News Neueste Ausgabe Befragung: Resultate Suchen Archiv Français English Русский עברית Español


Inhaltsangabe Analyse Herbst 1998 - Tischri 5759

Editorial - Herbst 1998
    • Editorial

Rosch Haschanah 5759
    • Furcht und Freude

Politik
    • Man kennt den Schuldigen

Interview
    • Zeugnis der First Lady Israels I.E. Sarah Netanyahu
    • Jerusalem

Junge Leader
    • Tzachi Hanegbi

Judäa-Samaria-Gaza
    • Zwischenstation in Beth El

Analyse
    • Der Jom-Kippur-Krieg - 25 Jahre danach

Kunst und Kultur
    • Jüdische Bekleidung
    • San Francisco
    • Generationen von Liedern

Reportage
    • Jeruschalayim und Bucuresti
    • Überleben
    • Rumänische Begegnungen
    • Dynamik und Effizienz

Shalom Tsedaka
    • S.O.S. Orthodoxe Frauen

Ethik und Judentum
    • Schmerzen lindern - Mit welchem Risiko ?

Artikel per E-mail senden...
Der Jom-Kippur-Krieg - 25 Jahre danach

Von Zvi H. Hurwitz *
25 JAHRE DANACH
Kein anderes Ereignis in den ersten fünfzig Jahren Israels (seit dem Unabhängigkeitskrieg von 1948) richtete so grosse Zerstörungen an wie der Jom-Kippur-Krieg. Etwas Ähnliches hatte der Staat bisher nicht erlebt - bis zu diesem Tag nicht. Die Nation hatte schwierige, manchmal beängstigende Situationen durchgemacht, doch nichts ist mit dem Jom-Kippur-Krieg zu vergleichen, der 18 Tage dauerte und in dessen Verlauf Israel 2'569 Tote und 7'500 Verletzte betrauerte.
Die Tatsache, dass die Ägypter und Syrer den Angriff an Jom Kippur auszulösen beschlossen, verschaffte ihnen einen riesigen psychologischen Vorteil. Der Staat war ganz einfach nicht auf einen Krieg vorbereitet. Seine Staatsmänner, welche vom Geheimdienst durch Berichte informiert worden waren, schätzten die Gefahr falsch ein. Der Mythos von der Kraft und Unbesiegbarkeit der israelischen Verteidigung war auf einen Schlag verpufft. Plötzlich stellte sich die Sicherheit der Grenzen Israels als Irrtum heraus. Alles, was seit dem unvergleichlichen Sieg nach dem Sechstagekrieg aufgebaut worden war, brach nun in sich zusammen.
Im Rückblick leuchtet uns ein, dass die politische und militärische Führung Israels damals unter grosser Selbstgefälligkeit litt. Der Geheimdienst deutete seine eigenen Berichte falsch. Die politische Spitze schätzte die Situation nicht richtig ein. Dazu möchte ich ein Beispiel anführen: Zwei Monate vor dem Ausbruch des Krieges besuchte Itzchak Rabin, damals Minister im Kabinett von Golda Meir, Südafrika, wo ich zu jener Zeit lebte, um den Israel United Appeal einzuweihen. Er war Ehrengast an einem Bankett in der Stadthalle, an dem 1'500 Menschen teilnahmen. In seiner Rede gab er einen Kommentar ab, der die Fehleinschätzung der israelischen Führung symbolisierte: "Ich beneide meinen Nachfolger als Stabschef ("Dado" Elazar), denn Israel besitzt heute die sichersten Grenzen, die der jüdische Staat je gehabt hat".
Während und nach dem Jom-Kippur-Krieg wurde berichtet, dass sowohl Golda Meir als auch Mosche Dayan nicht glauben wollten, dass ein Krieg drohte. Sie lehnten das Gesuch von Elazar und des Hauptkommandos ab, die Streitkräfte zu verschiedenen Zeitpunkten Ende September und Anfang Oktober zu mobilisieren. Selbst am Freitag, den 5. Oktober, schlug Elazar in aller Form die Mobilmachung vor, die jedoch von Golda Meir verweigert wurde. Dayan sprach sich sogar noch am Samstagmorgen, den 6. Oktober, dagegen aus, als das Kabinett um sechs Uhr früh zusammentrat. Golda Meir zog es vor, die Araber über die Amerikaner vor den Risiken zu warnen, die sie auf sich nahmen. Später aufgenommene Fernsehbilder zeigten eine alte Frau mit der Zigarette in der Hand, von Nervosität und Angst gepackt, Tränen in den Augen und von den Ereignissen völlig erschlagen.
