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Inhaltsangabe Reportage Herbst 1998 - Tischri 5759

Editorial - Herbst 1998
    • Editorial

Rosch Haschanah 5759
    • Furcht und Freude

Politik
    • Man kennt den Schuldigen

Interview
    • Zeugnis der First Lady Israels I.E. Sarah Netanyahu
    • Jerusalem

Junge Leader
    • Tzachi Hanegbi

Judäa-Samaria-Gaza
    • Zwischenstation in Beth El

Analyse
    • Der Jom-Kippur-Krieg - 25 Jahre danach

Kunst und Kultur
    • Jüdische Bekleidung
    • San Francisco
    • Generationen von Liedern

Reportage
    • Jeruschalayim und Bucuresti
    • Überleben
    • Rumänische Begegnungen
    • Dynamik und Effizienz

Shalom Tsedaka
    • S.O.S. Orthodoxe Frauen

Ethik und Judentum
    • Schmerzen lindern - Mit welchem Risiko ?

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Jeruschalayim und Bucuresti

Von Roland S. Süssmann
Bukarest, den 15. Juni 1998. In den Empfangsräumen des Aussenministeriums findet eine diskrete, jedoch entscheidende Zeremonie statt, welche das fünfzigjährige Bestehen der fortlaufenden diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und Israel feiert. Im Gegensatz zu den anderen Nationen des kommunistischen Blocks hat Rumänien seine Beziehungen zu Jerusalem nie unterbrochen, selbst nicht während des Sechstagekriegs in 1967. Um mehr über die gegenwärtigen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu erfahren, sind wir S.E. AVRAHAM MILLO begegnet, der seit zwei Jahren den Posten des israelischen Botschafters in Rumänien bekleidet. Aufgrund seiner persönlichen Freundschaft mit Radu Vasile, dem rumänischen Premierminister, gehört Millo zu den bekanntesten Diplomaten der Hauptstadt. Durch seine vielseitige Bildung, seine Persönlichkeit und sein Know-how vertritt Avraham Millo den jüdischen Staat mit Würde, Eleganz und Effizienz.


Wie beurteilen Sie heute die Verbindungen zwischen den beiden Ländern ?

Seit dem 14. Juni 1948 können die Beziehungen zwischen Rumänien und Israel traditionsgemäss als gut bezeichnet werden. Die Gründe für diese Kontinuität zur Zeit Ceauscescus sind sehr vielschichtig, und ich denke, sie stellten für ihn eine Möglichkeit dar, seine politische Unabhängigkeit gegenüber der sowjetischen Übermacht zu behaupten. Er wollte ebenfalls seine Position als "internationaler Staatsmann" verstärken, der im Mittleren Osten eine Rolle spielen kann. Es ist allgemein bekannt, dass Ceauscescu tatsächlich einen positiven Einfluss auf den verstorbenen Präsidenten Sadat ausübte, in gewissem Masse auch auf Arafat, und er ist wiederholt mit den israelischen Spitzenpolitikern zusammengekommen. Darüber hinaus wird in Berichten angedeutet, er habe sich für jeden Juden bezahlen lassen, der von ihm die Bewilligung erhielt, das Land zu verlassen um nach Israel zu reisen; heute leben 400'000 rumänische Juden im hebräischen Staat...
Eines der positiven Elemente, das unsere Beziehungen prägt, besteht darin, dass Rumänien im Gegensatz zu anderen Nationen nie versucht hat, uns eine Lösung in bezug auf die arabische Welt aufzudrängen oder uns zum Rückzug zu zwingen. Die Rumänen mischen sich nicht in unsere Angelegenheiten ein, und wünschen auch nicht, dass wir uns um die ihren kümmern.


Seit dem 21. Dezember 1989 ist Rumänien eine Demokratie. In welchem Ausmass hat dieser Regimewechsel das Verhältnis zwischen Jerusalem und Bukarest beeinflusst ?

Die Art der Beziehungen mit einer Diktatur oder mit einer Demokratie ist natürlich sehr verschieden. Gegenwärtig haben wir es mit einem normalen Staat zu tun, und ich kann sagen, dass heute ein ausgezeichnetes Einvernehmen herrscht sowohl in bezug auf die gegenseitigen Interessen und Prioritäten, als auch in bezug auf die heiklen Themen der beiden Staaten. So hat Rumänien beispielsweise anlässlich der UNO-Abstimmung über die Har Choma Frage nicht gegen Israel gestimmt. Dies ist umso bemerkenswerter, als Rumänien den innigen Wunsch hat, der Europäischen Union beizutreten und sich trotz des enormen Drucks, der auf das Land ausgeübt wurde, nicht gegen uns ausgesprochen hat; es hat nicht nachgegeben und wir sind ihm dankbar dafür. Rumänien hat uns mitgeteilt, es sei im Hinblick auf den Nahen Osten bereit, seine guten Dienste anzubieten und uns seine historische Erfahrung gegenüber feindlichen Nationen zugute kommen zu lassen; dennoch würde es uns nie ein bestimmtes Verhalten aufdrängen.


