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Inhaltsangabe Interview Frühling 2005 - Pessach 5765

Editorial - April 2005
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Pessach 5765
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Politik
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Ethik und Judentum
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Shalom Tsunami!

Von Roland S. Süssmann
Entgegen allen Vermutungen hat der Tsunami vom 26. Dezember 2004 nicht nur in Südostasien hohe Wellen geschlagen, er hat auch in Jerusalem eine «Flut» von Aktivitäten ausgelöst. Sofort nach dem Bekanntwerden der Katastrophe hat das wissenschaftliche Departement für forensische Medizin der israelischen Polizei wegen der grossen Zahl von Israeli, die regelmässig, vor allem am Jahresende, in die betroffenen Regionen reisen, einen Krisenstab ins Leben gerufen. Um mehr von der Tätigkeit dieser Spezialeinheit zu erfahren, haben wir ein Gespräch mit dem Mann geführt, der sie leitet, Polizeikommandant SHALOM TSAROOM. Sein Team wurde umgehend an den Ort der Katastrophe geschickt, um dort am internationalen Einsatz bei der Identifizierung der Leichen teilzunehmen.

Können Sie uns, bevor Sie Ihre direkt mit der Tsunami-Tragödie verbundenen Aufgaben in Thailand beschreiben, kurz die Tätigkeit des Polizeidepartements erläutern, dem Sie vorstehen?

Grundsätzlich besteht unsere Arbeit aus der forensischen Identifizierung, d.h. aus dem Zusammentragen und Identifizieren von materiellen Indizien sowie der Durchführung von Autopsien bei Verbrechen, die ich als «zivilrechtlich» bezeichnen würde (Raubüberfall, Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung und Tätlichkeiten aller Art). Zu dieser Arbeit ist mit der Zeit ein ganzes System von Untersuchungen in direktem Zusammenhang mit dem Terrorismus gekommen, unter dem unsere Bevölkerung seit über vier Jahren leidet. Unsere Tätigkeit bezieht sich auf das ganze Land und umfasst zahlreiche Bereiche, wie z.B. DNA-Analysen, die Identifizierung von Fussspuren usw. Wir arbeiten sowohl am Ort eines Verbrechens als auch in unseren eigenen Labors für Physik, Chemie usw., die sich ein wenig überall in Israel befinden. Dabei handelt es sich um die herkömmlichen Tätigkeiten der Gerichtsmedizin. In Bezug auf den Terrorismus haben wir zwei ganz konkrete Aufgaben zu erfüllen: die gerichtsmedizinische Untersuchung und die Analyse des verwendeten Sprengstoffs. Man muss sich klar machen, dass unsere wissenschaftliche Untersuchung die Zusammenstellung eines sehr vollständigen Dossiers ermöglicht, das oft viele Tage der traditionellen Untersuchung überflüssig macht. In vielen Fällen führen unsere Schlussfolgerungen dazu, dass eine Akte abgeschlossen werden kann, die Schuldigen identifiziert und vor Gericht gebracht werden. In unserer modernen Welt besitzen die wissenschaftlichen Dossiers wegen ihrer unbestechlichen Objektivität einen viel grösseren Wert als Zeugenaussagen. Heute lautet die erste Frage eines Gerichts, wenn ihm eine Akte vorgelegt wird, ob eine wissenschaftliche und gerichtsmedizinische Untersuchung durchgeführt wurde. Diese Forderung tritt in der ganzen Welt immer häufiger auf und ich kann ohne falsche Bescheidenheit behaupten, dass dies ein Gebiet ist, auf dem Israel eine Spitzenposition einnimmt. Unsere Art zu arbeiten, die von uns entwickelten Techniken bei der Untersuchung, der Identifizierung, der Analyse und Auswertung, die Hilfsmittel (oft transportierbar), die wir in unseren Werkstätten ausgetüftelt haben, und die Fähigkeiten unserer Leute sind weltweit anerkannt und werden von den internationalen Experten geschätzt, bei denen wir einen ausgezeichneten Ruf geniessen. Unser Know-how ist übrigens oft begehrt und wir haben in vielen Ländern beratende Missionen ausgeführt, nicht nur im Bereich des Terrorismus.

