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Inhaltsangabe Jüdische Feiertage Frühling 1994 - Pessach 5754

Editorial - März 1994
    • Editorial

Jüdische Feiertage
    • Pessach 5754

Politik
    • Die Folgen eines Massakers

Interview
    • Gestern - Heute - Morgen
    • Jerusalem - Eins und Unteilbach

Terrorismus
    • Die Fackel wird ewig brennen

Porträt
    • Der Hofnarr

Judäa - Samaria - Gaza
    • Der "Friede" an Ort und Stelle
    • Die letzten Juden von Jericho

Analyse
    • Terrorismus und Illusionen
    • Multilateralen Verhandlungen

Kunst und Kultur
    • Jüdische Frauen als Schreiber und Drucker
    • Arthur Segal (1875-1944)

Israel - Diaspora
    • Israel und das Weltweite Judentum

Israel - Vatikan
    • Eine "Zivilhochzeit"

Biographie
    • Sir John Pitchard, His Life in Music

Ethik und Judentum
    • Statistik und Wahrscheinlichkeit

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Pessach 5754

Von Rabbiner Zalman I. Posner
"Wenn der Heilige, gelobt sei Er, unsere Vorfahren nicht gerettet und aus Ägypten geführt hätte, würden wir noch unter pharaonischer Herrschaft schmachten, wir, unsere Kinder und Kindeskinder". Beginnt die Haggadah nicht auf verblüffende Weise ? Fällt das Bild des Menschen im allgemeinen und seines Schicksals im besonderen nicht sehr düster aus ? Wieviele Befreiungsbewegungen waren notwendig, um Sklaven, Nationen, gar ganzen Kontinenten seit der weit zurückliegenden Zeit des alten Ägyptens die Freiheit zu geben ? Was kann diese kategorische Verkündigung beständiger Unterwerfung für uns bedeuten ?
Unsere politische und nationale Unabhängigkeit verkörpert eine unbezahlbare Form der Freiheit, obwohl sie sich auf diese beiden Bereiche beschränkt. Im Judentum ist der Begriff "Ägypten" ebenfalls ein Synonym für eine innere und geistige Form der Sklaverei eines Individuums, völlig unabhängig von einem eventuellen Stimm- und Wahlrecht. Diese, das menschliche Verhalten bestimmende Einschränkungen können sich als zwingend erweisen und begrenzen oft die individuelle Entwicklung und das menschliche Streben. Die Thora verpflichtet jede Generation zu einer "Flucht aus Ägypten", zu einer Befreiung aus eigener Kraft und durch eigene Anstrengung. Wieso werden wir aber immer wieder mit Schwierigkeiten konfrontiert, die uns von Generation zu Generation zwingen, einer recht düsteren Zukunft unter der Fuchtel eines zeitgenössischen "Pharaos" entgegenzusehen ?
Wir wissen heute, dass der Slogan "ein Krieg, der alle Kriege beendet" eine der grössten Desillusionen unserer Zeit darstellt, und dass die Vereinten Nationen unfähig sind Lösungen zu finden, die in unserer Region eines Tages zur Erlangung eines wahren und dauerhaften Friedens führen können. Wir sind alle realistisch genug, um uns bewusst zu sein, dass die Möglichkeit eines Krieges gegenwärtig bedrohlicher ist denn je. Werden der Wolf und das Lamm irgenwann friedlich nebeneinander leben können ?
Wenn 1930 eine bedeutende Persönlichkeit vorausgesagt hätte, dass es wenige Jahre später mitten in Europa Fabriken zur Vernichtung und Verbrennung von Menschen geben würde, hätte man ihn wahrscheinlich in eine Irrenanstalt einliefern lassen. Wenn heute jemand erklärte, Auschwitz gäbe es niemals wieder, erlitte er wohl dasselbe Schicksal. Das Damoklesschwert hängt immer noch über unseren Köpfen, und der Mensch - sei er noch so modern - hat sich immer noch nicht von den heftigen Gefühlen befreit, die Kain erfüllten. Trotz der Entwicklung und des Fortschritts der Gesellschaft hat sich die eigentliche Natur des Menschen nicht verändert.
Der Mensch wird mit einer Tendenz zu Konflikten geboren. Der "Yetzer haTov", d.h. die positiven Regungen, führen ihn zum Anstand und zum Guten, während der "Yetzer haRa", die negativen Gefühle, ihn zum Bösen und Schändlichen verführen. Die Schrecken haben uns gelehrt, dass es keine Grenzen mehr gibt. Für einen entschlossenen Menschen ist kein Ziel zu hoch gesteckt, kein Abgrund zu tief. Das Individuum steht allein vor seinen Entscheidungen betreffend die Qualität seines Lebens und wie er damit umgehen wird. Er kann sein Leben von Grund auf vollkommen verändern. Der Mensch, der sich für eine Existenz gemäss den Werten und Traditionen des Judentums entscheidet, wird "baal Teschuvah" genannt. Die Teschuvah, die Rückkehr zu diesen Werten, ist keine den grossen Sündern, Schwerverbrechern oder Ungeheuern vorbehaltene Geste. Sie ist eine Rückkehr zu den authentischen Werten des Individuums, seiner Seele, seines angeborenen positiven Potentials. Er kann seine eigene Freiheit erreichen und sich vom "Pharao" befreien, den er sich aus eigener Überzeugung auferlegt hat und der ihm nicht vom Himmel gesandt wurde. Auf diese Weise kann er jeden Tag "Ägypten verlassen", in jeder Generation aufs Neue. Der Kampf ist jedoch nie endgültig gewonnen. Jedes Kind muss von vorne beginnen, sein eigenes Leben errichten. Bestimmte Erwerbungen können übertragen werden, wie beispielsweise der von den Eltern zusammengetragene finanzielle Reichtum, der den Kindern gewisse Annehmlichkeiten sichert. Das Wissen aus der Thora, die Weisheit und die Mitsvoth (die guten Taten) können hingegen nicht vererbt werden. Nur das ständig vorgelebte Beispiel der Eltern kann das Kind veranlassen, es ihnen gleichzutun. Zu jeder Zeit und überall stehen "unsere Kinder und Kindeskinder" täglich vor dem Kampf des Menschen und den Herausforderungen des Lebens, und nur das gute Beispiel der Eltern kann ihnen den Weg weisen.
Werden unsere Kinder demnach immer mit dem Schatten eines möglichen zweiten Auschwitz leben müssen ?
Jedes Jahr beginnen wir den Seder mit den Worten "Avadim Haynu", wir waren Sklaven, und wir beenden ihn mit dem Lied "Leschanah haba b'Yeruschalaim", nächstes Jahr in Jerusalem ! Diese ermutigende Pessach-Botschaft vermittelt uns den Gedanken, dass es nicht sinnlos ist darum zu beten, der letzte Krieg möge wirklich der letzte gewesen sein, und vor allem darum, uns alle im authentischen Jerusalem wiederzusehen, nicht erst nächstes Jahr, sondern an Pessach 5754 !



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