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Inhaltsangabe Analyse Frühling 2005 - Pessach 5765

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Ein muslemisches Europa ?

Von Professor Moshe Sharon *
1683 lag die islamische Armee zum zweiten Mal vor Wien, 150 Jahre nach der ersten Belagerung. Das grosse islamische Reich jener Zeit, das Osmanische Reich unter der langjährigen Herrschaft von Suleiman dem Prächtigen (1520-1566), war auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt. Es hatte seine Grenzen die Donau entlang bis weit westlich von Budapest ausgedehnt, immer nahe daran Wien einzunehmen, das zwischen seinen Armeen und Westeuropa lag. Suleiman sah sich selbst als den Herrscher der Welt und behandelte die grossen Könige Europas wie seine Untertanen.
Die tatsächliche Unterwerfung des restlichen Europas war seiner Ansicht nach nur noch eine Frage der Zeit. Zum Glück für die christliche Welt befand sich das Osmanische Reich zu dem Zeitpunkt, als die muslimische Armee Wien 117 Jahre nach seinem Tod zum zweiten Mal zu belagern versuchte, bereits im Niedergang, die Expansion nach Westen war aufgehalten worden und die Hochburgen der europäischen Christenheit konnten damit beginnen, das islamische Reich wieder selbst zu bedrohen, anstatt von ihm bedroht zu werden.
Für die Osmanen jedoch blieben die christlichen Länder Europas Dar al-Harb, "Land des Kriegs"; mit diesem Begriff bezeichnen die Muslime alle Gebiete, die sich noch nicht unter islamischer Herrschaft befinden. Dieses Wort dient als Fachbegriff sowohl in Politik und Recht und besitzt auch eine tiefe religiöse und emotionale Bedeutung.
Im juristischen Sinne definiert der Begriff die Beziehungen zwischen den Ländern des Islams und den Ländern der Ungläubigen. Ungläubige - auf Arabisch Kuffar (Singular: Kafir) - sind alle Nichtmuslime, hauptsächlich Juden und Christen. Man geht also davon aus, dass letztere sich sowohl theoretisch als auch praktisch mit den Muslimen im Kriegszustand befinden. Dieser Konflikt bedarf keiner Kriegserklärung, da er aus der Sicht der Muslime die einzig mögliche Beziehung zwischen beiden Seiten darstellt. Es geht gar noch weiter: Er ist Teil des göttlichen Plans. Denn nachdem Allah Mohammed "mit der Führung und dem wahren Glauben" versehen hatte, gab es keine andere Möglichkeit, als "ihn obsiegen" zu lassen "über alle Glaubensbekenntnisse" (Koran, Sure 9, Vers 33). Dies bedeutet in anderen Worten, dass Allah es allen Muslimen, d.h. der Gemeinschaft der Gläubigen, zur Pflicht macht, die ganze Welt zu unterwerfen und unter Allahs Macht zu bringen. Das Feuer des Jihad, des Heiligen Kriegs, muss im Herzen jedes Muslims brennen. Es ist eine kollektive und individuelle Pflicht; jeder muslimische Führer, insbesondere das Oberhaupt des muslimischen Reichs, muss dieser Verpflichtung ein Leben lang nachkommen. Aus juristischer Sicht ist daher die Bezeichnung Europas als "das Land des Kriegs" einleuchtend. Jeder Christ, der aus dem Land des Kriegs - Dar al Harb - stammte, besass somit den Status eines Harbi. Etwas anderes ist es, ein Dhimmi zu sein: dieser Status wurde den Christen und Juden auferlegt, die als Untertanen dritter Klasse unter islamischer Herrschaft leben durften. Der Harbi war einfach ein Fremder, ein Feind des Islams, selbst wenn zwischen beiden Ländern gar kein Krieg herrschte.
Diese juristische Haltung widerspiegelt die religiöse Pflicht, den Jihad, den Heiligen Krieg, immer weiterzuführen. Da niemand eine derartige Verpflichtung, die als Wort Gottes im Koran verankert ist, aufheben kann, bleibt diese Bedingung ewig bestehen. So kann auch das Land des Kriegs keinen anderen Status erlangen, solange es nicht von den Muslimen erobert wird und Teil des islamischen Reichs wird.
Der emotionale Aspekt dieser religiösen Pflicht ist untrennbar mit der Art und Weise verbunden, in der die Beziehungen zwischen Muslimen und Kafir definiert waren. Der Koran und die islamische Tradition lehrten die Muslime, dass ihre Gemeinschaft der Gläubigen "das beste Volk" sei, "hervorgebracht zum Wohl der Menschheit" (Koran, Sure 3 Vers 110), dass die Wahrheit ihrer Religion die einzig richtige Wahrheit sei, und dass sie als Gläubige immer auf der richtigen Seite stünden, die Ungläubigen dagegen immer im Unrecht seien.
Europa verkörperte besser als jeder andere Teil der Welt das Land des Kriegs. Es erschien völlig logisch, dass der Jihad gegen Europa in den Kampf ziehen sollte, handelte es sich doch von Anfang an um den wichtigsten Feind des Islams.