Gegenüber Israel scheint Rumänien demnach beschlossen zu haben, eine gewisse Zurückhaltung an den Tag zu legen. Dennoch behaupten Sie, dass die Beziehungen ausgezeichnet sind. Weshalb ?

Für Rumänien stellt Israel ein nachahmenswertes Vorbild dar. Zu Beginn besass der jüdische Staat fast nichts, und dennoch stellt er einen der grössten Erfolge dieses Jahrhunderts und eines der blühendsten Länder der Welt dar. Darüber hinaus geht Rumänien davon aus, dass die Präsenz von 400'000 Landsleuten in Israel in gewissem Sinne eine mächtige Lobby darstellt. Vergessen wir nicht, dass die rumänische Alijah vor der russichen Immigration den bedeutendsten Zustrom aschkenasischer Juden nach Israel verkörperte und dass ihre Ankunft sehr positiv zum Aufschwung des Landes beigetragen hat. Dazu möchte ich auch in Erinnerung rufen, dass die allerersten Pioniere, die sechzehn Jahre vor dem ersten Zionistenkongress in Basel Sichron Yacow und Rischon Le-Zion gründeten, jüdische Bauern aus Rumänien waren. Seither kann der Beitrag der Juden rumänischer Abstammung zur Entwicklung des Staates in allen Bereichen als herausragend bezeichnet werden, ohne die Tatsache zu erwähnen, dass insgesamt 1170 rumänische Juden in den verschiedenen Kriegen gefallen sind. Lassen Sie mich auch als Anekdote erwähnen, dass 1976 Miss Israel, Rina Mor, zur Miss Universum gewählt wurde... sie war natürlich rumänischer Herkunft ! Die in Israel lebenden rumänischen Juden stellen eine Art menschliche Verbindung zwischen den beiden Ländern her. Zu Veranschaulichung meiner Worte möchte ich daran erinnern, dass wir in Israel einen Vorteil gegenüber allen anderen Ländern besitzen, die mit Rumänien Geschäfte betreiben möchten. Wenn ein Israeli in Rumänien investiert oder zu geschäftlichen Zwecken dorthin reist, beherrscht er in der Regel bereits die Sprache und kennt ihre Mentalität. Wir bereiten gegenwärtig ein Freihandelsabkommen vor. Der wirtschaftliche Austausch zwischen unseren beiden Ländern beläuft sich zur Zeit auf 300 Millionen Dollar, obwohl diese Zahl 1985 nur 6 Millionen Dollar betrug. Dieses Abkommen wird es uns ermöglichen, die jährliche Summe unseres Handels zu verdoppeln und neue gemeinsame Industrieprojekte zu entwickeln, vor allem im Bereich der Spitzentechnologie. Wir werden auf diese Weise mehr israelische Technologien in Rumänien verkaufen können. Zahlreiche Industriezweige müssten dringend modernisiert oder umgestellt werden, und diese Arbeiten könnten sehr wohl von unseren Unternehmen durchgeführt werden. Dank diesen Projekten wäre Rumänien nicht gezwungen, zahlreiche Beschäftigte zu entlassen. Das Land bietet zahlreiche Möglichkeiten, und bis heute wurden fast 1700 sehr gut funktionierende Joint Ventures abgeschlossen.


Wie steht es um die militärische Zusammenarbeit der beiden Länder ?

Ohne auf Einzelheiten einzugehen kann ich dazu sagen, dass sie sehr umfangreich ist und dass unsere Exporte in diesem Bereich bedeutende Summen erreichen.


Neben den 400'000 in Israel lebenden rumänischen Juden arbeiten rund 120'000 rumänische Arbeitnehmer in Israel, wobei die Hälfte von ihnen sich illegal in unserem Land aufhält. Was gedenken Sie zu unternehmen, um diese Situation zu bekämpfen ?

