Editorial - März 1994
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Jüdische Feiertage
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Israel - Diaspora
• Israel und das Weltweite Judentum
Israel - Vatikan
• Eine "Zivilhochzeit"
Biographie
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Ethik und Judentum
• Statistik und Wahrscheinlichkeit
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Israel und das Weltweite Judentum
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Seit dem Tag, an dem der Staat Israel gegründet wurde (14. Mai 1948), stehen die Juden in aller Welt vor der grundlegenden Frage, in welcher Beziehung die in Zion lebenden Menschen mit den Juden der Diaspora stehen. In jener Zeit spielte das Problem der zweifachen Treuepflicht in jeder Gemeinschaft eine äusserst wichtige Rolle. Zur Vermeidung der daraus entstehenden Konflikte boten eine Reihe von zionistischen Führerpersönlichkeiten die bevorzugte Lösung der "Hafrada" - der Trennung - an.
Grosse Organisationen wie die Hassadah in den Vereinigten Staaten widerstanden jedem Versuch, sie in die politischen Schwierigkeiten Israels, darunter vor allem die Alijah, miteinzubeziehen, da dies den Eindruck mangelnder Loyalität gegenüber dem Land erwecken konnte, in dem sie lebten.
Allmählich setzte sich aber die entgegengesetzte Meinung durch. Regierungen und politische Kommentatoren begriffen, dass die Beziehung zwischen jedem Juden und dem Staat Israel einzigartig war. Die Frommen wandten sich dreimal täglich bei ihrem Gebet gegen Jerusalem; nach Rosch Haschana beteten sie monatelang um Regen im Heiligen Land. Und zahlreiche nichtpraktizierende Juden nahmen begeistert an den Feiern von Jom Ha'atsmauth (Israels Unabhängigkeitstag) teil, ohne sich darum zu kümmern, dass sie sich eigentlich über die Unabhängigkeit eines Landes freuten, dass offiziell ein fremdes war. Viele Staatsoberhäupter schickten anlässlich dieser Feier Glückwunschbotschaften an die jüdischen Gemeinschaften ihres Landes. So wich das Konzept der "Trennung" nach und nach der Bestätigung von Identität und Zusammenarbeit und führte schliesslich zum Slogan des United Israel Appeal: "Wir sind ein Volk". In Zeiten der Freude und des Leids konnte die Reaktion der jüdischen Gemeinden in der Diaspora oft nicht von derjenigen der Bevölkerung in Israel selbst unterschieden werden.
Während den Jahren der Likud-Regierung, als ich das Privileg genoss, als Berater für Fragen der Diaspora den Premierministern Begin und Shamir zur Seite zu stehen, wurde viel zur Förderung einer engen Beziehung zwischen den beiden Teilen des Volkes unternommen. Menachem Begin erklärte regelmässig, der Staat sei nicht für die 650'000 damals in Palästina lebenden Juden geschaffen worden, sondern für das gesamte jüdische Volk, und die Israelis seien die Treuhänder für die Nation. Da sie im Land lebten, besässen sie besondere Verpflichtungen und Vorrechte. Er wies auf die beiden Bereiche hin, in welchen die israelischen Staatsbürger ausschliessliche Rechte geltend machen konnten - den Militärdienst (und alles, was damit in Zusammenhang stand) und ihr Wahlrecht bei Parlamentswahlen. Selbst der beste und aktivste Zionist und Organisator finanzieller Spenden kann an den militärischen Pflichten, die den Staatsbürgern vorbehalten sind, oder an den Knessetwahlen nicht teilnehmen. Mit dieser Bedingung konfrontierte Menachem Begin seine jüdischen Zuhörer in aller Welt und ermutigte sie, an der Entwicklung des Staates mitzuwirken und sich auf ihre eigene Alijah vorzubereiten.
Zu bedeutenden Ereignissen - wie beispielsweise zur Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Ägypten oder zu den Feierlichkeiten in Oslo, wo ihm der Friedensnobelpreis verliehen wurde - lud er immer auch die höchsten Funktionäre der Jewish Agency ein und erwähnte sie in seinen Reden, um dadurch hervorzuheben, dass er nicht nur für die Bürger Israels sondern für das gesamte weltweite Judentum sprach.
Sein Nachfolger Itzhak Shamir verfolgte ebenfalls das Ziel der jüdischen Einheit und betonte immer wieder in seinen Ansprachen in Israel und in verschiedenen Gemeinschaften der Diaspora, dass wir "allein wie ein schwaches Schilfrohr sind. Gemeinsam sind wir unschlagbar." In diesem Gedanken rief er die Konferenz der jüdischen Einheit ins Leben, die im März 1989 stattfand und an der Vertreter der Juden aus jedem erdenklichen Ort der Welt mit Spitzenpolitikern der israelischen Regierung und Opposition zusammenkamen.