Doch Europa erwies sich als hartnäckiger Feind, der erfolgreich zurückschlug. Im Mittelalter brachten die Kreuzzüge die Europäer zum ersten Mal ins Herz des islamischen Gebiets, doch der Islam erholte sich irgendwie von diesem Sieg der Ungläubigen, der die Muslime erstmals in die Defensive zwang und sie mit Zweifeln betreffend die Unterstützung Allahs quälte.
Der Islam erholte sich jedoch nicht vom Verlust Spaniens ("das Juwel in der islamischen Krone"). Sobald der Islam Spanien erobert hatte, machte er es zu einem islamischen Land. Die Rückeroberung durch die Ungläubigen erschien wie ein Paradoxon der Geschichte, da dadurch die Regel widerlegt wurde, dass ein islamisch gewordenes Land immer islamisch bleibt. Daher gilt Spanien, das von den Arabern beharrlich Andalus genannt wird, bis heute als verlorenes islamisches Gebiet, dessen Rückeroberung ein religiöses und politisches Ziel und eine Pflicht darstellt, die über den Traum hinausgeht.
Der Angriff der Osmanen auf Europa im 16. Jahrhundert, der nach der Zerstörung des letzten Symbols des römischen Christentums im Osten stattfand, der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453, entsprach der natürlichen Vorstellung vom islamischen Jihad. Das Osmanische Reich erlitt allerdings eine Niederlage, zog sich zurück, wurde immer schwächer und erlebte letztendlich im Ersten Weltkrieg 1918 seine Zerstörung. Darüber hinaus triumphierten die christliche Kultur und der moderne Lebensstil Europas auch in anderer Hinsicht. Das nationale Regime der Türkei im 20. Jahrhundert führte tief greifende Veränderungen in der Natur des Staates und der Gesellschaft ein, indem alles aus Europa importiert wurde, was die westliche Zivilisation zu bieten hatte, von der Schrift zur Technik und vom Regierungssystem zur Mode; erklärtes Ziel war die Schaffung einer modernen, weltlichen Türkei und die Verbannung des Islams aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben.
Eine weitere politische Entwicklung, die dem Islam wie ein drastischer Rückschlag vorkam, war die Gründung des Staates Israel. Mehr noch als der Verlust des islamischem Gebiets von Spanien im 15. Jahrhundert wird die Schaffung des Staates Israel auf islamischem Territorium als zweifaches Paradoxon der Geschichte empfunden, da sie nicht nur den Verlust von Land beinhaltet, sondern auch die inakzeptable Situation, dass die Juden, Dhimmis, nun über Muslime herrschen. Dies allein verstösst gegen das göttliche Recht. Das darf nicht geduldet werden und muss sich ändern.
Das zweite Paradoxon besteht aus der Tatsache, dass Europa nicht mehr das einzige Land von Ungläubigen ist. Auch Amerika gehört dieser Kategorie an und stellte sich, sowohl auf militärischer als auch auf ideologischer Ebene, als noch härterer Gegner heraus als Europa.
Moderne muslimische Aktivisten entdeckten jedoch, dass Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Zeichen von Altersschwäche und Gebrechlichkeit zu zeigen begann und dass der mächtige Westen sich ganz allgemein als überraschend verwundbar erwies. Der Islam entpuppte sich nun als starke Macht, die nur auf ihre Stunde wartet. Dieser Standpunkt wurde vom malaysischen Premierminister Dr. Mahatir Muhammad am 16. Oktober 2003 bei der Eröffnung des islamischen Gipfels folgendermassen formuliert: die 1,3 Milliarden Muslime besitzen sowohl Rohstoffe als auch menschliche Ressourcen. Es ist undenkbar, dass sie ihr Ziel nicht erreichen oder von ein paar Millionen Juden besiegt werden. Es scheinen aber weniger Mittel vorhanden zu sein, die sich in Waffen ummünzen lassen, als Mahatir und ähnlich denkende Zeitgenossen annahmen.
Es muss einmal mehr betont werden, dass der Islam eine kriegerische Religion und eine kampflustige Kultur ist. Die Muslime haben die Weltgeschichte zunächst und hauptsächlich durch ihre militärischen Fähigkeiten geprägt. Dasselbe können sie auch in der jetzigen Epoche erreichen, indem sie ihre Strategie und ihre Taktik ändern, jedoch die gleiche Linie beibehalten. Die islamischen religiösen Bewegungen, die iranischen Revolutionsführer, die Muslimbruderschaft, Al Kaida, Hamas und Islamischer Jihad, um nur einige zu nennen, suchten und fanden die Schwachstellen innerhalb der westlichen Verteidigung. Einerseits bewiesen sie, dass Terror über den tatsächlichen Schaden und das Blutvergiessen hinaus verheerende Auswirkungen haben kann, analog zu den Anschlägen der muslimischen Assassinen im Mittelalter. Mit einem einzigen terroristischen Anschlag gelang es ihnen letztes Jahr, die spanische Regierung auszuwechseln. Andererseits wurde ihnen, wie zuvor schon den Sowjets, bald bewusst, wie einfach es ist, das demokratische System Europas, die liberalen Ideologien, links stehende Intellektuelle, die Medien und sogar die Regierungen zu ihren Zwecken zu nutzen, um ihr Ziel zu erreichen.