Apropos Terrorismus: können Sie uns kurz erklären - natürlich ohne Geheimnisse in Bezug auf Ihre Untersuchungsmethoden zu offenbaren -, woraus Ihre Tätigkeit konkret besteht?

Wie ich bereits erwähnte, betrifft ein bedeutender Teil unserer Untersuchungen die Analyse des in einem Anschlag verwendeten Sprengstoffs. Bei einem Selbstmordanschlag ist es immer sehr schwierig bestimmte Elemente zusammenzu­tragen, da oft nichts oder nur wenig übrig bleibt. Wir müssen auch rasch die Identität der Person ermitteln, die sich bewusst in eine menschliche Bombe verwandelt hat, was alles andere als einfach ist: in den meisten Fällen ist der Körper völlig zerfetzt und die Leiche wird von der Familie nicht zurückgefordert. Wir strengen uns folglich besonders an, um eine Hand oder wenigstens einen Finger zu finden, in der Hoffnung, dass diese nicht verbrannt sind. Vor Ort nehmen wir einen Fingerabdruck und versuchen ihn mit Hilfe unserer Dateien zu identifizieren. Dazu muss ich auch sagen, dass wir zwar über eine grosse Datenbank mit Fingerabdrücken und Fotos verfügen, dass uns aber das Gesetz im Moment untersagt, eine ähnliche Datenbank mit der DNA der bei uns inhaftierten Terroristen oder auch der einfachen Verbrecher zu schaffen. Meines Erachtens wird sich da demnächst etwas ändern. Bei den Selbstmordattentätern wird der Körper im Allgemeinen zerstört, doch ab und zu bleibt der Kopf mehr oder weniger unversehrt oder teilweise erkennbar. Wir fotografieren ihn und vergleichen ihn mit unserer digitalisierten Datenbank. Wir unternehmen eigentlich alles, um den Nachrichtendiensten möglichst schnell eine Vielzahl von Elementen zu liefern, damit diese ihre Arbeit tun können. Wenn beispielsweise eine Autobombe explodiert, ermitteln wir in aller Schnelle, um welches Fahrzeug es sich handelt, woher es kommt, ob es gestohlen wurde - wo und wann - und wenn möglich welche Strecke es zurückgelegt hat, was uns oft dabei hilft, den Terroristen und eventuelle Komplizen zu identifizieren. Die Bergung von bestimmten Einzelteilen, die wir mit unserer Datenbank vergleichen, trägt ebenfalls zur Erkennung des Fahrzeugs bei. Wie ich bereits sagte, steht die Identifizierung des Sprengstoffs an oberster Stelle. Je nach Art des Attentats wissen wir, nach welchem Sprengstofftyp wir suchen müssen. Haben wir ihn einmal definiert, können wir herausfinden, in welchem Labor er hergestellt wurde, da oft ganz bestimmte Arten von Sprengstoff bereits für identische Anschläge verwendet wurden. Wir leiten diese Informationen an die Sicherheitsdienste weiter, die anschliessend die notwendigen Schritte unternehmen können, um dort einzugreifen, wo die Bomben hergestellt werden, um die Schuldigen zu finden und vor allem andere Anschläge zu verhindern.

Sie haben «nebenbei» die Tatsache erwähnt, dass Teile von zerfetzten Körpern dazu beitragen können, sie zu identifizieren oder andere Ziele zu verfolgen. Handelt es sich dabei nicht um eine äusserst unangenehme Aufgabe?