Wir verfügen in Israel selbst nicht über ausreichend Polizei, um ca. 60'000 illegale Arbeitnehmer auszuweisen. Es werden jedes Jahr mehrere hundert von ihnen des Landes verwiesen. Die offizielle Regierungspolitik besteht darin, die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer zu reduzieren, da sie in Israel nun ein ernsthaftes soziales Problem darzustellen beginnen. Man muss jedoch zugeben, dass die rumänischen Bauarbeiter ausgezeichnet sind. Für Rumänien stellen sie eine bedeutende Einnahmequelle dar, nachdem eine neuere Schätzung erwiesen hat, dass jeder Arbeiter im Schnitt ca. US$.1'000,-- pro Monat von Israel nach Rumänien überweist. Diejenigen, deren Frauen ebenfalls in Israel arbeiten, schicken gar US$.2'000,-- nach Hause, was jährlich einer Summe von insgesamt fast einer Milliarde Dollar entspricht.
Aus allen diesen guten Gründen und aus vielen anderen mehr ist Rumänien meiner Ansicht nach hinter den Vereinigten Staaten das Land, mit dem wir die herzlichsten Beziehungen pflegen. Schliesslich haben sich zwischen rumänischen und israelischen Politikern zahlreiche tiefe persönliche Freundschaften entwickelt.


Es ist jedoch allgemein bekannt, dass die Gattin des Präsidenten Petru Roman extrem pro-arabisch eingestellt ist. Inwiefern beeinträchtigt dies die Beziehungen zwischen beiden Ländern ?

Frau Roman lehrt Arabisch und empfindet natürlich einige Sympathie für die arabische Welt. Sie ist uns gegenüber nicht feindlich eingestellt, doch sie legt auch keine besondere Herzlichkeit an den Tag. Ich denke nicht, dass ihre arabischen Freundschaften sich auch die Beziehungen auswirken, welche den Kontakt zwischen unseren Ländern prägen.


Wie steht es um die Beziehungen zwischen Rumänien und den arabischen Ländern ? Werden sie vielleicht von den Arabern unter Druck gesetzt, von Boykott bedroht usw. ?

Eine vor kurzem veröffentlichte Statistik hat gezeigt, dass der Irak eine ungetilgte Schuld von ca. 1 Milliarde und siebenhundert Millionen Dollar gegenüber Rumänien besitzt. Auch andere arabische Staaten sind verschuldet. Dennoch unterhält Rumänien tatsächlich ein ausgezeichnetes Verhältnis mit der arabischen Welt, unabhängig von seinen guten Beziehungen zu Israel. Für Rumänien sind die arabischen Märkte wichtig, ich denke dabei insbesondere an Syrien, mit dem er seine Beziehungen pflegen muss, um einen Marktanteil für den Wiederaufbau Libanons zu erhalten. In Wirklichkeit möchte Rumänien eine bestimmte Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Mittleren Ostens spielen, wobei dies keineswegs unsere guten Beziehungen beeinträchtigt. In bezug auf den Friedensprozess hat Rumänien sehr wohl verstanden, dass nur Amerika eine echte Rolle spielen kann; es begnügt sich daher, wie ich bereits sagte, damit, seine guten Dienste anzubieten.


Schenkt man Ihren Worten Glauben, ist alles in bester Ordnung zwischen Ihren beiden Ländern in der besten aller Welten. Treten denn gar keine Probleme auf, nicht einmal unbedeutender Art?