Der weitere Verlauf des Kriegs ist bekannt. In den ersten drei bis vier Tagen stand das Schicksal Israels buchstäblich auf der Kippe. Hunderte von jungen Leuten kamen am Jom-Kippur-Tag in den Bunkern innerhalb der Bar-Lev-Linie ums Leben. Die Tanks und Panzertruppen waren zerstört worden. Sie waren nicht rasch genug mobilisiert worden, und alle Hilferufe von der Front im Norden, auf den Golanhöhen, und im Süden, am Suez, blieben unbeantwortet. Die Ägypter überschritten den Kanal auf zuvor vorbereiteten sowjetischen Brücken und mit sowjetischer Ausrüstung und überrannten die Bar-Lev-Linie. Zum ersten Mal flogen feindliche Flugzeuge von den in syrischer Hand befindlichen Golanhöhen westwärts und aus Ägypten nordwärts über Israel. Neben den vielen hundert Toten und Verletzten der ersten Tage erlitt Israel einen erneuten Schlag, der ebenfalls eine erstmalige Erfahrung für das Land darstellte. Hunderte von Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Es war schon schlimm genug, sich in der Gewalt der Ägypter zu befinden, aber immer noch besser als in der Hand der Syrer zu sein.
Diese Anhäufung von Not, Angst und Erniedrigung bewegte Mosche Dayan, den damaligen Verteidigungsminister, dazu, in aller Offenheit die "organisierte Kapitulation" zu verlangen !
Die nationale Katastrophe wurde durch die ungewöhnliche Strategie von drei genialen Generälen Israels abgewendet: Ariel Sharon, Bren (Awraham Adan) und Schmuel Gorodish. Sie überschritten in mancher Hinsicht ihre Befugnisse. Sie befolgten Befehle nicht, doch sie hielten den Vormarsch des Feindes auf und kehrten die Situation um. Nachdem Israel erstmals gezwungen worden war, sich zu verteidigen, starteten sie erbitterte Gegenangriffe. "Arik" Sharons Streitkräfte bauten eine Brücke über den Suezkanal und drangen bis zu 80 km vor Kairo vor. Auf dem Golan stoppten die mutigen Aktionen einzelner Befehlshaber den Vormarsch der Syrer und begannen sie bis zu dem Punkt zurückzudrängen, wo Israel zur Bedrohung für Damaskus wurde. Das Kriegsglück hatte sich letztendlich gewendet. Die Lage hatte sich so weit entwickelt, dass die Vereinten Nationen, die USA und die Sowjetunion einzugreifen begannen, um den Druck der Israelis auf die beiden Hauptstädte und auf die dritte Armee Ägyptens zu lockern.
Niemand kann sich heute vorstellen, in welcher Stimmung sich die Nation während und unmittelbar nach diesem Krieg befand. Es herrschte eine riesige Wut auf diejenigen, die offensichtlich die Verantwortung getragen hatten. Eine Kommission unter dem Vorsitz von Richter Agranat wies die ganze Schuld General "Dado" Elazar, dem Chef des militärischen Geheimdienstes, sowie einer Reihe von Feldkommandanten zu, doch die politische Führung, Golda Meir und Mosche Dayan, wurde entlastet. Die Kommission hatte die Befugnis nicht erhalten, die politische Verantwortung für diese nationale Katastrophe zu durchleuchten.
Doch Golda Meir wurde von ihrem Gewissen gequält und trat kurze Zeit später zurück. In ihrer anschliessend verfassten Autobiographie schrieb sie: "Für mich kann es keinen Trost geben, weder in den Erklärungen irgendeines Menschen, noch im gesunden Menschenverstand und den vernünftigen Betrachtungen, mit denen meine Kollegen mich zu trösten versuchten.