Es ist natürlich der furchtbarste Teil unserer Arbeit, der aber mit der Zeit zu einem der wichtigsten geworden ist. Leider sind wir in den vergangenen Jahren infolge der immer zahlreicheren Attentate zu Spezialisten bei der Identifizierung von Leichen, oder, wie man es in der Fachsprache nennt, bei der «D.V.I. - Disaster Victims Identification», geworden. Die Mitarbeiter, die vor einigen Jahren zu uns gekommen sind, wussten, dass sie bei besonders grausamen Verbrechen ab und zu mit solchen Scheusslichkeiten konfrontiert sein würden, doch sie hätten es sich nie träumen lassen, sich so intensiv und systematisch damit befassen zu müssen. Heute ist diese Tätigkeit aufgrund eines Regierungsbeschlusses für uns zu einer vorrangigen nationalen Aufgabe geworden. Es ist ein sehr weites Feld, zu dem Verkehrsunfälle gehören, aber auch Brände, Erdbeben, Gebäudeeinstürze und Attentate. Die Identifikation von Leichen ist sowohl in rein technischer und psychologischer Hinsicht als auch in Bezug auf das persönliche Engagement sehr zeitraubend und anstrengend. Ich würde gar behaupten, dass jedes Mal die Seele eines jeden einzelnen von uns zutiefst traumatisiert wird, denn ungeachtet der Erfahrung kann niemand sagen, dass man sich an das Grauen gewöhnt. Wir denken sehr oft darüber nach, wie wir unsere Arbeit verbessern und vor allem noch schneller und rationeller erledigen können. Wir führen diese Nachforschungen nicht nur durch, um schnellere Ergebnisse zu erzielen und die Familien informieren zu können, die in der Ungewissheit Höllenqualen erleiden, sondern auch um möglichst kurze Zeit dem Grauen ausgesetzt zu sein, das uns so mitnimmt. Wir befinden uns gegenwärtig in einer paradoxen Situation, weil uns einerseits ein Teil unserer Mitarbeiter verlassen hat, weil sie es psychisch nicht mehr aushielten, und weil uns andererseits unzählige Bewerbungen erreichen. Aus diesem Grund haben wir die Anforderungen für eine Anstellung bei uns angehoben. Die Bewerber müssen eine sehr hoch qualifizierte technische Ausbildung und grosse Charakterstärke nachweisen. Wir verlangen ebenfalls einen ständig wachen Verstand, dank dem man beim Eintreffen am Ort eines Verbrechens nicht nur die Leichen sieht, sondern auch in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit eine Reihe von Indizien und Details wahrzunehmen, was zu einem schnellen Abschluss der Untersuchung führt. Die Aufnahmeprüfungen sind daher sehr umfangreich und beinhalten auch eine psychologische Beurteilung. Daher kann ich behaupten, dass die neuen Mitarbeiter besser sind als diejenigen, die gekündigt haben. Wir sind überall in Israel tätig, im Ausland kommen wir nur dann zum Einsatz, wenn jüdische oder israelische Opfer zu beklagen sind. Auch bei Anschlägen, Erdbeben oder auf ausdrückliche Anfrage einer befreundeten Regierung schicken wir ein Team an den Ort des Geschehens.
Ich möchte ebenfalls erwähnen, dass wir innerhalb unserer Abteilung von zahlreichen freiwilligen Mitarbeitern unterstützt werden, die uns bei der D.V.I. zur Seite stehen: es sind 30 Zahnärzte und fast 600 Mitglieder der Organisation ZAKA (orthodoxe Gruppierung, die sich auf das Zusammentragen von Überresten zerfetzter Leichen spezialisiert hat). Es sind keine Ermittlungsfachleute, sondern Menschen, die uns beim Bergen der verstümmelten Toten, beim Auffinden fehlender Körperglieder, beim Sammeln von Indizien und beim Säubern der Orte helfen, an denen Anschläge stattgefunden haben. Sie können sich vorstellen, wie hoch das Engagement dieser Leute ist. Die Beschreibung unserer Tätigkeit wäre unvollständig, wenn ich nicht ganz ausdrücklich unsere Teams würdigen würde, die im pathologischen Institut von Abu Kabir arbeiten und jahraus, jahrein eine bemerkenswerte Professionalität an den Tag legen.

Ist bei Ihrer Tätigkeit ständige Anpassungsbereitschaft und geistige Flexibilität erforderlich?

Absolut, und es ist uns dank dieser Fähigkeit gelungen, viele Probleme zu lösen und Neuerungen in zahlreichen Bereichen einzuführen, indem wir neue Arbeits­technologien entwickelt und gleichzeitig unser professionelles Niveau immer weiter angehoben haben. Es existieren natürlich sehr strenge Arbeitsvorschriften, doch die Anpassungsfähigkeit ist eminent wichtig. Anlässlich unserer Mission in Thailand kam uns dies sehr zugute.