Heute, da der neue Staat seit bald sechsundvierzig Jahren besteht und die jüdischen Gemeinschaften aufgrund von schleichender Assimilierung und von Mischehen mit Problemen zu kämpfen haben, scheinen die gegenwärtigen Verantwortlichen Israels aus nur ihnen bekannten Gründen entschlossen, die Verbindungen zu lockern und die Bande zwischen Israel und dem weltweiten Judentum durchzutrennen. Ab und zu kritisiert der eine oder andere Minister die traditionellen Aktivitäten des Weltjudentums in bezug auf Israel. In der darauffolgenden Kontroverse leugnet der Sprecher selbstverständlich seine Aussage oder behauptet bestenfalls, er sei missverstanden worden. Der Schaden wurde aber bereits angerichtet.
Eingeführt wurde diese neue Mode von niemand anderem als Premierminister Rabin, der einige Wochen nach Amtsantritt hinging und AIPAC, die grösste Vereinigung amerikanischer Juden, in ihre Schranken wies. Er liess sie in unmissverständlichen Worten wissen, dass ihre Tätigkeit als Lobby ab sofort nicht mehr erwünscht sei. Alle Kontakte zur US-Regierung würden direkt über Israel und seine Vertreter erfolgen. Rein technisch gesehen ist dieses Vorgehen natürlich korrekt, ob es jedoch sehr weise war, wird sich noch zeigen.
Als die AIPAC, die kurz zuvor bereits von Expräsident Bush streng zurechtgewiesen worden war, diese Kritik einstecken musste, rief mich eine der Spitzenkräfte der AIPAC an und erzählte mir von der Zeit, als Shamir nach einer langen Reise aus Israel in den Staaten eintraf und nur wenige Stunden später an einer Zusammenkunft mit der Leitung von AIPAC teilnehmen musste. Der Vorsitzende gab in seinen einleitenden Worten seinem Bedauern Ausdruck, den Premierminister so kurz nach seiner Ankunft mit dieser Sitzung zu belästigen. Shamirs Antwort lautete: "Wenn es um AIPAC geht, können Sie mich auch um Mitternacht wecken. Ich bin jederzeit bereit, mit dieser ausgezeichneten und bedeutenden Vereinigung von Männern und Frauen zusammenzukommen und zu diskutieren".
Der Angriff gegen die AIPAC war kein isolierter Fall. Wenige Zeit später kritisierte Finanzminister "Beige" Shochat die Israel Bonds Organization mit dem Vorwurf, es sei wirtschaftlich nicht mehr vertretbar, höhere Zinsen anzubieten als normale Geschäftsbanken. Auch dies war technisch gesehen durchaus richtig. Ist es aber wirklich sinnvoll eine Organisation aufzulösen, die während über vierzig Jahren hervorragende Ergebnisse erarbeitet hat ? Zu ihrer Verteidigung erklärten Verantwortliche der Bonds, dass ihre Aufgabe nicht nur darin bestehe, Investitionsförderung in Israel zu betreiben, sondern auch darin, die Juden an ihr Land zu binden und sie dazu zu erziehen, die Verantwortung für die Entwicklung des Staates zu teilen.
Der letzte Schlag unter die Gürtellinie erfolgte durch Yossi Beilin, der ausgerechnet an einer Konferenz der Leitung der WIZO sprach, deren Zweck die Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen ist. Er teilte ihnen kalt und unverblümt mit, ihre "Barmherzigkeit" sei nicht mehr gefragt, Israel erfreue sich grösserer wirtschaftlicher Gesundheit als manche Länder, aus denen WIZO-Abgeordnete angereist seien; er empfahl ihnen in recht deutlichen Worten, nach Hause zu reisen und den Laden zu schliessen. Was auf die WIZO zutrifft, gilt natürlich auch für alle anderen Organsationen, die finanzielle Mittel zusammentragen, wie z.B. United Jewish Appeal. Die Anwesenden reagierten ohne zu zögern und liessen ihrem Ärger noch tage- und wochenlang freien Lauf. Premierminister Rabin versuchte die Wogen der Emotionen in der WIZO zu glätten, indem er Beilin der Gedankenlosigkeit anklagte - doch da war es bereits zu spät. Seit diesem Vorfall habe ich verschiedene Länder bereist und von mehreren WIZO-Mitgliedern erfahren, dass sie die Notwendigkeit und Nützlichkeit ihrer Arbeit anzweifeln. Beilins Verteidiger argumentieren, Israels Wirtschaft sei nun stark und gesund und folglich in der Lage, echte Geschäftsinvestitionen anzuziehen, was aber von beständigen Forderungen nach Wohltätigkeit erschwert oder gar vereitelt würde. Dieses Argument mag teilweise wahr sein. Doch auch hier fordern wir eine weise Führung, nicht die arrogante, chauvinistische Haltung eines Beilin und seinesgleichen.
Dies erinnert mich an eine Geschichte, die im Juni 1967 nach dem atemberaubenden israelischen Sieg im Sechstagekrieg die Runde machte. Nach dem Krieg mussten ziemlich rasch finanzielle Mittel aufgetrieben werden, um die Kriegskosten zu decken. Premierminister Eshkol beschloss, Moshe Dayan, der zusammen mit Menachem Begin in die Einheitsregierung gewählt worden war, zu beauftragen, im Ausland sofort Geldspenden zu organisieren. Der General mit der berühmten Augenbinde stellte zu jener Zeit natürlich eine riesige Attraktion dar und Eshkol war sich seines Potentials als finanzieller Bittsteller bewusst.
