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Inhaltsangabe Kunst und Kultur Frühling 1995 - Pessach 5755

Editorial - April 1995
    • Editorial

Pessach 5755
    • So einfach wie die Teilung des Roten Meeres

Interview
    • Die Abkommen von Oslo - Nichts als leere Worte
    • Den Hass bekämpfen

Politik
    • Die Kunst des Nullfortschritts

Analyse
    • Schürung des Judenhasses durch die arabische Presse
    • Wem gehört das Land ?

Judäa - Samaria - Gaza
    • Weder Frieden noch Sicherheit !

Kunst und Kultur
    • Prag - Eine lange jüdische Vergangenheit
    • Alice Halicka (1894-1975)
    • Wiederentdeckung des jüdischen Lvov
    • Ribak - Spiritualität und Künstlertum

Reportage
    • Beit Haschoah - Museum of Tolerance

Erziehung
    • Sich selbst sein

Ethik und Judentum
    • Das Schicksal der befruchteten Eizelle ?

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Ribak - Spiritualität und Künstlertum

Von Dr. Jenny Weil
Die Welt der jüdischen Kunst hat einen grossen Verlust erlitten. Der bekannte Maler Zvi Ribak ist vor einigen Monaten im Alter von 85 Jahren in Israel verschieden. Seine künstlerischen Werke zieren berühmte Galerien und Privatsammlungen in der ganzen Welt. In lebhaften Farben und realistischen Darstellungen erinnern seine Gemälde sowohl an Pogrome und Verfolgungen als auch an fröhliche Feste. In seinem Elternhaus in Zhitomir trafen sich Torah-Gelehrte und Schriftsteller, künstlerisches Schaffen und intellektuelle Begegnungen gehörten zum Alltag. An den Nachtessen des Freitagabends rezitierte der Nationaldichter Chaim Nachman Bialik seine Gedichte, bevor er nach dem Essen im ukrainischen Wald spazieren ging, wobei der kleine Ribak jeweils mittrottete.
Als Zvi fünf Jahre alt war, erkannte sein Kunstlehrer bereits sein bemerkenswertes Talent; nichts konnte nun den Jungen in seiner Berufung aufhalten. In den darauffolgenden Jahren vervollständigte er gewissenhaft seine künstlerische Ausbildung, ohne dabei die Schule und seine Talmudstudien zu vernachlässigen. Analog zu den Universalgenies der Renaissance suchte er beständig nach neuen Ideen und Zielen. Er studierte unter Professor Leib Davidowitsch Landau, der 1964 den Nobelpreis für Physik erhielt, Kernphysik an der Universität von Kharkov. Nach der russischen Revolution wurde Ribak Dozent für theoretische Physik am Polytechnischen Institut von Moskau. Er studierte Architektur und Skulptur, da Formen und Körper ihn brennend interessierten. Seine Begabung wurde sehr rasch erkannt, und man beauftragte Ribak mit der Schaffung eines Monuments im Zentrum Leningrads. Sein Meisterwerk stellt eine automatische Uhr dar, welche je nach der Jahreszeit die Früchte dieser Region anzeigt. Als Hauptmann der Roten Armee erhielt er acht Auszeichnungen. Nach seiner Niederlassung in München nach dem Krieg gründete Ribak eine Organisation jüdischer Künstler, welche den Holocaust überlebt hatten. Während drei Jahren veranstaltete diese jüdische Gruppe Ausstellungen und verkaufte Gemälde. Ribak verwirklichte 1948 einen Traum, als er seine Alijah vollzog, sich in Israel niederliess und eine Familie gründete. Die Stadt Tel Aviv stellte ihn als Architekten an. In seiner Freizeit bannte er Szenen auf Leinwand, welche die Welt an die Katastrophe erinnern sollten, von welcher sein Volk heimgesucht worden war. Da er sich ganz seiner Liebe zur Malerei und seinen Talmudstudien widmen wollte, gab er seine Arbeit als Architekt und seine wissenschaftlichen Forschungen auf. Als sein künstlerisches Talent von den Galerien in aller Welt immer stärker anerkannt wurde, entstand verständlicherweise die