Sie erwähnen Ihre Intervention in Thailand. Können Sie uns beschreiben, wie Ihre Arbeit vor Ort aussah?

Wie immer in einem solchen Fall haben wir einen Krisenstab gebildet und die verschiedenen Berufsgruppen mobilisiert, die dazu gehören. Wir verfügen über ein festgelegtes Verfahren für die Vorbereitung eines Auslandeinsatzes, nichts wird dem Zufall überlassen. Wenn wir ins Flugzeug steigen, sind nicht nur alle Ausrüstungs­gegenstände da und funktionstüchtig, es weiss auch jeder meiner Leute, welche Aufgabe er in dieser neuen Mission zu erfüllen hat. Zu Beginn hiess es, wir würden nach Sri Lanka reisen, so dass wir uns auf eine Intervention in diesem Land vorbereitet haben. Ich brauche nicht zu betonen, dass eine derartige Vorbereitung stundenlange Sitzungen erfordert, um jedes Detail zu regeln. Später stellte sich heraus, dass die Armee eine humanitäre Mission ausführen würde und dass unser Beitrag bei der Identifizierung der Leichen nicht notwendig sei. Kaum zwei Stunden später traf eine Anfrage unseres Aussenministeriums bei mir ein, ob wir nach Thailand reisen könnten. Innerhalb von zwei Tagen haben wir alles vorbereitet und flogen mit einem reduzierten Team mit 12 Leuten und anderthalb Tonnen Material dorthin. Wir hatten keine Ahnung, wie die Lage vor Ort aussah, ich besass keinen anderen Anhaltspunkt als die Liste mit den Namen der 1'500 vermissten Israeli. Dazu muss man wissen, dass wir es normalerweise mit rund zwanzig oder dreissig Leichen zu tun haben. Der Gedanke, ca. 1'500 Tote finden und identifizieren zu müssen bereitete mir einiges Kopfzerbrechen. Doch wir hatten auf alles gefasst zu sein. Ich stiess ein kleines Gebet aus und gab der Hoffnung Ausdruck, dass wir mindestens einen Körperteil fänden, aufgrund dessen wir eine Leiche erkennen und zumindest einen Israeli identifizieren könnten. Ohne die geringste Vorstellung davon zu haben, was uns erwartete, stellte ich einige Grundregeln auf. Ich beschloss zunächst, jedes Gesuch um Unterstützung positiv zu beantworten, unabhängig von der Nationalität der Person. Nach der Ankunft in Phuket machte ich mir bei einer Autofahrt ein Bild von der Situation im Katastrophengebiet. Bei meiner Rückkehr hatte ich begriffen, dass wir unmöglich gemäss den üblichen Regeln würden arbeiten können und dass wir unbedingt alle zwei Stunden Bilanz ziehen mussten, da sich die Lage ständig änderte. Daher konnte eine Vorgehensweise, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sinnvoll erschien, einige Stunden später überholt sein. Nach meinem ersten Erkundigungsgang rief ich sofort in Israel an und liess mein zweites Team nachkommen, das sich bereithielt.

Können Sie uns Ihre Erläuterungen mit einem praktischen Beispiel für eine derartige Entwicklung veranschaulichen?

Zu Beginn dachte ich, die einzige effiziente Methode, die Leichen zu identifizieren, sei die DNA-Analyse. Nach nicht einmal einem Tag wurde mir aber bewusst, dass ich mich geirrt hatte und dass wir Zähne, besondere Merkmale (Tätowierungen, Narben, Schmuck usw.) und Fingerabdrücke nutzen mussten. Ich erspare Ihnen die konkreten Einzelheiten in Bezug auf die Einrichtung und die Verlegung unseres Hauptquartiers für die Arbeit. Schon das allein stellte sich als grösseres Manöver heraus.

Doch Sie waren ja nicht allein vor Ort. Wie verlief die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern?

