Einmal mehr wurde ich gebeten, die Biographie eines jüdischen Malers der Ecole de Paris für Ihre Zeitschrift zu verfassen. Diesmal handelt es sich um ALICE HALICKA, die Frau des berühmten kubistischen Malers Louis Marcoussis. Ich habe nie das Vergnügen gehabt, sie persönlich kennenzulernen, doch ich habe mit ihr eine rege Korrespondenz betreffend ihre Werke geführt. Obwohl sie einige nach den Grundsätzen des Kubismus strukturierte Bilder gemalt hat, war ihr Werk eher realistisch und als sehr persönlich zu bezeichnen. Sie gehörte jedoch der Gruppe der Kubisten und derjenigen der Maler von Montparnasse an, die jahrelang in der Ruche wohnten, wie beispielsweise Soutine, Krémègne usw.
Es war einmal... eine junge polnische Jüdin, die am 20. Dezember 1894 in Krakau geboren wurde. Sie hiess Alice Halicka, war schüchtern, Mathematikerin, befasste sich nebenbei mit Malerei und zählte die Kubisten zu ihren Freunden. Als ihr Mann während des ersten Weltkriegs in der Armee diente, flüchtete sie in die Normandie und fuhr fort zu malen. Als der Soldat wieder heimkehrte und die Werke seiner Frau sah, riet er ihr ab mit der Malerei weiterzumachen, da er der Ansicht war, ein Kubist reiche in der Familie. Halicka, gehorsam und zu eigenwillig, um wie ihr Mann zu malen, zerstörte einen Teil ihrer Gemälde, verbannte einige von ihnen auf den Estrich, änderte ihren Stil und vergass den Kubismus.
Fünfzig Jahre später fallen ihr diese Bilder wie ein Geschenk des Himmels in Form von sechzig Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen in den Schoss: die Erben ihrer Freunde aus der Normandie haben sie ihr zugeschickt. Sie säubert sie und spannt sie auf Rahmen. Eines der Bilder, das in Galiéra zum Verkauf angeboten wird, lässt die Angebote der Sammler in die Höhe schnellen. Das Wunder geschieht und führt letztlich zu einer Ausstellung, in welcher vor allem in den Aquarellen ein Kubismus voller Wärme, Poesie und Sensibilität zutage tritt. Halicka ist in der Tat einen Schritt weitergegangen als Cézanne und hat dem Kubismus eine persönliche Note verliehen, wie dies nur eine Frau tun konnte. Endlich führt diese Künstlerin, die so zahlreiche schwierige Zeiten durchmachen musste und mit zähem Mut kämpfte, ein angenehmeres Leben dank den Werken, die sie in ihrer Jugend gemalt hatte. Diese Geschichte ist kein Märchen, es ist die wunderbare Lebensgeschichte von Alice Halicka. Sie hat sie mit viel Humor in einem Buch mit dem Titel "Hier" (Gestern) dargelegt.
Alice Halicka verkehrte mit den herausragendsten Persönlichkeiten von Montmartre und Montparnasse, mit Braque, Modigliani, Paul Guillaume, Marie Laurencin, Breton, Max Ernst, Perret, Eluard, Apollinaire, Foujita, Orson Welles. Sie hörte sie sprechen und besuchte ihre Ateliers. Mit der ihr eigenen Einfachheit und Bescheidenheit erzählt sie, wie sie sie kennenlernte; sie gibt eine manchmal recht karikaturhafte Beschreibung von ihnen und macht sich über ihre Eigenheiten lustig, immer ohne Bosheit, jedoch mit beissender Ironie. Sie berichtet auf diese Weise von Fernand Fleuset, René Crevel, Francis Arco, Gide, Jean Cassou, Marcel Jouhandeau, Tristan Tzara, Gaston Bachelard und de Reverdy.
Doch überlassen wir der beredten Feder von Halicka das Wort.