Nachfrage nach einem Buch über sein Leben und Werk. Von Jay Weinstein selig, dem Leiter der Judaika-Abteilung von Sotheby's in New York, stammen folgende Ausführungen aus seiner Einleitung zum Werk Zvi Ribak, A jewish artist: "Das Leben Zvi Ribaks für die Kunst gehört zu den oft erzählten Legenden in diesem blutigen Jahrhundert - sie handelt von der Liebe zur Wahrheit und Schönheit, die vor dem Hintergrund menschlicher Grausamkeit und Gemeinheit erblüht. Der Kunst, dem Destillat menschlicher Hoffnung, Balsam für die physischen und psychischen Wunden, deren Heilung eine Voraussetzung für das Fortbestehen von Leben ist - ihr gehört Ribaks Leidenschaft. In der Malerei fängt er die versunkene Welt seiner Jugend ein und kristallisiert Elemente seines Lebens - Religion, Wissenschaft, Krieg - heraus, bis alles im Mörser der Erfahrung zerstossen und zu den Pigmenten verwandelt wurden, dank denen er seine Leinwand mit den von ihm angestrebten Farben und Stimmungen erfüllt." Der jüdische Zionistenverband machte sein bewegtes literarisches Werk erstmals im Frühling 1991 anlässlich eines Empfangs der Royal Society of Medicine in London bekannt. Dabei sagte Ribak, dass die jüdische Kunst, heute JUDAIKA genannt, sehr bereichernd für die Juden sei, da sie die facettenreichen Formen jüdischen Lebens in der jüdischen Seele verankere und erfolgreich spirituelle Anregungen verschaffe. Das künstlerische Schaffen von Juden, die Judaika, unterscheidet sich von der Kunst von Nichtjuden. Weltliche Künstler, seien es Christen oder assimilierte Juden, beschreiben mit Vorliebe Szenen mit einer erotischen Aussage oder degenerierten Gefühlen. Sie verherrlichen Krieg und Gewalt sehr oft um ihrer selbst willen. Alle Museen sind übervoll von dieser Kunst. Auf diesen Darstellungen ist von Raub, Massakern, Gemetzeln, Enthauptungen, Würgen und Hängen der Mitmenschen die Rede. Dazu meinte der Künstler: "Natürlich stelle auch ich die Gewalt in meinen Gemälden dar, doch es sind Szenen aus Pogromen, Tragödien, die dem jüdischen Volk von aussen auferlegt wurden. Dessen muss sich die Welt bewusst werden." Mit sanfter Stimme fährt er fort: "Die Ermordung jüdischer Kinder darf nicht in Vergessenheit geraten, wenn ich eine jüdische Hochzeit male." Er wurde gefragt, ob er als gläubiger Jude keinen Widerspruch darin sehe, bei der Schaffung von Bildern - eine von den Zehn Geboten untersagte Tätigkeit - den Malerkittel anzuziehen. Darauf antwortete er, dass Porträts Teil des Lebens seien und von der Existenz der Menschen berichten. In der Vergangenheit schufen sich die Leute Gottheiten aufgrund von Bildern. Die Juden erhielten aber ein Gebot auf dem Berg Sinai, das ihnen die Anbetung von Abbildern verbot. "Gemälde, die zur Ergötzung der Menschen geschaffen werden", betont er, "sind jedoch nicht verboten."
Bei der Betrachtung seiner Werke fragt man sich, ob Ribak das Leben als Existentialist, d.h. voller Konflikte, oder aber als Chassid sah, der G'tt mit Freude dienen möchte. Er meinte einmal, dass ein Jude jederzeit die Freude, auch wenn es sich nur um ein vorübergehendes, flüchtiges Gefühl handle, anstreben und konkret leben solle. Ribak war sich bewusst, dass es in der Gegenwart in Israel keinen Künstler gibt, der die Kunstszene dominiert. Seiner Ansicht nach kann jüdische Kunst nicht existieren, solange das jüdische Volk nicht in Frieden im eigenen Land lebt. Er war ebenfalls davon überzeugt, dass heute, da es eine jüdische Heimat gibt und die Juden das Recht verteidigen, in ihrem Land zu leben, die Voraussetzungen für die Erschaffung echter jüdischer Kunst durch eine neue Generation bestehen, auch