Mir wurde sofort klar, dass ein einziges Team diese enorme Aufgabe unmöglich bewältigen konnte. Ich unternahm alles, um die anwesenden ausländischen Hilfstruppen zusammenzubringen und auch die Thailänder möglichst stark einzubeziehen. Dies war ein wesentlicher Punkt, denn wir waren in ihrem Land und durften dies unter keinen Umständen ausser Acht lassen. Um effizient arbeiten zu können, musste man Rücksicht nehmen, die lokale Politik einbinden und viel Fingerspitzengefühl beweisen. Daher beschloss ich, einen Thailänder zum Leiter der Aktion zu ernennen. Dann kam uns die Idee, das einzurichten, was ich eine eigentliche «Identifikationsfabrik» nennen würde. Zu diesem Zweck schufen wir eine gemeinsame Datenbank für alle Delegationen, in der die DNA, Fingerabdrücke, Fotos, Gebissabdrücke usw. aufgeführt wurden, mit deren Hilfe schliesslich jede Nation ihre Landsleute leichter identifizieren konnte. Ein weiterer Aspekt unserer Arbeit bestand darin, die Leichen, die in den Spitälern, Heiligtümern und anderswo verstreut waren, alle an einem einzigen Ort zusammen­zuführen. Sämtliche Operationen standen unter der Aufsicht der australischen Delegation, der die meisten Mitarbeiter angehörten und die als erste eingetroffen war; sie übernahm die Leitung in Kao-Lak. Es entstanden demnach zwei Zentren: eines in Krabi, wo sich rund 800 Leichen befanden, und ein anderes in Kao-Lak, wo es ungefähr 3'500 waren. Zweimal täglich kamen die Verantwortlichen der D.V.I.-Mission zusammen, um Bilanz zu ziehen und die nächsten Entscheidungen zu treffen. Wir beschlossen um die Leitung von Krabi zu ersuchen, da das andere Zentrum viel zu gross für uns war. Wir haben mit den Delegationen aus Japan, Kanada, Portugal, Italien und der Schweiz (unter der Leitung eines jüdischen Arztes aus Zürich) zusammengearbeitet. Mit der Zeit trafen weitere Delegationen ein, so dass zu guter Letzt fast dreissig Länder vertreten waren. Ohne uns rühmen zu wollen kann ich sagen, dass das israelische Team durch sein bemerkenswertes professionelles Niveau und seine Erfahrung als Autorität galt und ungemein respektiert wurde. Leider kam mir in Thailand all das zugute, was ich in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Attentaten in Israel erlebt hatte. Uns wurde also die Leitung von Krabi zugesprochen. Vor dem Beginn des Einsatzes begab ich mich vor Ort, um die Lage zu beurteilen und über die effizienteste Vorgehensweise zu entscheiden. Einen Kilometer vom betreffenden Ort entfernt schlug mir ein pestilenzartiger Geruch entgegen, der von den Leichen ausging: sie waren der Sonne und der Feuchtigkeit ausgesetzt und befanden sich meist schon im Zustand der Zersetzung? und um sie herum spielten seelenruhig einige Kinder. Bei uns tut man alles, um die Kinder vor der Realität des Todes zu schützen. In Thailand gehört der Tod zum Alltag und es gibt keinen Grund, die Kinder fernzuhalten. Ich stellte eine Liste mit den am dringendsten benötigten Dingen auf. Ich wusste, dass man mir nichts abschlagen würde, da sehr grosszügige Mittel zur Verfügung standen. Als erstes bestellte ich folglich Kühlbehälter. Während ich mich um die Organisation und die Logistik kümmerte, begannen meine Leute mit der Arbeit; nach einem Tag konnten wir die erste israelische Leiche identifizieren, diejenige von Shaliel Sharon. Ich hätte nie gedacht, dass wir so schnell Erfolg haben würden. Man muss sich vor Augen führen, welchem Gefühlschaos wir ausgesetzt waren: einerseits freuten wir uns enorm, eine Leiche gefunden und identifiziert zu haben? und andererseits bedauerten wir, dass es ein israelisches Opfer war. Wir haben alle geweint, doch wir wussten nicht, ob aus Freude oder aus Trauer! Am zweiten Tag identifizierten wir fünf Leichen, darunter drei israelische Frauen: Esther Levy, Shemdah Cohen und Zehava Aloni. Jeder von uns empfand diese merkwürdige Zufriedenheit auf seine Weise. Natürlich waren die Familien sehr froh, als wir ihnen die Leichen ihrer lieben Angehörigen brachten, und trotz ihres Kummers drückten sie uns ihre Dankbarkeit aus. Ich versichere Ihnen, das ist ein ganz spezielles Erlebnis. Ich habe die Nachricht jeder Familie persönlich überbracht. Unsere «Erfolge» haben uns sehr zum Weitermachen ermutigt und dienten auch den anderen Teams als Vorbild und Quelle der Hoffnung.