Dayan weigerte sich jedoch zunächst mit der Begründung, er könne doch nach einem solch spektakulären Sieg nicht ins Ausland reisen und mit ausgestreckter Hand vor jüdischen Zuhörerschaften erscheinen. "Es ist unmöglich", sagte der General. "Wie kann ich die jüdischen Gemeinschaften auf diese Weise aufsuchen ?" Und der schlaue Eshkol erwiderte sogleich: "Du musst vor ihnen erscheinen wie Shimshon der Nebichel - Samson der Nebich !" Diese Art von Kompromiss müssen wir auch heute und in den kommenden Jahren finden, da Israel wirtschaftlichen Erfolg hat und andererseits dennoch auf den Einsatz, die Unterstützung und die Mitwirkung der Juden angewiesen ist.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die jüdischen Gemeinschaften der Welt die grundlegende Tatsache verstehen und akzeptieren müssen, dass Israel nun ein lebensfähiger, erfolgreicher, souveräner Staat ist, dessen Bürger bestimmte Pflichten und Rechte besitzen, die nicht auf unsere im Ausland lebenden Glaubensbrüder ausgedehnt werden können.
Es gibt jedoch Angelegenheiten, in denen das Weltjudentum um Rat gefragt und um seine Ansicht gebeten werden sollte. Mit einer dieser Fragen werden wir im Augenblick konfrontiert - mit der Zukunft von Eretz Israel. Sie betrifft nicht nur die heute im Land wohnende Bevölkerung, darunter auch die arabischen Bürger. Sie berührt die eigentlichen Wurzeln des jüdischen Volkes, der nationalen Existenz und unserer Rückkehr nach Eretz Israel. Die Juden beteten aus Tausenden von Meilen Entfernung für ihr Land, als es vom Osmanischen Reich besetzt wurde oder unter britischem Mandat stand. In jeder Situation und in jeder Epoche träumten die Juden von ihrer Rückkehr nach Eretz Israel und beteten darum. Eretz Israel umfasst genau die Gebiete in Judäa und Samaria, nach denen gegenwärtig gelechzt wird.
Wirtschaftlich gesehen bietet ein Staat, dessen Haushalt fast 50 Milliarden Dollar beträgt, dessen Wirtschaft im Verlauf des letzten Jahrzehnts bedeutend angekurbelt wurde, attraktive Investitionsmöglichkeiten für geschäftliche Zwecke. Theoretisch käme dieser Staat ohne die herkömmlichen Anstrengungen zur Beschaffung finanzieller Spenden aus, um die sich seit dem Beginn dieses Jahrhunderts die Zionisten in einem so umfassenden Ausmass bemühen. Soll das ganze System jetzt abgeschafft werden, sollen die Juden der ganzen Welt so leichtfertig zurückgewiesen werden ?
Es muss Bilanz gezogen werden. Die jüdischen Gemeinschaften müssen wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt werden, indem sie begreifen, dass der Staat sehr wohl ohne ihre sagenhaften Anstrengungen existieren könnte. Und die israelischen Staatsbürger sollten es schätzen, dass dank solcher Bemühungen Spitäler, Institutionen für Kinder, Schulen, Musikzentren und unzählige andere Projekte gebaut und verwirklicht werden konnten.
Für die Entwicklung bereits bestehender Projekte und die Schaffung neuer Pläne, wie beispielsweise die Menachem Begin Heritage Foundation, deren Leiter ich heute bin, bleibt immer Raum.
Es kann nicht abgestritten werden, dass analog zu den reichsten Ländern der Welt immer noch Hunderte oder Tausende von Menschen in knappsten Verhältnissen leben, auch wenn die in den Zeitungen erscheinenden wirtschaftlichen Statistiken so hervorragend sind. Wieso sollte das Schicksal dieser Menschen nicht durch den Einsatz ihrer Brüder und Schwestern in der ganzen Welt erleichtert werden ?
Was wir brauchen ist eine echte finanzielle Partnerschaft, wie sie mit Hilfe von Project Renewal, innerhalb der ersten Wochen von Menachem Begins Amtszeit als Premierminister ins Leben gerufen, geschaffen wurde. Damals waren die israelische Regierung und die Jewish Agency zum Schluss gekommen, dass es nicht ausreiche, die finanziellen Spenden der Juden aus aller Welt für unterentwickelte Gemeinden und benachteiligte Bürger nur entgegenzunehmen, sondern dass die jüdischen Gemeinschaften überall als aktive Partner bei der Entwicklung dieser Gemeinden und der Verbesserung der Lebensbedingungen aller Bewohner beteiligt werden sollten.
Zum Schluss möchte ich Rabbi Akiva zitieren: "Das Kalb braucht die Milch genauso sehr wie die Kuh das Milchgeben".
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