Der muslimische Jihad für die Eroberung Europas begann bereits vor einigen Jahrzehnten, und die Europäer helfen dabei tatkräftig mit, nicht als Feind, sondern als Alliierte auf der Seite des Islams. Durch die Schaffung der Europäischen Union wurden Staatsgrenzen aufgehoben, genau abgegrenzte nationale Einheiten verwässert, patriotische Gefühle, frühere Werte und das Empfinden von Nationalstolz sowie das Bedürfnis nach Verteidigung geschwächt; ausserdem entstand eine herrliche Infrastruktur für die Einschleusung des Islams nach Westeuropa durch Millionen von immigrierten Muslimen, die ihre muslimische Identität behalten, an ihren muslimischen Werten festhalten und ganz Europa wie jeden anderen Teil der Welt als ihr eigenes Land betrachten. Bin Laden, Qaradawi, die iranischen Ayatollahs und viele andere Lehrer des Islam sagen ihnen, sie träfen als Herren in Europa ein, nicht als Einwanderer. Diese Muslime benehmen sich tatsächlich eher als Herren denn als Gäste in ihren Einreiseländern, indem sie die europäischen Gesetze zu ihren Gunsten nutzen und die linken Intellektuellen, die "nützlichen Idioten" (um den von Lenin geprägten Begriff zu verwenden), für sich arbeiten lassen. In jedem Land von Finnland bis Frankreich entstanden Tausende von Moscheen. Die muslimische Lebensart wird sogar wirtschaftlichen Institutionen aufgezwungen, und die islamische Variante der Geschichte und des Denkens schleicht sich in alle Bereiche des politischen und geistigen Lebens ein und beeinflusst das Bildungswesen auf allen Stufen.
Schon 1983 berief das offizielle Europa das Hamburger Symposium ein, um die Bedeutung des islamischen Beitrags bei der Entstehung der europäischen Kultur voller Ehrfurcht zu würdigen und um zum Studium der arabischen Sprache und der islamischen Zivilisation in Europa aufzurufen, unabhängig von der (soliden und wissenschaftlichen) "orientalistischen Forschungsmethode", nämlich in Übereinstimmung mit den traditionellen muslimischen Methoden; gleichzeitig wurde die Abkehr vom jüdisch-christlichen Erbe gefördert und sein Beitrag zur westlichen Kultur herabgespielt.
Dieser jämmerliche Versuch, das moderne Europa seinen eigentlichen moralischen, kulturellen und historischen Quellen zu entfremden, in denen das Judentum eine wesentliche Rolle spielt, besitzt auch einen politischen Aspekt. Auch er ist ein weiterer Erfolg des Islam, ein natürliches Nebenprodukt der Einschleusung seiner Version der modernen Geschichte in die Gesellschaft und die Institutionen Europas. Es ist der muslimischen Propaganda gelungen, die Gründung des Staates Israel als eine Sünde zu präsentieren, die von den Europäern gegenüber der islamischen Welt begangen wurde. Es wird behauptet, der Staat Israel sei nichts anderes als eine einfache Lösung, mit der die Europäer die Verbrechen der Nazis und ihrer Helfershelfer nach dem Krieg wieder gutzumachen versuchten, und zwar auf Kosten der armen Araber.
Dieser Gedanke hat sich nicht nur in den Köpfen der "nützlichen Idioten" der europäischen Linken festgesetzt, sondern hat auch ihren Weg in die Wirtschaft und in die Politik gefunden. Heutzutage kann man in diesen Kreisen und in den Medien (wenn auch in wohl tönende Worte verpackt) mehr denn je hören, dass die Gründung Israels ein "moralischer und politischer Irrtum" war. Europa wäre mit anderen Worten ganz glücklich, wenn es zu einem umfangreichen Pogrom durch die Araber käme, den es seelenruhig unterstützen und der es von der Schuld dieser "moralischen und politischen" Sünde reinwaschen würde. Ein grosser Teil der europäischen Politik im Nahen Osten, insbesondere die offizielle Feindschaft gegenüber Israel, sowie der einseitige, Araber-freundliche Aspekt seiner Politik werden von diesen Gefühlen bestimmt und geprägt. Ganz zu schweigen vom tief sitzenden Antisemitismus, der eine Zeit lang etwas vertuscht wurde, von dem sich Europa aber nie erholt hat. Anstatt sich mit der Tatsache zu befassen, dass es immer stärker vom Islam eingenommen wird und seinen westlichen Charakter verliert, hat Europa sich einmal mehr zu einer üblichen, immer wiederkehrenden Lösung all seiner Probleme entschlossen - schuld sind die Juden, und heute - wie praktisch - ihr Staat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Europa in weniger als einem halben Jahrhundert vom Islam eingenommen wird und dafür die alleinige Verantwortung trägt.

* Professor Moshe Sharon, weltweite Koryphäe für die arabische Sprache und Kultur und Professor für islamische Geschichte an der hebräischen Universität in Jerusalem.



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