Wie haben Sie die Station in Krabi organisiert?

Ich möchte nicht auf schockierende Einzelheiten eingehen, doch ich kann berichten, dass ich bei der Ankunft in Krabi aberhunderte von menschlichen Kadavern in einem chinesischen Tempel aufgetürmt vorfand. Sie waren nicht zugedeckt und lagen in heillosem Durcheinander da, vom Säugling bis zum Greis. Stellen Sie sich diese grauenhafte Situation vor. Der Geruch blieb an der Haut und in den Kleidern haften, aus denen er oft nicht mehr hinausging. Die Thailänder begannen damit, sich um die Leichen zu kümmern, sie in Plastiksäcke zu stecken und in die 130 Kühlbehälter zu legen. Sie erledigten mit viel Mut eine unglaubliche Arbeit, schweigsam und ruhig. Nach zweitägigen Aufräumarbeiten begann sich die Lage zu verbessern und der Geruch verflüchtigte sich ein wenig. Zu guter Letzt erfuhren wir auch noch, dass ein Teil der Leichen bereits beerdigt worden war. Um sie identifizieren zu können mussten wir sie trotz der Hitze und der Feuchtigkeit wieder exhumieren lassen. Allmählich nahm unsere «Fabrik» Form an, die Leichen durchliefen die verschiedenen Stationen: Röntgenaufnahmen des Gebisses, DNA-Entnahme, Foto, Registrierung der besonderen Merkmale. Dazu möchte ich in Erinnerung rufen, dass eine der israelischen Frauen dank einer Narbe von einer Schönheitsoperation erkannt wurde, weil sie sich die Brust hatte vergrössern lassen.
Diese gesamte Aktion war nicht leicht zu organisieren. Ich persönlich machte drei grundlegende Probleme aus, die nach ihrer Lösung eine noch effizientere Arbeit ermöglichten: Organisation der effektiven Aufgaben, indem die erforderlichen technischen Hilfsmittel zusammengetragen wurden; Einführung einer internationalen Kooperation, in der alle Teams in gutem Einvernehmen miteinander arbeiten und sich gegenseitig aushelfen; schliesslich das Erreichen der tatkräftigen Mitarbeit der Thailänder, was kein Pappenstiel war. Ich gebe zu, dass ich beim Anblick eines Israelis, der Hand in Hand mit einem Japaner, einem Portugiesen und einem Italiener arbeitet, alle zugunsten eines identischen Ziels und im gemeinsamen Willen, die auftretenden Probleme zu lösen, gerührt war, glücklich und stolz.

Sie haben gesagt, sie seien mit einer Liste abgereist, auf der 1'500 Namen von Israeli standen, und dass Sie letztendlich sieben von ihnen gefunden haben. Was ist mit den anderen passiert?

Mit der Zeit wurde die Liste immer kürzer, denn die Israeli nahmen nach einigen Tagen Kontakt mit ihren Familien auf, die wiederum unsere Büros in Israel informierten. Doch das grosse Glück, das Wunder in dieser ganzen Geschichte besteht aus der Tatsache, dass die meisten israelischen Bürger, die sich in Phuket aufhielten, zwei Tage vor der Tsunami-Katastrophe abgereist waren. Im Norden des Landes fand nämlich ein grosses Festival für israelische Musik unter dem Titel «Full Moon» statt, zu dem die meisten Israeli in Thailand gefahren waren! Als wir also wieder abreisten, hatten wir alle Israeli gefunden, die im Tsunami ihr Leben verloren hatten, dies entspricht einer Erfolgsquote von 100%. Neben unseren Mitbürgern haben wir ausserdem 24 andere Leichen identifiziert. Unser Ruf wuchs übrigens ins Unermessliche, denn bei jeder Kleinigkeit hiess es: «Geht doch zu den Israeli - die haben bestimmt eine Lösung für euer Problem?»