Wir haben tatsächlich mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zunächst einmal schenken wir jedem Ausdruck von Antisemitismus unsere grösste Aufmerksamkeit. Da ich alle Politiker kenne, greife ich jedesmal ein, wenn sich dies als notwendig erweist. Ich kann nur bestätigen, dass sich die gesamte politische Klasse auf oberster Ebene eindeutig gegen jede offizielle Form des antisemitischen Ausdrucks ausspricht. Es besteht allerdings eine rechtsradikale Partei, die von Vadim Tudor geleitet wird, der in seinen Reden und Publikationen offen eine antisemitische Terminologie verwendet. Ich habe meinerseits bei den verschiedenen Erziehungsministerien, die seit meiner Ernennung bestanden, darauf bestanden, dass die Geschichte der rumänischen Juden während des Zweiten Weltkriegs, die Pogrome und alle anderen von ihnen erduldeten Leiden ein für alle Mal in den obligatorischen Lehrplan aufgenommen werden.
Das zweite Problem, das unsere beiden Länder beschäftigt, ist darauf zurückzuführen, dass gewissen Berichten zufolge die rumänischen Arbeiter in Israel schlecht behandelt werden. Dazu muss man wissen, dass die Arbeitsverträge nicht von der Regierung ausgestellt werden, sondern privat sind und dass es sich folglich um eine Frage handelt, die zwischen Arbeitgebern und -nehmern geregelt werden muss. Die israelische Regierung muss natürlich dafür sorgen, dass die Gesetze in Israel von allen eingehalten werden und dass niemand ausgenutzt oder missbraucht wird. Es gibt ein Büro des israelischen Unternehmerverbands, der die Beschwerden der ausländischen Arbeitnehmer entgegennimmt und gegebenenfalls diejenigen gerichtlich verfolgt, die gegen das Gesetz verstossen haben.
Eine weitere Frage beschäftigt uns zur Zeit, die jedoch keine Zwietracht zwischen unseren beiden Ländern sät. Es handelt sich um das Problem der Rückerstattung von jüdischen Liegenschaften. Diese Gesuche umfassen zwei Aspekte: die Rückerstattung von Privatbesitz an Einzelpersonen und die Rückgabe von Gemeingut. Im Hinblick auf diesen zweiten Punkt hat der ehemalige Aussenminister nach einer Reise nach Israel die Initiative ergriffen, einen ausserordentlichen Ministerrat einzuberufen und eine dringende Motion zu verabschieden, in der ein Sonderausschuss geschaffen wird, der die zurückerlangten Liegenschaften betreuen und verwalten soll. Dieser Ausschuss besteht aus einem Vertreter der jüdischen Gemeinden Rumäniens, einem Abgeordneten der rumänischen Regierung und einem Gesandten der "World Jewish Restitution Organization". Die durch die Verwaltung der Liegenschaften erwirtschafteten Mittel sind für wohltätige Zwecke sowohl in Rumänien als auch im Ausland bestimmt. Diese Regelung kann wahrlich als ein Erfolg bezeichnet werden, der von uns - der israelischen Botschaft - erzielt wurde. Was die Wiedererlangung von Liegenschaften anbelangt, die Privatpersonen gehört haben, muss man wissen, dass Hunderte von Israelis rumänischer Herkunft darüber klagen, zweimal geschädigt worden zu sein: zuerst von den Faschisten in den 40er Jahren, dann von den Kommunisten ab 1947. Leider ist bis heute kein Fortschritt auf diesem Gebiet zu verzeichnen. Ich habe meinen Gesprächspartnern auf allen Ebenen zu verstehen gegeben, dass diese Frage nie in Vergessenheit geraten wird und immer einen wichtigen Punkt auf der Tagesordnung der israelisch-rumänischen Beziehungen darstellen wird. Die Frage ist ausschliesslich aus innenpolitischen Gründen noch ungelöst geblieben. Die meisten dieser Wohnungen und Gebäude werden nämlich von Rumänen bewohnt, die heute nur eine symbolische Miete zahlen. Wenn diese Gebäude morgen wieder in den Besitz von Privatpersonen gelangen, die eine gewisse Rentabilität suchen, werden Tausende von Menschen auf der Strasse stehen.


Ein Interview mit einem israelischen Botschafter wäre unvollständig, wenn ich ihn nicht zur jüdischen Gemeinde des Landes befragen würde, in dem er sein Amt wahrnimmt. Wie sehen Ihre Beziehungen zur jüdischen Gemeinde Rumäniens aus und wie sehen Sie ihre Zukunft ?

Ich pflege selbstverständlich sehr enge freundschaftliche Beziehungen mit den Verantwortlichen dieser Gemeinde, für die ich eine besondere Zuneigung empfinde, da die Familie meiner Frau aus Rumänien stammt. Es ist eine Gemeinde mit einem sehr hohen Altersdurchschnitt; die meisten sind über 70 Jahre alt und die Jungen verlassen das Land. Dieser Gemeinde gehören die ärmsten Juden an, die ich je gesehen habe. Ich fürchte, dass ihre Zukunftsaussichten nicht sehr rosig sind und dass in wenigen Jahren keine eigentliche Gemeindestruktur mehr bestehen wird; vielleicht wird es noch einige Juden und eine Reihe von israelischen Geschäftsleuten geben.
Abschliessend möchte ich darauf hinweisen, dass uns einige weniger wichtige Fragen beschäftigen, denn die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind nicht nur ausgesprochen gut, die Zukunft in bezug auf die wirtschaftliche, industrielle und kulturelle Zusammenarbeit sieht darüber hinaus äusserst vielversprechend aus.

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