Es ist ohne Bedeutung, was die Logik vorschrieb; von Bedeutung ist allein, dass ich, die ich so gewohnt war Entscheidungen zu treffen, zu dieser einen Entscheidung (die Streitkräfte rechtzeitig zu mobilisieren) nicht in der Lage war.
Ich weiss jedoch, dass ich so hätte handeln müssen, und ich werde dieses schreckliche Wissen bis an mein Lebensende ertragen müssen. Ich werde nie wieder der Mensch sein, der ich vor dem Jom-Kippur-Krieg gewesen bin."
Heute, 25 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg, haben sich zwei strategische Faktoren geändert. Zunächst wirkte sich der Krieg direkt auf den Beginn von persönlichen Verhandlungen zwischen den Staatschefs von Israel und Ägypten aus. Sadat begriff, dass die Tatsache, dass es Ägypten nicht gelungen war, in einem Krieg den entscheidenden Sieg zu erringen, der mit allen Vorteilen auf ihrer Seite ausgelöst worden war - das Überraschungselement, zahlenmässige Überlegenheit an der Front, die Verwendung von riesigen Mengen von sowjetischen Waffen und direkter sowjetischer Unterstützung durch Instruktoren -, es sehr unwahrscheinlich werden liess, Israel in einem Konflikt zu schlagen.
Auf israelischer Seite veranlassten die grossen Verluste und der moralische Schock, den die Nation erlitten hatte, Menachem Begin, der kurze Zeit später Ministerpräsident wurde, den Kriegszustand mit Ägypten zu beenden. Als er im November 1977 in Jerusalem mit Sadat zusammentraf, fassten beide Männer ihre Gefühle in zwei Sätzen zusammen:
Sadat: "Sorgen wir dafür, dass der Oktober-Krieg der letzte Krieg war."
Begin: "Keinen Krieg mehr, kein Blutvergiessen mehr, keine Trauer mehr."
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Sadat 8 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg am nationalen Feiertag in Ägypten, der an den "Oktober-Krieg" erinnert, ermordet wurde.
Der Frieden mit Ägypten hat bewahrt werden können, obwohl einige ihn einen "Kalten Frieden" nennen und andere nach Anzeichen für erneute Bedrohung Ausschau halten. In Wirklichkeit herrscht kein Kriegszustand mehr zwischen Israel und Ägypten, er wurde auch nicht wieder aufgenommen, als Israel von den Arabern allgemein bedroht wurde, wie beispielsweise während der Operation Frieden für Galiläa im Libanon.
Und zweitens, wie wirkte sich der Jom-Kippur-Krieg auf die strategische Planung Israels aus ? Dazu bestehen zwei Theorien. Die eine besagt, dass die Grenzen ihre Bedeutung heute verloren haben, nicht nur wegen den Ereignissen an der Bar-Lev-Linie, sondern auch wegen der Verwendung von Scud-Raketen, wie z.B. während des Golfkriegs. Die zweite Theorie geht davon aus, dass die Überschreitung der Bar-Lev-Linie eine direkte Folge eines menschlichen Fehlers war und nicht auf einer strategischen Schwäche beruhte. Wären die Entscheidungsträger 1973 nicht so selbstsicher gewesen, hätte die Gefahr abgewendet werden können. Obwohl 39 Scud-Raketen auf Israel abgeschossen wurden, von denen einige grossen Schaden anrichteten, war die Existenz Israels nie ernsthaft in Gefahr, wie dies während des Jom-Kippur-Kriegs der Fall gewesen war. Heute haben Israel selbst und andere Länder mit Erfolg ausgeklügelte Hi-Tech-Gegenmassnahmen zur Abwehr von Scuds und anderen Raketen entwickelt.
Daher bleiben die Grenzen, die strategische Tiefe, hochentwickelte Waffen und ständige Wachsamkeit weiterhin die Lösung für Israels zukünftige Existenz in Frieden und Sicherheit.

* Zvi H. Hurwitz ist Generaldirektor der Menachem Begin Heritage Foundation.

Contacts
Redaction: edition@shalom-magazine.com   |  Advertising: advert@shalom-magazine.com
Webmaster: webmaster@shalom-magazine.com

© S.A. 2004