Was ist aus den verschiedenen Datenbanken geworden, die Sie ins Leben gerufen haben?

In Phuket werden sie immer noch genutzt. China hat die Verantwortung für die Verwaltung der DNA-Bank übernommen, was eine finanzielle Belastung und sehr viel Arbeit bedeutet. Was die Zukunft betrifft, so denke ich, dass die Delegationen, sobald die Arbeit vor Ort erledigt ist, was bestimmt noch länger dauern wird, wieder zusammenkommen werden, um eine internationale Vorgehensweise im Falle einer ähnlichen Katastrophe festzulegen. Dabei werden sie sich auf unsere Erfahrungen stützen und auch die Datenbanken werden dabei eine gewichtige Rolle spielen. Es ist undenkbar, dass ein Land angesichts eines derartigen Unglücks die Auswirkungen und Folgen ganz allein in den Griff bekommt. Nur mit Hilfe einer straff geregelten internationalen Hilfe kann die Ordnung nach einem derartigen Chaos wieder hergestellt werden. Doch ich möchte den Bericht über unseren Einsatz nicht beenden, ohne den Thailändern einen Kranz zu winden, die ganze Arbeit geleistet haben, indem sie einfach beschlossen, alle Leichen, ihre Gesichter, eventuelle Tätowierungen usw. zu fotografieren, die Bilder auszustellen und in eine Datenbank aufzunehmen, die sie allen zur Verfügung stellten, den Familien und den Delegationen. Dieser Tropfen auf den heissen Stein hat unsere Aufgabe so stark erleichtert, dass ich zu behaupten wage, dass wir ohne diese Hilfe vielleicht gescheitert wären.

Zu welchen Massnahmen würden Sie raten, um die Identifizierung der Leichen nach einer Katastrophe zu erleichtern?

Um den Familien der Opfer, die einen ihrer Lieben identifizieren sollen, einen tiefen Schock zu ersparen, würde ich empfehlen, dass jeder Mensch ein eindeutiges Erkennungszeichen trägt: ein Tattoo oder ein kleines Schmuckstück, das man nie ablegt, wie einen besonderen Ehering, ?ja sogar ein Piercing. Man muss daran denken, dass die fotografierten Gesichter oft grausam entstellt und kaum erkennbar sind. Die Fotografie eines eindeutigen Merkmals kann einem Familienmitglied des Verstorbenen oft ein lebenslanges Trauma ersparen.

Wir hätten dem Kommandanten Tsaroom noch stundenlang zuhören können. Er hat unzählige Geschichten, lustige und traurige, zu dieser schrecklichen Erfahrung auf Lager. Kommandant Tsaroom hat uns auch von der umfangreichen Hilfsaktion berichtet, welche Lubawitsch und Zaka vor Ort durchgeführt haben. Die Israeli sind wieder abgereist. Heute arbeiten noch 25 internationale Delegationen in Krabi nach dem von Kommandant Shalom Tsaroom und seinen Teams aufgestellten Modell und seinen Regeln. Das kleine Israel mit seinen bescheidenen Mitteln hat der ganzen Welt eine grosse Lektion in Sachen Professionalität erteilt. Doch über diese Realität hinaus hat die Arbeit der wissenschaftlichen Polizei des jüdischen Staates seinen Teil dazu beigetragen, das Image von Israel zu verbessern. So wandte sich ein Schweizer, dessen Bruder von den Israeli identifiziert worden war, unter Tränen an den Kommandanten Tsaroom und umarmte ihn: «Ich muss Sie in meinem Namen und im Namen meines Bruders, den Sie wieder gefunden haben, um Vergebung bitten. Wir hassten die Israeli seit Jahren, wir taten alles, um dem Image Ihres Landes zu schaden? ohne Euch zu kennen!». Anstelle einer Antwort hat ihn Shalom Tsaroom umarmt. Ohne Kommentar.


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