"1913 heiratete ich Marcoussis. Mein Vater, ein gutbürgerlicher polnischer Arzt, und mein Grossvater, ein Reeder, waren von dieser Ehe mit einem Künstler nicht sehr erbaut, mussten meine Entscheidung aber akzeptieren. Ich war das, was man reich nennt, doch die Inflation setzte dem rasch ein Ende und ich musste meinen Schmuck verkaufen. Als kleine, leicht zu beeindruckende Landpomeranze aus Krakau lauschte ich Marcoussis Geschichten wie den Märchen aus "Tausendundeine Nacht". Er besass viel Sinn für Humor und faszinierte mich mit seinem erzählerischen Talent. Ich nahm Malunterricht in den Akademien, zunächst bei Maurice Denis, dann bei Cormon, einem manierierten Bartträger. Er mied mich, als ob ich pestkrank wäre, und die anderen Schüler hielten mich für verrückt. Ich wandte mich dem Kubismus zu, der in ihren Augen einer geächteten, einer antigriechischen Kunst entsprach, die sich an die afrikanische Kunst anlehnte. Ich mochte es, wenn mich jemand verblüffen konnte. Wie Diaghilew, der Cocteau bei seiner Ankunft in Paris gesagt hatte: "Erstaunen Sie mich !", überraschte mich Marcussis, indem er mir Braque und Picasso zeigte. Marcoussis hatte, bevor er mich kennenlernte, eine Freundin namens Eva, die Picasso sofort zu erobern versuchte, allerdings nicht mit Blumen, was zu banal gewesen wäre, sondern mit einem Camembert, den er an der Rue Lepic gekauft hatte. Ich begegnete dieser Eva anlässlich einer Rundfahrt auf einem der Ausflugsschiffe auf der Seine. Sie befand sich auf einem anderen Boot mit Max Jacob und einem jungen Mann mit Haartolle, niemand anderem als Picasso. Marcoussis zeigte sie mit also von weitem. Picasso liess sich von der hübschen Japanerin zu der berühmten Collage "J’aime Eva" inspirieren. Ich lernte auch Juan Gris kennen und schätzte seine Intelligenz und seine Ehrlichkeit als Künstler. Er kam zweimal pro Woche in unser Atelier an der Rue Caulaincourt zum Mittagessen. Marcoussis und er waren zwei Alchimisten. Sie wollten das Geheimnis des Kubismus für sich behalten."
Alice Halicka erwähnt ihre eigene Malerei mit grosser Bescheidenheit. "Da ich nie zufrieden war, wechselte ich häufig meinen Stil. Nach der Periode des Kubismus, dem ich schlieslich entsagte, musste ich für meinen Lebensunterhalt Stoff- und Tapetenmuster herstellen. Dufy führte mich bei Bianchini und Rodier ein, für die er Muster für bedruckte Stoffe malte. 1920 machte ich die Bekanntschaft der Prinzessin Murat, und sie begann in ihrem Teesalon auf der Ile Saint Louis, der auch Buchhandlung und Galerie war, meine Werke zu verkaufen. Ich hatte kleine Bilder erfunden, die ein wenig einer Krippe oder einer Spielzeugdose glichen, ein Gemisch aus Malerei, Relief, Stoffen, Knöpfen, Collage, Drähten, Federn usw., was gleichzeitig sentimental, poetisch und verrückt war Die geistreiche Prinzessin nannte sie "Gepolsterte Romanzen", und die elegante und zynische Pariser Gesellchaft kaufte meine Romanzen, die überall auf der Welt nachgeahmt wurden. Dies wurde mir 1935 bei meinem Aufenthalt in Amerika bewusst, wo ich mit Helena Rubinstein ankam, um Aquarelle zum Thema "Place de la Concorde", ihre Werbekampagne, zu malen. In New York stellte ich Zeichnungen aus und erhielt einen unerwarteteten Auftrag, das Porträt eines Hundes als "gepolsterte Romanze", wobei die Kundin verlangte, dass das Tier intelligent aussehen musste, und fragte, ob der handgemalte Hintergrund im Preis inbegriffen sei.
Ich erhielt ebenfalls Zugang zur Welt der Musik. Ich kannte bereits Sauget, Auric, Markewitsch. Massine, der Ballettmeister der Metropolitan Opera, wandte sich an mich für das Bühnenbild zu "Jardin Public", der auf dem Roman von Gide beruhte. Balanchine vom American Ballet beauftragte mich anschliessend mit dem Dekor und den Kostümen für den "Baiser de la Fée" nach einem Stück von Strawinsky."
1939 reist Alice Halicka mit Marcoussis nach Cusset (Alier), wo ihr Mann 1941 nach langer Krankheit stirbt. Während des zweiten Weltkriegs wechselt Alice Halicka regelmässig ihren Wohnsitz und lebt unter anderem in Marseille, in Wien, in der Isère und in Chamonix. Bei ihrer Rückkehr nach Paris 1945 stellt sie in der Galerie de l'Elysée zum Thema "Paris" aus. Von diesem Moment an und bis zu ihrem Tod am 1. Januar 1975 folgt weltweit eine Ausstellung auf die andere, sei es in Indien (wo sie drei Monate lang lebte und wo sie zahlreiche Gemälde und Aquarelle herstellt), sei es an verschiedenen Orten überall in Europa, in der UdSSR und in den Vereinigten Staaten.
Das Werk Alice Halickas zeichnet sich durch eine strenge Konstruktion aus (zahlreiche Themen aus der Architektur) in Verbindung mit Vielfalt, Phantasie und poetischer Inspiration. Zahlreiche Ölgemälde gehören dazu: Landschaften, Stilleben, dekorative Arbeiten auf Stoff, Paravents (für Helena Rubinstein), Collagen, Bühnenbilder für Ballette, Aquarelle, Zeichnungen, Stiche und Illustrationen für literarische Werke. Ihr malerisches Talent kommt besonders gut in den Städten zum Ausdruck, die sie gemalt hat, wie beispielsweise Paris, Benares, New York und Warschau, und wo sie sich mit vier Kulturen vertraut machte, die sie die "vier menschlichen Mentalitäten" nannte.
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