung zu trennen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo diese Unterscheidung sich durchgesetzt hat, wurde sie nie in das Konzept des südafrikanischen Judentums aufgenommen. Im Hinblick auf den Antisemitismus in Südafrika glaube ich, dass die jüdische Gemeinschaft die Entwicklung von weissem Antisemitismus und von rechtsextremistischen Gruppen vor und nach den Wahlen sehr viel mehr fürchtet als eine Wiederbelebung des schwarzen Antisemitismus.
Haben Sie seit dem Eintritt der Veränderungen, darunter insbesondere dem grossen Schritt in Richtung Abschaffung der Apartheid, eine bedeutende jüdische Investitionsbewegung in Südafrika festgestellt ?
Es wird zu keinen spezifisch jüdischen Investitionen in Südafrika kommen, sie werden vielmehr von privaten Unternehmen und öffentlichen Institutionen stammen. Wir werden, wie immer, mit Investoren zu tun haben, die sich zur Anlage ihrer Mittel in Südafrika entschliessen, und mit solchen, die sich zurückhalten werden, unabhängig davon, ob sie Juden sind oder nicht. Wir befinden uns gegenwärtig in einer Beobachtungsphase, die Finanzwelt wartet die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung ab. Noch herrscht Unsicherheit in der Gemeinschaft der Finanzleute.
Anlässlich Ihrer Nominierung schrieb die "Cape Times": "Die Regierung hat einen Meisterstreich getan, indem sie Harry H. Schwarz als Botschafter für sich verpflichtet hat. Dieser Mann hat im Verlauf seiner gesamten Laufbahn die Apartheid und die soziale Ungerechtigkeit in diesem Land bekämpft. Nur wenige weisse Politiker haben die Rassenpolitik der Regierung so heftig angegriffen wie er." Wie erklären Sie sich unter diesen Umständen, als Oppositionspolitiker und darüber hinaus als Jude, Ihre Nominierung ?
Meiner Ansicht nach hat die Tatsache, dass ich Jude bin, überhaupt keinen Einfluss gehabt. Der Präsident hat sich nicht entschlossen, einen Juden zu ernennen. Ich verstecke jedoch meine Wurzeln nicht, an den Türen meines Büros befinden sich Mesusoth, ich halte bestimmte jüdische Ernährungsvorschriften ein, und wir führen in der Botschaft koschere Empfänge durch. Was die Nominierung als solche betrifft, wollte Präsident de Klerk meiner Ansicht nach eine sehr deutliche Botschaft verkünden, um die Ernsthaftigkeit der von ihm eingeführten Veränderungen in Südafrika zu unterstreichen. Ich hätte diesen Posten unter keinem anderen Präsidenten akzeptiert, denn ich hätte nie eine Politik der Apartheid unterstützt. Ich gebe zu, ich war äusserst überrascht, als ich an einem Sonntagabend einen Anruf aus dem Präsidentenbüro erhielt und für den kommenden Tag eine Begegnung mit Präsident de Klerk festgelegt wurde. Im Verlauf dieses Gesprächs bot er mir den Posten an, und ich habe ihm, wie jeder gute jüdische Ehemann, geantwortet: "Darüber muss ich erst mit meiner Frau sprechen..."
Wie sehen Ihre Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft in den USA aus ?
Wir pflegen regelmässige Kontakte. Ich bin allerdings weder der Botschafter der jüdischen Gemeinschaft Südafrikas bei der jüdischen Gemeinschaft der Vereinigten Staaten, noch derjenige Israels. Meine Arbeit ist diejenige eines südafrikanischen Diplomaten, und parallel dazu bekenne ich mich stolz und offen zu meinem jüdischen Glauben.
Sie besassen diesen Posten bereits unter der Regierung Bush. Sehen Sie zwischen damals und heute unter der Regierung Clinton einen grossen Unterschied in der Art und Weise, wie Ihr Land wahrgenommen wird ?
Als Präsident Bush die Wahlen verlor, fürchteten viele Menschen in Südafrika, dass die neue Regierung sich uns gegenüber als feindlich oder wenig kooperativ erweisen würde. Ich verfasste damals einen Bericht, in dem ich das Gegenteil in Aussicht stellte. Die Realität hat mir recht gegeben, und ich muss sagen, dass die gegenwärtige Regierung sich von einer sehr positiven Seite gezeigt hat, nicht nur uns gegenüber, sondern auch im Hinblick auf den laufenden Verhandlungs- und Demokratisierungsprozess. Diese Unterstützung drückt sich nicht nur verbal, sondern in konkreten Taten aus.
Die Regierung Rabin verhandelt mit der Terroristenorganisation PLO, und Ihre Regierung führt Verhandlungen mit dem ANC, der gestern noch als öffentlicher Feind galt. Glauben Sie, dass sich Terrorismus in irgendeiner Form bezahlt macht ?
Ich möchte keinen Kommentar zur israelischen Politik abgeben. Was Südafrika betrifft, muss man sich klarmachen, dass die Apartheid als Politik zum Scheitern verurteilt war, da es keine Besiegte oder Sieger geben durfte. Der ANC stand einem extrem mächtigen militärischen Apparat gegenüber, und es war für die Regierung absolut ausgeschlossen, einen "militärischen Sieg" zu erringen. Verhandlungen waren daher unumgänglich.
Trotz des gegenwärtigen Prozesses gibt es innerhalb der schwarzen Gemeinschaft keinen Konsens. Die ethnischen Divergenzen erweisen sich weiterhin als sehr tiefgreifend, wie z.B. zwischen den Zulus unter der Führung von Prinz Mangashutu Butolesy und dem ANC von N. Mandela, der sich hauptsächlich aus dem Stamm der Xhosas zusammensetzt. Denken Sie, dass sich diese gravierenden Divergenzen mit Hilfe einer politischen Einigung überbrücken lassen ?
In der Praxis hat es bisher kein Land auf der Welt geschafft, die ethnischen Konflikte zu lösen, weder die Vereinigten Staaten, noch Kanada. Man kann an den Nicht-Rassismus glauben und sagen, alle Menschen seien gleich, doch es ist unmöglich, die Vielfalt der Rassen zu ignorieren, mit denen man auskommen und zählen muss. Gleichzeitig ist es wichtig, jeden Zusammenstoss zwischen verschiedenen Volksgruppen zu vermeiden. In Südafrika zählt der ANC zahlreiche Anhänger unter den Zulus, die niemals für einen Xhosa stimmen würden, zweifellos jedoch für den ANC, der sich als nichtrassistische Organisation bezeichnet. Der ANC umfasst übrigens Mitglieder aller schwarzen Volksgruppen in Südafrika und auch Weisse. Als Politiker war ich immer der Überzeugung, der Weg zur Einschränkung der Rassenkonflikte liege im Föderalismus, in der Aufteilung der Macht und der Rechte.
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