wenn dieser Prozess erst nach Generationen Blüten und Früchte tragen wird. Ribak sah sich selbst in erster Linie als jüdischer Künstler. Ein in Israel lebender Künstler ist in seinen Augen dazu verpflichtet, am jüdischen Leben aktiv teilzunehmen und sich mit dem gesamten Kunstgeschehen dieses Landes auseinanderzusetzen und zu befassen. Die in Israel geschaffene Kunst und der jüdische Alltag bilden die Brücke zwischen der biblischen Heimat der Vergangenheit und dem Staat Israel der Gegenwart. In Ribaks Bildern wird offenbar, dass die wichtigste Aufgabe des Künstlers darin besteht, die Menschen auf den Weg G'ttes zu führen. Ribak war der Überzeugung, die auf dem Berg Sinai übergebenen Zehn Gebote würden den Juden Anleitungen geben, die sie im Leben zu befolgen hätten. Daher steht der jüdische Künstler, der Erzeuger von Judaika, heute vor einer besonderen Herausforderung: er soll die Juden veranlassen, ihren universellen Standpunkt allmählich zugunsten einer spezifisch jüdischen Lebensweise aufzugeben.
In jüngeren Jahren stand Ribak unter dem sehr starken Einfluss von Michelangelo. Später gehörte sein Herz den holländischen Malern, vor allem Rembrandt. Er versuchte, seinem Geheimnis auf den Grund zu gehen, die Zusammensetzung der Farben, das Auftragen der Farben auf die Leinwand zu begreifen... Er versuchte herauszufinden, was das Besondere der holländischen Maler bei ihrer einzigartigen Skizzierungstechnik ausmachte. Im Verlaufe der Jahre und angesichts eigener kreativer Bemühungen wurde er sich bewusst, dass in den 90er Jahren eine Wende im künstlerischen Denken und in der Kreativität eingetreten ist. Er war überzeugt, dass jede Art von Kunst, sei sie alt, zeitgenössisch oder modern, einen prophetischen Aspekt besitzt. Mit Hilfe der Kunst kann man voraussagen, was die Menschheit in der Zukunft erwarten wird. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer überschäumenden Entwicklung der abstrakten Kunst. Unterschiedlich geformte geometrische Linien strebten fort vom eigentlichen Leben. Darin lag die Absicht des Futurismus, des Kubismus und aller anderen neuen Strömungen, meint Ribak. In den 20er Jahren wurde jede Form von Leben aufgebrochen und in abstrakte Komponenten zerstückelt. Dem Menschen wurde eine zusammenstürzende Welt gezeigt... zwei grausame Weltkriege und die dadurch bewirkte Entmenschlichung des Lebens.
In seinen letzten Lebensjahren nahm Ribak eine Veränderung wahr: die Welt scheint sich aus diesen abstrakten Formen befreien zu wollen, sie möchte sich neu erschaffen. Dies alles sah er im Zusammenhang mit der Rückkehr des jüdischen Volkes in seine Heimat, und er glaubte, dass die Torah vom Heiligen Land aus neue, vom Allmächtigen eingegebene Ideen ausstrahlen würde. Für die Menschen ist es jedoch schwierig, sich zu verändern, zur Normalität und zu einem geordneten Leben zurückzukehren. "Gib niemals auf !", lautete Ribaks Motto, und er lebte stets nach dieser anspruchsvollen Philosophie.
Nur wenige Wochen vor seinem Tod teilte er mir mit, er würde das Erscheinen von Büchern über ein neues Kunstverständnis, d.h. die Verschmelzung von Spiritualität und Kunst, begrüssen. Er hoffte, diese neue Form der jüdischen Kunst und Kultur würde sich durchsetzen und in der Lage sein, neue junge Künstler zu einer Teilnahme an dieser Erneuerung zu ermutigen.
Obwohl Zvi Ribaks reiches und produktives Leben nun erloschen ist, hat er uns ein künstlerisches und geistiges Erbe hinterlassen, das ihm zweifellos einen bedeutenden Platz im Pantheon der unsterblichen jüdischen Künstler sichern wird.

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